Fasten- und Osterzeit 2014

4. Sonntag der Osterzeit A – 2014

Evangelium: Johannes 10,1-10

Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte. Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.

Der Mensch ist nicht Sklave, sondern Geschenk für die Welt

Nein, das wird keine fromme Predigt. Oder vielleicht doch, dann allerdings in einem unvertrauten Deutungssinn. Wenn „fromm“ bedeutet, alles Gott anvertrauen und nichts von ihm erwarten und sich zugleich der Verantwortung des Lebens stellen, mit den geschenkten Gaben und Begabungen, dann wird es doch eine fromme Predigt. Wenn „fromm“ aber im konservativen Sinn ausgelegt wird, alles von Gott erwarten und betend die Hände in den Schoß legen, dann wird dies heute eine sehr unfromme und zugleich außerordentliche politische Ansprache.

Die Politik in NRW hat in dieser Woche mal wieder über die Schule gestritten. G8 oder G9: das war die strittige Frage. Eltern drängen darauf, dass ihre Kinder wieder 13 Jahre zur Schule gehen dürfen zur Erlangung der Hochschulreife. Dies läuft offensichtlich den wirtschaftlichen Interessen in unserem Land diametral entgegen. Der Präsident einer Industrie- und Handelskammer hat der Politik gedroht: Sollten die wieder die 9jährige Gymnasialzeit einführen, so würden dem Arbeitsmarkt zu wenige arbeitsfähige junge Menschen zugeführt. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident, das klingt, als würden wir uns auf einem Sklavenmarkt befinden. Nicht, dass ich Ihnen Böses unterstellen möchte, aber Ihre Aussage erscheint mir so, als wäre der Mensch, zumal der junge Mensch, nichts anderes als eine Verfügungsmasse für die Gewinnoptimierung der Wirtschaftskonzerne. So, wie ich sie verstehe, erhält der Mensch darin seine Daseinsberechtigung, dass er dem Wachstum unserer Gesellschaft dienlich ist.“ ‚Wachstum statt Stillstand‘, so oder ähnlich lauten doch die Plakate, die unsere Straßen zur Zeit mal wieder zuhauf zieren. Mich stimmt diese suggerierte Unterstellung wütend, dass, wer nicht zum Wachstum beiträgt, für Stillstand verantwortlich ist. Der Mensch wird zum Nutztier der Gesellschaft degradiert. Wenn die Sprache doch nicht immer so verräterisch wäre: Der Mensch muss dem Markt zugeführt werden und seinem Wachstum dienen. In der Welt der Arbeit wird er immer mehr zum Nutzwesen. Bis zum Letzten gilt es, Höchstleistungen aus ihm herauszuholen und wer schlapp macht, der verliert seinen Marktwert und dazu wird er dann noch verantwortlich gemacht für den Stillstand in der Gesellschaft. Ein Jahr länger lernen dürfen, ein Jahr länger unerwachsen sein dürfen, ein Jahr länger nach sich selbst, nach den Werten und Fähigkeiten in sich suchen dürfen, das behindert gesellschaftliches Wachstum.

Und wir – die Kirchen – wir bauen dann in diese Maschinerien der Höchstleistungskultur Räume der Stille hinein. Das ist gut, und das ist wichtig. Aber warum wir dies tun, das müssen wir uns sehr genau überlegen. Wenn wir deshalb zur Einkehr einladen, damit die Menschen hinterher wieder dem Druck des Lebens standhalten können, dann generieren wir zu einem Teil des bestehenden Systems, wir spielen ein bisschen Seelen-Reparaturwerkstatt, damit der Mensch anschließend wieder seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt werden kann: Für Erfolge zu sorgen.

„Wer durch mich hineingeht ins Leben“, sagt Jesus, der wird gerettet werden. „Er wird ein- und ausgehen und Weide finden“. Nicht Stein- und Metallwüste wird er finden, sondern Weide; einen Ort also, wo er ruhen kann, ruhen und sich nähren. Nein, Jesus lädt damit nicht zu einem Selbstfindungs-Seminar ein, er fordert auch nicht auf, in die Wüste Gobi auszuwandern und der bösen Welt den Rücken zuzukehren. Hinter der Tür, die Jesus ist, befindet sich nicht eine andere Welt. Wenn wir durch Jesus bzw. mit Jesus in die Welt gehen, wird es diese Welt sein, in die wir gehen, diese konkrete und unfertige Welt. Aber die Frage ist, wie wir hineinkommen in diese Welt: als wir selbst oder als Abziehbilder einer Einheitsgesellschaft? Als Mensch, der sich selbst nah und treu ist oder als ein Mensch, der sich gefangen nehmen lässt von Werten und Erwartungen, die andere ihm vorgeben? Als ein Mensch der Erwartung, der das Leben in Fülle sucht oder als ein Mensch des Erfolges, der getrieben ist von der Sehnsucht, alles sein eigen nennen zu wollen? Als ein Mensch, der sich berufen fühlt zur Menschlichkeit oder als ein Mensch, der andere ruft zur eigenen Befriedigung? Ein Leben in Fülle meint eben etwas anderes als ein Leben in wirtschaftlicher Sicherheit. Ein Leben in der Fülle Gottes schenkt Weite und Raum und ermöglicht dem Menschen, Ja zu sagen zu sich selbst, weil er ein geliebtes Geschöpf Gottes ist und nicht, weil er sich in einer immer nur fordernden Gesellschaft Anerkennung durch Leistung erworben hat.

Wem wollt ihr folgen, wem will ich folgen? Einem Menschen, der verspricht, jede und jeden einzelnen von uns ernst zu nehmen, uns zu lieben, uns zu hüten, so wie wir sind oder einem Menschen, der uns bemisst nach unseren Fähigkeiten und Leistungen, der nicht uns liebt, sondern unser Können und Vermögen? Wer diesem menschlichen Gott glauben schenkt, der hat den einzelnen Menschen und die ganze Gemeinschaft im Blick, das einzelne Schaf und die ganze Herde, um im Bild des Evangeliums zu bleiben. Eine Welt, in der der einzelne ebenso wert geschätzt wird wie die ganze Gemeinschaft, das ist eine Welt im Sinne Gottes. Und diese Welt ist mir tausendmal lieber als die Welt, die von Wirtschaftspräsidenten befehligt wird. Frömmigkeit ist eben kein Hochleistungssport, Frömmigkeit ist eine Übung zur Gelassenheit. In der Gelassenheit mag die Liebe zu den Menschen gedeihen und eine Verantwortung für alle Geschöpfe. Und in dieser Verantwortung, wo jeder den Beitrag leistet, den der einzelne zu leisten vermag, mag diese Welt gedeihen. In diesem Sinne bedarf es in Welt frommer Menschen; Menschen, die in aller Menschlichkeit an dieser Welt bauen; Menschen, die nicht einander ausquetschen, um das Letzte aus sich herauszuholen, sondern in Würde und Freiheit gern und in Liebe einbringen, was sie einzubringen vermögen, sich selbst mit ihren je eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Christoph Simonsen

3. Sonntag der Osterzeit – 2014

Evangelium: Johannes 21,1-14

Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal. Es war am See von Tiberias und er offenbarte sich in folgender Weise. Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus (Zwilling), Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Da ging Simon Petrus und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.

 

Ostern im Frust

Keine Lust, ich hab absolut keine Lust. Und dann ist der Frust schon vorprogrammiert: Alles, was ich auch anpacke heute, geht schief. Ich kann mich nicht konzentrieren, bin abgelenkt, in meine Birne will nichts rein, gerade was gelesen, schon wieder vergessen. Meine Lustlosigkeit paart sich dann ganz schnell mit schlechter Laune. Kein Wunder, dass ich dann nichts mehr mitkriege, die Welt an mir vorüberzieht und mich alles kalt lässt. Und in diese miese Grundstimmung erdreistet sich dann irgendein Dahergelaufener, mich um etwas zu bitten. Das muss in die Hose gehen. „Ich hab nix, ich brauch nix, lass mich in Ruhe“. Ist mir sowieso gerade alles zu viel, da kann ich dich nicht auch noch gebrauchen“. Puh, so was tut weh, wenn man das an den Latz geknallt kriegt. Aber auch das krieg ich nicht mit in meiner miesen Laune.

Und dann kommt da ein anderer, der sagt mit einem Lächeln im Gesicht: Hey, lass dich doch nicht so hängen. Kommen auch wieder bessere Tage. Setz dich doch einfach mal 5 Minuten ruhig hin, atme tief durch und mach dann locker weiter“. Was mach ich da? Tret ich ihm gleich vors Schienbein, oder lass ich mich jetzt doch um des lieben Friedens willen aus meiner Lethargie herausreißen und mach gute Miene zu bösem Spiel?

Die Jünger damals, die haben wohl weniger aus Überzeugung heraus den Rat des Fremden befolgt, noch mal aufs Wasser raus zu rudern und eher gedacht: „Komm, lass mal machen, bringt zwar doch nichts, aber dann haben der und wir wenigstens unsere Ruhe.

Mit der Ruhe, das war dann allerdings wider alle dumpfe, depressive Erwartung der Erfolglosigkeit nichts. Die Netze waren voll. Wie ist so was möglich? Da rackert man sich den ganzen Tag ab und hat nichts als Ärger, und so ein komischer Fremder gibt einen völlig obskuren Rat, mitten am Tag fischen zu gehen, und der behält Recht.

Einer ahnte damals die Antwort, wie so etwas möglich ist, dass man gegen alle Erwartung doch zu einem guten Ende findet. Es war der, den „Jesus lieb hatte“. Das Sprichwort bewahrt sich also wirklich: ‚Wer liebt, sieht die Welt mit anderen Augen‘. Und wer einmal wirklich gelebt hat, der kann das bestätigen. Mit einem verliebten Herzen sieht man wirklich vieles anders. Und wer liebt, der vermag auch verbissene und verhärmte Menschen neu in Bewegung zu bringen. Petrus springt kopfüber ins Wasser, nackt, wie er war. Die Freundschaft zwischen Petrus und Johannes ermöglicht es, dass Petrus, der blind war vor Enttäuschung, vor Gram und Nichtsnutzigkeit dann doch noch in dem Fremden seinen Freund Jesus erkennt. Freundschaft unter Menschen, Vertrauen zwischen Menschen, eröffnet den Weg zu einem österlichen Glauben.

Und plötzlich ist Hoffnung da, und Zuversicht, und Freude am Leben. Plötzlich ist auch genug zu essen da. Es ist schön, wenn Menschen sich aus ihrer Starrheit zu lösen vermögen, weil Freundinnen und Freunde behilflich sind, das Leben wieder neu und erstarkt spüren zu können. Ich wünsche uns solche Freundinnen und Freunde und ich bin gewiss, dass wir dann auch mitten im Alltag ein unverhofftes Ostern erleben können.

2.Sonntag der Osterzeit 2014

Ihr kennt vielleicht das Sprichwort, dass uns der liebe Gott zwei gesunde Hände gegeben hat, die wir zum Arbeiten nutzen können. Ich weiß noch, dass mir als Kind das meine Eltern gern in Erinnerung gerufen haben, wenn es darum galt, mein Zimmer aufzuräumen. Wenn wir auch nicht nur unsere Hände zum Arbeiten brauchen, ohne sie wären wir wirklich ziemlich dumm dran. Ich merk das in diesen Tagen besonders, da mir diese blöde Nervenentzündung im rechten Arm und in der Hand ziemlich deutlich machen, wie wichtig doch beide Hände sind. In allen Lebenslagen benötigen wir sie. Wir benötigen sie nicht nur, um mit ihrer Hilfe zu arbeiten, wir tragen auch Auseinandersetzungen mit ihnen aus, nicht selten lassen Menschen ihre Fäuste sprechen; Gott sei Dank sind sie uns auch von Nutzen, um einen geliebten Menschen zu umarmen.
Wir waschen und reinigen uns, ebenso mit den Händen. So erinnern uns unsere Hände auch daran, dass nichts im Leben vollkommen ist, perfekt, porentief rein. Wie oft waschen wir uns die Hände, weil sie schmutzig sind? Wie viel Pflaster oder Mullbinde war schon notwendig in unserem Leben, weil wir uns verletzt haben? Leben ist schmutzig und Leben ist verletzbar.
Für so vieles sind unsere Hände ein Symbol. für unsere Fähigkeit, zu arbeiten; unsere Gefühle finden Ausdruck in der Gestik unserer Hände; und nicht zuletzt verdeutlichen sie auch, dass unser Leben immer der Reinigung bedarf.
Dass Jesus mittels seiner Hände auf den Glauben verweist, liegt da doch sehr nahe. Er zeigt den Jüngerinnen und Jüngern seine Hände, Thomas legt seine Finger in die Wunden seiner Hände – und glaubt.
Glaube ist handgreiflich; Glaube ist handfest, nicht handzahm, sondern handfest. Und Glaube ist konkret. Glaube ist keine schöne Lebensphilosophie, Glaube ist konkret. So konkret, wie mit der Faust auf den Tisch zu  hauen; und genau so konkret, wie mit der Hand einem anderen aufzuhelfen, der gefallen ist. Glaube ist so konkret, wie das Leben. Zu glauben fällt schwer, weil das Leben schwer ist. Und zu glauben ist etwas wunderbares, weil das Leben ein einziges Wunder ist.
Und unser Glaube vollzieht sich mitten in dieser Welt, die alles andere als perfekt ist. Der Glaube des Thomas war auch nicht perfekt, aber er war ehrlich und deshalb glaubwürdig.
Jesus zeigt den Jüngerinnen und Jüngern seine Hände, Thomas legt seine Finger in die Wunden seiner Hände – und glaubt. Er redet nicht, er zeigt. Jesus zeigt, und Thomas berührt.
In einer unvollkommenen, gebrochenen Wirklichkeit ist die Sehnsucht nach Vollkommenheit und Klarheit verständlich. Thomas sucht nach Beweisen. Kurz und knapp. Solange Beweise fehlen, so lange glaube ich nicht. Thomas ist überzeugt, dass der Glaube das Gegenmodell zum konkreten Leben ist.
Thomas sagt, was er denkt und eckt damit gewaltig an bei seinen Freundinnen und Freunden. Jesus nimmt ihn ernst und was tut er? Er zeigt ihm seine Wunden. Da gehen Thomas die Augen auf. Glaube besteht nicht in einer Überwindung der Welt; Glaube ist nicht das Heilrezept dafür, die böse, unvollkommene, ungerechte Welt zu überwinden. Der Glaube führt vielmehr mitten hinein in die Welt. Die Wunden zeigt ihm Jesus, nicht die Glorie.
Sich selbst und einander finden, so wie Thomas und Jesus sich gefunden haben, geht nicht reibungslos, konfliktfrei, störungsfrei. Thomas und Jesus exerzieren uns das vor.  Im Wahr-Nehmen einander, im  Streiten miteinander, im Zulassen gegenseitiger Verschiedenheiten entwickelt sich ein tragfähiges Miteinander.
Und der Glaube entwickelt sich ebenso; tragfähiger Glaube muss sich immer neu entwickeln. Erst aus einem hinterfragten und hinterfragenden Glauben kann ein staunender Glaube erwachsen. Und aus einem Glauben, der zu staunen vermag, kann konkretes, handfestes Leben erwachsen. Ein solcher Glaube ist nicht eingepfercht in fromme Hüllen, vielmehr hält er der Vielfalt und den Widersprüchen des Lebens stand.Ein solcher Glaube vermag sich in das Leben wie ein roter Faden hineinzuweben. Ja: den Glauben in das Leben verweben und nicht den Glauben neben das Leben stellen. Die österliche Botschaft, die Begegnungen des Auferstandenen mit seinen Freundinnen und Freunden bekräftigen genau dies: zu glauben hat Hand und Fuß und geht nur mit Hand und Fuß in dieser konkreten Welt.

Ansprache Ostermorgen:

Wenn ich ehrlich bin, dann fiel das Frohlocken heute Morgen schwer, als kurz nach vier der Wecker klingelte. Und auch wenn der äußere Eindruck ein anderer sein mag, so richtig wach bin ich jetzt auch noch nicht. Überhaupt hält sich mein Lebensgefühl augenblicklich doch sehr in Grenzen, da mich eine Nervenentzündung in den Armen ziemlich piesackt. Irgendwas ist doch immer, was einem das Leben mehr zur Frage als zur Antwort werden lässt.

Ich steh hier heute Morgen mit einem ziemlich mulmigen Gefühl. Einige erinnern sich vielleicht, dass ich am vergangenen Sonntag im Gottesdienst die oft so unehrliche Welt beklagt habe, und jetzt hab ich selbst das Gefühl, ich würde bestenfalls mit dem zurückhalten, wovon ich überzeugt bin, wenn nicht sogar die Unwahrheit sagen. Anfangs unseres Gottesdienstes draußen vor der Kirche, im Angesicht des Osterfeuers, da behauptete ich zu wissen, dass sich der Blick weitet, dass sich ein heller Morgen auftun wird, dass ein Friedenslied erklingen wird an diesem Tag. Aber all das weiß ich nicht wirklich. Es ist gelogen, zu wissen, ich wüsste um die Freiheit des Lebens. Das sagt man Ostern so, also sag ich es auch. Das ist die Botschaft von Ostern, also verkündige ich sie auch. Dies zu hören seid ihr alle doch heute hier, und deshalb rufe ich es euch zu, um Euch gut zu sein, um euch  meinen Respekt zu zollen, um euren Glauben an das Gute und Friedvolle zu stärken.

In der Tat, Ostern ist so ein schönes Fest. Aber Feste berauschen einen und gehen vorüber und es bleibt die Ernüchterung, dass das Leben eben kein Fest ist. Und ja, es tut  gut, das Leben in den Mittelpunkt allen Denkens und Fühlens zu stellen. Wer würde nicht freudespringend um 4 aus dem Bett springen, wenn er wüsste, er würde mit ganz viel heilem, starken, gesunden Leben beschenkt. Aber wer weiß das schon, wenn er morgens aufsteht? Wer weiß, wenn er aufsteht, wenn er in den Tag hineingeht, dass es ein wirklich lebensvoller und lebenswürdiger Tag werden wird. Wer kann sich darauf verlassen, dass er das Leben wirklich spürt, wenn er dann nach dem Frühstück aus dem Haus geht: das freie, heile, Fesseln sprengende Leben? Wer kann sich darauf verlassen, dass er abends nach Hause kommt und aufgetankt ist mit Leben, das keine Angst hat vor der Dunkelheit der nahenden Nacht? Wer kann sich eines erfüllten Lebens überhaupt sicher sein?

Die Feste der letzten Tage, der Palmsonntag, der Gründonnerstag und Karfreitag, das sind irdische Feste, das sind Feste, die haben, wie man so schön sagt, Hand und Fuß. Die Ereignisse dieser Gedenktage, die kann man fassen, greifen, verstehen: Die wankelmütige Emotionalität der Menschen, das Handeln der Menschen, denen der Rock näher ist als die Weste; Schadenfreude und das Schielen nach Macht und Einfluss wie auch das Schielen nach dem eigenen Vorteil. All das ist so irdisch, so sind wir Menschen halt. Wir alle leben damit, sind vertraut mit diesen Umgehensweisen. So mies unser menschliches Verhalten auch oft ist, so ist es doch ehrlich und vorhersehbar, dass es die wenigsten hinterfragen.

Da ist doch die Frage erlaubt, was eigentlich ehrlicher ist: Die Realität dieser Welt oder die Schwärmerei über eine Welt, die nie war und die nie werden wird? Ostern ist und bleibt wohl ein Fest einer anderen Welt, der Welt jenseits unserer Vorstellungskraft. Ein schönes Fest, aber wie alle Feste nicht mehr als ein vergänglicher Schein.

Seit nun mehr 2000 Jahren feiert die Welt regelmäßig das Osterfest. Und: Hat’s was gebracht?

(instrumentale schräge Musik)

Ostern ist eine Provokation. Ostern lässt sich nicht so einfach in unsere konkrete Welt integrieren. Ostern kann nur real werden, wenn wir unsere Realität verändern, wenn wir unsere Sicht-, unsere Denk-, unsere  Lebensweise verändern.

Ostern ist nicht in erster Linie ein Fest. Ostern ist eine Herausforderung für die  Menschen, die es wagen, nicht wegzulaufen vor der Wirklichkeit des Lebens; für Menschen, die die Augen nicht verschließen und den Kopf nicht in den Sand stecken und nur eine Wahrheit kennen: „Nach mir die Sintflut.“

Die Frauen damals, ihnen ist alle Hoffnung genommen worden, aller Lebensmut, alle Geisteskraft. Und wo gehen sie hin? zum Grab; dorthin, wo für sie der Beweis des Zusammenbruchs all ihrer Träume liegt. Sie wagen den Blick in den Abgrund. Und in der Tiefe der Ausweglosigkeit sehen sie das Leben, das neue Leben, das auferstandene Leben. Erst der Blick in die Vergänglichkeit des Lebens weckte die Erinnerungen an das unvergängliche Geschenk des Lebens.

Träume werden lebendig, Erinnerungen werden wach, in dem Augenblick, wo die Frauen ihrer Traurigkeit, ihrer Verlassenheit Raum geben. Wer sich den eigenen wirklichen Befindlichkeiten stellt, der lernt, über sie hinauszuwachsen.

Klar: Das Aufstehen heute Morgen ist mir schwer gefallen; und ebenso klar ist: Die Schmerzen in meiner Hand und im Arm nerven mich, im wahrsten Sinn des Wortes, weil der Nerv eingeklemmt ist; und auch klar: die Welt ist und bleibt ein Ort der Lügen.

Aber all dem stehen andere Wahrheiten gegenüber: Das Aufstehen ist gelungen in der Vorfreude auf euch, mit Euch in den Tag hineingehen zu können, zu feiern, mit euch gleich zu frühstücken; und klar ist: Schmerzen können sich relativieren, wenn sie von anderen mitgetragen werden; und klar ist auch, dass die Welt trotz aller Verlogenheit unsere Heimat ist und dass es auf dieser Welt Orte der Geborgenheit und der Verlässlichkeit gibt.

Die Frage, die diesem österlichen Ereignis entspringt, lautet: fühlen wir uns herausgefordert, das Leben in dieser realen Welt mit anderen Augen zu sehen? Bewahren wir uns einen Blick für das menschliche, für das, was Menschen verbindet miteinander? Und vor diesen Fragen steht eine andere: Erkennen wir in uns eine Geisteskraft, die genau das ersehnt: Menschlichkeit?

Ich wünsche uns allen ein Osterfest einer neuen auferstandenen Menschlichkeit.

 

Karfreitag

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die tief in ihrem Herzen schmerzhaft zu dieser Erkenntnis genötigt wurden. Gläubige Menschen, denen der Glaube gewaltsam entrissen wurde. Menschen, die wegen ihres Glaubens von den Unmenschen des Naziterrors, der Vernichtung preisgegeben wurden. Denen nicht nur ihr Leben, sondern ihre Hoffnung und ihr Glaube genommen wurde in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Dachau. Gott ist tot. Wie könnte es einen Gott geben, der solch unbeschreibliche Grausamkeit zulässt, wie sie in der Nazidiktatur geschehen ist?

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die diese Erkenntnis als einen befreienden Gedanken für sich entdeckt haben. Die ihren Glauben als Einengung erfahren haben, weil er ihnen mehr Verbote erteilt hat als Lebensermöglichungen. Gott ist tot. Wie könnte es einen Gott geben, der die Freiheit des Menschen einengen würde und zu lieben unter Strafe stellte, einzig weil ihre Liebe einem Gegenüber galt und nicht der Verpflichtung, Nachkommenschaft zu zeugen?

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die diese Überzeugung deshalb hegen, weil sie damit dem Menschen einen Dienst erweisen wollen. Der Mensch sei seines Glückes Schmied; Gerechtigkeit sei eine Tugend, die einzig aus der Willenskraft des Menschen erwachsen kann. Gott ist tot. Hat jemals ein Mensch den Beweis erbringen können, dass Gott am Schicksal der Welt liegen würde?

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die Gott zu Tode verehrt haben, die Gott so sehr in den Himmel loben, dass er auf Erden keinen Raum mehr  zum atmen hatte. Die Gott so sehr anhimmeln, dass er sich in unerreichbare Sphären verkrochen hat. Gott ist tot. Man kann Gott auch durch erdrückende Umarmungen die Luft zum Leben nehmen.

Gott ist tot. Ja er ist tot. Er starb am Kreuz der Selbstgerechten und Machthungrigen. Er wurde tot-gelacht, tot-geleugnet, tot-geliebt, totgefoltert, tot-gekreuzigt. Ja, Gott ist wirklich tot.

All diese Überzeugungen, all diese Gedanken, all diese menschlich vielleicht sogar nachvollziehbaren Wahrheiten könnten Aber auch zu einer anderen Einsicht führen, einer Einsicht, die hoffen lässt, die glauben möglich macht, die dem Leben Sinn schenkt in aller – zweifelsohne oft nicht zu leugnenden – Sinnlosigkeit:

Gott ist nicht tot; nein: Gott ist im Tod. Gott geht in den Tod hinein, um den Tod seiner Endgültigkeit zu berauben. Er geht in den Tod hinein, er geht in die Absolutheit des Sinnlosen hinein, er geht in die Schicksalhaftigkeit alles Unmenschlichen hinein; er taucht ein in das Nichts, um sich mit allen zu verbinden, denen das Leben zum Nichts verkommen ist. Gott solidarisiert sich mit dem Nichtigen. Und diese Solidarität zeigt sich ungeschönt, qualvoll an dem Kreuz, das wir gleich zu verehren eingeladen sind. In diesem Kreuz ist Heil, in diesem Kreuz zeigt sich unsere Zukunft. Das zu verstehen, kann uns der Glaube helfen. In der Solidarität Gottes mit dem Vergänglichen liegt der Keim der Hoffnung, die Wurzel des neuen Lebens.

 

Gründonnerstag

„Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war“. Wusste er es wirklich? Wusste er wirklich, dass er einen Tag später wie ein  Schlachttier verrecken würde, dass er angespuckt und gedemütigt werden würde? Wie kann ein Mensch im Wissen um solche zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit ruhig da sitzen und mit Freunden gemeinsam essen und trinken? Ist Jesus wirklich so gelassen oder unterdrückt er nur seine Angst vor seinen Freunden, um sie zu schonen? Wie sieht es in einem Menschen aus, der erkennt, dass er an seinen Lebensidealen gescheitert ist? Ist ein Mensch wirklich in der Lage, hat ein Mensch die Kraft, so selbstlos zu sein, dass ihm nichts wichtiger ist, als seine Ideale, selbst wenn er dabei vor die Hunde geht? Wie viel Demütigung, Beleidigung, seelischen und körperlichen Schmerz vermag ein Mensch zu ertragen? Wie viel Einsamkeit hält ein Mensch aus?

Respekt ist das falsche Wort, Ehrfurcht hege ich gegenüber allen Menschen, die ihre Wege gehen gegen den Widerstand der Menge, um ihrer eigenen Würde willen und ihrer Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben. Ich denke an die Flüchtlinge auf dieser Erde, ob in Nordafrika, in Syrien, im Kongo oder wo auch immer. Ich denke an die Minderheiten in unserer Gesellschaft, an die Behinderten und körperlich Beeinträchtigten, deren Eingliederung oft nicht nur am Geld scheitert, an die Gescheiterten und Gestrandeten, denen eine zweite Chance nicht zugetraut wird, an die Menschen mit unvertrauten Lebensmodellen, denen nicht zugetraut wird, verantwortlich und der Liebe fähig eine Partnerschaft zu gestalten. Ich denke an die Gescheiterten, die dem wie selbstverständlich geschuldeten Leistungsempfinden in unserer Gesellschaft skeptisch gegenüber stehen.

Viele in unserer Welt, in unserer Gesellschaft wissen, dass „ihre Stunde gekommen ist“, dass sie chancenlos sind und abgestempelt und viele wissen um die Gefährdung ihres Lebens einzig deshalb, weil sie so sind wie sie sind. Viele scheitern an der Übermacht des Faktischen. Allein, weil es so viele sind, erinnert sich keiner mehr an sie. Die größte Tragik eines Menschen ist es, in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, vergessen zu werden.

Mit ihnen, mit allen Menschen, die um ihre Stunde wussten und heute wissen, mit allen Menschen, die um ihr Leben bangen, nur weil sie in Würde und Frieden leben wollen, mit ihnen allen, fühlt sich Jesus verbunden, um ihre Wege, um unsere Wege nicht ins Nichts laufen zu lassen, ist er den gleichen Weg gegangen wie all die anderen, die sinnlos und ungeliebt ihr Leben lassen mussten.

„Den gleichen Weg ist unser Gott gegangen“, so singen wir in einem Lied. Gott ist diesen Weg gegangen im Menschen Jesus. Und dieser Mensch: Jesus – er ist diesen Weg der Sinnlosigkeit menschlicher Beliebigkeit im Vertrauen auf Gott gegangen und er hat damit allem ungerechten Sterben eine unauslöschbare Umkehrung zuteilwerden lassen. Es gibt kein vergessenes Leben mehr und kein Tod ist umsonst.

Jesus wusste um seine Stunde, er wusste um die Ausweglosigkeit seiner Situation, aber ebenso wusste er auch um die Treue seines Vaters, wusste er um die Liebe Gottes, die keinen verloren gibt und keinen vergisst. Deshalb vermochte er ein Liebesmahl zu halten im Angesicht des Todes, deshalb vermochte er Freundschaft zu schenken im Angesicht des Verrats.

Dieses Vertrauen Jesu in Gott, diese unerschütterliche Ahnung, niemals ins Bodenlose zu fallen, selbst dann nicht, wenn die Menschen sich als unmenschliche Fallensteller erweisen; dieses Vertrauen, diese Ahnung, dieser Glaube beschämt mich jeden Tag aufs neue. Beschämt mich und beglückt mich. Denn ich darf hoffen, wir dürfen hoffen, dass auch wir nicht fallen werden ins Nichts, sondern aufgefangen werden von den bergenden Armen Gottes. Und weil mein Glaube immer brüchig ist, fragend, zweifelnd, deshalb bedarf es der immer wieder neuen Erinnerung an dieses Liebesmahl Jesu. Es ist die Liebesnahrung, es ist das Liebesbrot und der Liebestrank, um nicht an der Lieblosigkeit in der Welt zu verzweifeln.

5. Fastensonntag im Lesejahr A 2008

Evangelium: Johannes 11,1-45

Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf, in dem Maria und ihre Schwester Marta wohnten. Maria ist die, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar abgetrocknet hat; deren Bruder Lazarus war krank. Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, dein Freund ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Denn Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Die Jünger entgegneten ihm: Rabbi, eben noch wollten dich die Juden steinigen und du gehst wieder dorthin? Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. So sprach er. Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. Da sagte Thomas, genannt Didymus (Zwilling), zu den anderen Jüngern: Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben. Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen. Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm.

Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh! Da weinte Jesus. Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

Glaube ist: Grenzen aushebeln

Wundergeschichten haben schon etwas Tückisches an sich. Sie wecken Erwartungen und zugleich schüren sie Enttäuschungen und stürzen Menschen, zumal bedrängte Menschen, in erschütternde Krisen. Wenn Gott so machtvoll ist, die gesetzten Strukturen der Welt außer Kraft setzen zu können, warum dann in Gottes Namen nicht, wenn mir das Leben unerträglich wird, wenn in meinem Lebensumfeld Menschen an Schmerz und Ausweglosigkeit zugrunde gehen?

Wenn Gott zu solch wunderbaren Taten fähig ist,  warum müssen dann gottesfürchtige Menschen so beliebig und oft qualvoll sterben, wie es  ohne Unterlass geschieht. Das Wunder der Auferweckung des Lazarus versetzt nicht nur in Staunen, es fördert große Fragen zutage und weckt Zweifel ob der Willkür göttlicher Entscheidungen, der dem Lazarus das Leben neu schenkt und zugleich den Kindern irgendwo auf der Welt die Mutter raubt, die an den Folgen einer Krebserkrankung sterben muss. Kann da nicht Neid aufkommen ob einer solchen göttlichen Ungerechtigkeit?

Wer seinen Glauben auf Wunder aufbaut, der ist entweder weltfremd oder ein Zyniker im Gegenüber zu den Unzähligen dieser Welt, die Leid, Schmerz und Verlust zu erdulden haben, oder er ist ein Scharlatan, der seine Mitmenschen vereinnahmen möchte.

Wundergeschichten haben etwas Tückisches an sich. Sie verleiten zu einem einfachen Glauben, zu einem Glauben, der so praktisch ist: Glauben ist da, wo Wunder geschehen; Gott ist da, wo Wunder geschehen. Und wo nicht, da ist kein Glaube und folglich auch kein Gott.

Aber Johannes ist kein Wundererzähler und die Bibel ist kein Wunderwerk und Jesus ist kein Wundertäter. Wie schon in den vergangenen Wochen auf dem Weg zum Osterfest, zum Lebensfest, hören wir vom Leben der Menschen und vom Leben der Menschen mit Gott. Und wir sind hineingenommen in das Leben Jesu mit seinem Gott, der auch unser Gott sein möchte. Wir dürfen hören und erleben, aus welcher Kraft heraus Jesus gelebt hat, und wir werden es bald wieder feiern mit all unseren Sinnen: In den Augen Gottes kann nur der den Tod besiegen, der den Tod nicht scheut. Den Tod besiegen heißt eben nicht, ihn aus dem Leben zu bannen; in Gottes Augen besiegt den Tod der, der bereit ist, ihn in das Leben hineinzunehmen. Deshalb bewahrt Jesus eine himmlische Ruhe in sich, weil er mit diesem gläubigen Wissen seinen Freunden weit voraus ist. Das eigentliche Wunder, das uns der Evangelist nahe bringen möchte, erweist sich in dem Vertrauen Jesu zu seinem Vater, das keine Wunder braucht, geschweige denn voraussetzt.

Und wir hören und nehmen Anteil an der innigen Beziehung, ja Freundschaft Jesu zu Maria, Marta und Lazarus. Es heißt: „Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus“.

Die Wunderheilung des Lazarus ist zu allererst und vor allem ein Bild Jesu vom Reich seines Vaters; diese Geschichte führt uns mitten hinein in die Wirklichkeit des Reiches Gottes, an die Jesus glaubt, die er verheißt und die er lebt. Dieses Evangelium  ist voller Allegorien und geheimnisvoller Bilder: Licht und Dunkel werden gegenübergestellt im Gespräch Jesu mit den Freunden; vom Schlaf ist die Rede, der doch kein einfacher Schlaf ist sondern Tod meint; und Jesus spricht von der  Auferstehung, welche Marta deutet als die Auferstehung am Jüngsten Tag, Jesus aber offenbar ganz anders. Es ist zu einfach, schlicht die Welt zu teilen in das Reich des Lichtes und der Dunkelheit, denn Gott ist im Licht ebenso wie im Dunkel der Nacht; es ist zu einfach, das Leben zu teilen zwischen einem vor und nach dem Tod, denn Gott ist vor dem Tod, in ihm und hernach; und selbst die Ewigkeit ist nicht einfach nur ein danach, nach der Endlichkeit eben, denn Gott ist immer und zeitlos.

Bei Jesus gibt es keine Weltenteilung, kein Diesseits und Jenseits; für ihn gilt einzig die Bindung an den Vater, und wer in dieser Verbundenheit lebt, der lebt im Reich Gottes, gleich, ob er lebt oder gestorben ist.

Eindrucksvoll führt uns dieses Evangelium in die Glaubenswelt Jesu: Glaube ist, einen Blick weiter zu wagen, als man sich ansonsten trauen würde, einen Schritt weiter zu gehen, als man aus sich heraus alleine würde, einen Gedanken weiter zu denken als man ihn sich selbst zutraut. Dann sieht man hinter dem Dunkel ein Licht, dann erfährt man hinter der Grenze die Freiheit und über der menschlichen Vernunft erscheint die Vernunft der Liebe.

Katja Ebstein hat in den 70iger Jahren das Lied gesunden: „Wunder gibt es immer wieder…“, und das stimmt wirklich, denn das eigentliche Wunder ist das Leben selbst, das uns allen geschenkt ist, dieses ganz normale, beschränkte Leben in dem immer noch mehr verborgen ist als wir bisher erkannt haben. Nur den Schritt mehr, den Blick weiter, den müssen wir wagen.

 

4. Sonntag der Fastenzeit A – 2014

Evangelium: Johannes 9,1-41

Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Ober haben seine Eltern gesündigt, sodass er blind geboren wurde?

Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen. Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es. Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen geöffnet worden? Er antwortete: Der Mann, der Jesus heißt, machte einen Teig, bestrich damit meine Augen und sagte zu mir: Geh zum Schiloach und wasch dich! Ich ging hin, wusch mich und konnte wieder sehen. Sie fragten ihn: Wo ist er? Er sagte: Ich weiß es nicht. Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich und jetzt kann ich sehen. Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen. Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet. Die Juden aber wollten nicht glauben, dass er blind gewesen und sehend geworden war. Daher riefen sie die Eltern des Geheilten und fragten sie: Ist das euer Sohn, von dem ihr behauptet, dass er blind geboren wurde? Wie kommt es, dass er jetzt sehen kann? Seine Eltern antworteten: Wir wissen, dass er unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. Wie es kommt, dass er jetzt sehen kann, das wissen wir nicht. Und wer seine Augen geöffnet hat, das wissen wir auch nicht. Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen. Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen. Deswegen sagten seine Eltern: Er ist alt genug, fragt doch ihn selbst. Da riefen die Pharisäer den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Nur das eine weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehen kann. Sie fragten ihn: Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er deine Augen geöffnet? Er antwortete ihnen: Ich habe es euch bereits gesagt, aber ihr habt nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt auch ihr seine Jünger werden? Da beschimpften sie ihn: Du bist ein Jünger dieses Menschen; wir aber sind Jünger des Mose. Wir wissen, dass zu Mose Gott gesprochen hat; aber von dem da wissen wir nicht, woher er kommt. Der Mann antwortete ihnen: Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet.

Wir wissen, dass Gott einen Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er. Noch nie hat man gehört, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser Mensch nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiss nichts ausrichten können. Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus. Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? (Sag es mir,) damit ich an ihn glaube.

Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder. Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden. Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind? Jesus antwortete ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde

Ach wie gut, dass alle wissen, wie normal ich doch bin

Ist man dann ein guter Mensch, wenn man das Schicksal, das einem auferlegt ist, demütig annimmt? Ist jede und jeder von uns angehalten, sich in die Rolle, die einem das Leben auferlegt hat, einzufügen? Sind Gebote dazu da, sie ungefragt einzuhalten?

Für den Blinden und den Gelähmten soll dies alles so gelten; das meinen zumindest die Außenstehenden, die Gesunden. Der Blinde soll am Stadttor verharren und dankbar sein für die Almosen, die ihm entgegen geworfen werden. Und wenn Jesus das anders sieht, dann durchkreuzt er in doppelter Hinsicht das göttliche Gebot: er widersetzt sich der Behauptung, dass  Schicksal Gott gewollt ist und er widersetzt sich dem strengen Gebot der Sabbatruhe, das seine Glaubensgefährtinnen und Gefährten so hochhalten.

Wir sind doch immer wieder versucht, unser Leben planbar machen zu wollen und hängen der Überzeugung nach, dass das Leben um so sicherer ist, je strukturierter wir es sortieren. Ein Leben, das unseren Regeln nicht folgt, ist uns suspekt.

Der Blinde im Evangelium wird mit gutem Gewissen dahin zurück geschupst, wo er herkam, nämlich nach draußen vor die Tür. Der Blinde wird in seine Rolle verwiesen, aus der er nicht entfliehen darf, weil er sonst nämlich das System von Gut und Böse in Frage stellt. Denn Schicksal ist nicht Schicksal sondern gottgewollt, und wer diesem Urteil widerspricht, der lästert Gott. So sind die Fronten also klar: Die anderen sind die Sünder und wir sind die Gotteskinder. Das ist doch eine tolle Sache, wenn man mit voller Inbrunst seine eigene Reinheit stolz auf der Brust tragen kann und den anderen die Flecken des Makels aufs Hemd spritzen kann. Und bei all dem beruft man sich doch noch auf Gott selbst.

In solch einem System aber kann kein Glaube aufblühen. In solch einem Lebensmuster macht sich der Mensch zum Maßstab des Seins und Gott ist nicht mehr als der kleine Gehilfe des Menschen, dessen Daseinsberechtigung darin besteht, den selbstgerechten Menschen in Sicherheit zu wiegen. Nein, in solch einem System kann kein Glaube aufblühen, weil jede und jeder nur bei sich bleibt und weil nur ein Interesse das Leben bestimmt, nämlich: glatt und reibungslos durch eben dieses Leben zu manövrieren.

Das Evangelium zeichnet da klar und unmissverständlich ein Gegenmodell auf. Jesus nimmt den Blinden wahr, er spricht ihn an, er macht sich – im wahrsten Sinn des Wortes – die Hände schmutzig für ihn, und zu allererst: er sorgt sich um ihn.

Und der Blinde? Er will seiner Mühsal entfliehen, für ihn ist sein Gebrechen nicht gottgewollt sondern eine Lebenstragik. Er erwartet mehr vom Leben als das, was ihm aus eigenem Antrieb heraus möglich ist. Und er erwartet mehr als das, was die gläubige Gesellschaft ihm zubilligt. Er sucht eine heilsame Veränderung; er sucht einen Weg aus der gegebenen Begrenztheit heraus. Er glaubt, dass Gott etwas mit ihm vorhat, dass er – wenn auch nicht aus eigenem Vermögen, sondern aus der Kraft des Glaubens – über sich hinauswachsen kann. Er glaubt, dass noch etwas aussteht in seinem Leben, dass er mehr erwarten darf. Und in dieser Erwartung erweist sich die Begegnung mit Jesus als wunderbar und heilsam.

In solch einer Begegnung geschieht Unverhofftes und auf dem Höhepunkt der Begegnung wird aus dem Gespräch ein Bekenntnis: „Ich glaube, Herr!“.

Das heutige Evangelium zeigt uns zwei mögliche Lebenskonzepte. Das eine vermag eine gesellschaftliche Sicherheit anzubieten, das andere ermöglicht wirkliche Beziehung, die zu einem ehrlichen und wagemutigen Glaubensbekenntnis herausfordert. In welch einem Lebenskonzept sind wir verhaftet und in welchem würden wir gern leben, wenn wir wählen könnten? Mich lehrt dieses heutige Evangelium: Ein Bekenntnis zu Gott kann sich nur aus Beziehung heraus entwickeln, ein Bekenntnis zu Gott kann nur aus Erfahrung heraus geschehen und niemals angelernt, angedichtet, tradiert werden. Ein Bekenntnis zu Gott ist immer ein Beziehungsgeschehen und mehr als nur eine Wiedergabe auswendiggelernter Glaubensweisheit.

Wenn heute in unseren Kirchen von Gottesferne und Glaubensfremdheit gesprochen wird, die es zu kritisieren gälte, dann ergibt sich für mich daraus die Frage,  ob wir genügend Raum geben, dass sich Beziehungen zwischen den Menschen ergeben können und ob in diesen Beziehungsräumen auch genügend Platz ist für die, die über das Leben klagen, aus welchen Gründen auch immer. Wenn wir die Menschen hören, da bin ich mir sicher, dann hören wir auch Gottes Stimme und wenn wir den Menschen nahe kommen, dann kommen wir auch Gott nahe.

 

 

3. Sonntag der Fastenzeit im Lesejahr A – 2014

Evangelium: Johannes 4,5-42

So kam er zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern. Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden? Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen. Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her! Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt. Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss. Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten. Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, das ist: der Gesalbte (Christus). Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden. Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, ich, der mit dir spricht. Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen. Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, aber keiner sagte: Was willst du?, oder: Was redest du mit ihr? Da ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen, eilte in den Ort und sagte zu den Leuten: Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias? Da liefen sie hinaus aus dem Ort und gingen zu Jesus. Währenddessen drängten ihn seine Jünger: Rabbi, iss! Er aber sagte zu ihnen: Ich lebe von einer Speise, die ihr nicht kennt. Da sagten die Jünger zueinander: Hat ihm jemand etwas zu essen gebracht? Jesus sprach zu ihnen: Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen. Sagt ihr nicht: Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte? Ich aber sage euch: Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte. Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, so dass sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen. Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und ein anderer erntet. Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit. Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.

Ein Gespräch, das nicht den Bach runtergeht – Ein Gespräch das Folgen hat

Wer sich die Mühe macht, die Schriftstelle des heutigen Tages im Zusammenhang zu lesen, der wird rasch erkennen: Jesus hat die Nase voll von den ständigen Nachstellungen der Pharisäer. Es ist ihm zu billig, unter Niveau zu streiten. Und schon gar nicht lässt er sich in Konkurrenz zu Johannes einstufen. Die Pharisäer argumentieren auf Schulhof Niveau: „Du bist böse, du nimmst dem Johannes Täuflinge weg“. Sie werden aggressiv und auf solche Spielchen lässt Jesus sich nicht ein. Ohne Frage scheut Jesus kein Gespräch, wenn es um wesentliche Überzeugungen geht, aber Kleinkariertes, vor allem, wenn es gar nicht um die Sache geht, sondern nur darum, den anderen in die Pfanne zu hauen, darauf hat Jesus nun wirklich keinen Bock. Ein Gespräch, das von Missgunst geprägt ist, in dem man einander nicht in die Augen schaut, sondern nur versucht,  in die Hacken des anderen zu treten, ein solches Gespräch entspricht nicht dem Anspruch Jesu. Was macht er also, er haut ab. Sich mit Leuten auseinanderzusetzen, denen es nur darum geht, einen anderen zu verletzen, nur weil er anders ist, das würde die Ehrhaftigkeit Jesu nicht aushalten. Also zieht er sich aus Judäa zurück, um dann nach Galiläa zurückzugehen. Der kürzeste Weg aber zwischen Judäa und Galiläa führt schnurstracks durch Samaria und das war heidnisches Terrain. Die Samariter waren ein Mischvolk aus den zurückgebliebenen Bewohnern des im Jahr 722 v.Chr. zerstörten Reiches Israel und den Menschen des assyrischen Volkes. Und die Bewohner von Sichem waren den Juden besonders verhasst, weil der persische Statthalter damals seinem Schwiegersohn Manasse auf dem Berg Garizim einen eigenen Tempel mit eigener Priesterschaft nach dem Vorbild des Jerusalemer Tempels hatte errichten lassen. Heute würde man wohl sagen, er wollte die Jerusalemer so richtig ärgern, was ihm auch gelungen ist; Israelis und Samariter waren sich seitdem spinnefeind.

Dieser geschichtliche Background  macht vielleicht deutlich, dass Jesus auf seiner „Flucht“ ja eigentlich vom Regen in die Traufe kommt. Den Pharisäer war er in großer Eintracht verhasst, weil er ihnen ihren berechenbaren Gott genommen hat und nun wagt er sich in das Gebiet Sychar’s, dorthin, wo man seinen Gott und Vater mit Füßen getreten hat, indem man ihn einfach menschlich kopiert hat.  Wo Jesus auch hingeht, er begegnet Menschen, die anderen Überzeugungen anhängen als er, die nicht nur peripher anders ticken, die wirklich anders sind als er, die einer anderen Tradition, einer anderen Kultur und Geschichte, einem anderen Lebensalltag nachgehen als er.

Aber Fremdheit an sich ist Jesus kein Makel, dem es auszuweichen gälte. Wenn er auch dem oberflächlichen Kampf ausweicht, der Kraft des Dialoges stellt er sich mit Freude und Lust. Und dies nicht, um auf Standpunkten zu verharren, die im Letzten Starrheit nach sich zieht, sondern um zueinander zu finden, sich zumindest anzunähern. Das Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen bündelt diese Überzeugung Jesu in wunderbarer Weise. Im Verlauf des Gespräches beschenkt Jesus die Fremde mit einer das ganze Leben verändernden Weisheit: „Bleibe nicht bei den Äußerlichkeiten des Lebens stehen.“ Wasser ist wichtig, überlebenswichtig sogar. Aber Wasser alleine schenkt nicht Leben und macht auch Leben nicht aus. „Suche in dir, in deiner Seele, in deinem Herzen die Quelle, aus der du lebst“, so rät Jesus der fremden Frau. Leben ist mehr als essen und trinken, mehr als arbeiten und schlafen. Leben braucht eine Perspektive. Wer nicht fragt, wozu und woraufhin er lebt, der geht am Leben vorbei.

Und noch etwas macht Jesus deutlich. Die Quelle, aus der die letzten Fragen des Menschen eine Antwort erhalten, ist nicht gebunden an die eine oder an die andere Religionsgemeinschaft. Weder auf dem Berg Garizim, noch in Jerusalem liegt das Heil. Der Geist weht, wo er will. Wer sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, wer sich nicht mit Halbwahrheiten zufrieden geben möchte, der wird die Tiefe des Lebens und den Geist Gottes finden, gleich wer er ist, wo sie lebt oder welcher Kultur sie beheimatet sind. Nachdenklichkeit zählt mehr als Selbstgewissheit und Offenheit mehr als Selbstgenügsamkeit.

Beide, die Frau wie auch Jesus sind einander in Achtung und Respekt begegnet. Keiner hat versucht, den anderen über den Tisch zu ziehen. Aus dieser Ehrfurcht voreinander ist so etwas wie Freundschaft entstanden, die Vertrautheit zulassen kann. „Ich bin der Messias“, so offenbart sich Jesus der Fremden. Begegnungen dieser Art, Gespräche, in dieser Ehrlichkeit geführt, machen satt, lebenssatt.

Christoph Simonsen

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