Was bleibt?
Was bleibt? Das ist die Frage. Die Todesanzeigen, die das Bistum Aachen nach dem Tod eines priesterlichen Kollegen an alle Kleriker des Bistums verschickt, suggerieren, dass die Eckdaten bleiben, also Geburt, Weihejahr, Versetzungen, Ruhesitz und der Ort der Beisetzung. Die Anzeigen lesen sich dann ungefähr so: „Am 28. September des Jahres verstarb Herr Pfarrer XY, geboren dann und dort, geweiht im Hohen Dom zu Aachen im Jahr X. Es folgten Kaplanjahre da und dort, die Berufung zum Pfarrer erfolgte dann und dann da, nach Wahl durch den Pastoralrat wurde er zusätzlich zum Dechanten gewählt. Darüber hinaus hat der Bischof von Aachen ihn berufen für die seelsorgliche Begleitung des Verbandes XY. Nach der Neuordnung der Gemeinden wurde Herr Pfarrer XY zum Leiter der GdG Z ernannt in solidum mit Pfarrer AB sowie zum Vorsitzenden des Kirchengemeindeverbandes. Nach kurzer Krankheit starb Herr Pfarrer XY am 28. September. Die Beisetzung findet statt in der Grabeskirche St. Josef am 4.Oktober. Ich bitte alle, des Verstorbenen zu gedenken. Aachen, den 1. Oktober. Der Bischof von Aachen“
Was bleibt? Zahlen, Daten, Funktionen? Als ich am vergangenen Montag zum Mitarbeiter Jahresgespräch beim Personalchef eingeladen war und er mich denn fragte, wie ich mir meine Zeit nach der Arbeit in der Khg vorstellen würde, haben wir einige Ideen durchgesponnen und zum Schluss konnte ich mir nicht verkneifen, ihm zu sagen, dass ich testamentarisch verfügen würde, dass über mich keine solche Todesanzeige verschickt werden dürfe, denn diese Eckdaten meines Lebens seien weder interessant, noch für irgendjemanden relevant, noch bedeutsam für die Ewigkeit.
Was also bleibt? Oder noch anders gefragt: Was bleibt wo von meinem Leben? Mein Horizont ist zu begrenzt, als dass ich mir die Ewigkeit vorstellen könnte. Die Kenntnis der Ewigkeit ist Gott vorbehalten. Was von mir bei ihm bleibt – denn Gott ist die Ewigkeit – liegt nicht in meiner Hand. Dass ich in seiner Hand liege, erhoffe ich, verdienen kann ich mir dieses Geschenk nicht. Insofern ist die Frage nach der Ewigkeit eine immerwährende, denn es ist die Frage nach Gott. Aber es ist keine Frage, die mich umtreibt, die mich in eine wirkliche Unruhe versetzt, denn die Frage nach Gott, die Frage nach einem Leben in ihm über alle Grenzen hinweg, ist hineingewoben in ein Urvertrauen, in Gott gehalten zu sein. Ich brauch mich dessen nicht zu beunruhigen, denn der Gott, auf den ich baue, ist ein barmherziger Gott. Die Frage ist in der Welt, sie ist in mir, diese Frage nach Gott und ohne diese Frage würde mein Leben leer sein, orientierungslos, womöglich sogar sinnlos. Diese Frage nach Gott ist mir Weg- und Lebensbegleiter in einer ruhigen, hoffenden, ahnenden Gewissheit. Was von mir bei Gott bleibt, liegt in Gottes Hand.
Was dagegen in der Welt bleibt von mir und was in mir Bestand hat, was mir mein Leben sinnvoll erscheinen lässt: Diese Frage zu beantworten liegt in meiner Verantwortung; und dafür Sorge zu tragen, liegt einzig in meiner Hand. Und so eröffnen sich mir ganz andere, und auch viel bedrängendere Fragen: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Warum sind wir Menschen so unbelehrbar? Warum dreh ich mich mit meinem Leben immer irgendwie im Kreis? Warum bin ich immer erst hinterher klüger?‘ Meine Antwort darauf: Weil ich mich immer wieder von der Angst leiten lasse, ich könnte verlieren, was mir wichtig ist; ich könnte mich verirren, wenn ich die vorgegebenen Wege verlassen; ich könnte das Nachsehen haben, wenn ich mich anderen nähere.
Ich möchte noch einmal auf das heutige Evangelium schauen. Nachdem der Gesetzeslehrer diese alles menschliche Maß überfordernde Frage nach der Ewigkeit Jesus gestellt hat, tritt Jesus mit ihm in den Dialog mit einer Gegenfrage ein und führt den Lehrer behutsam an das Liebesgebot heran, an das Gebot Gottes. Jesus holt die nicht zu fassende Dimension der Ewigkeit hinein in die Konkretheit des Jetzt. Und noch mehr: Er sprengt die Fesseln jeglichen normierten Lebens und konfrontiert den gesetzestreuen Lehrer mit einer ganz anderen Lebensmoral: Das Leben anzuschauen, wie es ist und zu handeln nach dem Herzen, mit den Möglichkeiten, die einem gegeben sind.
Der Frage: „Was bleibt?“ steht eine andere Frage zuvor: „Was ist?“ Wenn das, was ist, nicht so bleiben soll, und wenn von mir und von uns mehr bleiben soll als Zahlen, Fakten und Funktionen in der Erinnerung dieser Welt und der Menschen, mit denen wir leben, dann sollten wir uns einander auch wohl gegenseitig mehr an das Liebesgebot erinnern und danach handeln. Also mehr handeln nach dem, was das Herz sagt und die Vernunft und die Regeln in ihre Schranken verweisen.
Was bleibt? In dieser Woche machte die Nachricht die Runde, dass am 2. Oktober die Menschen in Ungarn zu einer Volksabstimmung aufgerufen sind über die Frage der Zuwanderung in ihrem Land. Und was Volksbefragungen bewirken, das wird zurzeit in aller Munde diskutiert. Was bleibt? Ob die Menschlichkeit bleibt, ist wohl die Frage aller Fragen, nicht nur in diesem Land sondern überall, denn die Ewigkeit beginnt nicht irgendwann, sie beginnt heute.
Christoph Simonsen
Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis C – 2016: Lukas 10,25-37