„Im Liegen“ die Welt erneuern
Kennt ihr Janosch? Janosch ist keine knifflige Frage zu kompliziert, um nicht darauf eine schlichte und verständliche Antwort zu finden. „Wie geht man neue, große Dinge an“, wurde er einmal gefragt. Und seine Antwort war ebenso verblüffend wie überraschend: „Dazu ist es erst einmal wichtig, sich richtig zu positionieren und die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Also etwa im Liegen.“
Jetzt frage ich euch: Gibt es ein größeres Ding, als sich dem Wunsch zu verschreiben, das Leben der Menschen lebenswert zu machen, Kranke zu heilen, Ausgestoßene in die Gemeinschaft zurück zu führen, Böses aus der Welt zu verbannen? Wie positionieren wir uns also richtig, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können? Der Rat Janonsch’s scheint mir da hilfreich zu sein. Sich erst einmal richtig positionieren. Genau das tun wir gerade hier. Wir positionieren uns hinein in die Gegenwart Gottes, und schauen die Welt an mit seinen Augen, mit seinen mitleidigen Augen. Und wenn wir auch nicht liegen, so wie es Janosch vorschlägt, so ruhen wir doch zumindest. Wir ruhen aus in der Gemeinschaft, im Gebet, in der Feier. Wir treten heraus aus den Belastungen des Alltags und lassen uns ansprechen mit Worten, die wir sonst nicht hören. Denn wer spricht uns sonst so an und lädt uns ein, dass wir einander vom Himmel erzählen sollen?
Das Leben lebenswert machen denen, die ihre Lebenskraft verloren haben. Und dann wird Jesus sehr konkret: Nicht in der Fremde sollen wir das Leben lebenswerter machen, nicht in der Welt der Heiden. „Geht nicht zu den Heiden“ sagt Jesus. Wir sollen uns hier umschauen, in unserer Welt. Unsere Lebenskontexte sollen wir bedenken, Leben anschauen, wo es hier gebrochen ist, ausgegrenzt, heillos. Diese Forderung Jesu hatte zunächst ganz konkrete gesellschaftliche Hintergründe, denn das Volk der Israeliten war zerstritten und die zwölf Jünger, die Jesus konkret angesprochen hat, verweisen natürlich auf die zwölf Stämme Israels, die wieder in Frieden zusammengeführt werden sollten. Menschen zusammenzuführen, die Gemeinschaft zu einen, daran war Jesus gelegen. In Anlehnung an Jesu Beispiele könnten wir auf uns übertragen vielleicht sagen: Das, was nicht perfekt ist, nicht aussondern, sondern integrieren; das, was fragwürdig ist, nicht in die Verbannung schicken, sondern einbinden; das, was verrückt ist, nicht ausmerzen, sondern verstehen lernen.
Jesu Auftrag nachzugehen, das ist eine Herausforderung, nicht selten eine Überforderung. Jesu Menschenbild erscheint vielen als eine Utopie, sein Auftrag unerfüllbar, weil weltfremd. Es mag ja durchaus mal interessant sein, eine andere Position einzunehmen, um zu sehen, welch große Aufgaben in der Welt liegen. Es mag ja durchaus neugierig stimmen, sich einmal vorzustellen, wie es wäre, wenn wir Gottes Wort wirklich leben würden. Es mag ja durchaus erbaulich sein, sich Auszeiten zu gönnen, um dem Traum einer gerechten Welt, eines friedlichen Miteinanders der Menschen Raum zu geben in der eigenen Seele.
Aber alles Ansinnen scheitert doch spätestens dann, wenn wir erkennen, dass um uns herum die Welt eine andere ist und wir dieser Welt nicht entfliehen können.
Da erinnere ich mich des zweiten Rats von Janosch und er lässt mich nicht los. „Im Liegen“ sollen wir die Welt betrachten. Von unten soll ich auf die Welt schauen, entspannt, ruhend und unbeobachtet vom Rest der Welt. Was passiert in solch einem Augenblick? Ich komme mir selbst näher. Und die Welt, diese unfertige, unfriedliche, mich oft bedrängende Welt verliert ein Stück ihres Einflusses über mich. Natürlich bin und bleibe ich ein Teil der Welt und doch rückt sie mir nicht so fordernd und bedrohlich auf den Leib. Es dreht sich nicht mehr alles um diese Welt und ich spüre eine andere Kraft, eine andere Mitte – in mir. „Mehr als du glaubst“ ist der Slogan der Khg. Ja, wenn ich liege, wenn ich mich selbst spüre, dann nehme ich wahr, dass mehr in mir ist, als ich selbst zu glauben vermochte. Dies gewährt ein Gefühl von innerer Freiheit und Gelassenheit. Nicht die Welt ist es, die über mein Leben bestimmt. Im Liegen kann eine Kraft gedeihen, mich einzubringen in diese Welt. Aus der Gabe, sich distanzieren zu können von all den Sachzwängen, die in der Welt beherrschend sind, kann die Aufgabe erwachsen zu geben. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“.
Christoph Simonsen – 18. Juni 2017