Augenscheinlich und offensichtlich

sind Adjektive , die wir nutzen, wenn etwas auf den ersten Blick klar erfassbar, aber in den letzten Konsequenzen noch nicht nachvollziehbar und verständlich ist.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut, denn das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Diese vielzitierte Liebes-Weisheit des Kleinen Prinzen trifft wohl auch die biblische Geschichte von Thomas, dem Zweifler und macht den Unterschied zwischen dem augenscheinlichen, begreifbaren Erkennen und der glaubenden, vertieften, liebenden Erkenntnis deutlich.

In einer von Angst und Unsicherheit geprägten Atmosphäre nach dem Foltertod Jesu sind seine Freunde abgetaucht, aus Angst, dass sie die Staatsgewalt oder die Religionswächter in Kollektiv-Haft nehmen. Sie finden in der Gemeinschaft Trost in der Begegnung mit dem wesentlich veränderten Jesus. Diese Begegnung mit „dem Auferstandenen“ schenkt ihnen inneren Frieden und Versöhnung und sendet sie aus Frieden und Versöhnung in die Welt zu tragen.
Thomas der nicht dabei war, aber von ihnen begeistert eingeweiht wird, wehrt das für sie Offensichtliche ab. Die geltenden Regeln und die Ordnung der Welt verbietet die Auferstehung eines Menschen. Und selbst wenn es der gefolterte und ermordete Jesus gewesen sein sollte, der sich den Jüngern geoffenbart hat, so wird er nur scheinbar tot gewesen sein. Thomas will die tödlichen Wunden begreifen, um das Offensichtliche annehmen zu können.

Bei der nächsten Begegnung im Jüngerkreis kann er sich von der Identität Jesu überzeugen. Der fordert ihn auf „komm zum Glauben“ (Joh 20,27) und deutet »Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Freuen dürfen sich alle, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!« (Joh 20,29)

Diese glaubende Erkenntnis fällt nicht nur Thomas schwer, sondern auch uns bis heute hin. Und die daraus folgenden Konsequenzen, unsere Aufgabe Frieden und Versöhnung in die Welt zu bringen, erst recht.
Auch wenn diese unbequeme Wahrheit diskreditiert und als unglaubwürdig diffamiert wird, können wir dennoch „unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20) und müssen es einfach glaubwürdig leben.

GS 18. April 2023

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