Vom Glück, das unabhängig ist von Zufällen
„Selig!“. Dieses Wort bedarf einer Erläuterung. Seid ihr selig? Das Wort klingt fromm, vielleicht ein wenig weltfremd. Ist selig-sein so ähnlich wie glücklich-sein? Glück hat man beim Lotto spielen. Glückliche Augenblicke sind eher die Ausnahme. Der Alltag wird selten als Glückseligkeit erfahren. Kann glücklich-sein überhaupt eine Kategorie des Glaubens sein, wenn Glück doch eher eine Ausnahmeerscheinung des Lebens beschreibt und nichts die Normalität.
Ist ‚selig sein‘ und ‚glücklich sein‘ überhaupt dasselbe? Glück bekommt man geschenkt; Glück ist eine Zugabe des Lebens, die das Leben schöner, lustvoller, süßer macht. Aber Seligkeit? „Selig seid ihr, wenn…“, so heißt es beim Evangelisten Matthäus. Seligkeit scheint an Bedingungen geknüpft zu sein. „Selig seid ihr, wenn ihr arm seid um des Himmelreiches willen.“ Zur eigenen Seligkeit bedarf es scheinbar aktiver Selbstbeteiligung. So wie es aussieht, bekommt man Seligkeit nicht geschenkt – so wie Glück – nein: Seligkeit will verdient werden. Und so lehrt es unsere Kirche ja immer wieder und bis heute: Das Himmelreich will verdient sein. Deswegen die Unmengen von Codizes und auferlegten Verpflichtungen.
Aber Stopp! Ich will nicht wieder in Kirchenschelte versinken. Deshalb noch eine nicht unerhebliche Erläuterung: Euch ist es vielleicht nicht aufgefallen, aber diese Kleinigkeit ist wichtiger als es auf den ersten Blick erscheint: Wir hören heute nicht die Seligpreisungen nach Matthäus, sondern nach Lukas. Und da hat sich bei dem, was wir gerade gehört haben, ein nicht unerheblicher übersetzungstechnischer Fehlerteufel eingeschlichen. Da steht zwar in der deutschen Übersetzung „selig“ und im Blick auf die lateinische Ausgabe der Heiligen Schrift ist das dann auch korrekt übersetzt, wo es ‚beatus‘ heißt. Aber im älteren griechischen Text heißt es im Lukasevangelium „makarios“; und das heißt übersetzt tatsächlich ‚glücklich‘.
Das Glück, von dem Lukas spricht, kommt nicht von außen auf einen zu, schon gar nicht muss man es sich verdienen. Wahres Glück ist in einem drin, davon ist Lukas überzeugt.
Jesus spricht konkret Menschen an: Diejenigen, die arm sind oder Hunger leiden, die Traurigen wie die Verstoßenen. Er spricht nicht von ihnen oder über sie; er spricht mit ihnen. Auch hier unterscheidet sich der Lukastext von Matthäus. („Ihr Armen, ihr Hungernden, ihr Leidenden…“) Jesus predigt seinen Freundinnen und Freunden und spricht sie direkt so an: „ihr Armen, ihr Hungernden, ihr Leidenden…“. Diese Seligpreisungen nach Lukas sollen nicht Mitleid gegenüber benachteiligten Menschen erzeugen und einen entsprechenden Verhaltenskodex implizieren. Nein, nach Lukas hält Jesus den Menschen einen Spiegel vor: ‚Du, der du arm bist oder hungrig oder leidend: Du bist selig‘. Du kannst dich glücklich schätzen, nicht weil du irgendetwas gewonnen hast, weil Du – im wahrsten Sinn des Wortes – irgendwann irgendwie mal Glück gehabt hast. Nein: du kannst dich glücklich schätzen, weil du in deiner menschlichen Armut, in deiner menschlichen Unvollkommenheit Zukunft hast. Dir steht der Himmel offen. Dein Glück hängt nicht ab von Erfolg oder Reichtum. Aber es hängt an der Selbsterkenntnis, dass du dich erkennst als der oder die, die du wirklich bist: unvollkommen nämlich und bedürftig.
Und jetzt kommt vielleicht doch noch eine winzige Kirchenkritik. Mit dieser Botschaft wurden und werden Menschen klein gehalten und in entsetzliche Abhängigkeiten gedrängt. Nicht so Jesus: Er baut die Menschen auf, ermutigt sie zum ehrlich sein und zu einer wahrhaftigen Glückseligkeit. Wer die eigene Bedürftigkeit spürt und zulässt, der nimmt auch die Armut des anderen ernst. In diesem ehrlichen Blick auf sich und auf die Nächsten, wo nicht der eine arm und der andere reich ist, sondern sich alle als menschlich bedürftig wahrnehmen, da gedeiht ein Glück, das unabhängig ist von Zufälligkeiten jeglicher Art. Und dieses Glück, das von innen kommt, ist ein nachhaltiges Glück, weil es nämlich in eine neue Dimension der Achtsamkeit führt.
Christoph Simonsen