Wenn der Glaube der Politik etwas vormacht…

Wenn der Glaube der Politik etwas vor macht…

Wieder einmal ein Massaker in den Vereinigten Staaten; wieder einmal viele Tote und Verletzte, wieder einmal unzählige fragende Trauerende, Angehörige, Freundinnen und Freunde; wieder einmal die Mahnung, den Waffenhandel zu erschweren; wieder einmal tiefe Betroffenheit; wieder einmal die Rede von einem Angriff auf unsere offene Gesellschaft.

Wie oft haben sich diese und ähnliche Szenarien in den letzten Monaten wiederholt. Je suis Charly, je suis Paris, je suis Cologne, je suis Brusselles. Damals wie auch jetzt in diesen Tagen werden wir mit vielen Zeichen und Gesten darauf verwiesen, wie kostbar und bewegend Symbole sein können, wenn zum Beispiel der Eiffelturm in den Farben des Regenbogens die Nacht erhellt oder wie gestern Abend in Berlin das Brandenburger Tor in den Farben der gay community  erstrahlt, und viele Menschen ihre Verbundenheit schweigend zum Ausdruck bringen. Für einen Moment sind alle Vorbehalte vergessen, alle Abgrenzungsmechanismen aufgehoben. Es ist tröstlich, wenn Menschen zusammenstehen über Grenzen und Unterschiedenheiten hinweg. Da wird etwas sichtbar und spürbar von dem, was Paulus in seinem Brief an die Galater schreibt: „Ihr seid alle durch den Glauben Kinder Gottes“. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau. Ihr alle seid eins in Christus Jesus“.

Leider gibt es aber auch eine andere Wahrheit, die nicht verschwiegen werden darf. Weil der Attentäter von Orlando einen afghanischen Vater hat, macht schnell die Vermutung die Runde, es handele sich um einen terroristischen Anschlag aus muslimischen Beweggründen.

So schnell, wie wir Menschen Verbundenheit zum Ausdruck bringen, so rasch lassen wir uns auch blenden von Vereinfachungen und Verallgemeinerungen und knüpfen Verkettungen, die rasch Antwort zu geben versuchen auf Wirklichkeiten, die doch ganz anders sein können. Wie heißt es bei Paulus weiter? „Wenn ihr zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams nachkommen, Erben Kraft der Verheißung“. Erben Abrahams sind wir Christen aber in gleicher Weise wie Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens. Paulus erinnert uns an etwas, was in Gott überwunden ist, woran wir Menschen aber kranken: An den Streit der Religionen, an die geschichtlich gewachsenen Vorurteile und an die Alleinstellungsansprüche, die die einzelnen Religionen für sich erheben, woraus dann Streit, ja sogar Hass und Krieg entstanden sind. Anstatt sich der gemeinsamen Wurzel zu erinnern, dass Gott sich den Menschen in unnachahmlicher Weise dem Urvater Abraham geoffenbart hat, dass er mit den Menschen in einen direkten Dialog treten möchte, dass ihm, Gott, an einem Mit-Gehen gelegen ist, zerreiben wir Menschen uns an der Frage, wem Gott wie viel wann von sich geoffenbart hat. Anstatt uns zu erinnern, dass wir gemeinsam Erben der Verheißung Gottes sind, verlieren wir uns in Traditionen und versteifen uns darin, die Unterschiede zu betonen. Aus diesem Glaubensirrsinn erwachsen heute die gesellschaftlichen und politischen Positionierungen, die der Welt innere Barrieren und Grenzen aufzwingen und die Menschen militarisieren und zu Gewalttätern machen. Die Politik vermag diesen Zwiespalt, diese Zerrissenheit alleine nicht zu befrieden, davon bin ich überzeugt; nur gemeinsam mit den Glaubensgemeinschaften, also auch mit uns Glaubende kann dieser Terror überwunden werden, indem wir Zeichen des Friedens und des Verstehens zwischen den Religionen setzen.

Die vielen medienwirksamen Symbole und Gesten, die die Menschen in den sozialen Netzwerken und an den öffentlichen Plätzen immer wieder von neuem setzen, sie werden erst dann wirklich zu einer Erneuerung des Denkens und Lebens beitragen können, wenn Menschen ihre Betroffenheit rückbinden an das Fundament eines persönlichen Glaubenszeugnisses. Eines Glaubenszeugnisses, das sich nährt aus dem je eigenen Glauben ohne den Glauben des anderen zu diskreditieren. Eines Glaubenszeugnisses, das überzeugend ist, ohne die Überzeugung des anderen zu verurteilen. Das ist ein mühevoller Weg, zumal wir viel zu lange wissentlich andere Wege gegangen sind. Aber es ist ein gangbarer Weg, wenn wir uns der gemeinsamen Wurzeln wieder tiefer erinnern und uns klar wird, dass Gott sich auf vielerlei Weise den Menschen offenbart hat und dass die Offenbarungen Gottes nicht einander ausschließen, sondern den Menschen helfen möchten, sich dem einen großen Geheimnis Gottes anzuvertrauen, der immer Geheimnis bleiben wird.

So wie Jesus sich sehr wohl in der langen Reihe der Propheten und seiner Wegbereiter sah, so nimmt er doch für sich in Anspruch, dass sich in ihm auf einmalige Weise das Wort Gottes in die Welt hinein gesprochen hat. Und vergleichbar liegt so in jedem Glauben, der sich auf den einen Gott Abrahams beruft, etwas Wertvolles und Einmaliges, das wert ist, geschenkt und geteilt zu werden. Leben, das von Gott kommt, zeichnet sich aus durch zwei Wunder: Es ist wertvoll an sich, weil es da ist und eingebunden ist in ein großes Ganzes und es ist wertvoll, weil es so ist: einzigartig, unverwechselbar, einmalig.

Das Leben von 50 Menschen ist in Orlando auf sinnloseste Weise zerstört worden, es kann nicht mehr geteilt werden und ihren Freundinnen und Freunden, ihren Familien, ja der ganzen Welt ist versagt, sich an diesen Leben freuen zu können und von ihnen lernen zu können, auch den Glauben lernen können. Wieder traf es eine ganz besondere Gruppe von Menschen, Schwule, Lesben und Transgender. Mich beschämt der Kommentar in einem Fernsehbericht, der nach den Ursachen dieser Tragödie fragte und bemerkte, dass noch nicht gesichert sei, ob es sich um einen islamistischen Anschlag gehalten, oder das Attentat nur einen homophoben Hintergrund gehabt hätte. Dieses Wort „nur“ hat mir den Hals zugeschnürt. Als sei ein grausamer Tod, der aus religiösen Motiven entstanden sei, ehrenvoller als ein Tod, der von einem psychisch kranken Menschen verursacht wurde. Und noch mehr beschämt mich, dass mit diesem „nur“ das Leben eines homosexuellen Menschen in einer Weise missachtet wird, wie es subtiler nicht sein könnte. Tragisch, dass nur der Bischof von Chicago auch der Lebenspartnerinnen und Lebenspartner der Verstorbenen und Verletzten ausdrücklich gedacht hat. Alle anderen haben es bei allgemeinen Trauerbekundungen gelassen. Ebenso wie die Suche nach der Einheit  in der Vielfalt des Glaubens nur von den Glaubenden im Sinne Gottes beantwortet werden kann, so ist es auch mit der Vielfalt der Liebesorientierung: Als Glaubende haben wir die Verantwortung, das einende immer stärker wahrzunehmen als das Unterscheidende. Glaubende vermögen mehr als alle Politiker und Juristen dieser Welt. Glaubende vermögen zu verstehen und zu verbinden. Es liegt an uns, die wir uns Mühen, Gott im Blick zu behalten; es liegt an uns, ob dieser Welt eine  friedvollere Zukunft beschert ist…Predigt am 19. Juni

Christoph Simonsen