Morgen beginnt heute
Ich glaube, ich muss heute zunächst einmal Abbitte leisten; die beiden vergangenen Sonntage waren stimmungsmäßig sehr geprägt von übergroßen Forderungen, vielleicht sogar übermenschlichen Forderungen. Die Heilige Schrift ist wahrlich keine leichte Kost. Und unsere momentane Welt- und Kirchenwirklichkeit ist momentan, das kommt dazu, alles andere als zufriedenstellend. Welt und Kirche zu gestalten aus der Überzeugung heraus, dass Gott uns diese eine Welt ans Herz gelegt hat, ist und bleibt also eine wahnsinnige Herausforderung und sie führt uns Menschen nicht selten an die Grenze unserer Möglichkeiten. Gleichwohl unser Glaube immer auch eine herausfordernde Botschaft in sich trägt, die eine gestalterische Konsequenz einfordert, so hat dieser gleiche Glaube doch auch eine beflügelnde Leichtigkeit, sich des Lebens zu freuen und sich den unbeschwerten Erlebnissen des Augenblicks hinzugeben. Ja: den Augenblick des Lebens, das gerade Hier und gerade Jetzt zu spüren und sich dankbar dem hingeben, auch das gehört zu unserem Glauben, es gehört existentiell zu unserem Glauben. Gott schenkt nicht nur Zukunft, er schenkt vor allem auch Gegenwart.
Eldad und Medad geraten in Verzückung. Sie sollten Lagerwache halten, während Moses mit den 70 Ältesten mit Gott sozusagen in Konferenz geht. Und wie Gott so ist, er hat immer ein give away in der Tasche, er lässt keinen mit leeren Händen und leeren Herzen nach Hause gehen; Moses, wie auch die anderen werden beschenkt – mit seinem guten Geist. Schön finde ich die Bemerkung, dass Gott ihnen „etwas von dem Geist, der auf ihm ruhte“ schenkte. Ein bisschen Geist Gottes genügt scheinbar schon, um Menschen glücklich zu machen und zu befähigen, weltbewegendes zu entwickeln. Jetzt sind aber die beiden Lageraufpasser genauso verzückt von diesem guten Geist Gottes, wie Moses und die Ältesten es sind, obwohl sie bei der Begegnung mit Gott dabei waren. Und da wird wohl klar, dass Gott nicht nur die beschenkt, die demonstrativ zu ihm hingehen. Nein, auch die Zurückgebliebenen, die Fernstehenden werden beschenkt. Und das kann doch wohl nicht mit rechten Dingen zugehen. Geist Gottes kann schließlich nur da drin sein, wo der auch überprüfbar von Gott verteilt wurde.
Wer so denkt, der Diener des Moses nämlich, den überrascht Moses dann mit der Bemerkung, er würde sich wünschen, dass alle Menschen, das ganze Volk, zu Propheten würden, zu Geistbegabten also. Wer im Hier und Jetzt Gutes tut, Gutes sagt, wer verzückt ist davon, dass ihm Leben geschenkt ist und wer sich sichtbar, spürbar seines Lebens freut, der muss Gottes Geist in sich tragen. Das ist für Moses evident – und für Jesus auch, das heutige Evangelium belegt dies.
Jetzt ist uns heute das Wort „Verzückung“ eher fremd. Aber es weckt unweigerlich meine Phantasie, eure vielleicht ja auch. Was völlig verrücktes machen, mal ganz aus sich raus gehen, mitten am Tag zu tanzen beginnen, und dann – man stelle sich das vor – ganz man selbst sein, echt, frei von jeder konventionellen Rolle, die man sich so oft überstreift. So unverstellt, so unbedarft, so frei, da kann kein böser, kein ausgrenzender, kein diskriminierender Gedanke mehr in einem sein. In solchen Augenblicken, wo der Moment einer Ewigkeit gleicht, wo das Jetzt nicht aufhört und einfach nur Lebendigkeit, Dankbarkeit und Glück in einem ist, da muss Geist Gottes sein und da wird einem klar, dass der Glaube Berge versetzen, Grenzen verschieben und Mauern erweichen kann. Und somit sogar unsere heutige Lebenssituation aus aller Enge zu befreien vermag. Predigt am 30. September
Christoph Simonsen