Versuch‘ s mal mit Gemütlichkeit
Nein, ich bin nicht völlig durchgeknallt, das Thema des heutigen Gottesdienstes ist sehr wohl bei klarem Verstand gewählt: Versuch’s mal mit Gemütlichkeit‘. Es liegt mir völlig fern, euch abzuhalten, gewissenhaft für die anstehenden Klausuren und Prüfungen zu lernen. Ich will auch nicht unsere gottesdienstliche Feier missbrauchen, um euch unsere neue Lounge im Chico werbend ans Herz, so toll ich die natürlich auch finde. Und noch ein drittes Missverständnis möchte ich ausräumen: Es soll auch keine Aufforderung sein, die Hände jetzt einfach in den Schoß zu legen angesichts der Dramatik, mit der sich unsere Welt im Augenblick in Lichtgeschwindigkeit mit selbstgebauten oder angedrohten Mauern den Blick aufeinander zu versperren droht.
Ich möchte euch vielmehr auf einen Dreiklang des Wortes aufmerksam machen, der sich mir aufgetan hat, als ich letztens mal wieder dieses Lied aus dem Dschungelbuch vor mich hin gesummt habe: Gemütlichkeit-Gemüt-Mut.
Wenn wir das Wort ‚gemütlich‘ hören, dann denken nicht wenige fälschlicherweise an faulenzen, Füße hochlegen, Bierchen trinken, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, die Welt hinter sich lassen, oder was auch immer. Aber das Stammwort, das sich in dem Begriff ‚Gemütlichkeit‘ verbirgt, ist ‚Gemüt‘. Und ‚Gemüt‘ hat was mit Mut zu tun und zwar mit einem Mut, der nicht im Kopf beginnt, sondern aus dem Herzen erwächst.
Gottlieb Fichte, ein Literat aus dem 18./19. Jahrhundert, hält das Gemüt für die ungeteilte, reine Mitte unserer Persönlichkeit. Wer ein reines Gemüt hat, wie man umgangssprachlich ja manchmal so sagt, der lebt aus einer Mitte, oder klarer, aus seiner Mitte. Wer aus solch einer Mitte lebt, den haut so schnell nichts um: Keine Prüfung, keine Weltszenarien der Angst und Verrohung und der kann entspannen, ohne sich den Verantwortungen zu entziehen, die das Leben ihm stellt. Der kann guten Gewissens Chillen, ohne sich den Pflichten seines Lebens zu entziehen und der hat darüber hinaus auch noch Zeit, dem nachzugehen, was man wohl ‚soziale Verantwortung‘ nennt.
zu müssen, das ja – äußerlich betrachtet – vernachlässigt wird.
Wie kann ich diese Mitte finden, wie kann ich sie schützen und stabilisieren? Mein Eindruck ist, dass so manchen diese Mitte verloren gegangen ist. Wir unterliegen immer wieder der Gefahr, uns zu vereinseitigen, Schlagseite zu kriegen, sozusagen, zu eindimensionalen Wesen zu schrumpfen, die eines gut können, vielleicht sogar sehr gut. Darauf werden wir alle getrimmt: in der Schule, wo Jugendliche sich lieber früher als später für Fachdisziplinen entscheiden müssen; in einer Hochschullandschaft, in der die Vielzahl der Studiengänge unübersehbar geworden sind; in einem Europa, das immer mehr zu einer Wirtschaftsgemeinschaft degeneriert anstatt sich seiner Wurzeln zu erinnern, eine Wertegemeinschaft zu sein.
Wie kann ich meine Mitte finden, die mir ein Zuhause schenkt, Ruhe und Gelassenheit, so dass ich mich frei fühlen darf und wirklich aus mir heraus rede, handele, lebe? Denn wenn ich aus mir heraus lebe, dann bin ich wirklich ich. Und wenn ich ‚ich selbst‘ bin, dann kann ich ruhig, gelassen auf alles schauen, was um mich herum geschieht. Wenn ich ‚ich selbst‘ sein darf, wenn mein Gemüt mir eine Gemütsruhe schenkt, dann kann ich reden und handeln, Gegenrede gelassen reflektieren und anderes handeln entspannt ertragen und mich in Beziehung bringen zu der Welt, in der ich lebe.
Wie kann ich diese Mitte finden, dieses Gemüt? Indem ich mich dessen erinnere, was Jesus seinen Freundinnen und Freunden damals gesagt hat und es auf mich übertrage: ‚Ich bin Salz und Licht‘. Ich muss es nicht erst werden, ich bin es. Ich bin Geschmack für andere; ich habe eine Leuchtkraft, die die Welt hell macht. Das muss ich mir nicht aneignen, verdienen, erarbeiten, das bin ich. Und ich bin es, weil es mir beste Mensch zuspricht, den es gibt, der Sohn Gottes. Gott spricht es mir zu. Ich bin Geschmack, ich bin Leuchtkraft, nicht weil ich glänzende Reden halten kann, nicht weil ich die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, sondern weil mir die Gabe von Gott geschenkt wurde, ‚ich‘ sein zu dürfen und seine Kraft in mir ist. Nicht die Klugheit, die ich mir angeeignet habe, macht mich zu dem, der ich bin, sondern der gute Geist Gottes, der wirklich in mir lebt, schenkt mir den Grund meines ‚ich‘.
Ich wünsche euch bei allem Stress, bei aller Verantwortung, die auf euch und auf uns liegt, diese Zuversicht, dass dieser Gott, dieser gute Geist mir alles Selbstbewusstsein schenkt, das ich zum Leben brauche. Dieses geschenkte Selbstbewusstsein trägt alle notwendige Kraft in sich, dem Leben zu trauen, auch in unseren Tagen und gelassen zu summen: „Versuch’s mal mit Gemütlichkeit, und wenn ihr wollt, gern auch im Chico.
Christoph Simonsen