Urlaub: Nicht nur entspannend, sondern auch noch lehrreich
Heute in einer Woche sitze ich, so Gott will, an dem kleinen Yachthafen von Rovinj und schaue auf ein betörend schönes Altstadtszenario. Jenseits des Hafenbeckens erstreckt sich ein wunderschöner Platz im Halbrund, umgeben von verwittert erscheinenden alten Häusern, deren Putz in allen Grauschattierungen bei der untergehenden Sonne zu strahlen beginnen. Im ebenen Bereich laden kleine Restaurants und Bars zum Verweilen ein, in den oberen Stockwerken wohnen Menschen; die Fensterläden stehen alle offen, überall sind Leinen angehängt, in kürzester Zeit ist die frisch gewaschene Wäsche wieder trocken. Entspannung und Alltag berühren sich nahtlos aneinander. Hier ist das Leben mit Händen zu greifen. Jedes Haus, jedes Fenster bekunden, dass hinter den Fassaden ganz viel gelebt wurde und wird und die Bewegtheit des Lebens kann man nahezu mit den Augen aufsaugen. Und auch, wenn ich keinen der Menschen kenne, die dort wohnen, so kann man die Geschichte und die Geschichten leibhaftig spüren, die in diesen Häusern gelebt und erzählt werden. Häuser sind eben mehr als Wohnstätten; Häuser sind Lebensräume. In ihnen wird geliebt und gestritten, da wird gegessen und geschlafen, da wird erzählt und geschwiegen; und jedes Haus, mögen sie auch äußerlich uniform wirken, jedes Haus ist ein Unikat, weil die Bewohner*innen es einrichten auf ihre ganz verschiedenen Bedürfnisse hin mit je ganz verschiedenen Geschmäckern und ästhetischen Ansprüchen. Und wenn ich dann nach einem Glas Wein durch die engen Gassen schlendere, dann weiß und spüre ich, dass ich umgeben bin von einer unendlichen Fülle von Lebenserfahrungen und Lebensweisheiten.
Wundert es, dass die Lesung uns heute die Weisheit als einen Architekten vorstellt, der ein Haus baut, auf sieben Säulen gebaut. Natürlich ist die Zahl 7 ein bekannter symbolischer Hinweis: In sieben Tagen hat Gott der Legende nach die Welt erschaffen. In einem Haus, das die Weisheit baut, da ist volles und vielfältiges Leben und eine liebenswürdige Gastfreundschaft ist selbstverständlich. Auch den Unerfahrenen steht die Tür offen, denn im Innern kann jede und jeder gute Lebenserfahrungen sammeln.
Mit solch einem Anspruch der Vollkommenheit wäre wohl jeder menschliche Architekt überfordert. Deshalb hat wohl auch jedes Haus, das von Menschen gebaut ist, seine Tücken. Wir brauchen nur auf unser Khg Zentrum in der Pontstraße schauen: Was hat sich der Architekt wohl dabei gedacht, als er solch ein üppiges Foyer geplant hat, das erst mit zwei Höhenunterschieden von außen erreichbar ist und für Gehbehinderte Menschen eine absolute Überforderung darstellt? Dazu ist dieser Raum heute als Fluchtweg für inhaltliche Belange überhaupt nicht zu gebrauchen. Bei allem Bemühen, ein Haus zu bauen, das in Form und Nutzbarkeit vollkommen sein soll, wird dies wohl keinem Architekten gelingen. Dieser kleine eben gehörte Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter deckt sich in seiner Aussage mit dieser nüchternen Erfahrung menschlicher Unvollkommenheit: Aus eigener Kraft vermögen wir Menschen sicher Tolles und Schönes herrichten, aber so ganz ohne Fehler wird das nie sein.
Das Buch der Sprichwörter ist von seinem Wesen her ein poetisches Buch. Die Weisheit ist weniger eine menschliche Eigenschaft, die man sich mittels Wissen und Erkenntnis aneignen könnten; nein: Die Weisheit ist hier viel mehr ein Synonym für Gott selbst. Er persönlich ist der Architekt des Lebens; er schafft Raum zum Leben. Er lädt ein, er stärkt die Gäste, er beschenkt sie mit seinen Gaben. Gott selbst ist die Weisheit. Wer zu ihm kommt, wer seine Gastfreundschaft annimmt, der darf Anteil nehmen an den Gaben, die Gott zu eigen sind.
Ein guter Gastgeber vermittelt seinen Gästen, König zu sein. Der Gast ist König und der Gastgeber möchte den Gästen zu Diensten sein. Menschlich geradezu verrückt, ist eben das das Erkennungszeichen Gottes: dass er gibt, was er hat und sich gleichzeitig zurücknehmen kann. Wer sich von Gott einladen lässt zum Fest des Lebens, wer die Gastfreundschaft Gottes annimmt, der erkennt sehr bald seinen eigenen Wert und darf erfahren, wie würdevoll eigenes und anderes Leben ist. Die Bibel zeichnet immer wieder in anderen Bildern und Farben einen Menschen, der gerade in Gott Freiheit und Achtung findet. Wer sich in solch einer wunderbaren Achtung im Spiegel Gottes sieht, der erweist sich auch als ein dankbarer Mensch. Dankbare Menschen sind auch immer zufriedene Menschen und können ohne viel Aufsehen und Aufregung ihre Gaben und Fähigkeiten entfalten, ohne sich aufblähen zu müssen. Dankbare Menschen wissen um ihre Grenzen aber auch um ihre Gaben. So können wir im Blick auf Gott auch selbst in Anerkenntnis der eigenen Unvollkommenheit wunderbare und kreative Architekten des Lebens sein. In der Betriebsamkeit des Lebens mag das manchmal vergessen werden. Da ist es doch schön, dass es Zeiten des Urlaubs gibt, wo man sich dessen neu bewusst werden darf. Und noch schöner ist es, dann auch wieder dieses Gottesgeschenk der Würde und der Achtsamkeit mit anderen bewusster teilen zu können…Predigt am 19. August
Christoph Simonsen