Und es gibt sie doch: die Hoffnung
Da will einer was in Bewegung bringen, da in Jerusalem; da rüttelt jemand an die Gartenzäune der Enttäuschten und der Vergessenen und will echte Aufbruchsstimmung erzeugen. Ich geb zu, mir ist das alles ein wenig zu euphorisch, ich bin ja eher dem Nüchternen und Kognitiven zugetan. Diese Superlative sind mir erst mal zu viel. Allzu viel Gefühl und Nostalgie verunsichert mich, macht mich hilflos. Vielleicht muss ich an meinem überproportionierten Rationalismus arbeiten. Das mit der „verbeulten Kirche“, die Papst Franziskus letztens propagierte, liegt mir erheblich näher als das Geglättete, Begradigte, Geebnete; das wirkt auf mich eher unecht und gekünstelt. Leben ist eben nicht glatt.
Ich frag mich, warum mich dieser adventliche Text aus dem Jesaja Buch trotzdem immer wieder so berührt. Warum lass ich mich von dieser Sehnsucht so einspannen, dass alle Hürden überwunden werden, all die unzähligen Hügel des Lebens, die sich einem immer wieder in den Weg stellen? Dass all das Krumme begradigt wird, was sich durch die vielen Verbiegungen ergeben hat, die ich und wir immer machen müssen in unserem Leben? Und dass es grundsätzlich möglich ist, durch die Wüste zu gehen, ohne endgültig darin zu verrecken? Warum berühren mich diese Hoffnungsschimmer, die so unrealistisch sind und gegen alle Erfahrung sprechen, die mich das Leben lehrt? Warum überhaupt ist Hoffnung in mir? Wie kann Hoffnung leben in einer Welt, in der minütlich 6,25 Millionen Euro für Waffen ausgegeben werden, aber nur 0,5 Millionen Euro für soziale Projekte? Hoffnung ist so irreal wie der Weihnachtsmann am Heiligen Abend.
Aber sie ist da. Das ist verrückt, dass da eine Hoffnung ist, die fest daran glaubt, dass diese ganze verbogene, verbeulte, verlorene Welt dennoch gehalten, begleitet, getragen ist. Das ist verrückt! Aber so verrückt das ist, so real ist es auch. Alles, aber wirklich alles in unserer Welt spricht dagegen, dass aus diesem Sammelsurium von Interessen, Meinungen und Weltanschauungen eine Herde werden könnte, die sich mit Leib und Seele einem Hirten anvertraut. Aber dieser Hoffnungsschimmer war immer da. Obwohl von Anfang an ein Riss durch die Menschheit ging, schon zwischen Adam und Eva war es so, fanden sich immer welche, die fest daran glaubten, dass Frieden, Eintracht, Achtsamkeit möglich ist.
Diese unkaputtbare Hoffnung war immer da, schon im Jahr 740 vor Christus, als Jesaja seine ermutigende Botschaft in die Welt hineinrief und auch heute, da Menschen wie wir zusammenkommen und einander anvertrauen mit der Gewissheit, dass es mehr geben muss im Leben als Glühwein, Weihnachtsmann und Waffenstillstand an den Feiertagen. Es gibt eine Hoffnung, die in alle Wirklichkeiten des Lebens hineingreift und nicht tot zu kriegen ist.
Hoffnung ist nicht irreal, weltfremd, naiv. Weil Hoffnung nämlich einfach nicht tot zu kriegen ist, nicht wegzudenken, nicht wegzureden ist, ist sie auch real, wirklich. Und sie hat eine gestalterische Kraft. Diese Kraft einzubringen, liegt an uns. Wir sind Träger der Hoffnung. Gott hat sie unsterblich in uns hineingelegt, damit wir sie leben. Und damit wir wissen, wie das gehen kann, Hoffnungsträger sein, ist er selbst Mensch geworden, es uns vorzumachen, vorzuleben. Hoffnung leben in einer verbeulten Welt; anders leben in einer Welt, die immer in der Gefahr steht, dem Gleichschritt zu verfallen, mutiger Leben in einer Gesellschaft, in der wegzuschauen die Regel ist, eindeutiger Leben in einer Stadt voller Mehrdeutigkeiten.
Nein, diese Tage des Advent sind nicht dazu da, sich nostalgisch aufzuladen; sie sind uns geschenkt, um uns unserer gelebten Hoffnung zu vergewissern. Und es begleitet uns die Frage, ob wir leben, was wir hoffen…Predigt am 10. Dezember
Christoph Simonsen