Wo ‚Liebe‘ drauf steht, ist ‚Gott‘ drin

„Freiheit ist, wenn dein Datenvolumen so groß ist wie eure Liebe.“ Das ist der neue Slogan eines Telefonanbieters. Jetzt versteht ihr vielleicht, was ich letzten Sonntag meinte, als ich sagte, wie schwer es mir fällt, diese großen und wunderbaren wie wundersamen Worte wie ‚Liebe, Freiheit, Glück‘ überhaupt in den Mund zu nehmen, geschweige denn, sie zu deuten. Worte sind eben nicht nur Schall und Rauch. In Worten verbergen sich Überzeugungen; in Worten verbirgt sich Menschliches – und Göttliches. Worte können aufrichten, sie können aber auch in den Dreck ziehen. Was aber mindestens genau so schlimm ist: Worte können ihrer Bedeutung und ihres Geheimnisses beraubt werden und so banalisiert werden, dass man sich schämen muss. Wer ‚Liebe‘ sagt, und ‚Verkaufsoffensive‘ meint, vergreift sich nicht nur gewaltig im Ton, er vergreift sich, was viel tragischer ist, an allem, wonach Menschen sich sehnen und was so oft von den gleichen Menschen aufs Spiel gesetzt wird.

Man kann Worten auch Leid zufügen, denn es gibt Worte, in denen liegt Verletzliches, Zerbrechliches. Eines der Worte, die einer tiefen Behutsamkeit bedürfen, ist das Wort ‚Liebe‘. Und heute in der Lesung hören wir, warum das so ist: Gott ist die Liebe. Neben der Offenbarung an dem brennenden Dornbusch, wo Gott sich dem Moses als Jahwe vorstellt, ist die Botschaft, Gott sei die Liebe, wohl der einzige Hinweis auf den Namen Gottes. Der Name Gottes sagt, wie er ist. Ein wenig erinnert mich das an meine kindliche Zeit, wo ich die Karl May Filme im Kino gesehen habe und die Indianer dort eben auch Namen trugen, die auf ihr Wesen schließen ließen. Wenn ich also das Wort ‚Liebe‘ in den Mund nehme, so muss mir bewusst sein, dass ich dann zugleich immer auch Gott meinem Gegenüber vermittele. Wo Liebe gesagt wird, ist Gott drin. Und eines dürfte sicher sein: In einem Handy ist Gott mit Gewissheit nicht drin.

Wo Liebe gesagt wird, ist Gott drin. Diese Aussage führt mich zu einem anderen Gedanken. Nicht nur, dass wir achtsam mit so großen Worten wie eben ‚Liebe‘ umgehen sollten; wir sollten uns auch bewusst werden,  wie weit und vielfältig Gott ist. Überall, wo Liebe ist, ist Gott. Und wo Liebe nicht ist, da fehlt Gott. Lieben kann jede und jeder, weil nämlich in jeder und jedem Gott ist. Die eine Perspektive klingt einleuchtend dabei, vielleicht ein wenig einleuchtender als die andere: Wo Gott ist, ist Liebe. Ja! Das erschließt sich aus den Heiligen Schriften, das lernen wir in unseren christlichen Kirchen. Aber auch das andere gilt: Wo Liebe ist, ist Gott. Und diese Wahrheit fordert uns wahrlich mehr heraus, denn sie verdeutlicht, dass Gott oft auch dort ist, wo wir ihn womöglich zunächst gar nicht vermuten oder wo wir bis heute mit theologischer oder geistlicher Überzeugung behaupten, da könne er nicht sein. Zum Beispiel in der Liebe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern. In einem Monat darf ich an einer Fachtagung für pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der katholischen Akademie Hamburg teilnehmen, wo die Frage gestellt wird, ob man die Liebe zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts segnen darf. Ich bin gespannt, wie die Diskussionen verlaufen werden. Auch in der Liebe zwischen zwei Menschen, die aus verschiedenen Konfessionen oder sogar verschiedenen Glaubensüberzeugungen herkommen und doch gemeinsam Gottesdienst feiern möchten, da ist der eine Gott. Unsere Kirche kommt dieser Sehnsucht, gemeinsam zu feiern, leider nicht angemessen nach. Es wird heute diskutiert, aber einladende Antworten stehen bis heute aus. Ich bin mir sicher, auch in der Liebe eines einsamen Menschen zu  seinem Haustier, einem Hund, einer Katze, einem Vogel, da ist Gott. Meine Mutter zum Beispiel, die seit über 30 Jahren Witwe ist, spricht mit ihrem Papagei und teilt manche Gedanken mit ihm, vor allem aber teilt sie ihre zuweilen auftretende Einsamkeit, weil wir drei Kinder immer zu wenig Zeit haben. Alle Liebe ist immer auch ein Gottesbekenntnis, bewusst oder unbewusst.

Deshalb ist das Wort Liebe, aber auch manch anderes Wort, so unendlich wertvoll, weil, wer immer es ausspricht, zum Gottesboten wird, völlig egal, wem er oder sie das Wort ‚Liebe‘ zuträgt. Und auch völlig egal, ob ein reflektiertes Glaubensbekenntnis damit verbunden ist oder nicht, ob jemand überhaupt an einen Gott glaubt oder nicht. Karl Rahner, mein geschätzter Lehrer als Dogmatiker, sprach immer wieder vom „anonymen Christentum“; und er meinte damit wohl, genau das: Wer das Wort ‚Liebe‘ einem anderen Menschen schenkt, zuspricht, der schenkt das, was gläubige Menschen ‚Gott‘ nennen, ohne es zu wollen oder zu wissen. So groß ist Gott, Vereinnahmung ist ihm fremd, denn er liebt immer zuerst…                                 Predigt am 13. Mai

Christoph Simonsen