“Et hätt noch immer juuut jejange – evver wie?”

Wenn ihr euch selbst beschreiben wolltet, wie würdet ihr euch einschätzen? Handelt ihr eher spontan oder doch eher bedächtig? Wie stark ist eure Entscheidungsfreudigkeit? Macht ihr lieber rasch Nägel mit Köpfen oder schiebt ihr Entscheidungen lieber so lange hinaus, wie es irgendwie geht? Mich selbst kenne ich als jemanden, der so manchmal Entscheidungen aus der Hüfte fällt. Da ist ein Problem und dann muss auch irgendwie gleich die Lösung her. Ungewisse Situationen kann ich nur schwer aushalten; dann lieber rasch eine Entscheidung herbeiführen und hoffen, dass es die Richtige ist. Irgendwie vertrau ich da einem Gebot des Kölschen Grundgesetztes: „Et hätt noch immer juut jejange“. Im Rheinland gibt es zur Bestärkung auch noch diesen aufmunternden Spruch: „Butter bei de Fische“, was so viel heißen soll: „Jetzt mach mal,  entscheide dich, zögere nicht so lange herum.
Ohne Zweifel, es ist gut, wenn sich etwas im Leben klären konnte oder noch besser: Wenn ich etwas klären konnte und das Leben dadurch klarer wurde. Das ist ein schönes Gefühl. Es tut gut, klares Leben in sich und um sich zu haben.
Aber was, wenn die getroffene Entscheidung, die ich da womöglich aus der Hüfte gezogen habe, eine Fehlentscheidung ist? In solch einem Augenblick hilft auch das Kölsche Grundgesetz nicht mehr. Denn dann ist unter Umständen etwas nicht gut gegangen, trotz guten Glaubens. Im schlimmsten Fall hat aufgrund meiner Entscheidung ein anderer Mensch Schaden gelitten, ihm ist Unrecht widerfahren aufgrund meines Tuns. So sehr ich die Kölsche Mentalität schätze, diese Leichtfüßigkeit und diesen unverbrüchlichen Optimismus, so muss ich mich doch der Tragik des Lebens stellen, dass aufgrund meiner Entscheidungen dem Leben, dem Leben anderer, dem Leben der Welt Schaden zugefügt wird.
Jedem Entscheidungsprozess liegt die Hoffnung zugrunde, das Gute, das Richtige zu tun. Und doch ist die Folge menschlicher Entscheidungen oft das Böse und das Falsche. Warum? Weil dem Menschen – ich sage das so salopp, weil ich keine anderen Worte finde – weil dem Menschen der Durchblick fehlt. So viel der Mensch auch vermag, so weit der Verstand auch reicht, ja so selbstlos ein Mensch auch sein mag, er denkt und handelt immer von sich aus und aus sich heraus. Dem Mensch fehlt im letzten die Weitsicht. Diesem Dilemma können wir nicht entkommen. Aber was wir können: Wir können es minimieren. Wir können den Schaden, der strukturell wie auch persönlich von unserer Begrenztheit ausgeht, in Zaum halten.
Die Texte des heutigen Gottesdienstes schenken uns guten Rat. Da hören wir, zum Leben gehören zwei wesentliche Eigenschaften: Zum einen, die Weisheit Gottes zu suchen und zum anderen, die Schwere des Lebens anzunehmen.
Letztens las ich einen sehr nachdenkenswerten Satz in einem Artikel, in dem der Schauspieler Matthias Brandt, der Sohn des verstorbenen Parteivorsitzenden und ehemaligen Bundeskanzlers Willi Brandt ist, zu seiner Lebenseinstellung gefragt wurde. Er sagte: „In der Gesellschaft von heute hat das Wundern wenig Raum. Im Zuge des Selbstoptimierungsquatsches muss immer eine Lösung im Raum stehen. Dabei ist es etwas Wunderbares, das Nichtmehrweiterwissen.“ Ich glaube, damit hat er ganz knapp zusammengefasst, was unseren Glauben auszeichnet und was uns die heutigen Texte vermitteln möchten: Leben kann da gelingen, wo der Mensch seine eigenen Bürden anzunehmen bereit ist und sie nicht, wie es so oft heute geschieht, anderen auflastet und dann meint, seine Lebensnöte seien gelöst. Und damit sei das Problem aus der Welt. Nein, es gibt Nöte, Sorgen, Ungeklärtes, das kann ich nicht wegdelegieren, das muss ich selbst tragen, so schwer es ist. Und zugleich ist da aber auch eine Hoffnung, dass die Bürden des Lebens, die Kreuze des Lebens, wie Jesus sagt, in Demut vor Gott und in Freundschaft zu den Menschen geteilt werden können durch ein kluges Leben und kluge Entscheidungen. Denn aus einer Demut Gott und den Menschen gegenüber erwächst eine Weisheit, die nicht allein sich selbst im Blick hat, sondern das Ganze, die Schöpfung Gottes. Wenn ich das Ganze im Blick behalte, mit der Hilfe Gottes über mich selbst hinauswachse, dann weed it juut jeen. Nit immer, evver immer öfter…Predigt am 04. September

Christoph Simonsen

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