Kleine Zeichen bewahren das Menschsein

„Nie wieder!“ Deshalb haben Menschen in Dresden an einem Abend in der vergangenen Woche ihre Innenstadt hell beleuchtet. Es ist gut, es ist wichtig, Zeichen zu setzen; so wie Gott ein Zeichen des Bundes in den Himmel setzte. Am Montagabend setzten die Menschen in Dresden ein Zeichen. Nie wieder! Nie wieder Krieg und Zerstörung. Sie erinnerten an die Bombennächte des 13./14. und 15. Februar 1945. Die Stadt wurde in diesen Tagen dem Erdboden gleich gemacht. Tausende starben. Nie wieder! Das warme Licht der Kerzen sollte der Gewalt, dem Hass, dem Unrecht, dem Tod die Stirn bieten. „Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch und Blut vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“. Nie wieder sollen Fliegerbomben eine Stadt in Schutt und Asche legen; nie wieder sollen Häuser und Wohnungen zerstört werden und das Leben der Menschen, der Tiere und Pflanzen ausgerottet. Nie wieder!
Gott geht auf die Menschen zu, macht ein unwiderrufliches Versprechen. Für alle Generationen soll es gelten: Nie wieder soll vernichtet werden, was aus Fleisch und Blut ist.

Ja, wir müssen Zeichen setzen; viel mehr Zeichen müssen wir setzen, um zu zeigen, wie wert uns unsere Schöpfung ist; um zu zeigen, wie notwendig es ist, aufeinander zuzugehen; um jeder und jedem klar zu machen, so wie bisher, kann es nicht weitergehen. Wir müssen Zeichen setzen, so wie Gott immer wieder Zeichen gesetzt hat, dass er sich seiner Verantwortung für das Leben bewusst ist. Kleine Zeichen sind ein Anfang. Kleine Zeichen können großes bewirken. So wie die Kerzen, die den Nachthimmel von Dresden erleuchtet haben vergangenen Montag. Ein Regenbogen macht die Welt nicht zum Paradies, aber alle, ob groß oder klein, erinnern sich an ihre vielleicht vergessene, verlorengegangene, vergrabene Fähigkeit zu staunen darüber, dass so eine wunderbare Farbenpracht den Himmel und das Herz zu verzaubern vermögen. Ich kenne keinen Menschen, der sich nicht freut, wenn er einen Regenbogen am Himmel entdeckt. Und – wenn auch nur für einen Augenblick – ist alles Dunkle vergessen. Und es wird grenzenlos klar, das Dunkle kann überwunden werden.

Welche Zeichen möchten wir setzen? Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Zeichen, die sichtbar machen, dass uns am Leben liegt, und zwar nicht nur am eigenen, sondern am Leben der anderen nicht minder. Sich gesünder ernähren, hilft nicht nur der eigenen Figur, sondern auch der Schöpfung, die unüberhörbar weint, weil wir sie so ausbeuten. Zeichen setzen, bewusster leben; der Schöpfung Gutes tun, und darüber reden. So wie Gott auch darüber geredet hat. Er hat nicht nur den Bogen in den Himmel gesetzt, er hat den Menschen auch erklärt, warum er eben dieses Zeichen setzen wollte; er hat sich den Menschen erklärt. Nur wenn bewusst ist, was wir tun, warum wir es tun, welches Ziel wir damit verfolgen, kann es auch zu einer Kettenreaktion kommen, einer Kettenreaktion hin zu einem bewussteren und verantwortlicheren Leben. Zeichen setzen und darüber reden, wie wertvoll Lebensmittel sind, weil es nämlich Mittel zum Leben sind; Zeichen setzen und darüber reden, warum wir das gelbe Schild ans Fahrrad oder ans Auto geklebt haben mit der Aufschrift „Tihange abschalten“, weil wir nämlich verantwortlich mit den Energieressourcen umgehen wollen; Zeichen setzen und darüber reden, dass wir uns in den Kirchen oder in Verbänden und Vereinen engagieren, nicht als Freizeitbeschäftigung und Wohlfühlmoment, sondern weil uns an einem friedvollen Zusammenleben der Menschen liegt.

Zeichen setzen ist leichter gesagt als getan. Wir trauen den kleinen, symbolischen Zeichen nicht wirklich was zu. Wir verniedlichen sie damit, dass wir behaupten, sie seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn schon Veränderung, dann auch richtig, so denken nicht wenige einflussreiche Persönlichkeiten. Wenn Veränderung, dann auch richtig, ohne Wenn und Aber. Die einen zeigen auf den berühmten roten Knopf, andere nehmen große Worte in den Mund, sprechen von notwendigen konservativen Revolutionen und verschweigen, dass Revolutionen nur in ganz wenigen Fällen unblutig verlaufen und immer welche auf der Strecke bleiben. Wirkliche, menschliche, friedliche Erneuerung beginnt aber zumeist im Kleinen, im Zeichenhaften. So wie der Regenbogen, der eigentlich nicht mehr ist als ein vorhersehbares Naturereignis, aber in der Deutung Gottes zu einem verbindenden Symbol für ein ganzes Volk wurde. Wer immer also heute mit einem Stoffbeutel einkaufen geht zum Beispiel, der mag ein natürlicher Konsument sein, aber er kann auch jemand sein, der sehr bewusst auf Plastikbeutel verzichten will. Wer in der Woche kein Fleisch einkauft, der mag jemand sein, der sich preisgünstiger zu ernähren bemüht, aber es kann auch jemand sein, der sichtbar auf die Massentierhaltung verweist und diese kritisiert. Wenn es dann anderen auffällt, dann kann sich ein Gespräch entwickeln und es beginnt dann gewiss keine Revolution, aber eine unscheinbare Einzelaktion entwickelt sich womöglich in einen unaufhaltsamen Schneeball.

Nie wieder! Nie wieder eine Welt, in der ein System die Menschen gefangen nimmt, kein Wirtschaftssystem, kein politisches System, kein religiöses System. Die kleinen Zeichen der Menschlichkeit, die scheinbar unbedeutenden Signale der grenzüberwindenden Verbundenheit, die unauffälligen Verweise auf die Wunder der Schöpfung, die sind es, die der Welt eine Ordnung zu geben vermögen und die Nähe des Reiches Gottes spürbar werden lassen…Predigt am 18. Februar
Christoph Simonsen