Ein neues Jahr! Auch eine neue Hoffnung?
Ich bin kein Freund der Silvester-Knallerei; und dies nicht nur deswegen, weil meine Hunde Panik laufen und schon Tage vorher vor Angst zittern, weil sie den Schwefelgeruch in der Nase spüren. Ich finde diesen Run auf die Krabbeltische der Böller und Raketen unverantwortlich. Für mich ist jeder Cent hier rausgeschmissenes Geld, im wahrsten Sinn des Wortes. Und dann stand ich da in der Silvesternacht auf meinem Balkon zuhause und schaute mir das Feuerwerk an, das von allen Seiten den Himmel erhellte und ich merkte, dass ich mich trotz eines inneren lauten Widerstandes gegen diese Knallerei nicht abwenden konnte, zu schauen und zu staunen. Und ich erinnerte mich des ursprünglichen Gedankens, der sich hinter dem Feuerwerk zur Jahreswende verbirgt. Nämlich alles zu verbannen an Bösem, Schlechten, Traurigen, was uns Erdenkinder im zu Ende gegangenen Jahr davon abgehalten hat, frei und offen zu leben um dann mit Zuversicht in das neue Jahr eintreten zu können. Zu diesem Jahreswechsel konnte ich diesen Wunsch gut nachvollziehen, hab ich doch immer wieder zu hören bekommen, es sei kein gutes Jahr gewesen. So viel Krieg, so viel Vertreibung, so viele Tode, so viele persönliche Schicksale, so viel Hass, so viel Lüge, so viel Bitterkeit. Und ich selbst war auch nicht abgeneigt zu danken dafür, dass 2016 nun endlich der Geschichte angehörte. Wie oft hab ich mich in der Erinnerung selbst dabei ertappt gefühlt, zu klagen und zu jammern und wie oft musste ich mir im Rückblick selbst vorwerfen, eingestimmt zu haben in die in vielen Variationen aufgetretene neue Modeerscheinung, blindlings ohne zu überlegen für oder gegen etwas gewesen zu sein. Und wie schnell war auch ich dabei, verbale Rundumschläge auszuteilen! Nein: 2016 war kein ermutigendes Jahr. Kein Wunder, dass auch ich froh war, als es dann zu Ende war. Mit jeder Leuchtrakete, die ich mit meinen Augen gen Himmel verfolgte, verband sich die Hoffnung, dass 2017 ein wirklich neues Jahr werden möge.
Einige Minuten später, wieder im Warmen, spürte ich eine undefinierbare Traurigkeit in mir aufkeimen. Wenn ich mich so von diesem Jahr verabschiede, werde ich dann diesen letzten 366 Tagen wirklich gerecht? Mitnichten nein! Es gab so wunderschöne Augenblicke. Augenblicke der Zärtlichkeit; Augenblicke des tiefen Empfindens, sich verdankt zu wissen und geschätzt zu werden; Augenblicke des Trostes und des Glücks. Mir kamen wunderschöne Begegnungen in den Sinn, kleine unscheinbare Begegnungen, deren Einmaligkeit und Unvergesslichkeit erst in der Erinnerung aufstrahlen.
Nun hat also das neue Jahr begonnen. Wollen wir es so weiterführen, als sei nichts geschehen? Was geschieht mit den Erfahrungen des vergangenen Jahres, den bitteren wie den Schönen? War der Gruß, den wir dem neuen Jahr mit viel Aufwand entrichtet haben, wieder einmal ein belangloses „Hallo“, um dann zur Tagesordnung zurückzukehren? Haben wir wirklich die Absicht, das Unmenschliche mit den Raketen zu verjagen, um dem Menschlichen neuen Raum zum Atmen zu geben?
Überall höre ich, dass Veränderung Not tut. Alle Welt schreit nach Veränderung. Nicht nur ein neuer Anstrich, bildlich gesprochen; Grundsätzliches müsste sich ändern.
Hinter diesem Schrei erkenne ich zwei Urmerkmale menschlichen Daseins: Unzufriedenheit über das, was ist, und eine Sehnsucht nach Besserem. Und das ist gut so. Es ist gut, wenn uns diese innere Unruhe im Leben begleitet, uns ebenso verunsichert wie ermutigt. Ja, es muss sich wirklich etwas ändern. Aber es braucht dazu keinen neuen Urknall; es bedarf keiner unumkehrbaren Radikalität, wie sie manche in unserer Gesellschaft einfordern. Es braucht mehr Bedacht, mehr Achtsamkeit, mehr Gelassenheit. Eine Gelassenheit, die der inneren Überzeugung entspringt, dass leise Töne, kleine Gesten mehr bewirken als Revolutionen, die doch zumeist nichts anderes nach sich ziehen als Eliminierung und Ausgrenzung.
Auch Gott sehnte sich nach Veränderung; Weihnachten ist das große göttliche Fest der Veränderung. Gott erneuert die Welt, indem er nicht zu allererst das Böse ausrottet, sondern das Gute stärkt, das geknickte Rohr nicht bricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht. Gott erneuert die Welt, indem er Recht bringt und nicht Unrecht verjagt. Insofern macht Gott es grundsätzlich anders als wir Menschen. Wir bekämpfen in erster Linie das Unrecht, bestrafen, fordern ein; Gott dagegen lebt vor, was dem Frieden und dem Schutz des Menschen dienlich ist. Gott denkt positiv, empfindet positiv, lebt positiv. Wir Menschen versuchen zu retten, indem wir vernichten, was uns im Wege steht. Gott dagegen rettet, indem er umarmt, was ihm in den Weg kommt.
In der Taufe Jesu bestätigt und bekräftigt Gott, dass der Weg Jesu, so anders er ist als der unsere, so abwegig er erscheint, so aussichtslos er unseren Erfahrungen gegenüber erscheint, der richtige Weg ist, der rechte Weg ist. Und auch für uns ein Weg sein kann im neu begonnenen Jahr 2017.
Christoph Simonsen