Franziskus – eine Radikalisierungsgeschichte in einer Wertewandelzeit

Einer, der mit den Ermahnungen des Paulus (2 Tim 1,7-14)  und den Verweis auf die Botschaft Jesu ernst gemacht hat in einer sich wandelnden Gesellschaft war der Heilige Franziskus:

Sein Vater, der wohlhabende Kaufmann Pietro Bernardone, hatte sich das Leben seines Sohnes Giovanni Battista Bernardone, geboren 1181 wohl anders vorgestellt. Er wollte ihn zum Kaufmann machen und ließ ihm eine gute Ausbildung zuteilwerden. Der Sohn lernte Lesen, Schreiben, Rechnen, Latein und Französisch. Den Spitznamen Francesco (=Französchen) erhielt er aufgrund der Vorliebe der Eltern für Frankreich. Später sprach er immer dann, wenn er ganz bei sich war Französisch.

Nach einer unbekümmerten Jugend und ehrgeizigen Träumen von hohen Ritterwürden wurde Franz von Assisi 1205 durch das Miterleben eines Kriegszuges in Apulien krank und innerlich umgewandelt. Bei einem Gebet in San Damiano fühlte er sich von der dortigen Kreuzikone persönlich angesprochen. Die Legende berichtet, Christi Stimme habe zu ihm gesprochen: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“ Franz von Assisi begann daraufhin ein mönchisches Büßerleben in Gebet und strengem Verzicht und stellte zerfallene Kapellen in seiner alten Heimat wieder her.

Er zog als Wanderprediger durch das Land, wie einst Jesus in Armut und Demut. Bei den einen, insbesondere auch dem hohen Klerus, erntete er dafür nur Hohn und Spott, andere schlossen sich ihm an: Sie trugen das Gewand der armen Leute – eine grobe Tunika mit Kapuze und einen Strick als Gürtel.

Diesen „Lebensstil“ entnimmt er den Aussendungsworten Jesu an seine Jünger:

Evangelium: Lk, 10,3-9

3 Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.

4 Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs!

5 Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus!

6 Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren.

7 Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes!

8 Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt.

9 Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.

Der Nährboden für die armen oder „minderen“ Brüder, wie Franziskus sie selbst nannte, war im 13. Jahrhundert bereitet. Die Gesellschaft befand sich im Umbruch. Die Städte blühten auf, die Menschen zog es weg von den bäuerlich dominierten Strukturen, hin zu städtischen Lebensformen. Das zeitigte dramatische Veränderungen in allen sozialen und wirtschaftlichen Bereichen. Der Gegensatz zwischen Arm und Reich wuchs, Autoritäten wurden hinterfragt und die Kritik an der unfrommen und ausschweifenden Lebensweise auch hoher kirchlicher Würdenträger nahm zu.
Es ist ein allmählicher Umwandlungs- und Selbstfindungsprozess, den Franziskus erlebt. Später wird er diesen Prozess als göttliche Führung, als Gnade erkennen.

Es sind insbesondere 3 Charakterzüge Francescos, die diesen Wandel bewirken, bzw. fördern:
Er ist maßlos! Zum Eigentum und zum Geld hat er eigentlich nie ein positives Verhältnis. Diese Linie wird nahtlos in seine neue Identität eingehen. Sein ganzes Leben wird er von einer fraglosen Spontaneität geprägt sein, von einem verschwenderischen Einsatz, vom Gedanken des <<Umsonst>>.
Das Eigentum wird er schließlich für sich und seine Gemeinschaft grundsätzlich ablehnen.

Ein anderer Grundzug seines Charakters ist seine Eitelkeit und sein Größenwahn. Zu wiederholten Malen gibt er zu erkennen, dass er zu Größerem berufen ist, zum großen Fürsten, Ritter, Helden, und dass ihn einmal die ganze Welt verehren wird. Dieses Selbstbewusstsein wird Franz nie verlieren.

Er wird überzeugt sein, gesandt und gerufen zu sein, einen Auftrag zu haben, wie ein Prophet von göttlicher Inspiration getroffen zu sein, dass darum seiner Lebensform Gültigkeit zuzubilligen sei bis ans Ende. In geradezu paradoxer Weise steht dieses prophetische Selbstbewusstsein im Gegensatz zu einem ebenso großen Gefühl der Kleinheit, das Brüderchen und der unbedeutende kleine Diener zu sein.

Hinzu kommt seine außerordentliche Sensibilität für die Armen und Ausgestoßenen,  sein ritterliches Verhalten zu allen Menschen. Schon früh geht ihm auf, dass Armut eine Provokation für das Herz ist, dass sich Ritterlichkeit und Freigebigkeit nicht nur auf Menschen beziehen dürfen, die Gleiches mit Gleichem vergelten können. Wenn es Adressaten für Freigebigkeit und Ritterlichkeit gibt, dann vor allem die, welche nichts zurückgeben können.

Das heißt aber auch aktiv auf die Armen und Ausgestoßen zuzugehen, sozusagen die Begegnung auf Augenhöhe zu suchen.
Er beschreibt diesen Wandlungsprozess in seinem Testament so: „Früher war es mir unerträglich bitter erschienen, Aussätzige auch nur anzusehen. Doch der Herr hat mich mitten unter sie geführt und  Leib und Seele mit übergroßer Freude erfüllt.“

Franziskus radikalisierte sich, je mehr er sich in das Evangelium vertiefte und versuchte dies zu leben. (Radikal kommt aus dem Lateinischen von radix – Wurzel, von daher kann man Franziskus als Radikal-Christen bezeichnen)

Radikale finden gleichgesinnte Anhänger und stoßen Andere ab, die die Radikalität nicht teilen können. Auch diese Attraktivität und Ablehnung erfuhr das Leben des Franziskus:

Sein Vater enterbt ihn, weil er das Familienvermögen „maßlos“ an die Armen verteilt, anstatt sich seinem gesellschaftlichen Status entsprechend zu kleiden und auszustatten. Die Reaktion: Franziskus zieht sich vor dem Bischofspalast aus, wirft seine Kleider und sein Geld dem Vater vor die Füße und erklärt: Er sei Sohn Gottes, nicht mehr der Sohn des Pietro Bernadone, nackt und arm. Allein von den Gaben des himmlischen Vaters wolle er leben.
Franziskus verlässt die Stadt mit einem neuen Bewusstsein: Sohn Gottes, Herold des Großen Königs.
Er bricht mit seiner Familie, seinem Stand und auch mit seinen Freunden.

Parallel mit der gesellschaftlichen Radikalisierung geht die kirchliche Radikalisierung:

Entsprechend seinem Ritterideal will er in den Dienst Walters von Brienne treten, der im Dienst des Papstes steht. Auf dem Weg dorthin kommt die Wende durch einen Traum, in dem ihm klar wird, dass es nur einen Herrn gibt, der Anspruch auf seinen Dienst erheben kann, Gott.

Aber wie soll dieser Dienst aussehen, was ist der Auftrag seines Lebens? Er reist nach Rom, um dort ein neues Leben zu probieren als Bettler. In Rom erfährt er die Diskrepanz von äußerer und innerer Religion. Für ihn steht fest: Die Religion verlangt ein großherziges und spontanes Herz für Gott und die Menschen, die unauflösbare Verbindung von Mystik und Politik.

In Rom aber erlebt er, dass es Leute -Kleriker wie Laien- gibt, welche diese Einheit zerschlagen, die religiöse Akte vollziehen, aber kein Herz haben. Sie verehren die Apostel, doch sie können nicht geben.

Mit dieser Religion will Franziskus nichts zu tun haben. Er wird von nun an zu den Bettlern gehören, lieber draußen vor der Türe als drinnen bei den <<Frommen» sein.

Diese Konsequenz und Lebensweise wird unter den jungen Reichen Männer wie Frauen (also seinen Standesgenossen) attraktiv und schon bald schließen sich ihm Gleichgesinnte an, um mit ihm diese Lebensweise zu teilen.

In der damaligen Zeit waren Protest- und Armutsbewegungen nicht selten, insbesondere wenn sie von religiöser Radikalität geprägt waren und sich gegen die Kirche und den Klerus richteten. Franziskus aber wollte ja die Kirche von innen her erneuern und er stellte nicht deren Autorität und Struktur in Frage, sondern deren unevangelischen Prunk und Protz.
Wenn Menschen zusammen leben, brauchen sie Regeln. Diese forderten seine Brüder und Schwestern, wie sie sich nannten, von ihm ein. Er verwies sie auf das Evangelium allein. Er schreibt einige Kernsätze wie die Aussendungsworte und Verhaltensregeln der Bergpredigt sowie einige unbedingt notwendige Verhaltensregeln für das Leben in der Gemeinschaft auf und da sie ja eine Gemeinschaft in der Kirche sein wollen, brauchen sie für diese Regel die päpstliche Anerkennung. Die Skepsis der Autoritäten und Juristen in Rom, die sich auf die nicht vorhandene materielle Absicherung der Gemeinschaft beziehen, überwindet er mit dem Hinweis der göttlichen Berufung zum Leben in dieser Gemeinschaft und den Verweis darauf, da es ja Gottes Wirken sei, was sie vollziehen werde, also auch Gott auch für ihre materielle Absicherung sorgen werde.

Eine Gemeinschaft braucht einen Ort, um sich zu treffen und auch als geistliches Zentrum. Diesen Ort findet die Gemeinschaft in der Kapelle Portiuncula. Sie wurde zur Hauskirche der Brüder und Schwestern. (ähnlich wie hier in Aachen Kapharnaum).

Die Bewegung breitet sich in der damaligen bekannten Welt aus und ist dabei von der Versöhnungs- und Friedensbotschaft des Evangeliums inspiriert.

So versucht Franziskus selbst sogar während des Kreuzzuges zwischen Christen und Muslimen zu vermitteln. Erfolglos.

Aber er lernt die muslimische Sufi-Bewegung kennen und übernimmt einige ihrer Rituale.

Eine weitere Radikalisierung war eher mystischer Art:

Immer wieder versucht er sich in seinen Meditationen in Jesus hineinzuversetzen, von ihm her zu denken und zu fühlen. In der Fastenzeit 1224 während er das Bild des Gekreuzigten meditiert, identifiziert er sich sosehr mit ihm, dass die Wundmale Jesu an seinem Leib durchbrechen. Er versucht sie zu verbergen, auch vor seinen engsten Vertrauten.

Für uns heute noch schwerer nachzuvollziehen, verkörpert er so Christus. Diese Stigmatisation ist nur von Jesus her zu verstehen. Sie ist Hinweis, Zeichen, Sakrament. Aus sich selbst hat sie keine Kraft und keine Bedeutung.

Zweieinhalb Jahre später 1226 stirbt er nach langem Leiden, entkräftet von Malaria, Magen- und Darmgeschwüren, fast blind im Alter von 44 Jahren im Kreis seiner engsten Vertrauten, Brüder und Schwestern in Portiunkula. Diese beten, als er nackt auf dem Boden liegt, dem Kreuz zugewandt, den Psalm 142 und singen den Sonnengesang, den er nach seiner Stigmatisation 2 Jahre zuvor geschrieben hat.

Der heilige Franziskus gehört für mich zu den packensten Persönlichkeiten der Kirchengeschichte und er ist für mich wirklich ein radikaler Heiliger, weil er versucht hat, das was er von der befreienden Botschaft Jesu verstanden hat bis in die letzte Konsequenz zu leben.

Sein Leben und seine Botschaft bewegen und begeistern innerhalb und außerhalb der Kirche auch heute noch viele Menschen. Seine Spuren finden sich nicht nur in den franziskanischen Ordens- und Laiengemeinschaften, sondern auch in der Taizè-Bewegung in den Leitworten von Kampf und Kontemplation. Franziskanisches Gedankengut findet sich in der Befreiungstheologie Lateinamerikas (insbesondere beeinflusst von dem Franziskaner-Theologen Leonardo Boff) .  Er findet auch im selbstgewählten und an ihm Maß nehmenden Namen erstmals auch einen päpstlichen Nachfolger.

In Papst Franziskus entdecke ich viel Franziskus sowohl in seiner Solidarität mit den Armen und Ausgestoßenen, als auch in seinen Friedensbemühungen, in seiner einfachen Lebensführung und in seinem Bemühen die Kirche zu reformieren und wieder zu einer glaubwürdigen Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu zu machen.

Konkretisierungen zu Franziskus angeregt von Anton Rotzetter, Franz von Assisi: Lebensgeschichte-Lebensprogramm-Grunderfahrung, Benzinger 1981
neu zusammengestellt, verbunden und interpretiert von Guido Schürenberg im Hochschulgottesdienst am So 2.Okt. 2016