„Brennen“

Mal wieder eine Vorbesprechung auf eine Fachtagung hin und mal wieder die Frage aller Fragen: Wie wird Kirche attraktiv für Menschen, die sich von ihr abgewandt haben. Mal wieder das Ringen um diplomatisches Geschick, die Einladung so zu formulieren, dass sich die Betroffenen angesprochen fühlen, die also, die sich längst von Kirche verabschiedet haben. Die Sprache der Kirche ist schon lange nicht mehr ihre Sprache. Die Sprache der Kirche hat Tradition. Und nicht wenige traditionsgebundene Christinnen und Christen gehen auf die Barrikade, wenn auch nur der Anschein aufkommt, Fremde könnten das Vertraute gefährden. Die Grundstimmung ist offensichtlich: Warum sollte sich die Kirche, die doch die Wahrheit in sich trägt, der säkularen Welt anpassen? Das ist wahrlich ein gehöriges Spießrutenlaufen, alles zusammenhalten wollen und zugleich auch neue Wege versuchen zu gehen.
Diese Vorbesprechung war in diesem Fall in besonderer Weise interessant, weil Vertreterinnen und Vertreter derer, die sich in und von der Kirche ausgeschlossen fühlten mit am Konferenztisch saßen und von ihren Hoffnungen und Träumen erzählten, wie sie sich eine Kirche heute 2017 vorstellen. Keiner von uns hat auf die Uhr geschaut, wann es denn endlich konkret werden würde, wann wir Themen festlegen könnten, Referenten in den Blick nehmen könnten; die Zeit verging wie im Flug, denn wir haben uns leidenschaftlich verbissen in unseren Träumen und Phantasien.
Nicht so wirklich vertraut miteinander, kamen wir doch aus allen Himmelsrichtungen zusammen zu diesem Vorgespräch, erzählten wir einander  von den Höhen und Tiefen unseres Lebens, ganz offen, frei, ungeschützt und die Einsicht brach sich plötzlich in einem Staunen Bahn: „ Mensch was haben wir Glück mit diesem Gott, der so vielfältig und unterschiedlich im Leben der verschiedensten Menschen vorkommt.“ Ja das ist wirklich war: Dieser Gott ist ein Glücksfall für die Menschheit. Und ja, das ist auch wahr: Wir können immer voneinander lernen, gleich, aus welcher Ecke der Welt wir kommen und gleich, wie unterschiedlich unsere Lebenswelten sind.

Von jeher ist das Feuer ein Bild für den Heiligen Geist gewesen. Ein Feuer erlischt dann, wenn es keine Nahrung mehr erhält, wenn kein Holz mehr nachgeschoben wird. Ein Feuer kann nicht aus sich heraus gedeihen; es braucht Material, damit es wärmen und im Dunkeln  Licht sein kann. Ein Feuer braucht aber auch Offenheit, braucht Luft, damit es nicht erstickt wird. Wo alles abgeschlossen ist, da kann Feuer sich nicht entfalten.

In dem eben erwähnten Austausch war beides: Nahrung, Lebenserfahrung nämlich, die wir einander geschenkt haben und Offenheit, Raum, so dass sich jede und jeder entfalten konnte. So breitet sich Glaubensfeuer aus und so werden Menschen füreinander ansteckend.

Dann gab es aber doch einen Wermutstropfen. Da nämlich, wo wir unsere Traumwelten verlassen und uns der Wirklichkeit wieder zugewandt haben. Noch immer werden in unserer Kirche Unterschiede gemacht. Da gibt es immer noch den Unterschied zwischen Mann und Frau, den zwischen Priester und Laie und da noch einmal differenziert zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Laien.  Selbstverständlich gibt es gegebene Unterschiede; es ist gut, dass nicht alle und alles über einen Kamm geschert wird. Was allerdings ein Unrecht darstellt, was unseren Glauben und unseren Gott entstellt:  Dass mit den Unterschieden in unserer Kirche auch Wertungen verbunden sind. Es gibt ein Unrecht in der Kirche, das mit der Natur begründet wird aber im Tiefsten gegen die Natur Gottes ist.
Pfingsten, so heißt es, ist das Geburtsfest der Kirche. Gott legt seinen Geist in die Herzen der Menschen. Durch uns, durch jede und jeden von uns möchte er seine Gegenwart in dieser Welt bekunden. Füreinander sollen wir Lebensheiler, ja Lebensretter werden. Gleich wertvoll, gleich berechtigt. Ständedenken ist dem göttlichen Geist fremd. Hierarchien von Natur aus sowieso.
Pfingsten besagt nichts anderes, dass wir Menschen das große Sakrament Gottes sind. Ja, es gibt die sieben Sakramente, die uns Menschen an den Wendepunkten unseres Lebens wie auch im alltäglichen Leben Kraft und Nahrung sein möchten, aber das wesentliche Sakrament, das ist der Mensch selbst; er ist das Ebenbild Gottes. Jede und jeder von uns ist Widerschein seines Wesens, weil Gott sich doch in alle mit seinem Geist hineingelegt hat. Letzten Sonntag durften wir das noch erfahren, als wir Tanja das Sakrament der Firmung schenken durften. Wenn wir aber Sakrament, Abbild Gottes sind, dann sind wir es nur wirklich, wenn wir es füreinander sind. „Allen hat Gott alles gegeben“, so heißt es einmal in der Heilligen Schrift.
Es gibt verschiedene Gnadengaben, sagt Paulus. Ja, die gibt es. Aber dass sich die Verschiedenheit in einem Machtgefälle in der Kirche widerspiegelt, das ist zweifelsohne eine Tragik der Kirchengeschichte, biblisch ist es ganz gewiss nicht.

Pfingsten ist auch das Fest der Erneuerung. Nichts haben wir nötiger, wenn wir nicht erstarren wollen zu leblosen und lieblosen Gebeinen. Pina Bausch, die vor einiger Zeit verstorbene wunderbare Balletttänzerin und Choreographin hat einmal nach einem Indienaufenthalt die Frage laut gestellt: „Warum sind die Menschen in Indien so kraftvoll und schön, wirken so unverbraucht – und bei uns so erschöpft und so traurig?“ Diese Frage gebe ich gern weiter.  Vielleicht schauen wir ja gleich mal zuhause in den Spiegel. Wenn unsere Augen nicht strahlen, dann kann auch unser Glaube nichts ausstrahlen. Ich denke oft, unsere Augen, aber auch unser Glaube wirkt so blass und stumpf, weil wir nichts mehr wagen, weil alles in eingefahrenen Bahnen verlaufen muss. Bloß keine Fragen zulassen, die den Trott des Lebens und des Glaubens aus dem Gleichgewicht werfen könnten.
Aus diesem Grund, nur ja nichts durcheinanderwirbeln, wurde unsere Vorbereitungsgruppe im Vorfeld gewarnt, keine aufwühlerische Überschrift über die geplante Tagung zu legen, weil wir keinem treuen Christen zumuten wollen, sich selbst, seinen Glauben in Frage zu stellen. Manchmal glaube ich, wir verteidigen unseren Glauben mehr als dass wir ihn in großer Freiheit und Vielfalt schenken. Was könnte sich alles an neuen Chancen auftun, wenn wir mehr Verunsicherung zulassen würden und weniger Bürokratenchristentum verteidigen würden.

Sinngemäß sagt Jesus einmal zu seinen Freunden: Wie froh er wäre, wenn er sie brennen sehen würde. Brennen wir?…Predigt am 04. Juni (Pfingsten)

Christoph Simonsen