Einer, der sich zuwendet

Gott lieben, wie geht das? Mir kommt die Antwort des verstorbenen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in den Sinn, der auf die Frage, ob er sein Land, also Deutschland, lieben würde, geantwortet hat: „Ich liebe nur meine Frau“. Manche sagen ja mit großer Überzeugung, sie würden die Kirche lieben. Aber wie könnte ich ein Gebilde, ein gesellschaftliches Konstrukt lieben. Liebe zeigt auf ein konkretes Gegenüber, auf ein Du, vielleicht noch auf ein Wir. Aber doch nicht auf ein Land oder eine Institution. Da ist mir Gustav Heinemann ganz nahe, der diese pathetische Frage herunterbricht auf eine ganz schlichte nachvollziehbare Antwort. Aus einer konkreten Liebe auf einen Menschen hin vermag dann womöglich eine Kraftquelle erwachsen, Respekt, Vertrauen, Wohlwollen, auch Verantwortungsbewusstsein einem Größeren entgegenzubringen. Aber lieben kann ich nur ein Du, ein Gegenüber. Und wie zum lieben die Umarmung gehört, so auch die Verstörtheit; so, wie das Vergessen der Zeit dazu gehört, so auch das Mühevolle und Gelangweilte.

Gott lieben vermag nur der, der in Gott ein Gegenüber sieht, ein Du. Nun ist Gott eine Wirklichkeit, die unfassbar ist, im wahrsten Sinn des Wortes. Gott ist größer als alles andere, größer als alles, was wir Menschen begreifen, denken, empfinden könnten. Gott war und ist vor der Zeit und er wird nach der Zeit sein. Wenn Gott in der Zeit wäre, wie könnte er dann Gott sein, denn er wäre endlich, habbar für uns Menschen und somit uns Menschen untergeordnet. Wie also Gott als ein Du wahrnehmen, wie ihn lieben können, wenn er doch mehr ist als ein Du, mehr als ein „wir“, da er doch der ist, aus dem alles ist und aus dem alles wird? Wie ihn lieben, wenn er mehr ist als Welt, ganz sicher auch mehr als Kirche? Wie in Gott ein Du erkennen?

Diese Frage konnten die Menschen nicht beantworten bis zu dem Zeitpunkt, da Gott die Himmel verließ und sich Moses auf dem Sinai offenbarte und seinen Namen offenbarte: Jahwe. Gefürchtet haben die Menschen zuvor Gott, verehrt, geheiligt, aber nicht geliebt. Bis sich Gott gebeugt hat, im wahrsten Sinn des Wortes. Er selbst, Gott, hat die Möglichkeit, die Voraussetzung geschaffen, zu einem liebens-würdigen Gegenüber zu werden für die Menschen. Gefürchtet und geehrt zu werden, angebetet und verherrlicht zu werden, war Gott zu wenig, zu gering, zu einseitig, vor allem aber zu geringschätzend;  wer nur gefürchtet wird, bleibt im Letzten allein. Beispiel wollte er sein und vormachen, wie Leben aussehen kann, ja muss: Nur wer sich gibt, sich selbst gibt, nur wer sich in die Hände eines anderen gibt, wer sich anvertraut, wer einen Vorschuss seiner selbst gibt ohne Absicherung, und wer bereit ist, seinen eigenen Stand zu verlassen, der kann je erfahren, was Liebe ist. Gott sehnte sich nach Liebe, um diese Sehnsucht in den Menschen zu wecken. Sich offenbaren, nicht einen Offenbarungseid ablegen, das wäre erniedrigend, sondern sich zeigen, sich ganz und unverhüllt zeigen, das hat Gott gewagt um der Liebe willen.

„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben…“; mit dieser Aufforderung überfordert Jesus seine Zuhörerinnen und Zuhörer gewaltig. Gott lieben? Er mutet den Menschen ein Bild von Gott zu, das sie aus der Bahn wirft, denn sie haben nicht verstanden, dass dieser Gott nicht verehrt, nicht verherrlicht werden will, sondern geliebt. Sie haben es nicht verstanden, trotz Abraham, Moses und all den Prophetinnen und Propheten. Und wir haben es im Letzten auch nicht verstanden, trotz Martin Luther, der Gott aus der Sphäre des Unerreichbaren in die Mitte der Menschheit holen wollte. Wir haben es nicht verstanden, weil wir immer noch an Prinzipien und Gedankengebäuden festhalten, die die Trennung der Konfessionen aufrechterhalten sollen. Gott will geliebt werden, damit wir der Liebe fähig werden. Lieben heißt vor allem auch, auf Macht verzichten. All das hat Gott uns vorgemacht, vorgelebt.

„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und deinen Nächsten, wie dich selbst“; der Liebe untereinander werden wir wohl erst dann mehr gerecht, wenn wir uns einüben in die Liebe Gottes. Wie hieß es letzten Sonntag im Evangelium? „Alles ist bereit, das Festmahl kann beginnen.“. Oder anders: Alle Liebe ist uns entgegengebracht, wir brauchen sie nur zu erwidern.

Christoph Simonsen