Wer schreit hat Recht?

Nach den Erfahrungen der NS-Zeit mit schreienden Demagogen, die mit ihren Hass-Tiraden das Volk in den Stadien, Theatersälen und Aufmarschplätzen aufwiegelten hat sich in der deutschen Gesellschaft ein Common Sense herausgebildet, der in dem Verhaltenscodex mündete „Wer schreit hat Unrecht!“ Denn, wer gute Argumente hat braucht nicht zu schreien. Das Wort überreden spiegelt etwas von diesem Negativ-Verhalten.
Aber in unserer immer lauter und chaotischeren Gesellschaft gibt es oft gerade für Minderheiten wenig Möglichkeiten sich Gehör zu verschaffen. So wurde #Aufschrei zum Forum von Frauen, die sich sexistischer Übergriffe ausgesetzt fühlten. Der Aufschrei als kollektiver Ausdruck und Mittel der Einflußnahme und des Protestes gegen Willkür und gesellschaftliche Fehlentwicklung. Wir reden ja auch vom „heiligen Zorn“ als Reaktion auf Unrecht.
Auch der oft als Softie beschriebene Jesus mit seiner Botschaft der Liebe hat offensichtlich solche Gefühlsausbrüche ausgelebt. Z.B. in der biblisch von allen Evangelisten bezeugten Szene im Jerusalemer Tempel, wo er die Geldwechseltische und Opfertier-Käfige der Händler umstösst, sie aus dem Tempel-Vorhof vertreibt und dies laut schreiend kommentiert: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes genannt werden. Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle.“ Mt 21, 13
In der aktuellen, polarisierten Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen AFD wurde nun ausgerechnet der populäre Musiker Herbert Grönemeyer, der sich seit langem eindeutig und immer direkter in seinen Liedern, Konzerten und Interviews gegen Rechts agiert, wegen seines Schreiens von AfD- Spitzen wie Beatrix von Storch in die Nähe von NS-Demagogen wie Goebbels gerückt: „Das ist die furchterregendste, übelste, totalitärste Hassrede, die ich je gehört habe.“
Auslöser war eine Rede gegen Rechts während seines „Tumult“-Konzertes: „Es muss uns klar sein, dass auch wenn Politiker schwächeln, das ist in Österreich nicht anders als in Deutschland, dann liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat. Und wer versucht, so eine Situation der Unsicherheit zu nutzen, für rechtes Geschwafel, für Ausgrenzung, Rassismus und Hetze – der ist fehl am Platze.“ Danach rief der Sänger dazu auf, „keinen Millimeter nach Rechts“ zu rücken.
Einen solchen Aufschrei und solch eindeutige Positionierung wünsche ich mir öfter von denen, die wir als Stars der Pop-Kultur bezeichnen, denn „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein, alles andere ist vom Bösen“ (Mt 6,37)
GS 17. Sept. 2019

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