Betend aus der Ohnmacht

Die stündlichen Aktualisierungen des Kriegs-Live-Tickers verstärken meine Ohnmacht und lassen die Friedensideale meiner Generation schlagartig zerbröseln. Die menschliche Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Frieden und ein Gutes Leben für alle Menschen auf diesem Planeten wird durch den Wahnsinn dieses -und aller Kriege- sabotiert und wahrscheinlich nachhaltig zerstört.

Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht lähmen mich, während eine Tagereise entfernt das Weltkulturerbe Lemberg bombadiert wird, Millionen Frauen und Kinder auf der Flucht sind während die Männer, Söhne und Väter sich verzweifelt dem Aggressor entgegenstellen, um die Freiheit zu verteidigen.

Auf der Suche meiner Sprachlosigkeit und Ohnmacht einen Ausdruck geben zu können im Gebet, traf mich ein Psalm des Trierer Diozesanpriesters Stephan Wahl, der in Jerusalem lebt.

Psalmen spiegeln in besonderer Weise die Gefühle von Menschen in extremen Lebenssituationen wieder. Schmerz, Trauer, Einsamkeit, Enttäuschung wie auch Hoffnung und die Sehnsucht nach Trost und der Nähe Gottes kommen in Psalmen eindrucksvoll zur Sprache.

GS 15. März 2022

Es ist Krieg. Ein ratloser Psalm.

Aufgeschreckt bin ich, Ewiger, reibe mir zitternd die Augen,
ein Traum muss es sein, ein schrecklicher, ein Alptraum.
Entsetzt höre ich die Nachrichten, kann es nicht fassen.
Soldaten marschieren, kämpfen und sterben. Es ist Krieg.
Der Wahn eines Mächtigen treibt sie zu schändlichem Tun,
mit Lügen hat er sie aufgehetzt, mit dem Gift seiner Hassreden.
In den Kampf wirft er sie, missbraucht ihre Jugend, missbraucht ihre Kraft,
erobern sollen sie, töten sollen sie, sein Befehl ist eiskalt.
Seine Nachbarn hat er zu Feinden erklärt, ein Zerrbild gemalt,
in den dunkelsten Farben seiner wirren Machtphantasien.
Niemand wagt ihm zu widersprechen, seine Claqueure halten still,
ein Marionettentheater umgibt ihn, das er höhnisch bespielt.
Seine Bosheit hat Raffinesse, listig und schamlos geht er voran,
die Versuche, ihn umzustimmen, ließ er ins Leere laufen,
umsonst sind sie angereist aus besorgten Ländern,
Friedensappelle und Warnungen ließen ihn kalt.

Angst und Schrecken verbreiten sich, blankes Entsetzen,
wie viele Verletzte wird es geben, wieviel Tote?
Wann wird die gefräßige Gier des Tyrannen gesättigt sein,
wann der Blutstrom versiegen, wann die Waffen schweigen?
Hilflos starre ich auf die Bilder und Meldungen,
meine Fäuste voll Wut, in meinen Augen regnet es.

Fahr den Kriegstreibern in die Parade, Ewiger. Allen!
Leg ihnen das Handwerk, lass sie straucheln und fallen.
Wecke den Mut und den Widerstand der Rückgrat-Starken,
lass das Volk sich erheben und die Verbrecher entlarven.
Nicht entmutigen lassen sollen sich alle, die an den Frieden glauben,
die unverdrossen ihre Stimme erheben, gegen Verführer immun sind.
Sei unter denen, die nicht schweigen, die nicht wegschauen,
die nicht achselzuckend sagen, was kann ich schon bewirken.
Höre unser Beten, unser Schreien, es töne in Deinen Ohren,
unsere Angst um die Welt unsrer Kinder und Kindeskinder.
Sie hast Du uns in die Hände gegeben, Deine Welt ist die unsrige.
In die Hände fallen soll sie nicht den Machthungrigen ohne Gewissen.
Nie werde ich verstehen, warum Du dem allen nur zusiehst,
Deine Hand nicht eingreift und die Tyrannen zerschmettert.
Mach Dich gefasst auf meine zornigen Fragen, wenn wir uns sehen werden,
später, in diesem rätselhaften Danach, Deinem geheimnisumwobenen Himmel.
Dann will ich Antworten, will Erlösung und endgültigen Frieden,
jetzt aber will ich nicht aufgeben, zu tun, was ich tun kann,
damit wir jetzt und auch künftig den Namen verdienen,
den wir so selbstverständlich als unseren eigenen tragen,
und ehrlich und glaubwürdig und unverhärtet berührbar,
als menschlicher Mensch unter menschlichen Menschen leben.

sw (Stephan Wahl, Jerusalem)

Visit Us On FacebookVisit Us On Instagram