Widerstand: aber wie?
Zwei Ansprachen im Januar 2017. Zwei Ansprachen, in ganz verschiedenen Kontexten, vorgetragen von zwei Menschen, die verschiedenen Generation angehören und in verschiedenen Welten leben. Zwei Ansprachen: Und doch der gleiche Ungeist, die gleichen bösartigen Worte, gespickt mit Lügen, Unterstellungen und Verurteilungen. Zwei Ansprachen im Januar 2017, die eine gehalten in Dresden von einem deutschen Geschichtsverdreher und die andere gehalten in Washington gehalten von einem Präsidenten, der nur sich selbst sieht und nicht die Bürde der Verantwortung, die ihm auferlegt ist.
Zwei Menschen, die eines eint: andere Menschen zu be- und zu verurteilen, ohne sich selbst in Frage zu stellen. Zwei Menschen, die bewusst und gezielt durch Lügen und Wahrheitsverdrehungen die Welt zu spalten drohen. Zwei Menschen, die Angst schüren auf der Basis einer Botschaft, die anderen seien Böse und sie alleine könnten retten, was sie verloren sehen.
Zwei Ansprachen, zwei Menschen. Als Christinnen und Christen kann uns das nicht unberührt lassen. Unsere Überzeugungen, auch unsere Hoffnungen verpflichten uns, darauf zu reagieren. Ich als Christ kann dem, was ich in den letzten Tagen und Wochen mitverfolgen musste, nicht schweigend gegenüber stehen. Denn wer schweigt, wer ignoriert, was nicht mehr zu ignorieren ist aufgrund medialer Vernetztheit, der trägt mit Schuld daran, wenn verloren geht, schleichend vielleicht aber nichtsdestotrotz unaufhaltsam, was ein Leben in Freiheit Achtsamkeit füreinander ausmacht. Als sich nach dem zweiten Weltkrieg in unserem Land die Demokratie neu formte, da gab es einen Ausspruch, der heute wieder aktueller denn je ist: „Nie wieder“. Nie wieder Diktatur, Unfreiheit und Krieg. Dieses „Nie wieder!“ hat Menschen unterschiedlichster Herkunft und Lebenserfahrungen geeint. Diese Eintracht scheint heute verloren. Wo man hinschaut, ist der Hang zur Abgrenzung spürbar und der Drang, festzuhalten, was man hat. Das Glaubensleben ist vielfach ins Private zurückgedrängt und die eigenen vier Wände sind wichtiger als ein Dach für alle über dem Kopf. Unsere Welt verändert sich zusehends. Viele von uns spüren das. Und viele drängt es, dagegen zu wirken. Aber wie? Die geballte Arroganz und Geschichtsverdrehung einzelner Weniger scheint die Mehrheit zu lähmen. Für viele ist der Rückzug ins Private auch Ausdruck innerer Hilflosigkeit, dem entgegenzuwirken, was so machtvoll in Worten und Taten über unsere Gesellschaft hineinschwappt.
Wie verhalte ich mich dazu, dass ein Mensch meiner Generation im Blick auf die Holocaust Gedenkstätte von einem Schandmal spricht und damit nicht nur die Erinnerungskraft dieses Ortes aushöhlt, sondern darüber hinaus die Millionen von Toten des Zweiten Weltkrieges beleidigt und unsere Mitverantwortung des „Nie wieder!“ in den Schmutz zieht? Wer die Erinnerung vergessen machen will, der wird der Zukunft Unheil bringen.
Wie gehe ich mit meinem Zorn um, wenn ein Mensch, der der Mächtigste der Welt sein möchte, die Gefahren des Klimawandels als Unsinn darstellt und über Menschen so redet, als seien sie sein Eigentum und nicht ihm in Sorge anvertraut?
Dummheit und Selbstüberschätzung kann man nur selten mit Argumenten entgegentreten. Wie verhalte ich mich zu alledem, denn ich muss mich verhalten, sonst könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Als Christinnen und Christen sind wir dazu berufen, ja aufgefordert, für eine Menschenwürde einzutreten, die allen ausnahmslos gilt.
Wie kann mein Widerstand, unsere Botschaft als Christinnen und Christen in der heutigen Zeit Wirkkraft zeigen, ohne dass wir unsere Werte und Ideale verraten? Wie ist Widerstand möglich, ohne sich von einem nur zu menschlichen Zorn leiten zu lassen, aber auch, ohne eine ins Nichtstun verfallene Demut an den Tag zu legen? Wie also Widerstand leisten gegen diese unsäglichen Reden, die nicht wenige beim Wort nehmen und ihnen Taten folgen lassen zum Schaden unschuldiger Menschen?
Paulus rät seiner Gemeinde, dass jede und jeder auf sich schauen möge, auf das, was sie und er können. „Schaut auf eure Berufung“. Jede und jeder von uns hat Fähigkeiten, der Welt und den Menschen gut zu sein. Diese gilt es zu entdecken und zu leben. Sich dafür Zeit zu nehmen, sich anzuschauen und zu fragen, was ist in mir, das anderen gut tun kann, daran sollte uns gelegen sein.
Er hat aber noch einen ergänzenden zweiten Rat parat: „Kein Mensch kann sich rühmen vor Gott“. Wir sollen uns also nicht nur unserer Fähigkeiten bewusst werden. Wer nur auf sie schaut, der verfällt schnell der Gefahr, der auch die beiden Redner anheimgefallen sind: Der Selbstüberschätzung und der Blindheit gegenüber den Gaben der anderen. Nein, wir sollen auch auf das schauen, was wir nicht können, wo wir der Unterstützung anderer bedürfen. Wir sollen und wir dürfen auch ja sagen zu unseren Schwächen und diese nicht verstecken, als würden sie uns entfremden von uns selbst. Im Gegenteil, auch sie gehören zu uns, machen uns aus und helfen uns, Kind Gottes zu sein. So ist es uns möglich, uns „des Herrn zu rühmen“. Wer sich seiner rühmt, der ist dankbar und demütig zugleich. Beide Eigenschaften fehlen denen, die gerade dabei sind, unsere Welt in ein neues Ungleichgewicht zu führen. Dankbarkeit und Demut sind denen fremd, die nur aus sich heraus reden und handeln und sich selbst zum Maßstab für alle anderen erheben.
Widerstand also wie: Indem ich mich einbringe mit meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten und zugleich meine Schwächen nicht verberge und um Rat und Hilfe bitte, wie ich meine Möglichkeiten ausbauen und meine Schwächen dezimieren kann. Widerstand, indem ich mich stelle, hinstelle. Widerstand, indem ich zeige mit meinen Fähigkeiten, dem Leben für alle weiten Raum zu geben und indem ich um Nähe der anderen bitte, wenn ich an meine Grenzen komme. Widerstand aber vor allem nicht nur gegen etwas, von denen, die immer nur gegen etwas sind, gibt es viele; Widerstand für etwas oder besser für andere. Und wer die anderen sind, davon spricht Jesus in seinen uns allen bekannten Seligpreisungen.
Christoph Simonsen