Weihnachten vom Ende her denken
Warum krieg ich den Eindruck nicht los, dass mir da jemand die gute Laune verderben will? Am 1. Adventsonntag Weltuntergangsstimmung verbreiten, das find ich ganz schön mies.
Die Zeit des Advent, sie weckt Kindheitserinnerungen bei mir. Im Dezember jeden Tag ein Türchen am Adventkalender aufmachen zu dürfen, sich freuen dürfen auf etwas, was es schon bald zu feiern gibt, Weihnachten nämlich. Advent, das ist doch eigentlich eine Zeit des Lichtblicks in dunklen Dezembertagen. Das ist Plätzchen backen, abends mit Freunden ein Glas Glühwein trinken auf dem Weihnachtsmarkt, das ist sich Gedanken zu machen, wie man wem eine Freude bereiten kann mit einem kleinen Geschenk. Adventzeit, das ist doch irgendwie eine Zeit des Ausnahmezustandes frohmachender Gefühle und Gedanken; das ist eine Zeit sinnlicher Gefühle.
Und auch, wenn wir alle heute erwachsen sind, so versuchen wir doch zumindest, diese Zeit noch einmal lebendig werden zu lassen. Irgendwie würden wir doch alle gern in den nächsten Wochen in unsere Kinderschuhe schlüpfen und eine solch unbeschwerte und selig machende Zeit erleben. Und vielleicht machen wir das ja auch einfach, uns wieder zu freuen wie ein Kind; unbeschwert, glücklich, dankbar und zufrieden die nächsten Wochen verbringen und uns freuen darüber, beschenkt zu sein, beschenkt zu werden, von einem Gott, der uns Bruder und Freund werden möchte. Nichts anderes steht uns doch bevor als diese Zusage Gottes.
Warum wird uns ausgerechnet heute die bittere Wirklichkeit unserer Begrenztheit vor Augen geführt, die Unwiderruflichkeit unserer Endlichkeit, die Kläglichkeit unseres Lebens? Warum werden wir daran erinnert, dass sich die Sonne verfinstern wird, dass Himmel und Erde erschüttert werden und die Menschen jammern und klagen werden? Als wüssten wir das alles nicht auch so. Aber ausgerechnet heute am 1. Adventsonntag dies zu hören macht doch eigentlich kaputt, was uns so Not tut: Hoffnung. Soll vielleicht so die Sinnlosigkeit unserer oberflächlichen Freude entlarvt werden, die Vergeblichkeit unserer Erwartungen? Sollen wir so auf infame Weise unserer Freude entrissen werden, damit wir uns rascher fügen in das Schicksal unserer Tage? Es scheint, als hätte der Evangelist Freude daran, uns mit der Härte des Lebens zu konfrontieren, damit wir gewahr werden, dass allein Gott die Gabe eines Gnadenerweises zukommt und wir uns Erlösung verdienen müssen. Wir Menschen sind klein, Gott allein ist groß. Der Bruder-Gott, der Freund-Gott, den wir als Kind so sehr ersehnt haben, ist nur eine Illusion und ein Trugbild unserer menschlichen Einbildung. In Wirklichkeit ist Gott ganz anders.
Als Kind sind wir wohl verschont von solch schonungsloser Offenheit, aber heute, als Erwachsene, da bleibt keine andere Wahl, als sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass unser Leben und auch dass unser Gott anders ist und dass diese Zeit andere Akzente setzt, als dass Kerzenschein und Zimtgebäck uns erfüllen würden. Unser Leben ist anders und Gott ist anders.
Im heutigen Evangelium zum 1. Advent werden wir auf das andere verwiesen. Gott ist nicht dieses oder jenes, Freund oder Allmächtiger, Gott ist alles. Er ist alles in allem. Er ist im Anfang und er ist im Ende. Er ist Ermutiger und Ermahner. Er ist und er wird.
Diesen Gott mit Freude erwarten, diesen Gott, der mächtig wie ohnmächtig ist, das stünde uns heute gut an. Diesem Gott entgegenwarten, von dem wir alles erwarten dürfen und der doch alles in unsere Hand legt, das zeichnet erwachsenen Glauben aus.
Ob es uns gelingt, angesichts dieser schonungslos ehrlichen Gott-Mensch-Begegnung, mit guter Gesinnung, mit freudiger Erwartung und mit geschenkbereiter Offenheit zuzugehen auf den Tag der Menschwerdung? Eben in kindlicher Erwartung und in erwachsener Klarheit sich diesem Gott anvertrauen, der Anfang und Ende ist, der in allem dazwischen ist und der uns nichts nimmt von der Wirklichkeit unseres Lebens, aber mit uns lebt, um mit unserer Menschlichkeit alle Wirklichkeit zu verwandeln auf ein neues Morgen hin?
Nein, die Worte der Schrift sind keine Miesmacher; sie wollen uns nicht unsere Kindheit entzaubern. Vielmehr wollen sie die Geschichte unseres Lebens einbinden in ein ehrliches Ganzes; sie wollen Erwartungen wecken und Verantwortungen einen Sinn geben; sie wollen Türöffner einer grenzenlosen Freude sein in einer begrenzten Welt und sie wollen Wortgeschenke sein, damit unsere Geschenke füreinander Lebensgeschenke werden…Predigt am 27.November 216
Christoph Simonsen