„Die andere Weisheit“
Paulus verkündigt „das verborgene Geheimnis der Weisheit Gottes“. Was verkündigen wir? Paulus verkündigt „das Große, das Gott denen bereitet, die ihn lieben“. Und was verkündigen wir?
Sind wir nicht alle viel zu sehr verwoben mit den planbaren, überschaubaren, berechenbaren Dingen des Lebens, als dass wir noch einen offenen Blick hätten auf Geheimnisse? Ist Gott für uns ein Geheimnis? Ein Geheimnis zeichnet sich aus durch seine Unverfügbarkeit. Ich habe den Eindruck, dass ganz viele Gott perfekt in ihr Leben eingebaut haben, dass sie wie selbstverständlich davon ausgehen, er sei eben doch immer verfügbar. Und ich schließe mich da selbst nicht aus. Wir planen doch Gott ständig ein in unsere Lebensabläufe und wir sind der festen Überzeugung, Gott zu kennen.
Noch ein anderer Gedanke: Wir leben in einer Welt der Giganterie und der Extreme, so dass uns Großes viel zu alltäglich erscheint als dass es uns überhaupt noch auffallen würde? Größe ist doch in unserem Denken mehr Standard denn Ausnahme.
Da bleibt die Frage: Was ist uns im Leben eigentlich noch ein Geheimnis, und was ist uns so groß, dass wir respektieren, es nicht fassen zu können?
Paulus ist ziemlich nüchtern in seiner Weltsicht; sie sei geprägt von Machthabern, denen Weisheit fehlt und die blind sind und taub gegenüber dem, was tatsächlich sinnerfüllend ist. Unsere Welt heute ist in vielen Bereichen nicht anders. Sie hängt der Überzeugung an, alles könne entdeckt, erforscht, erklärt, geregelt werden; und die Spezies Mensch hält sich für das Größte, was es gibt.
Paulus verkündigt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist. Er ist überzeugt davon, dass es eine Wahrheit, eine Wirklichkeit gibt, die nicht in die Logik dieser Welt hineinpasst.
In der vergangenen Woche sprach ich mit zwei jungen aus Afghanistan Geflohenen, die sich mit mir auf die Taufe vorbereiten wollen, die Christen werden wollen. Sie kommen aus einer Welt, in der der Glaube bestrebt ist, die Machtstrukturen dieser Welt zu beeinflussen, sie sogar abzulösen und das mit allen Mitteln, auch mit den Mitteln der Gewalt. Glaube und weltliches Leben unterscheiden sich so durch nichts mehr voneinander. Beide wollen Herrschaft erlangen über den einzelnen Menschen, wollen ihn lenken und leiten nach ihren Vorstellungen. Unterdrückung ist das Ziel sowohl der weltlichen Herrscher als auch der sogenannten Gottesdiener.
In diesem Gespräch wurde ich sehr verlegen, denn ich musste den beiden jungen Menschen offenlegen, dass auch das Christentum eine solch unmenschliche Zeit erlebt hat, dass auch im Namen unseres Gottes Glaubenskriege geführt wurden und dass Hüter des christlichen Glaubens auch Herrscher über die Menschen sein wollten. Im Namen Gottes wurde zwangsgetauft und ein System von Unterdrückung manifestiert. In der vermeintlichen Gewissheit Gott zu kennen und in seinem Namen zu handeln wurden und werden Menschen versklavt und ihrer Selbständigkeit beraubt. Der Mensch, gleich, welchen Glaubens und welcher Tradition, ist immer der Gefahr ausgesetzt, sich selbst zu überschätzen.
Dem entgegen zu wirken, ist Paulus aufgetreten. Und nach ihm immer wieder andere Menschen. Menschen, die überzeugt waren davon, dass nur aus der Ehrfurcht Gott gegenüber und in der Achtung seines Geheimnisses und seiner Größe der Mensch dem Menschen Freund sein kann. Einzig die Ehrfurcht davor, dass Gott immer der geheimnisvolle, der andere, der Unverfügbare ist und die Einsicht, dass Weisheit nur in dieser Ehrfurcht aufblühen kann, vermag den Menschen vor sich selbst zu schützen. Eine solche Ehrfurcht vermeidet unsere menschlichen Allmachtgelüste, aus denen zum Beispiel so Sprüche entstehen wie „Amerika first“. Und auch dieser andere immer wieder gehörte Spruch „Allah ist groß“, würde vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Denn dieser pervertierte Glaubenssatz, der dazu missbraucht wird, Menschen zu massakrieren, hätte ganz andere Konsequenzen zur Folge, weil die Größe Gottes es ja gerade verbietet, dass der Mensch sich zum Herrscher über Leben und Tod aufspielt. Wer Gott groß sein lässt, der kann seine Feindbilder im Kopf und im Herzen ausradieren. Wem Gott ein wertvolles, zu hütendes Geheimnis ist, der findet den Mut, anders zu sein und anders zu leben und einen neuen Anfang zu wagen gegen die Machtverhältnisse dieser Welt.
Unserer Welt täte es gut, wenn wir uns eingeladen fühlten, eben dies zu verkündigen: „Das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“…Predigt am 12.Februar
Christoph Simonsen