Gute Zeiten – schlechte Zeiten
Hinter manch vertrauter Erzählung verbergen sich gern nüchterne, aber nicht weniger wertvolle Lebenserfahrungen. So auch in unserem heutigen Evangelium, das wir zu Beginn des neuen Sommersemesters 2018 hören. Mir scheint, da wird so einiges angesprochen an Grundsätzlichem und auch bedeutsame Lebensfragen kommen zur Sprache, die wir uns genauer anschauen sollten. Ich will jetzt nicht behaupten, die Heilige Schrift sei ein Lebensratgeber. Was sie aber ist: Ein Buch voller menschlicher Lebenserfahrungen, die im Licht des Glaubens reflektiert werden. Darauf möchte ich mich euch heute Abend schauen.
• „In dieser Nacht fingen sie nichts“. Menschen, die Ostern hautnah erlebt haben, die doch eigentlich wissen müssten, dass Sinn und Wert eines Lebens sich nicht misst an Erfolg oder Misserfolg, bleiben vor Enttäuschungen nicht verschont und lassen sich so richtig runterziehen von einem missglückten Arbeitstag. Jammern und Klagen, gehört wohl zum Leben dazu, auch wenn das keiner gerne zugibt. Auch österliche Menschen dürfen, können, müssen, wenn es denn angebracht erscheint, laut das Wort mit sch brüllen dürfen, ohne dass sie gleich vom Blitz erschlagen werden. Ich verrate meinen Glauben nicht, wenn ich auch mal an mir oder anderen verzweifele. Nicht Perfektion ist ein Kriterium für ein gelungenes Leben, nicht Geradlinigkeit, sondern die Bereitschaft zur Ehrlichkeit, sich selbst zu sagen: Es ist, wie es ist; und heute ist es eben sch… Misserfolg ist menschlich. Das zuzugeben und anzuerkennen verlangt ein hohes Maß an Selbstreflexion. Wir sind doch meist viel besser darin geübt, die Maske des Erfolgsmenschen aufzusetzen und so zu tun, als ob alles easy sei. Lieber „Gute-Laune-Bär“ als „Jammerlappen“. Und genau so will es ja auch unser System. Styling und Erfolg ist gefragt; letztens stellte eine gute Bekannte für sich fest, dass sie den Eindruck habe, in den Aachener Unis würden nur Nerds rumlaufen. Aber Erfolg macht Menschsein nicht aus. Weil wir aber meist darauf aus sind, Erfolgsmenschen sein zu wollen oder zu müssen, setzen wir Misserfolg mit Scheitern gleich. Dass dies ein Trugschluss ist, zeigt ein tieferer Blick in das heutige Evangelium.
• „Die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war“. Sie trauen sich aber auch nicht zu fragen, wer der Fremde am Ufer denn sei. Diese Scheu vor dem Fremden erzeugt Distanz und Unsicherheit. Selbst das vertraute Zureden von Jesus ändert nichts an der Tatsache, dass der Fremde ihnen fremd bleibt. Trotzdem tun sie, was er ihnen rät. Das finde ich sehr bemerkenswert. Wer verlässt sich, gerade wenn er mies drauf ist, darauf, was ihm ein Fremder sagt? Den Jüngern ist scheinbar trotz dieses Debakels eines nicht verloren gegangen: ein Urvertrauen darin, nicht ausgenutzt zu werden von anderen, und eine unverbrüchliche Überzeugung darin, dass der Mensch wohlmeinend ist, so fremd er auch sein mag. Das klingt in unseren Zeiten nicht nur befremdlich, sondern geradezu gefährlich. Ich vermag nicht zu sagen, ob es den Jüngern eher schwerer oder doch leichter gefallen ist, sich der Aufforderung des Fremden anzuvertrauen; aber sie haben es getan, und sie wurden nicht enttäuscht. Im Gegenteil, sie wurden reich beschenkt. Ist ihr Verhalten nun eher waghalsig gewesen oder schlicht nur menschlich. Das mag jede und jeder von uns selbst entscheiden. Für mich ist wichtig: Fremdheit muss nicht Befremdlichkeit nach sich ziehen; Fremdheit kann auch überraschend reich machen. Darauf zu bauen und zu vertrauen, dass ein Mensch gut ist und Gutes will, so fremd er auch sein mag, das spornt mich an, mein Grundvertrauen in unsere Welt und in unser Zusammenleben neu zu überprüfen.
• Und ein Letztes: „Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen“. Jesus erbittet etwas zu essen von seinen Jüngerinnen und Jüngern. Wenn die Begrifflichkeit auch sicher vermessen ist, die Auferstehung Jesu als Karrieresprung wahrzunehmen, so sehe ich doch darin einen Funken Wahrheit; wenn denn Karriere besagt, dass jemand etwas Gutes und Weiterführendes aus seinem Leben macht oder gemacht hat. Jesus hat etwas aus seinem Leben gemacht, weil er als ein auf Gott vertrauender Mensch gelebt hat und sich der Aussichtslosigkeit des Todes gestellt hat – auch in diesem Vertrauen auf Gott. Klaus Hemmerle nannte das mal: „Karriere nach unten“. Jesus zeigt sich den Menschen, seinen Freundinnen und Freunden als ein Bedürftiger; er setzt sich nicht ab von den Menschen, er erhebt sich nicht über sie. Er bleibt ihnen auf Augenhöhe verbunden; er bleibt einer von ihnen. Und er bekundet, dass er ihrer Unterstützung und ihres Beistandes bedarf, um satt und heil leben zu können. Jesus distanziert sich nicht von seiner Lebensgeschichte, weil er ja jetzt nach der Auferstehung ein anderer ist. Ganz im Gegenteil: Obwohl er den Jüngern voraus ist, geht er ihnen nach. Die Parallele zu unserer Zeit liegt nicht allzu fern. Wie nahe bleiben wir, auch wenn wir vorangekommen sind in unserem Leben? Wie verbunden bleiben wir, wenn uns Titel und Leistungen voneinander trennen?
Wenn das Evangelium ein Spiegel alles Menschlichen im Widerschein Gottes ist, dann sind wir nicht außen vor, sondern mittendrin in dem, was wir heute gehört haben. Niederdrückend Enttäuschendes, überraschend Belebendes und solidarisch Verbindendes machen unser Leben aus. Und diese ganze Vielfalt unseres Lebens dürfen wir auch im beginnenden Sommersemester zeigen, teilen. Wenn es uns gelingt, in dem, was geschieht, was wir erleben, woran wir teilhaben, den Widerschein Gottes zu entdecken, dann wird es eine gute Zeit werden. Das wünsche ich uns...Predigt am 15. April
Christoph Simonsen