Irgendwie ist vieles anders

Irgendwie ist in diesen Tagen vor Weihnachten doch vieles anders. Da ist sicher, sichtbar für viele, wenn wir durch die Straßen gehen, ein spürbares Potential von Hektik, Unruhe, Nervosität. Andererseits: Es vergeht kaum ein Gespräch, wo man nicht zum Schluss zuspricht: ‚Übrigens, schöne Feiertage‘, oder ‚Wenn wir uns nicht mehr sehen, ich wünsch dir frohe Weihnachten‘. Bei allem Rummel, irgendwie ist auch ein wunderschön spürbares Maß an Aufmerksamkeit da und wir sind einander noch einmal anders zugewandt als sonst im Jahr. Irgendwie ist was anders in diesen Tagen.
Dieses ‚irgendwie‘ klingt zunächst banal, unverbindlich, oberflächlich. Ist es aber nicht. Es ist Ausdruck und Zeichen einer sehr schönen Hoffnung, einer gemeinsamen Hoffnung: Es geht! Es gelingt. Es gelingt, dass Menschen einander zuwenden, sich verbunden fühlen und einander in einer Weise begegnen, die etwas verändert.
Es gelingt, dass Menschen, miteinander ins Gespräch kommen und dieses Gespräch etwas in Bewegung bringt, was man so im ersten Moment gar nicht in Worte fassen kann. Da ist nicht mehr als ein stimmiges und tragendes Gefühl spürbar: aber dieser Augenblick, diese Begegnung, dieser kurze Blick bewirkt etwas. Herbert Grönemeyer spricht in seinem neuen Lied von „Sekundenglück“. „Es sind die einzigartigen tausendstel Momente. Das ist, was man Sekundenglück nennt.“ Kleine Momente, unverhoffte Geschenke, ein Blick, ein Lächeln: Und alles ist auf einmal anders.
Wir erregen uns immer wieder darüber, dass unsere Welt so starr, so nationalistisch starr, so ausgrenzend starr geworden ist, da ist es doch mehr als nur ein unbedeutendes Symbol, wenn wir Starrheit und Ausgrenzung in unserer kleinen alltäglichen Welt überwinden und einander einladend anschauen begegnen und im Kleinen einander und der Welt beweisen, dass das geht: In Verschiedenheit eine Verbundenheit zu erfahren. Wer, wie in diesen Tagen so oft, zusammen singt und betet und dabei ein Gespür dafür entwickelt, Unterschiedlichkeiten aufheben zu können, der kann auch mehr: Der kann auch zusammen in Frieden leben, nicht nur während eines Gottesdienstes. Wohin will mich diese Feier führen? Dahin, Starrheiten zu überwinden und zur Einladung für andere zu werden.
Wir hören heute, wie zwei Frauen einander begegnen. Die eine hat einen langen Weg zurückgelegt, von Nazareth in das Bergland von Judäa. Sie ist im wahrsten Sinn des Wortes über Berg und Tal gegangen, das schwangere Mädchen Maria. Sie ist über Höhen gegangen und durch Tiefen des Bewusstseins, des Denkens und Fühlens, des Hoffens und Befürchtens, der Angst und der Zuversicht. Menschen, die zu einer wirklichen Begegnung sind, zu einer wirklichen Begegnung und nicht nur zu einem Date, die erfahren, dass zu einem wirklichen Leben Höhen und Tiefen dazu gehören. Wenn wir hier auch nicht so viel voneinander wissen, so ahnen wir doch, dass auch zu unser aller Leben Höhen und Tiefen gehören, schöne und schwere Stunden. Indem wir hier miteinander feiern, tragen wir all das mit. Und das tut gut. Mir tut es gut und ich hoffe, euch nicht minder.

Die beiden Frauen, Elisabeth und Maria, sind in Hoffnung, sie tragen Leben in sich. Nur, wenn wir Leben in uns tragen, sind wir auch fähig, einander wirklich zu begegnen. Nur, wenn wir daran glauben, fähig zu sein dafür, einander Leben zu schenken, ereignen sich zwischen uns wirkliche Begegnungen. Zu einer wirklichen Begegnung gehört es nämlich, aufgeschlossen zu sein für neues, werdendes Leben.
So kurz vor dem Weihnachtsfest ist das mein Wunsch an uns alle: Dass wir einander so begegnen, dass wir des anderen Fruchtbarkeit erkennen.
Elisabeth sagt es zu Maria: „Selig, die geglaubt hat, dass in Erfüllung geht, was dir vom Herrn versprochen wurde.“ Sie erkennt, dass Maria ein wunderbares Leben in sich trägt: volles Leben, heilbringendes Leben, göttliches Leben. Und ich wünsche uns, dass wir das auch erkennen, wenn wir einander begegnen, dass wir wundersames Leben in uns tragen, das geboren werden möchte in unsere Zeit hinein, in unsere Welt hinein.
Das schönste Geschenk in diesen Tage könnte sein, wenn wir einander zusprechen in unseren Begegnungen: „Du bist gesegnet, denn du trägst neues Leben in dir. In diesem Sinne wünsche ich Euch fruchtbare und heilbringende Begegnungen und ein Leben schenkendes Weihnachtsfest.

Christoph Simonsen

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