Risiko:Geist

Am vergangenen Sonntag feierten die Christen das Fest der Begeisterung einer kleinen Gruppe verunsicherter-weil immer-noch-nicht-fassen-können-was-eigentlich-passiert-ist Freundinnen und Anhängerinnen Jesu. Sie hatten ihn als Propheten kennengelernt und als von Gott gesandten Erlöser geglaubt. Dann war er von der römischen Besatzungsmacht auf Denuntiation und Drängen der Religionsführer als Revolutionär abgeurteilt und hingerichtet worden. Ein Schicksal, das auch ihnen drohte, wenn sie die Botschaft vom Gottesreich der Gerechtigkeit und Liebe weiterhin verbreiteten.
Deshalb hatten sie sich eingebunkert, lebten aus der Erinnerung ihrer zerstörten Hoffnungen und Träume. In diese depressive Stimmung hinein werden sie alle erfasst von einer Euphorie, einem Feuer der Begeisterung, das man ihnen offensichtlich ansieht und sie durcheinander reden lässt in unterschiedlichen Sprachen, aber offensichtlich auch für Außenstehende verständlich, „wie der Geist es ihnen eingab“ (Apg 2). Dieses lautstarke, begeisternde Chaos hatte auch eine unüberhörbare Außenwirkung, sodass die aus aller Welt zum Schawuot-Fest zusammen gekommenen Juden aufmerksam wurden und schaulustig zusammenliefen. Die Gaffer sind erstaunt, dass sie alle, obwohl unterschiedlicher Sprache und Herkunft, die Botschaft von der Güte Gottes und seines Handelns zum Wohl aller Menschen verstehen. Angesichts dieses Phänomens beginnt sofort die Meinungsmache: Die sind ja besoffen oder haben was geraucht!
Da die Begeisterung aber nunmal öffentlich geworden ist, braucht es eine Erklärung durch den Gruppensprecher Petrus: Es erfüllt sich an den frustrierten und verängstigten Jüngern eine prophetische Prophezeiung, mit der die Endzeit beginnt, die Zeit der Entscheidung für oder gegen Gottes Willen und sein Angebot in einer Welt, in seinem Reich der Gerechtigkeit der Liebe und des Friedens für alle Völker zu leben nach den Regeln, die Jesus in der Bergpredigt grundlegend verkündigt hatte und konsequent gelebt hat.
Diese Begeisterung der Jünger, die sie befähigt hat die Botschaft Jesu weiterzusagen, ist sozusagen der Geburtstag kirchlicher Verkündigung, da sich die christlichen Kirchen ja in der Tradition dieser Jüngergemeinschaft verstehen.
Also feiern wir jedes Jahr diesen Anfang öffentlicher Verkündigung, Deutung des Zeitgeschehens auf Gott hin und das Vertrauen, dass Gott es gut mit uns meint.
Die Frage an uns, wenn wir uns auch in dieser Tradition verstehen ist doch: Spüren wir diese Begeisterung immer noch oder sind wir eher wieder in der Depression und bunkern uns ein in unseren prachtvollen Kirchen und finanziell abgesicherten Institutionen? Welches Pfingstereignis könnte uns heute daraus hervorlocken risikobereit und provozierend lautstark für die christliche Botschaft der Liebe auf- und einzutreten?
Ich wünschte mir in dieser (Kirchen-)Situation die Risikobereitschaft und Überzeugungskraft zu haben wie Petrus vor dem Religionsgericht des Hohen Rates der Juden und mir nicht den Mund verbieten zu lassen: „Wir können nicht schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben!“ (Apg 4,20)

GS 12. Juni 2019

Es segne uns der Geist,
der war und ist,

dass wir
als Gewordene werden,
wozu wir gemacht sind,
als Geliebte lieben,
die ungeliebt sind,
als Beschenkte beschenken,
die gabenlos sind,
als Gerufene rufen,
die keiner sonst ruft,
als Entfachte entfachen
das Feuer der Liebe,
entzündet aus ihm.

Wilma Klevinghaus (Jeden Augenblick segnen, Verlag am Eschbach 2005, S. 112)