Hunger grenzt aus
Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht darum, dass die Menschen satt werden sollen, viele Menschen, und im Kontext der beiden gehörten Geschichten soll es sogar darum gehen, dass alle Menschen satt werden sollen. Keiner soll hungern, alle sollen bekommen, was sie zum Leben brauchen. Und es ist auch genug da, aber zu Vieles ist in zu wenigen Händen, was will ein kleiner Junge mit 5 Broten und zwei Fischen.
Das ist eine nüchterne, aber realistische Beschreibung unserer Welt: Da sind Menschen, die hungrig sind, andere die genug haben und wieder andere, die diesen Zwiespalt wahrnehmen und etwas daran ändern wollen.
Es gibt wohl einen gewichtigen Unterschied im Blick auf unsere Lebenswirklichkeit und dem, was in den beiden Schriftworten des heutigen Sonntags dargestellt wird: In der Heiligen Schrift arbeiten alle Hand in Hand zusammen: die Bedürftigen, die Besitzenden und die, die wahrnehmen, was ist in der Welt los ist. Daran müssen wir arbeiten heute, hier und jetzt. Dieses Wunder des Achthabens aufeinander, das müssen wir stärken und die Aufgabe muss uns in Kopf und Herz geschrieben sein: Alle sollen satt werden, alle haben ein Anrecht darauf, menschenwürdig zu leben. Die Geschichten der Heiligen Schrift sind eben nicht in erster Linie heilig, es sind reale Lebensgeschichten. Und sie laden uns ein, nein: fordern uns heraus, unseren Standpunkt in dieser Welt zu finden: Wie wollen wir uns dazu verhalten, dass es Unrecht gibt in dieser Welt? Wir haben die Verantwortung zu schauen, wo wir stehen. Eines ist gewiss: Wir, die wir hier heute beisammen sind, stehen nicht auf der Seite der Hungrigen, vielleicht auf der Seite der Besitzenden, ganz gewiss aber auf der Seite derer, die sich einen Überblick darüber verschaffen können, wie es in unserer Welt aussieht. Wer unter uns hat den Mut zu sagen, dass genug für alle da ist; und wer unter uns lädt ein, alle mögen sich setzen, um zu essen und zu trinken, allgemeiner: um menschenwürdig zu leben?
Am vergangenen Wochenende sind Menschen in München auf die Straße gegangen, Menschen aller Couleur, die ihrer Sorge Ausdruck verleihen wollten, dass unsere Welt an einer neu aufbrechenden Form des Egoismus leidet und darunter zu zerbrechen droht. Sie haben unter anderem Claus-Peter Reisch zugehört, dem Lifeline-Kapitän, der Menschen mit seinem Schiff zur Lebensrettung geworden ist und der nun in Malta vor Gericht steht, weil er unrechtens gehandelt haben soll dadurch, dass er – und jetzt wird es sprachlich ganz gruselig – „ fremdes Menschenfleisch“ an Land gebracht habe. Dieses Wort ist dem italienischen Innenminister aus dem Mund gefallen. Bitterböser kann es nicht versichtbart werden: Weil wir nicht mehr Hand in Hand arbeiten, weil wir immer mehr auseinanderdriften in unserer Welt, weil jede und jeder einzelne nur noch damit beschäftigt ist, ihren/seinen eigenen Hunger zu stillen, deshalb ist unsere Welt so, wie sie sich heute zeigt: halbiert in einen Teil, der hungert und einen anderen Teil, der übersatt ist. Immer mehr wird es bis in unsere Sprachwahl hinein offensichtlich, dass Menschen zu einem Sachverhalt degradiert werden, die notwendigerweise verwaltet und abgewickelt werden müssen.
Ich komme noch mal auf den kleinen Jungen mit den fünf Broten und den zwei Fischen zurück. Er erkennt wohl, dass er zu viel hat für sich alleine und er stellt
ohne viel Aufhebens zur Verfügung, was er hat. Der Text gibt keinen Hinweis darauf, wie er reagiert, als er angesprochen wird: ob er sich genötigt fühlt, von seinem Abendbrot herzugeben oder ob er es aus freien Stücken tut. Auf jeden Fall gibt er her, ohne viel Aufsehens und ohne Widerstand. Er wird gefragt, und er reagiert offenherzig. Dass, was da ist, wird einfach gesegnet – und es genügt. Alle werden satt. Zu der Notwendigkeit eines heilsamen Zusammenspiels der Menschen gehört also noch ein weiteres, wichtiges Merkmal, damit unsere Welt heute wieder für alle zu einem guten Lebensort werden kann. Die Erkenntnis nämlich, Lebens-Mittel sind etwas Kostbares, sie sind des Segens würdig.
In kaum einem anderen Wort der Heiligen Schrift wird es offenkundiger als in diesem: Menschenwürde und Umweltschutz, das sind keine Hobby-Unternehmungen einiger grün-angehauchter Einzelkämpfer, vielmehr sind es die Wesensmerkmale unseres Glaubens. In der Erzählung heißt es dann weiter, dass alle sich hinsetzen. Alle ausnahmslos hatten Vertrauen darin, dass sie nicht sich selbst und ihrem Schicksal überlassen würden, hungrig ihre Wege gehen zu müssen. Das muss unsere Aufgabe sein: So zu reden, zu handeln, zu leben, dass Menschen Vertrauen finden, sich zu uns zu setzen. Wir alleine können sicher nicht alle Erwartungen erfüllen; aber wie gesagt, wenn wir ehrlich und kreativ Hand in Hand arbeiten, dann geht was. Dann kann der Hunger derer, die heute darben ein wenig mehr gestillt werden. Gemeinsam kreativ sein, dem sind keine Grenzen gesetzt. Hunger grenzt aus, teilen verbindet…Predigt am 29. Juli
Christoph Simonsen