Die Frage nach Gott

Da gehen also Menschen hinaus in die Wüste, weil da jemand lebt, der ihnen etwas zu sagen hat. Da – abseits in der Wüste – lebt jemand, der eine große Anziehungskraft auf die Menschen hat. Solche Typen gibt’s heute auch. Aber Achtung: Es gibt auch Blender; Menschen also, die anziehend wirken, aber ihre Botschaft ist – anders als bei Johannes – nur Mittel zum Zweck, zum Zweck nämlich, sich selbst groß machen zu wollen. So war Johannes nicht. Er war für andere Vorbild, geradlinig, unverstellt, ein Mensch mit Charakter, ein Mensch, der bei anderen etwas aufwecken, ja aufrütteln konnte, gerade weil er von sich ablenkte und einen anderen in den Mittelpunkt stellte. Johannes hat den Menschen eine Ahnung davon vermittelt, dass es sich lohnt, auf einen anderen zu warten. Dies nicht in erster Linie, um daraus eigenen Profit zu gewinnen für sich selbst, sondern für das Ganze, für sich und die anderen. Seine Botschaft unterscheidet den Künder Johannes von Blendern heutiger Tage.
Johannes vermochte, den Menschen Unangenehmes zu sagen und sie zugleich zu würdigen, groß zu machen, nicht klein. Er rief sie auf, umzukehren; er traute ihnen zu, eine Kehrtwende machen zu können in ihrem Leben, Neues auszuprobieren und Gewohntes hinter sich zu lassen. Seine Botschaft war sicher nicht bequem, schon gar nicht banal, ganz gewiss war sie herausfordernd, wohl auch befremdlich. Aber trotzdem haben die Menschen ihm großes Vertrauen entgegengebracht; für sie war Johannes ein Mensch, der Vertrauen ausstrahlte und der etwas in ihnen hervorlockte, was in ihrem Leben vielleicht verloren gegangen war: Der Glaube daran, dass der Glaube an das Größere, Geheimnisvolle, Göttliche zum Leben dazu gehört. Glaube ist jedem Menschen einverleibt. Es gibt ohne Zweifel böse Taten, aber es gibt keine rundweg bösen Kreaturen, weil der Mensch als Mensch ein Glaubender ist. Menschen Glauben an das Gute, an die Gerechtigkeit, glauben daran, dass Leben Sinn hat und Sinn schenkt. Glaube zielt auf Gutes, Verheißungsvolles. Glaube ist orientiert auf eine erträgliche Zukunft. Ich kenne keinen, der an das Böse glaubt. Selbst wer Böses tut, der tut es, weil er damit etwas erreichen will, was in seinen Augen gut ist. Johannes sagt es allen Menschen auf den Kopf zu: ‚In Dir ist Glaube! Entdecke ihn neu in dir und lebe, was du glaubst‘.
Das klingt sehr theoretisch, so wie eine Formel. Und Formeln haben in der Regel wenig mit dem konkreten wirklichen und alltäglichen Leben zu tun. Aber vielleicht können wir ja an uns selbst einmal überprüfen, ob wir gläubige Menschen sind, Menschen also, die Gutes im Sinn haben, die eine Ahnung in sich tragen von einem glückenden und gelingendem Leben; Menschen, die Umwelt und Geschöpfe zu ehren vermögen. Ich bin mir felsenfest sicher, dass wir dieser Prüfung standhalten und erkennen, dass wir gläubig sind. Glaube ist, weil wir Menschen sind. Glauben ist so wie auch das Leben ist. Glauben ist in der Welt, so wie das Leben in der Welt ist. Welt ohne Glauben ist nicht. Glauben ist so selbstverständlich, wie das Leben selbstverständlich ist.
Es gibt kein Leben ohne Glauben und Glaube ohne Leben ist widersinnig, denn Glaube kann nur dort sein, wo auch Leben ist. Also gehören Glauben und Leben untrennbar zusammen.
Bei dem bisher Gedachten tut sich jetzt aber eine Frage auf: Wenn Glaube und Leben zwei Seiten einer Wirklichkeit sind, wenn Glaube und Leben in der Welt sind, weil ohne sie die Welt nicht wäre, ist dann nicht die Idee eines Gottes, zumal eines personalen Gottes, überflüssig? Genügt die Welt (sich) nicht, weil in der Welt Leben und Glauben ist, braucht es noch etwas, was außerhalb der Welt ist? Hier ist Johannes nun mehr als eindeutig: Doch: es braucht einen personalen Gott, damit die Menschen sich ihrer Personalität gewiss sein können.
An dieser Frage haben sich damals und scheiden sich heute die Geister. Es gibt die Überzeugung, dass die Welt, so wie sie ist, eine autarke Wirklichkeit ist. Zu Johannes‘ Überzeugung gibt es auch eine gegenteilige Behauptung, nämlich diese: Diejenigen, die mit der Begrenztheit der Welt unzufrieden sind, würden das Ideal eines Gottes erfinden, der vollendet, was in der Welt unvollendet ist, so dass in allem Unsinn doch noch die Hoffnung eines Sinnes liegen könnte. Andere hängen der Überzeugung an, dass Welt und Leben ein Zufallsprodukt innerhalb des Kosmos darstellen mit Anfang und Ende. Wieder andere sind unentschlossen, können sich die Existenz eines Gottes vorstellen, rechnen aber lieber nicht mit ihm.
Faktum bei allen Gedankengängen aber ist, dass der Begriff „Gott“ in der Welt ist. Warum sollte der menschliche Geist einen Begriff und mit diesem verbunden eine Realität ins Wort nehmen, wenn damit nicht eine Verbindlichkeit verknüpft wäre.
Das ist wohl der Grund, warum seit Anbeginn der Welt die Frage nach Gott wach ist. Dass die Frage nach Gott im Raum ist, ist immer wieder Anlass dafür, die Existenz Gottes beweisen oder widerlegen zu wollen. So gibt es viele Bemühungen, die Existenz Gottes für unabdingbar zu halten. Der bekannteste Beweisversuch ist der ontologische Gottesbeweis des Thomas von Aquin. Und von ihm gibt es eine Reihe von Erläuterungen. Eine davon ist die Deutung durch den Bewegungsbeweis. Diese sagt: In der Welt ist überall Bewegung. Alles Bewegte wird von einem anderen bewegt, d.h. nichts kann sich selbst die erste Bewegung geben. Die bewegte Welt setzt einen von ihr verschiedenen Beweger voraus. Diese Gottsuche kann Naturwissenschaftler nicht unberührt lassen. Gott in der Stringenz menschlicher Logik beweisen zu wollen hat etwas Überzeugendes an sich, zumindest etwas nachdenklich Stimmendes. Die Existenz Gottes mit menschlichem Geist nachweisen zu wollen, das hat etwas. Aber es hat auch einen Haken: Denn wenn ich Gott mit meinem Geist beweisen kann, dann ist Gott unweigerlich ein Produkt meines Verstandes und damit unumgänglich auch an die Gesetze der Welt gebunden. Was aber an die Gegebenheiten dieser Welt gebunden ist, das kann doch nicht Gott sein. So widerlegen sich alle Gottesbeweise selbst. Gott zu beweisen beraubt ihn zugleich seiner Göttlichkeit, denn göttlich ist nur, was nicht menschlich ist.
Obwohl also der Begriff „Gott“ in der Welt ist, kann seine Wirklichkeit doch nur außerhalb dieser Welt liegen, denn Weltliches kann nicht göttlich sein. Einzig die Tatsache, dass die Begrifflichkeit „Gott“ in der Welt ist, weist in der Welt auf die Existenz Gottes hin. Gott muss also außerhalb dieser Welt sein. Alles, was in der Welt ist, vermag auf Gott hinzuweisen, ist Verweis auf Gott, aber niemals Gott selbst. Dass wir Menschen glauben, dass wir zum Guten und Heilen streben, dass wir von Sehnsucht erfüllt sind, dass wir nach Höherem und Größerem streben, all das verweist auf Gott und macht uns ein Leben lang zu Gott-Suchern. Johannes weckte in den Menschen damals diese Hoffnung neu, dass sie diesen Gott, diesen personalen Gott, diesen menschwerdenden Gott finden werden, wenn sie sich selbst wieder erkennen als erwartungsvolle Menschen, die aus eben dieser Erwartung heraus zu Unerwartbarem fähig werden, nämlich menschlich Mensch zu sein.
Christoph Simonsen

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