„Mama, put my guns in the ground“ (Bob Dylan)

„Mama, put my guns in the ground“ (Bob Dylan)
Mama, nimm dieses Abzeichen von mir.
Ich brauche es nicht mehr.
Es wird dunkel, zu dunkel um etwas zu sehen.
Ich fühle mich als klopfe ich an die Himmelspforte.
Mama, vergrabe meine Waffen.
Ich kann mit ihnen nicht mehr schießen.
Der lange schwarze Schatten senkt sich ab.
Ich fühle mich als klopfe ich an die Himmelspforte.
Ich vermute, die meisten von euch werden diesen Text in Englisch besser einordnen können:
Mama, take this badge off o‘ me
I can’t use it anymore
It’s gettin‘ dark, too dark to see
I feel I’m knockin‘ on Heaven’s door
Mama, put my guns in the ground
I can’t shoot them anymore
That long black cloud is comin‘ down
I feel I’m knockin‘ on Heaven’s door

Bob Dylan, der Literaturnobelpreisträger dieses Jahres bittet seine Mutter, ihn aus den Zwängen des Krieges (des Vietnamkrieges) zu befreien. Der Sohn bedrängt sie, mit all ihrer zur Verfügung stehenden Autorität als Mutter dem Krieg ein Ende zu setzen. Er fühle sich, als klopfe er an die Himmelspforte. Was heißt das anders als, er fühle sich vom Tod bedrängt. Wer so tiefe, bedrängende, beängstigende Gefühle in Worte zu fassen vermag, die keinen unberührt lassen, der hat in der Tat diesen großen Preis der Worte verdient.
„Ich fühle mich, als klopfe ich an die Himmelspforte“. So ähnlich müssen sich die Israeliten auch gefühlt haben in der Gefangenschaft Ägyptens. Davon erzählt die heutige Lesung nämlich. Es ist wie damals in den 70iger; Jahren und es ist wie heute, 40 Jahre später; und es ist wie zur Zeit des Übergangs zur neuen Zeitrechnung: Immer wieder Krieg und immer wieder Menschen, die sich nichts mehr ersehnen als Ruhe und Frieden und die Chance, ihr bescheidenes Leben leben zu dürfen. Und, Gott sei es gelobt, immer wieder gibt es Menschen, denen es gelingt, den Menschen Hoffnung zu schenken, Schuld hinter sich zu lassen und zurückzukehren zu einer erstarkten Kraft der Solidarität.
Dort, wo das Volk der Israeliten Knechtschaft durchleiden musste. Dort, gerade dort, spricht ein Mensch von Gott als dem großen Freund des Lebens. Dort, wo sich in den letzten Jahrzehnten der alten Zeitrechnung Gläubige und der Religion fern stehende Juden gegenseitig verfolgt haben und verleumdet; dort, wo die einst erfahrene Verbundenheit, als ein Volk zusammen zu gehören, in absurden Kleinkriegen geradezu verraten wurde; dort spricht einer von der Hoffnung, dass die Menschen von der Schuld und der eigenen und eigen verschuldeten Zerrissenheit  lassen werden und zurückkehren zur Kraft der Solidarität. „Du Gott, hast mit allen Erbarmen. Du liebst alles, was ist“. Das ist kein Zufall, dass immer wieder Gott diese Hoffnung ist.
Wer von uns ist besessen von solch einer Zuversicht? Wer von uns könnte das heute in die Welt hinausrufen, dass Gottes Liebe grenzenlos ist, wo wir Menschen einander durch Grenzen trennen und Menschen an Grenzen ihrer Ohnmacht zerbrechen? Wer von uns kann sich zum Beispiel in Calais hinstellen, dorthin, wo gerade Unmengen von Bussen Unmengen von Menschen abtransportieren und Träume mit Füßen getreten werden und dort rufen, Gott liebe alles, was ist?

Das heutige Evangelium präzisiert diese Liebe Gottes, verdeutlicht, wie Gott handelt, um die Hoffnung der Menschen zu nähren.
Zachäus ist von Natur an von kleiner Statur. Man könnte ihn übersehen. Anerkennung hat er sich ergattert durch seinen Beruf als Zöllner. Dieser Zachäus nun steigt auf einen Baum, um Jesus besser sehen zu können. Er ist neugierig; er ist im wahrsten Sinn des Wortes gierig nach Neuem. Er will nicht mehr nur als Statussymbol wahrgenommen werden, sondern als Mensch, auch als kleiner Mensch.
Dies meint er erfahren zu können, wenn er Jesus näher kennenlernt. Zachäus will etwas verändern in seinem Leben, will ausbrechen. Er will ausbrechen aus dem gesellschaftlichen System, in dem die da oben die da unten ausnutzen. Er will – symbolisch gesprochen – anderen nicht mehr die Pistole auf die Brust setzen: Gib du mir von Deinem, damit es mir gut geht. Er hat die Nase voll davon, vom Gewinn der anderen zu profitieren als Zöllner. Das kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, auf Kosten anderer zu leben. Das, so hat er gehört, hat dieser Jesus immer wieder gepredigt. Und davon, dass geben seliger ist als nehmen. Und davon, dass jede und jeder unendlich viel Reichtum in sich trägt. All das hat Zachäus neugierig gestimmt; deshalb ist diese Neugierde in ihm hochgekommen, um zu schauen, was das für einer ist, dieser Jesus. Und ob er glaubwürdig ist oder wie so viele andere nur ein Schwätzer vor dem Herrn.

Und was macht dieser Jesus? Er schaut Zachäus an. Ihn, auf den alle mit Verachtung schauen, weil er machtvolles Glied des Systems ist, ihn schaut er an und bittet um Gastfreundschaft. Und da spürt er: in der Gastfreundschaft erweist sich Zukunft: göttliche Zukunft.
Zachäus braucht diese Abzeichen nicht mehr, die ihn ausweisen als jemanden, der über andere bestimmt, über andere herrscht. Er braucht die Uniform des Zöllners nicht mehr, die ihm die Anerkennung der anderen sichert, wenn auch nur aus Angst vor der Macht, die sich in dieser Uniform präsentiert. Jesus sieht den Menschen in Zachäus, nicht den Staatssoldaten, den Parteisoldaten, den Systemsoldaten. Und Zachäus nimmt im Blick Jesu wahr, wie nah er der Himmelspforte im Sinne von Bob Dylan gestanden ist, weil er sich verkauft hat an den Staat, an die Partei, an das System und sein Leben dem Krieg verschrieben hat, dem Krieg der Gier.

„Mama, vergrabe meine Waffen, ich kann mit ihnen nicht mehr schießen“. Welche Waffen müssen wir vergraben? Und welche Abzeichen müssen wir ablegen, um Hoffnung verbreiten zu können statt Angst?…Predigt am 30. Oktober