„Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein“

„Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein“

Letztens auf der Pontstraße: Chaos, Blaulicht und Sirenengeheule. Was war los? Eine Brandschutzübung im Institut gegenüber der Khg. Und das war schon die zweite innerhalb von 8 Tagen. Und so nervig das auch sein mag, weil dann auf der Pontstraße erst mal alles still steht, es macht Sinn. Lieber einmal zu viel prüfen als zu wenig, ob die Schutzmechanismen greifen und alles Menschenmögliche getan ist, um eine Katastrophe zu vermeiden.
Aber was dahinter steckt, wie viele Richtlinien eingehalten werden müssen, um die Behörden zufrieden zu stellen, das krieg ich persönlich dann immer mit im Gespräch mit unserem technischen Leiter in der Khg. Und mit dem krieg ich mich dann regelmäßig in die Wolle, weil selten so einfach etwas verwirklicht werden kann, wie ich mir das vorstelle. Entweder wird die Realisierung wahnsinnig teuer oder so schwierig in der Umsetzung, dass man fast schon die Lust verliert, auch nur irgendetwas zu verändern. Und trotz alledem macht es Sinn, denn wer könnte verantworten, wenn ein Unfall geschehen würde aufgrund unsicherer Gebäude? Wir alle wissen heute, dass eine Reihe von Todesfällen oder Verwundungen hätten vermieden werden können in Folge des schrecklichen Erdbebens in Italien, wären die Gebäude sicherer gewesen.
Wir Menschen brauchen in bestimmten Lebenssituationen Schutzmechanismen; sie helfen uns, sie schützen uns, sie schenken uns ein Gefühl von Sicherheit, auch wenn sie manchmal lästig sind.
Heute werden wir auf eine wesentliche Dimension unseres Glaubens verwiesen, die genau dies im Sinn hat. Der Glaube möchte uns schützen, manchmal sogar vor uns selbst. Er möchte uns schützen davor, dass wir uns verlaufen in unserem Leben, dass wir im wahrsten Sinn des Wortes in eine Sackgasse geraten, dass wir unter die Räuber fallen und verlieren, was im Leben wichtig ist.
Es tut gut, jemanden im Rücken zu haben oder auch schon einmal jemanden vor sich zu haben, der einen schützen möchte und dem man vertrauen darf, dass er gut zu einem ist. Das schenkt ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Und dennoch: Gott ist nicht der Chef der Bauordnungsbehörde und auch nicht der Direktor des TÜV. Gottes Regeln sind anders aufgestellt als die Schutzparagraphen der kommunalen Ämter und Behörden. Und was noch ein gravierenderer Unterschied ist: Wir Menschen werden nicht zusammengebaut nach bestimmten Vorgaben und Regeln; wir werden nicht gemacht und sind dann ein für alle Mal fertig.
Ja es stimmt, wir Menschen brauchen Schutzmechanismen, die uns davor bewahren, dass wir in die Irre laufen und die uns auch davor bewahren, andere in die Irre zu führen. Aber wie sehen diese Mechanismen aus, die uns aus unserem Glauben heraus erwachsen? Darauf gibt uns die Dreierbeziehung eine Antwort, von der wir heute im Evangelium hören. Die Geschichte eines Vaters, der zwei Söhne hat wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Meistens steht ja der verlorene Sohn, wie er ja immer genannt wird, im Fokus des Interesses. Ich möchte aber zunächst auf den älteren Sohn schauen. Ich glaube nämlich, dass Jesus seinen Zuhörerinnen und Zuhören eben diesen älteren Sohn als Spiegel vor die Nase halten wollte. Und ich wette, er ist auch das Spiegelbild vieler Menschen heutiger Zeit, vielleicht sogar von uns? Er ist sozusagen der Prototyp eines korrekten Menschen. Er hat nie ein Gebot übertreten, war immer korrekt, anständig und bei ihm ist sicher nie was zusammengebrochen. Als Architekt seines Lebens – wenn ich das so in ein Bild fassen darf – durfte er sicher davon ausgehen, dass sein Lebenshaus auf Ewigkeit nicht zusammenfällt. Aber –oh Gott – es bricht zusammen. Es bricht zusammen, weil es aufgebaut war auf der verinnerlichten Angst, etwas falsch zu machen im Leben. Es bricht zusammen, weil all das, was er getan hat, aus einer Verkrampfung heraus geschehen ist, etwas falsch zu machen. Deshalb hat er in blindem Gehorsam lieber den Vorgaben des Vaters Folge geleistet in der dummen Annahme, dann fehlerfrei zu bleiben. Sein Leben bricht zusammen, weil er jegliche eigene persönliche Bedürftigkeit ignoriert, ja unterdrückt hat. Der ältere Sohn hat sich an die Kette seiner Angst gelegt und seine Freiheit dabei verloren. Aber das weiß jeder, zumindest jeder Hundebesitzer (und das bin ich ja bekannter Weise): Hunde, die an die Kette gelegt werden, werden aggressiv. Sie mögen nichts tun, schließlich sind sie ja angekettet, aber, wenn sie könnten: sie würden beißen und zerstören. Wer von Angst geführt wird, der verliert Güte und Milde. Wer sich zwingt, gut sein zu wollen, der wird böse. Und der ältere Sohn ist böse, denn er zeigt mit dem Finger auf seinen jüngeren Bruder, um diesen zu entblößen. Rechthaberische Menschen suchen immer Sündenböcke.
Schauen wir auf den jüngeren Sohn. Er hat sich verlaufen; aber doch nur deshalb, weil er sein Leben selbst in die Hand nehmen wollte. Nicht seine Ziele waren falsch, sondern die Mittel, diese umzusetzen. Und der Vater: er gibt seinem jüngeren Sohn das ihm zustehende Erbe nicht aus einem Pflichtbewusstsein heraus, auch nicht aufgrund juristischer Korrektheit; er gibt es ihm aus einem hohen Respekt der Freiheitssehnsucht seines Sohnes gegenüber.
Es tut gut, jemanden um sich, ja: in sich zu wissen, der einem Schutz und Geborgenheit schenkt. Aber dieser Schutz Gottes beinhaltet keine Garantie, ohne Blessuren durchs Leben zu kommen, wohl aber die Garantie, mit den Blessuren, mit den Verwundungen und den Narben leben zu können und vor allem: als „sich geliebt wissen“ leben zu dürfen, frei leben zu dürfen, selbst wenn ich das einmal in einer tiefen Not vergesse. Der Schutzmechanismus Gottes bewahrheitet sich in seinem Versprechen, auch den Gefallenen, den Gebrochenen, den Verirrten nicht fallen zu lassen, nicht seinem Schicksal zu überlassen, sondern die Arme offen zu halten, sein Herz offen zu halten.
Für die Bauordnungsbehörden sind zweifelsohne Unfälle und Zusammenbrüche mit allen Mitteln zu vermeidende Katastrophen; für Gott sind es Lehrstunden des Lebens, die einen Verantwortung lehren für sich und für die anderen.
Ihnen…. Legt sich Gottes guter Geist nun ins Herz, wenn Sie jetzt gefirmt werden; er nistet sich bei ihnen ein, will in ihnen wohnen und er möchte Ihnen Mut machen. Sie kennen sicher das Kinderlied: „Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut steht ihm gut, s’geht im wohlgemut.“ Stock und Hut ist vielleicht nicht Ihres, vermute ich mal, aber wohlgemut dürfen und sollen sie gehen hinaus in die weite Welt, und Gott geht mit Ihnen...Predigt am 11. September
Christoph Simonsen