Was zum Maibaum-Setzen noch dazu gehört
Heute ist mir ein wenig bange um unsere Wälder, werden doch in dieser Nacht wieder die berühmt-berüchtigten Maibäume vor den Haustüren der Liebsten aufgestellt. Ich möchte nicht wissen, wie viele arme Birken heute Nacht dran glauben müssen. Aber was tun Männer nicht alles, um ihren Liebsten zu gefallen. Welches Mädel freut sich nicht über solch eine Aufmerksamkeit, wenn sie morgens aufwacht und vor ihrem Fenster einen geschmückten Baum sieht. Es ist was Wunderschönes, auf solch liebevolle Weise Wertschätzung und Liebe geschenkt zu bekommen. Aber, wer wüsste das nicht, ein Baum kann noch so schön sein wie er will; ein Baum alleine genügt nicht, eine wirkliche Freundschaft zu erhalten, sie zu pflegen, schon gar nicht, sie zu vertiefen und zu intensivieren. Da braucht es schon ein wenig mehr. Und von diesem „mehr“, davon dürfen wir erfahren, wenn wir uns das heutige Evangelium anschauen und das meditieren, was wir in den letzten Wochen gefeiert haben: Ostern, Auferstehung. Ostern ist nämlich in erster Linie ein „Erzähl-Fest“. Was ich damit meine, davon erzählt der heutige Text. Wir werden mit den Jüngerinnen und Jüngern mitgenommen auf ihren Weg, wo sie unterwegs einander von sich erzählen.
Sie erzählen einander ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, aber was noch beachtenswerter ist: schenken einander ihre Ängste und Freuden. Was so banal klingt, ist etwas grundlegend Wichtiges, damit Leben in Freundschaft und Beziehung gelingen kann. Menschen können und dürfen ihre Ängste schenken, dürfen das geben, weg-geben, was bedrängend und beschwerlich ist, was sie das Leben fürchten lassen kann. Wir dürfen unsere Ängste weg-schenken genauso wie unsere Freude, unsere Lebenslust und unsere Sehnsucht, einem anderen Menschen nahe sein zu wollen.
Wir sind eingeladen unser Leben zu erzählen, aber eben unser ganzes Leben mit allen Facetten, die zu einem Leben dazu gehören. Und so gehört es auch dazu, das Bittere zu schenken, das Verlorene und Enttäuschende, denn das gehört dazu. Zum Maibaum gehören eben auch Tränen.
Auf ihrem Weg nach Emmaus machen die Jüngerinnen und Jünger eine unendlich wichtige Erfahrung: Gerade wenn die bitteren Ereignisse des Lebens einander anvertraut werden – und Gründonnerstag, Karfreitag, sind ja für die Jüngerinnen und Jünger Jesu nicht irgendwelche Tage in ihrem Leben gewesen, sondern lebens-wendende Ereignisse – wenn solch enttäuschende Ereignisse des Lebens erzählend geschenkt werden, dann wächst Ostern, dann wandelt sich Leben, dann steht das Leben auf, geschieht Unverhofftes, Ungeahntes, Ungeplantes. Wenn Sterbens erzählt werden, ereignet sich Auferstehung.
„Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte…“ Wenn Menschen ihr Leben erzählen, ihre Träume, ihre Nöte, ihre Ahnungen, dann wird sichtbar, spürbar, er-leb-bar, was zuvor still oder laut ausgehaucht worden ist. Im Schenken, im Erzählen meines Lebens, wird Leben voll und ganz leibhaftig, fassbar.
Wenn so also nach dem Maibaum-Setzen die Müdigkeit ein wenig überwunden ist und Zeit und Möglichkeit gegeben ist, sich hinzusetzen und gemeinsam zu erzählen, von sich, vom Leben, von dem Spaß in der Nacht aber auch von den Sorgen über die Zukunft unserer Wälder und der ganzen Welt, von der schier überfordernden Frage, wie wir all dem begegnen können, dann kann sich vielleicht während des Gespräches wieder neu Ostern ereignen und Ideen können aufkeimen, wie mit uns und durch uns Frieden werden kann…Predigt am 30. April
Christoph Simonsen