Wenn Arbeit erfüllend sein soll

Ist zufällig eine der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen heute Abend im Gottesdienst? … Dem scheint nicht so, da bin ich doch beruhigt. Dann brauch ich mich für den heutigen Lesungstext auch nicht zu entschuldigen. Die Frau, deren Daseinsberechtigung sich über den Mann definiert, ist heute in den meisten Teilen unserer Gesellschaft – Aufklärung und Gleichberechtigung sei es gedankt – ausgestorben. Gut, ein paar verkriechen sich noch hinter einigen Kirchenmauern: also, ich meine natürlich ein paar Männer, die diesem Frauenbild anhängen und den Naturgesetzen dafür die Verantwortung zuschreiben, da dies so ja schließlich von Gott festgeschrieben ist, weshalb wie selbstverständlich nur den Herren der Schöpfung von Gott gegeben ist, das Wort Gottes zu verkünden und seine Gegenwart zu feiern; wie könnte schließlich eine Frau Gott vergegenwärtigen. Aber im Großen und Ganzen ist unsere Welt da schon weiter und lässt sich nicht gefangen nehmen von Menschenbildern, die historisch betrachtet vielleicht einmal eine Berechtigung hatten, aber in unserer Zeit völlig absurd erscheinen. Dass die Heilige Schrift eben auch ein zeitgenössisches und kulturbedingtes Dokument ist und aus ihr heraus immer wieder neu das bleibende und verbindliche Wort Gottes in der jeweiligen Zeit heraus zu entdecken ist, das kann heute nur denen verborgen sein, die heute lieber im gestern verharren wollen.

Aber lassen wir mal die geschlechterspezifischen Ungerechtigkeiten außer Acht, dann ergibt sich womöglich eben doch ein nachdenklich stimmendes Bild, das unabhängig ist von jeder Geschlechtlichkeit oder geschlechtlichen Orientierung und es offenbart sich ein göttliches Wort, das auch uns heutigen Menschen etwas sagen möchte. Und das ist vielleicht schlichter und selbstverständlicher, als wir zunächst denken mögen: Die Arbeit eines Menschen verdient Anerkennung; und dies eben nicht nur pekuniär, sondern ganzheitlich, Anerkennung also, die das Herz eines Menschen erfüllt und nicht nur die Lohntüte. Jede Arbeit verdient diese Anerkennung. Am Stadttor soll die Arbeit eines Menschen gelobt werden, öffentlich, nicht abgeschieden im Konferenzraum anlässlich der Weihnachtsfeier und abgespeist mit einer verzierten Urkunde. Ein Mensch, der seine Arbeitsfähigkeit, seine Professionalität mit einer offenen Hand den anderen zur Verfügung stellt – wie es in der Lesung steht – und der dabei nicht als mehr erscheinen möchte als er wirklich ist, der strahlt Gottesfurcht aus; der zeigt Ehrfurcht vor Gott. Wer sich in und mit seiner Arbeit schenkt, der ehrt Gott. Wer seine Arbeit überzeugt und leidenschaftlich tut, der ehrt damit Gott. Diese Gewissheit macht jede ehrliche Arbeit zu einem unübertrefflich hohen Gut.

„Ich will dir eine große Aufgabe übertragen, sagt im Evangelium der Verwalter zum Arbeiter. Das nicht zu vergessen: das, was wir tun, was wir arbeiten (und zu studieren ist ja schließlich nicht weniger Arbeit), ist eine Gabe, ein Talent, das uns geschenkt ist und das uns und andere erfüllen möchte, reich machen möchte. Daran immer wieder neu zu erinnern, das stünde uns gut an. Weil wir es nämlich oft vergessen und weil wir die Fähigkeit zu arbeiten in unserer Gesellschaft, trotz Aufklärung, trotz Gleichberechtigung, oft umdeuten ausschließlich als Verpflichtung, um das Leben neben der Arbeit so gut als möglich leben zu können. Arbeit ist aber mehr als ein Produktionsprozess, Arbeit ist ein Lebensprozess.

Nun weiß ich ebenso wie ihr – so vermute ich zumindest- , dass Theorie und Praxis oft weit auseinanderliegen. Arbeit wird in unserer Gesellschaft nicht genügend wert geschätzt, Arbeitsverhältnisse sind nicht selten Abhängigkeitsverhältnisse, die Arbeitskraft von Menschen wird missbraucht, um den Reichtum weniger zu mehren und andere zu unterwerfen, in unseren Breitgengraden sicher weniger als in anderen Regionen unserer Erde, aber dennoch auch hier; Arbeit wird nicht gebührend honoriert, weder pekuniär noch ideell; Arbeit unterstützt die Ungleichheit zwischen Menschen anstatt sie einander anzunähern; Arbeit fördert Abhängigkeiten, führt zu Konkurrenzdenken und Neidstimmungen. Die Zahl der Wohnungslosen z.B. ist in den letzten drei Jahren um 150% gestiegen auf 860.000, trotz einer boomenden Wirtschaft. Diese Zahl erschrickt mich. Und noch ein anderer Kontrapunkt: Arbeit wird weniger  als ein Gut, als ein Geschenk wahrgenommen, sondern als ein notwendiges Übel, um damit den Wohlstand zu mehren. Oft steht eine erfüllte Arbeit einem erfüllten Familienleben behindernd gegenüber.

Der Verwalter, von dem wir im Evangelium hörten, gab jedem nach seinen Fähigkeiten. Ist das vielleicht der Schlüssel dazu, Theorie und Praxis einander ein wenig mehr anzunähern? Uns zu fragen, was sind wirklich unsere Fähigkeiten?

Letztens war ich – sicher ein Zufall – mit mehreren Studierenden im Gespräch, die davon erzählten, dass sie nach einem Jahr ihr Studienfach gewechselt haben, weil sie erst da ihre wirklichen Fähigkeiten und Leidenschaften erkannt hätten. Das finde ich mutig in einer Zeit, in der von Menschen höchste Leistungen in ergiebigster Zeit verlangt werden. Oder ein Studi erzählte von einem sozialen Jahr, das er im Ausland verbracht hätte, und das dazu führte, dass er nun ein völlig anderes Studium beginnt, als er vorher geplant hatte. In Verantwortung vor sich selbst seine Fähigkeiten entdecken und diese einbringen in Leben und Arbeit, das könnte dazu führen, dass der Ertrag von Leben und Arbeit wirklich lohnenswert ist und dass darin wirklich etwas Göttliches zum Vorschein kommt; Zufriedenheit nämlich und Dankbarkeit. „Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn“. Wenn Arbeit Freude macht, dann sind wir sicher auf einem guten Weg. Und dann werden Gleichstellungsbeauftragte gänzlich überflüssig…Predigt am 19. November