Was kann ich tun…
Was kann ich tun….
Martha war also ganz in Anspruch genommen, für Jesus zu sorgen. Aber ihm war das gar nicht recht. Er tadelt sie sogar für ihre Art der Fürsorge, stellt ihr Maria als Vorbild hin, die eigentlich nichts tut, als nur da zu sein. Ein ziemlich ungewöhnlicher Charakterzug von Jesus, der sich da so überhaupt nicht gentlemanlike zeigt und Martha sogar noch eins überbrät. Wen wundert es, dass Martha sich verletzt fühlt und nicht wertgeschätzt in ihrem Bemühen, ihrem Gast einen schönen Abend zu bereiten. Ohne Zweifel hat sie es doch gut gemeint und dann kriegt sie doch eins gehörig auf den Deckel. Jesu Klarstellung muss ihr herzlos erscheinen.
Vielleicht kennt ihr das aus eigener Erfahrung ja auch: Da habt ihr mit den besten Absichten gehandelt und es wird euch nicht gelohnt. Oder was noch tragischer ist: was ihr gemacht habt, wird euch noch als Fehler vorgehalten. Das tut einfach nur weh. Wer so etwas schon einmal erlebt hat, der wird Mitleid empfinden Martha gegenüber. Aber wegen eines mitleidigen Gefühles hat die Erzählung doch bestimmt nicht Eingang gefunden in der Heiligen Schrift.
Was ist da schief gelaufen zwischen Martha und Jesus? Mir scheint, sie haben zu wenig miteinander gesprochen. Die beiden hatten wohl eine unterschiedliche Vorstellung darüber, wie der Besuch verlaufen sollte. Martha wollte alle ihre Künste aufwenden, um ihre Wertschätzung gegenüber Jesus deutlich zu machen; deshalb brutzelte sie in der Küche, um ein einmaliges Abendessen zu kreieren. Jesus aber hat sich den Abend zweifelsohne anders vorgestellt. Was wollte er? Ihm lag wohl weniger an einem guten Dinner als an einer lebendigen Begegnung. Jesus suchte das Gespräch, freute sich auf einander geschenkte Zeit; Jesus wollte Martha und Maria, also natürlich nicht sexuell, sondern menschlich. „Maria hörte seinen Worten zu…. Und sie hat das Bessere gewählt“. Jesus wollte Austausch, Austausch von Leben, von Lebenserfahrung, von Lebenslust und Lebensleidenschaft, vielleicht auch von Lebensangst. Jedenfalls freute sich Jesus freute weniger auf einen reich gedeckten Tisch als einfach auf liebe Freundinnen.
Es geht in der Erzählung der beiden unterschiedlichen Schwestern um mehr als nur eine private Unstimmigkeit oder um ein mehr oder weniger nachhaltiges Missverständnis zwischen ihnen und Jesus. Es geht um eine Grundhaltung, die jeder menschlichen Begegnung zugrunde liegen sollte. Um eine Achtsamkeit darauf, was dem anderen gut tut. Wie oft setzen wir wie selbstverständlich voraus zu wissen, was dem anderen gut tut. Und dabei gehen wir nicht selten von unseren Bedürfnissen und Vorstellungen aus und versetzen uns viel zu wenig in die Situation unseres Gegenübers hinein. Martha meinte zu wissen, was Jesus gut tut, dabei hat sie Jesus völlig aus dem Blick verloren. Die Frage, die wir uns viel zu selten stellen, ist so banal, dass ich sie kaum wage auszusprechen: „Was kann ich tun, damit es dir gut geht?“.
Diese Frage trifft uns am Ende eines Semesters in einer beginnenden Prüfungszeit; sie trifft uns in einer gesellschaftlichen Situation, die offensichtlich geprägt ist von vielerlei Abgrenzungstendenzen und ausgrenzenden Ideologien; sie trifft uns in einer kirchlichen Situation, in der ganz viel Verunsicherung vorherrscht angesichts der Tatsache, dass viele Menschen in den Kirchen keine Heimat mehr finden. Diese Erzählung trifft jede und jeden von uns in einer ganz eigenen, vielleicht sogar nach außen hin gar nicht sichtbaren lebensgeschichtlichen Situation. Diese Erzählung trifft auf uns als Individuen, ebenso wie als politische und als mit Gott verbundene Menschen. Diese eine Frage muss in die konkreten Situationen unseres Lebens hineinbuchstabiert werden: „Was kann ich tun damit es dir gut geht? Damit zum Beispiel du in deinen Prüfungsvorbereitungen vorankommst? Was kann ich tun, damit in unserer Gesellschaft sich die wollkommen fühlen, die in den Augen vieler anderer bei uns nichts zu suchen haben? Was kann ich tun, dass Menschen sich aufgehoben fühlen in unseren Kirchen?“
Was kann ich tun?“ Diese Frage hat etwas sehr entlastendes, aber auch etwas sehr herausforderndes an sich. Zum einen entlastet sie mich, immer schon wissen zu müssen, was zu tun ist. Zum anderen fordert sie mich, weil ich mich damit offen zeige, mich dem anderen zu stellen. Ich zeige mich lernbereit; ich zeige mich neugierig. Neugierig nicht auf irgendetwas, neugierig auf einen Menschen. Neugierig, die Oberfläche zu durchstoßen und zum Wesen, zum Wesentlichen vorzudringen.
So hätte es auch laufen können: Jesus klingelt an der Haustür. Martha öffnet. „Hey, schön, dass du da bist. Komm rein. Bist aber was früh, ich bin noch nicht fertig in der Küche.“ Jesus nimmt im Wohnzimmer Platz. Maria setzt sich zu ihm. Die beiden unterhalten sich angeregt. Da fragt Maria plötzlich, was Martha wohl mache gerade. Jesus schläft vor: „Lass uns nachschauen.“ Gesagt, getan. Sie fragen, ob sie helfen könnten. Jesus schält die Kartoffeln, Maria putzt den Salat. Martha macht eine Flasche Wein auf und sie bereiten gemeinsam das Essen, währenddessen sie sich angeregt unterhalten. Jesus erzählt von seinen Begegnungen der letzten Tage und die Schwestern von ihrem letzten ziemlich überflüssigen Schwesternknatsch. So hätte es laufen können, denn das Wesentliche zeigt sich nicht selten in einfachen Begegnungen. Nur die Zeit müssen wir uns dafür nehmen.
Christoph Simonsen…Predigt am 17.07.2016