„Leistung muss sich wieder lohnen“?
„Leistung muss sich wieder lohnen“, das war der Wahlslogan der CDU zur Bundestagswahl 1982; man war der Meinung, dass die vorherige Regierung zu leichtfertig soziale Leistungen gewährt hatte. 24 Jahre später, im Jahr 2006, wirbt die SPD mit dem gleichen Spruch: „Leistung muss sich wieder lohnen“. Dieses Mal nicht anlässlich einer Wahl sondern eines neuen Parteiprogramms, das geschrieben werden sollte. Nun sollten die Ungerechtigkeiten der sogenannten „Besserverdienenden“ korrigiert werden. Und am 12. Juli 2016, anlässlich des „Steuerzahlergedenktages“, zitiert die FDP Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern diesen gleichen Satz mit dem Inbrunst der Überzeugung: „Leistung muss sich wieder lohnen“. Sie erinnerte daran, dass fast die Hälfte eines jeden verdienten Euro an Steuern abgezogen wird.
In diesem Wahlkampf stand die Bildung junger Menschen in einem besonderen Fokus aller Parteien und indirekt können wir sicher auch hier assoziieren, dass eine gute Bildung zu guten Leistungen führen soll zum Wohl des einzelnen wie auch zum Wohl der Gesellschaft.
Wir Menschen sind unbestritten leistungsorientierte Wesen. Der Antrieb, etwas leisten zu wollen, ist nicht etwas, das uns Menschen von außen aufgedrückt werden muss. So mag es zwar manchmal scheinen, wenn der Lehrer einen in der Schule zu noch besseren Leistungen antreibt, der Meister im Betrieb den Lehrling kritisiert, oder der Gruppenzwang an einem nagt, der einen herausfordert, besser sein zu wollen als die anderen.
Aber wer wüsste nicht, dass man Leistung nicht erzwingen kann. Muss man aber auch nicht, denn in jeder und jedem von uns ist dieser Wunsch grundgelegt, eine gute Leistung erbringen zu wollen. Mit dem, was ich einbringe, und wie ich es einbringe in unsere Gesellschaft, ist mir daran gelegen, mich zu verwirklichen. Das ist, weiß Gott, keine neue Erkenntnis: Wir Menschen sind geschaffen, unsere Werte, unsere Fähigkeiten, unsere Begabungen in die Waagschale des Lebens hineinzuwerfen, um uns unvergesslich zu machen. Das mag im Einzelfall dazu führen, eitel zu werden und arrogant, aber im guten Sinne verstanden ist es der Auftrag Gottes selbst, der uns so sein lässt. Als seine Ebenbilder ist jede und jeder von uns gerufen und bestimmt, eine – nein: seine bzw. ihre einmalige und unverwechselbare göttliche Fähigkeit zum Wohl aller einzubringen. Dies, damit er, damit Gott, unvergessen in dieser Welt gegenwärtig bleibt. Wenn wir uns nicht einbringen mit dem, was uns von Gott gegeben ist, dann mag Gott zwar Gott sein, aber er würde in dieser Welt vergessen, da er sich doch unwiderruflich durch uns an diese Welt gebunden hat. Also: wenn wir nicht einbringen in das Weltgeschehen, was an Vermögen und Fähigkeit in uns drin ist, dann verbauen wir Gott den Zugang zu dieser Welt. Diese Gewissheit darf, kann, ja: muss uns Motor sein, unser Leben als eine Herausforderung anzusehen, uns zu mühen, anzustrengen, aus uns herauszuholen und einzubringen, was Gott in uns hineingelegt hat.
Es bleibt die Frage, ob das, was das Meine ist, von anderen benötigt wird. In unserer Zeit versuchen viele Menschen, sich Vermögen und Kenntnisse anzueignen unter der Vorgabe, das zu lernen, was unsere Zeit, unsere Gesellschaft braucht. Nicht wenige wählen ihr Studium aus, geleitet von der Frage, wie sicher der sich daraus ergebende Beruf später sein wird. Dies ist nur zu verständlich, gibt es doch in unserer Gesellschaft kein würdiges Leben ohne Absicherungen verschiedenster Art.
Und dennoch stellt uns das heutige Evangelium eine sehr provokante Frage: Hab ich genügend Vertrauen zu mir selbst, dass ich auf das baue, was an Begabung in mir drin steckt? Oder sattele ich um auf etwas, was zwar zukunftssicher ist, aber weniger meinen eigenen Begabungen entspricht? Wie viel Geduld habe ich mit mir selbst, darauf zu bauen, dass ich gefunden werde mit meinen Begabungen und Fähigkeiten? Die meisten von uns sind es gewohnt, sich zu bewerben: einmal, zweimal, x-mal, bis die richtige Stelle gefunden ist. Unsere Gesellschaft ist heute so: Man muss sich anpreisen, anbieten. Wie viel Selbstachtung bleibt da oft auf der Strecke?
Jesus stellt uns heute ein anderes Arbeitsmarktmodell vor. Menschen stehen am Straßenrand, geduldig, erwartungsvoll, und warten, dass jemand kommt, sie anzusprechen: „Dich brauch ich; Dich und deine Fähigkeiten“. Und dann wird am Ende nicht die tatsächlich getane Leistung bezahlt, sondern allein die Tatsache, dass der/ die einzelne Person sich eingebracht hat ins Ganze. Ob man dieses Vorgehen tatsächliche christliche Marktwirtschaft nennen kann? Leben von dem und mit dem, was im wahrsten Sinne gottgegeben ist. Unser Gesellschaftssystem ist, wie es ist. Aber es ist eben ein menschengemachtes System; und wenn es auch das Beste ist von allen Systemen, die wir kennen, es führt immer in Ungerechtigkeiten und Asozialität. Die Gerechtigkeit Gottes ist eine andere als die, dass nach Leistung bezahlt wird. Nicht Leistung ist der Maßstab Gottes, sondern Leidenschaft. Die Leistung, die aus der Leidenschaft entspringt, ist in den Augen Gottes wirklich eine Leistung, die lohnenswert und auch belohnenswert ist. Leistung, die den Profit in den Vordergrund stellt, ist mehr als fragwürdig.
In Deutschland wurde heute gewählt. Hoffentlich können alle von uns, die wählen dürfen, hier heute sagen, dass sie dieser Verantwortung nachgekommen sind. Aber mit dieser Wahl haben wir nicht die Verantwortung abgegeben, innerhalb unseres gesellschaftlichen Systems diese Ungerechtigkeit im Blick zu behalten und uns die Sensibilität zu bewahren dafür, gegenzusteuern, wo Menschen ausschließlich nach einer Leistung bemessen werden, die dem Druck entspringt, nur irgendwie überleben zu können. Das ist zu wenig und schon gar nicht ist es christlich. Wenn alle den gleichen Lohn bekämen aufgrund dessen, was sie aus Leidenschaft und Überzeugung eingebracht haben, dann wären wir dem Himmel, von dem Jesus ja spricht, ein großes Stück näher.
Christoph Simonsen – Predigt zum 24. September 2017