Tief im Innern, da ist das Leben
Ich schau mich um und freu mich, in bekannte, vertraute Gesichter zu schauen; dazwischen manch neues Gesicht, mir noch fremd, aber das kann sich ja ändern. Es ist schön, Euch alle zu sehen heute Abend. Wir dürfen noch einmal zusammen Weihnachten feiern. Wie in der Weihnacht, so öffnet sich heute wieder der Himmel und ein Zwiegespräch beginnt, ein Zwiegespräch zwischen Gott und Mensch. Wie ist das, wenn Gott und Mensch miteinander sprechen; wie ist das, wenn sie einander anschauen, tatsächlich in die Augen schauen: Gott und Mensch? Wie das ist, das können wir ein wenig vielleicht erfahren, wenn wir uns an Augenblicke erinnern, in denen uns Begegnungen wirklich geglückt sind. Vielleicht kommen sogar Begegnungen in den Blick, die ihr an den Weihnachtstagen erlebt habt. Sicher habt ihr eure Familien besucht, die Großeltern auch, wenn sie noch leben; oder ihr seid nach dem Familienfest abends noch mit Freunden zusammengesessen. Weihnachten ist doch eine schöne Gelegenheit, über Generationen hinweg Verbundenheit zu spüren. Da begegnen Junge und Ältere; und so unruhig und stressig die vorweihnachtlichen Tage auch gewesen sein mögen, dann, am Heiligen Abend oder an den Feiertagen, da wird es ruhiger und wir schauen einander viel entspannter an als zuvor. Da erkennen wir tatsächlich im Gesicht des älteren Menschen liebevoll die Spuren gelebten Lebens; und die Großeltern nehmen vielleicht den Wagemut des Enkels und die Lebenslust in seinen Augen wahr und staunen über die selbstverständliche Weltgewandtheit, die so wunderbar unbekümmert und ansteckend ist. Einander anschauen und hinter dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen. In der Tiefe eines Menschen, da zeigt sich nicht nur das Geheimnisvolle des Lebens, da ist das Leben vor allem echt und ehrlich. Und was echt und ehrlich ist, das ist auch wertvoll, das ist schützenswert.
Das möchte Gott: Das Wertvolle und Schützenswerte im Menschen entdecken, das Liebenswerte. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen“. Dazu braucht es Achtsamkeit, Geduld, Ausdauer; es muss halt erst die Oberfläche überwunden werden, um zum Kern, zur Seele vorzudringen. Das ist ein großes und wunderbares Geschenk, wenn wir einander durchlassen, wenn wir einander zulassen, zur Mitte, zum Lebenskern vordringen zu dürfen. Es ist mehr als ein Geschenk; es ist die Voraussetzung dafür, Mensch zu sein.
Wer nur sich selbst kennt, der kennt sich gar nicht. Auf den ersten Eindruck erscheint das paradox; aber Gott selbst ist der beste Beweis dafür: Erst in der Begegnung, in der wahren Begegnung, im Erkennen seines Gegenüber, vermag der Mensch sich wahrhaftig zu erkennen. Die Eltern, die Hirten, die Weisen, sie erkennen sich selbst im Blick auf das Kind in der Krippe; erst im Gegenüber des kleinen Kindes erkennen sie ihre Würde, ihre Größe, ihre Einmaligkeit. Und auch das Kind: in der Ehrfurcht der anderen ihm Gegenüber wird er erwachsen und erkennt seinen göttlichen Auftrag und nimmt ihn an. Gott wächst in seiner Göttlichkeit und der Mensch erfährt, was Menschsein bedeutet in der Begegnung, im je anderen.
Deshalb sind wir aufeinander verwiesen. Deshalb ist Freundschaft, Vertrauen, Liebe viel mehr als nur eine Versüßung des Lebens, sondern vielmehr Grundvoraussetzung für Selbsterkenntnis und Menschwerdung. Wer Freundschaft, Vertrauen, Liebe verweigert oder missbraucht, der verschließt Menschen die Chance, sich so nahe zu kommen, dass sie im Einklang sein können mit sich selbst. Seien wir einander behilflich, dass wir in diesem neuen Jahr 2018 als Menschen leben können so, wie Gott uns gedacht und gemacht hat. Schenken wir einander Vertrauen und Wertschätzung. Schauen wir einander an, so wie Gott uns anschaut: Mit Wohlwollen und der existentiellen Erwartung, auf diese Weise dem/der anderen wie auch sich selbst dienlich zu sein auf dem Weg der gottersehnten Menschlichkeit.
Das Wasser der Taufe mag uns erinnern und ermutigen, das Oberflächliche und äußerliche beiseite wischen, oder besser: waschen zu können und dem Herzen des Nächsten nahe zu kommen...Predigt am 07. Januar
Christoph Simonsen