Vorhersehbar
Wenn ich auf die sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan schaue, die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Menschen dort sehe, die mit und für die Natoeinsatztruppen gearbeitet haben, die für ihre Kinder und insbesondere für die Mädchen auf Bildung setzten und für die Frauen auf ein selbst bestimmtes Leben hofften, so überkommt mich Wut angesichts des völligen Versagens der Regierungen der Schutzmächte. Ich schäme mich der hysterischen Angst, die in Europa vor den zu erwartenden Flüchtlingen geschürt wird. „Wir dürfen nicht wieder in eine Situation wie 2015 kommen“. Und ich bin fassungslos angesichts der wegschauenden Politiker in einem Bundestags-Wahlkampf, der meint ohne Zumutungen angesichts der Krisen auf der Welt auskommen zu können.
Dabei war die unverzügliche Machtübernahme durch die islamistischen Taliban und die Rücknahme aller Freiheits- und Menschenrechte durch die Scharia absehbar.
Für Europäer, die sich doch den jüdisch-christlichen Werten verpflichtet fühlen, gibt es in dieser Bedrohungssituation nur die Option der Solidarität mit denen, denen „man sich vertraut gemacht hat“ und denen man Schutz versprochen hatte. Und für uns Christen das Gebot der Nächsten- und Fernstenliebe, d.h. den zu uns fliehenden Schutz, Unterkunft, Lebensmittel und medizinische Versorgung anzubieten und wenn sie bei uns bleiben wollen, für Integration, Bildung und für ein menschenwürdiges Leben Sorge zu tragen.
Andernfalls gilt für uns der Vorwurf Jesu der Heuchelei:
„Ihr Heuchler! Aus den Zeichen am Himmel oder auf der Erde könnt ihr das Wetter vorhersagen. Warum könnt ihr dann nicht beurteilen, was heute vor euren Augen geschieht? Warum weigert ihr euch zu erkennen, was gut und richtig ist?“ (Lk 12,56f)
und die Anfrage:
„ … Herzensbarrikaden, wer kämpft noch für wen?
Wir meiden die richtigen Fragen, wir streunen ums Problem.
Du traust dem Impuls und bleibst immer kühl
Du erlaubst dir nicht, dich zu entziehn
Und deine Fassung ringt
Weil Fassung nichts mehr bringt, nichts mehr bringt
Bist du da, wenn Seelen verwaisen?
Bist du da, wenn zu viel Gestern droht?
Wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen?
Bist du da? …“ – (Herbert Grönemeyer, Tumult 2018)
GS 17. Aug 2021