Mut zur Wahrheit

Viele sind an der Hinrichtung Jesu beteiligt; manche sind namentlich genannt: Der Hohepriester, wenn auch nur indirekt als Speichellecker der Staatlichkeit, Pilatus natürlich, der Hauptmann, der zwar Befehlsempfänger ist, aber auch Befehle weitergibt an die Soldaten, die Jesus zunächst peinigen, bevor sie ihn ans Kreuz nageln. Die meisten, die die Kreuzigung Jesu zumindest hingenommen haben, bleiben namenlos: Die Marktschreier, die mit der Menge brüllen. Die Gaffer am Straßenrand, die genau wissen, wes Weges Jesus geht und die zuschauen wie bei einem Straßenumzug.
Einer wird noch mit seinem Namen erwähnt, der eigentlich gar nicht beteiligt ist; einer, der in diesem ganzen grausamen Geschehen eine untergeordnete Rolle spielt: Der Papst, der erste Papst, Petrus mit Namen. Mit klarer Deutlichkeit müssen wir festhalten, dass der erste Papst Jesus verleugnet hat, als er seiner Freundschaft besonders bedurfte. Die Motive des Petrus mögen ehrenwert gewesen sein. Immerhin ist er nicht einfach geflüchtet, sondern hat versucht, in der Nähe Jesu zu bleiben. Aber als er konfrontiert wurde, hat er geschwiegen. Schlimmer noch: Er leugnet, je mit Jesus zusammen gewesen zu sein. Man könnte dem Evangelisten unterstellen, er wolle Petrus – den ersten Papst also – diffamieren. So viele haben doch versagt, warum pickt er sich ausgerechnet Petrus heraus und stellt ihn bloß? Der, zu dem Jesus sagen wird: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, ausgerechnet der wird mit vollem Namen als Lügner und Vertuscher hingestellt. Der Berufene ist der Lügner schlechthin. Diesem Lügner und Vertuscher vertraut Jesus nach seiner Auferstehung die Kirche an: „Weide meine Schafe“.
Petrus ist Felsen der Kirche, und er ist – deutlicher wird es nicht als gerade an diesem Tag heute – er ist Felsen als Sünder. Es lässt sich nicht verheimlichen, schon im Anfang der Kirche ist es dokumentiert, und heute, mehr als 2000 Jahre später, ist es nicht anders: Der Felsen, der, auf den Jesus sich verlassen hat, ist nichts als ein instabiles Gestein. Kardinal Lehman, dessen Tod wir in den vergangenen Tagen betrauern mussten, hat es wiederholt zum Ausdruck gebracht, nicht nur bei seinem letzten Vortrag hier in Aachen vor ein paar Jahren: Die Kirche sei nicht nur eine Heilige, sie sei auch eine Hure. Und in seinem geistigen Testament hat er es noch deutlicher formuliert, da er schrieb, die größte Sünde sei es, den Gelüsten der Macht anheim zu fallen.
Was wir lernen können heute? Wir können lernen, dass Gott zum Heil der Welt die Kirchen dazu beruft, dass in ihnen und an ihnen sichtbar werden soll, was wo anders verdunkelt wird: Die Schuld, die Gott heilen will. Das Kernthema des heutigen Papstes, die Welt so anzuschauen, wie sie ist, und sich nicht durch die verblendeten Augen der Vollkommenheit ablenken zu lassen von der Realität und die Heilung, die Gott will, durch Barmherzigkeit, durch Geduld und Wertschätzung der Unvollkommenheit einzuleiten: Dieses Kernthema ist die geistige Mitte des Karfreitag. Gott heilt mit seiner Solidarität, nicht mit seiner Macht.
Ich/wir sind nicht Hannas, nicht Kajaphas und nicht Pilatus. Wir sind nicht die Erdogans, die Husseins und die Trumps heutiger Zeit. Aber ich und wir sind Petrus, der versagt hat. Nicht unsere Leistung und unsere Erfolge sollen wir verkünden, auch nicht unsere Glaubensleistungen und unsere Kirchentreue; verkünden sollen wir, dass Gott um unsere Schulden weiß, um unsere kleinen, billigen, meist von Egoismus und Selbstüberschätzung geprägten Erbärmlichkeiten weiß – und uns doch mit seiner Liebe trägt. Es ist nicht tragisch ein Sünder zu sein, tragisch ist es, es zu leugnen einer zu sein.
Die Berufung der Kirchen muss sein, Schuld sichtbar zu machen, nicht zuerst besserwisserisch und hochmütig gläubig bei den anderen, sondern bei sich selbst und vorzuleben, dass ein Mensch, der sich Gott anvertraut, lernfähig ist, über Schuld offen und zugewandt sprechen kann und eben so Vorbild ist darin, zu versichtbaren, dass nicht wir selbst der Eckstein sind, sondern nur der, den wir Menschen ans Kreuz gehängt haben, als uns der Mut ausging, Wahrheit und Barmherzigkeit zusammen zu denken und zu leben…Predigt am 31. März – Karfreitag
Christoph Simonsen

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