Frieden im Kleinen wie im Großen
„Die letzten Paradiese werden angepriesen und angeflogen:
Wasser, das noch nicht gechlort ist;
Auf Bali eine Palme, die nicht im Kübel steht;
Im Ruhrgebiet verkauft man Stille und Luft, garantiert nicht aus Leverkusen;
Im Rhein soll man bei St. Augustin einen Fisch gesehen haben.
Die Leute werden immer anspruchsvoller: Jetzt wollen sie sogar Frieden haben und miteinander Brot essen.“
Ja, das ist wirklich so, selten war die Sehnsucht nach Frieden so groß wie in unseren Tagen; seit langen Zeiten hatten die Ostermärsche in diesem Jahr mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer als in den Jahren zuvor. Selten aber auch war die Verzweiflung so groß darüber, dass unsere Welt sich so unendlich verstrickt in Widersprüche und Egoismen, dass die Suche nach Frieden darüber in Vergessenheit geraten ist.
Dieses Gedicht aus den 70iger Jahren von Lothar Zenetti, einem Frankfurter Gemeindepfarrer, bringt dieses Erstaunen darüber sehr treffend auf den Punkt, dass Frieden scheinbar eine unerreichbare Utopie und gemeinsam Mahl zu halten wahrlich unvorstellbar ist. Die Welt in all ihrer Einmaligkeit und Schönheit geht vor die Hunde, so dass wir Menschen uns mit Kleinigkeiten zufrieden geben, wie eben in dem Gedicht beschrieben.
Das große Stichwort des heutigen Evangeliums heißt auch: Frieden. Und Frieden ist eben keine Kleinigkeit. Frieden mag im Kleinen anfangen, aber wirklich Frieden ist erst, wenn keiner mehr auf den anderen schießt, alle einander die Mittel zum Leben gönnen und niemand mehr unter die Räder kommen muss weil andere an ihrem Reichtum ersticken. In der Politik wird gerade ein neues Reizwort diskutiert: Grundeinkommen. Ein Einkommen also, dass das Leben sicher macht und keiner von Almosen leben muss, auch nicht von gesetzlich festgesetzten Almosen wie Hartz IV. Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber warum sollte das eigentlich in unserer reichen Gesellschaft nicht möglich sein, dass allen ein Einkommen sicher ist, ohne dass Neid und Missgunst das gesellschaftliche Miteinander vergiften?
Das heutige Evangelium ermahnt uns, Frieden als einen unersetzbaren Wert zu erkennen sowohl für mein persönliches als auch für unser gemeinsames Leben. Was bedeutet das? Darüber lohnt ein Augenblick des Nachdenkens und Nachspürens. Vielleicht bedeutet es: In mir einen nachhaltigen Hauch von Zufriedenheit und Dankbarkeit zu spüren; mich nicht gleich bei jeder öffentlichen Erschütterung gehen lassen, so als seien die Grundfeste meines Lebens ins Wanken geraten; nicht gleich mitschwingen auf der Empörungswelle, wenn irgendwer bei Facebook oder sonstwo einen Pups loslässt, wie schrecklich dieses oder jenes doch ist: Sind das vielleicht Anzeichen eines inneren ausgeglichenen Friedens? Ruhe bewahren und Ruhe ausstrahlen, das sind gewiss gute Merkmale, die auf einen inneren Frieden hinweisen können. Aber diese Ruhe darf nicht verwechselt werden mit einer Grabesruhe. Jesus, der das Grab überwunden hat, und der nun als der Auferstandene seinen Freundinnen und Freunden den Frieden wünscht, ruft zu einem sehr konkreten Frieden auf. Zu einem Frieden, der zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Freude und Sünde zu unterscheiden vermag. Das Kriterium aber, dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist kein Katalog, kein Gesetzbuch, sondern die Persönlichkeit Jesu selbst. Sein Geist ermöglicht diesen Frieden.
Heutzutage versuchen alle, die Mitte, anders gesagt, den möglichst schmerzfreien Ausgleich, zu finden, der keinem weh tut und so tut, als könnte man es allen und jedem Recht machen, ohne dass jemand sich wirklich verändern müsste. Politiker mühen sich um eine Politik der Mitte; Wissenschaftler suchen den Ausgleich zischen Schöpfungsverantwortung und Technologie. Wenn aber alle die Mitte suchen, dann ist es – bildlich gesprochen – dort ziemlich voll. Die Gefahr, sich gegenseitig auf die Füße zu treten und neue Aggressionen zu erzeugen, ist ziemlich groß. Das Mühen um Kompromisse gerät schnell an Grenzen der Glaubwürdigkeit. Jesu Geist, seine Persönlichkeit, sein Wesen weisen Weg und Ort auf, von wo aus Frieden ausgehen kann. Es ist den Weg der Verwundbarkeit. Gefährlich wird das Leben eher an den Rändern der Gesellschaft als in der Mitte, wo alles kuschelig warm und sicher ist. Wobei auch die Ränder ihre Tücken haben, die rechten wie die linken Ränder. Da gilt es, an Jesu Maßstab zu erinnern. So lange auf dem Weg die Frage nach Gott lebendig ist, nach dem Gott, der einlädt und nicht ausgrenzt, nach dem Gott, der Leben verheißt und nicht Tod, so lange ist der Weg ein Friedensweg. Frieden fängt im Kleinen an, aber mit Kleinem alleine sollten wir uns als österliche Menschen nicht zufrieden geben…Predigt am 08. April
Christoph Simonsen