Die Alternative zur Frage nach „Himmel, Hölle, Fegefeuer“ ist die Frage nach sich selbst
Was hätte ich Jesus wohl gefragt, nachdem ich ihm bei einer seiner beeindruckenden Rede zugehört hätte? Was hättet ihr ihn gefragt? Ich glaube, mir wären andere Fragen naheliegender gewesen als diese eine, wer denn gerettet werden würde. Ich glaube, meine Fragen wären diesseitiger gewesen. Mir wären Fragen nach einem erfüllten und erfüllenden Leben hier und jetzt viel naheliegender gewesen als eine Frage nach dem jenseitigen Leben. Die Frage, wie Kriege zum Wohl der Menschen beendet werden könnten, wie der Hunger gestillt und die Armut bekämpft werden könnte. Die Frage, wie ich bewusster leben könnte, wie ich offener mein Leben teilen könnte mit anderen. Diese und ähnliche Fragen wären mir in den Sinn gekommen. Aber die Frage danach, wer gerettet werden würde für die Ewigkeit, die wäre gewiss nicht meine erste gewesen.
Nicht, dass mir diese Frage unbedeutend erscheinen würde. Nein, sicher nicht. Aber sie erschiene mir nicht relevant für mein Leben heute. Eher wollte ich meine Grenzen eingestehen, dass ich hier und heute zu wenig glaubwürdig, zu wenig radikal, zu wenig jesuanisch mein Leben bestreiten würde.
Ich sorge mich nicht, dass jemand in der Ewigkeit verloren gehen würde. Da bin ich viel zu gutgläubig. Ich vertraue der unverbrüchlichen Liebe Gottes, die keinen verloren gehen lässt. Das Leben jenseits der Grenze des Todes bereitet mir keine Sorge. Bin ich da vielleicht zu naiv?
Letztens hörte ich ein Interview eines Wallfahrtsdirektors, der beklagte, dass die drei wichtigsten Themen des christlichen Glaubens verloren gegangen wären: Die Fragen nach Himmel, Hölle und Fegefeuer. Ups, dachte ich da sofort: Wenn das die wesentlichen Fragen des Glaubens sind, dann hab ich bisher irgendwie was missverstanden in der Botschaft Jesu: „Sorgt euch nicht um das, was morgen ist, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen“; und komplementär dazu: „ Was ihr dem Geringsten meiner Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan“.
Die christliche Botschaft will den Menschen Hier und Jetzt überzeugen und begeistern, so habe ich bisher gedacht, will die Ebenbildlichkeit der Schöpfung und alles Lebendigen mit dem Schöpfer herausstellen und daraus Verantwortlichkeiten wie Freiheiten entwickeln und vergegenwärtigen. Der christliche Glaube schenkt mir die tiefste Freiheit, mich von meinen eigenen Bedürfnissen zu lösen und die Bedürftigkeit der anderen wahrzunehmen. So dachte ich bisher immer. Dass die Liebe Gottes alles übersteigt und so großherzig ist, dass sie mein Scheitern verzeiht und mein Mühen mit Freuden betrachtet: Das ist wesentlicher Bestandteil meines Glaubens. Muss ich mich da um den Himmel sorgen und die Hölle fürchten? Diese Sorge und diese Furcht war nicht die meine – bisher zumindest. Muss ich das alles jetzt nivellieren? War mein Glaube zu kindlich, meine Hoffnung zu naiv? Eine meiner schönsten Botschaften, die ich für mich im Evangelium gefunden habe, ist der Aufruf Jesu: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, habt ihr keinen Anteil an mir“. Ist das alles zu vordergründig, zu oberflächlich?
Das Bild der engen Tür, die vielleicht zu eng ist, als dass ich da hindurchkomme: Dieses Bild ist unmissverständlich. Und doch ist es mir auch fremd, unangenehm. Aber es stimmt wohl: Ich kann mein Leben vertun. Ich kann es so vertun, dass es nicht ans Ziel kommt, dass es ausgesondert wird. Diese Mahnung muss ich ernst nehmen, sonst würde ich Jesu Worte verharmlosen. Aber ich bin mir gewiss: Ich nehme diese Mahnung Jesu dadurch ernst, dass ich mich selbst ernst nehme, mich mit meinen Grenzen, mit meinen Halbherzigkeiten und all den kleinen und großen Egoismen. Und wenn ich diesen Teil meiner Existenz ernst nehme, wirklich ernst nehme, dann werde ich auch sehr gewissenhaft erkennen, dass es zu wenig ist, nur ein Mitläufer Jesu zu sein, ihm äußerlich nahe zu sein, dienstverpflichtet sozusagen. Dass es zu wenig ist, mit ihm gegessen und getrunken zu haben, zumindest jeden Sonntag im Gottesdienst und zu wenig, auf ihn gehört zu haben. Wenn ich wirklich verinnerlicht habe, dass ich nie genüge: nie genüge seiner Stärkung und seinen Weisungen und mich mühe, ereifere, meiner eigenen Ungenügsamkeit entgegenzutreten in kleinen, bescheidenen Schritten, dann hoffe ich, dass die Tür nicht vor mir verschlossen ist. Ich vertraue meinem kindlichen, naiven Glauben und fülle ihn mit einem erwachsenen Anspruch: nämlich mit der Stärkung Gottes und den weisen Worten Jesu mein Leben in Bewegung zu halten, und offen zu bleiben für die Verantwortlichkeiten, die der Glaube an diesen Gott mir mit innerer Freiheit ins Herz legt…Predigt am 21. August
Christoph Simonsen