Gottbezogen und selbstbestimmt
Anfangs, draußen, als wir uns mit Jesus aufgemacht haben – symbolisch – auf den Weg nach Jerusalem, da wurde uns vor Augen geführt, wie wichtig es Jesus gewesen ist, sich auf seine Weise auf die Begegnung mit seinem Vater vorzubereiten. Die äußeren Umstände liefen schon – für alle spürbar – auf diese unausweichliche Tragik seines Lebensendes zu. Und er selbst spürte wohl auch, dass er dem Kommenden nicht mehr ausweichen konnte. Dennoch wollte er das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben. Er wollte für sich entscheiden, wie er den Weg zum Schafott, zum Kreuz antreten würde. Auch sein letzter Weg sollte wirklich sein Weg sein, nicht fremdbestimmt, nur gottbezogen.
Als Mensch lebte er ganz in der Zeit und die Uhr lief ganz offensichtlich gegen ihn; als Sohn Gottes aber lebte er über die Zeit hinausschauend und er vermochte gottvertrauend und den Menschen achtend seinen Weg zu gehen. „Wahrer Mensch und wahrer Gott“, so wird er im großen Glaubensbekenntnis betitelt. Wie ist das möglich? Wie kann ein Mensch Gott sein und Gott ein Mensch? Der Philipperbrief fasst es in einem Satz zusammen: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“. Aber auch das ist nur eine Tatsachenbehauptung, keine Antwort auf die Frage, wie das möglich sein kann: Gott und Mensch in einer Person.
Das christliche Gottesbild muss jedem, der in Gott den Herrscher des Universums sieht, ein Gräuel sein. Christinnen und Christen heute in vielen Teilen unserer Erde sind ihres Lebens nicht sicher. Sie werden der Blasphemie beschuldigt, der Gotteslästerung, da sie doch Gott so greifbar nahe ins Irdische, ins Endliche, ins Menschliche hineinziehen. Die Vorstellung, dass Gott als Mensch auf dieser Erde walten könne und wie ein Verbrecher am Kreuz ende, das ist für Außenstehende, für Andersglaubende unvorstellbar. Gott muss aus sich heraus immer der andere sein, der, der sich in seinem Sein und Wesen von allem menschlichen unterscheidet. Wer wirklich gottesfürchtig ist, dem muss ein menschlich erscheinender Gott und erst recht ein göttlich erscheinender Mensch mehr als befremdlich erscheinen. Kein Wunder, dass der christliche Glaube damals, aber auch in unserer Zeit, bekämpft wird – sogar bis aufs Blut bekämpft wird. Der christliche Glaube erregt Anstoß – und er muss Anstoß erregen. Glaubensüberzeugungen unterscheiden sich, grenzen sich voneinander ab, sind vielleicht sogar in einzelnen Fragen unvereinbar miteinander. Und dennoch: eines sind sie ganz gewiss nicht: siegesgewiss kriegerisch. So wie das Christentum in den vorderen Orient gehört, so gehört der Islam ins aufgeklärte Abendland. Jeder Glaube, gleich welcher Tradition, muss sich darin bewähren, ob er von Ehrfurcht und Achtung durchzogen ist oder eben nicht. Ein Glaube, der nicht den Fremden, das Fremde achtet, ist ein trügerischer Glaube. Was alle Glaubensüberzeugungen verbindet ist die Gewissheit, dass Gott immer der andere ist, der Unverfügbare und dass der Mensch immer das Geschöpf ist, der von Gott Geschaffene. Was Gott geschaffen hat, darf der Mensch nicht in Frage stellen. Diese Glaubenseinsicht zeigt sich im Christentum ebenso wie im Judentum wie im Islam. Gott offenbart sich und er bleibt zugleich immer das Lebensgeheimnis. Gott ist Vertrauter und Fremder. So ist es gut, dass uns allen dieser Gott eine Frage bleibt. Als Christ bin ich es allen schuldig, die Gott auf andere Weise suchen, zu erläutern, warum ich einem solch verrücktem Gott die Ehre gebe, warum ich einem solchen Mensch gewordenen Gott mein Leben anvertraue. Gott aber bin ich es schuldig, dass ich den anderen anhöre, ihn achte und in ihm Gottes Ebenbild sehe und mich von seinem Glauben anrühren lasse, denn Gott ist immer eben immer auch der andere, der Fremde. Wo besser sollte ich ihn erfahren können als in dem, was mir fremd ist.
In dieser Heiligen Woche werden wir diesem Gott in aller Konkretheit begegnen. Sein Leben, seine Liebe, seine Grenzenlosigkeit wird mir immer eine Frage sein. Aber nur mit dieser Frage in meinem Leben werde ich meinem Leben einen Sinn abringen können…Predigt am 25. März
Christoph Simonsen