Herzlichen Glückwunsch, Leonardo

Auch wenn das eigentlich zur Allgemeinbildung gehört, widersetze ich mich dieser Überzeugung heute einmal ausnahmsweise. Es soll ja bekanntlich Unglück bringen, vor dem eigentlichen Geburtstag einem Menschen zu gratulieren, aber ihm wird es ganz gewiss nicht mehr schaden, zumal schon seit geraumer Zeit berauschende Feste für ihn in Vorbereitung sind. Man sagt von ihm, er sei ein Allroundgenie, Künstler genauso wie Forscher und Wissenschaftler. Keine Frage war ihm zu absurd, keine Idee zu kühn, als dass er ihnen nicht nachgegangen wäre. Das schönste Bild der Welt: Er hat es gemalt. Täglich bewundern es 20.000 Menschen. Herzlichen Glückwunsch zu deinem 500. Geburtstag, Leonardo da Vinci. Aber wir sollten uns vor jeder Art der Verklärung hüten. Leonardo da Vinci war alles andere als ein Überflieger. Sein Weg war gezeichnet von Niederschlägen. Nicht alle haben ihn ernst genommen. Wie sollte man auch? Kann jemand zugleich Maler, Sänger, Physiker, Biologe, Konstrukteur sein? Und da war noch ein Stolperstein: Leonardo da Vinci lebte in einer Zeit des Umbruchs: Der Renaissance. Eine Zeit menschlicher Emanzipation begann. Leonardo wollte verändern, gestalten, schöpferisch tätig sein. Er hat nach außen versichtbart, was sich zuvor in dieser Fülle keiner getraut hat: Der Mensch ist nicht nur Teil der Schöpfung, er selbst gestaltet sie auch mit. Sein wertvollster Lehrer war Nikolaus von Kues. Die Cusaner unter uns wird es nicht wundern. In Gott seien alle Schätze der Wissenschaft verborgen, das war die Überzeugung des Cusaners. Und weil im menschlichen Intellekt der göttliche Ursprung fortwirke, könne es doch dem höchsten Künstler – Gott also – nicht gefallen, wenn die Herrlichkeit seiner Schöpfung unerkannt bliebe. Das war und ist der Motor allen menschlichen Forschens und Suchens. Und deshalb ist bis heute die
berühmte Zeichnung von da Vinci von Bedeutung: Ein Mensch streckt seine Arme und Beine und je nachdem, wie er sie hält, fügt sich der Körper exakt in ein Quadrat und in einen Kreis. Der Mensch: die Quadratur des Kreises. Der Mensch: Das Geschöpf einer kosmischen Ordnung und doch zugleich auch Schöpfer neuer Erkenntnisse und Weisheiten. Da Vinci, der Wissenschaftler, war dennoch nie zufrieden mit sich, so viel er auch erkannte und entwickelte. Das machte ihn aber nicht depressiv oder tatenlos. Je mehr er die Dinge der Schöpfung zu erforschen versuchte, um so klarer wurde ihm, dass eines unentdeckt und unerforscht blieb: Das Gemüt des Menschen, seine Gefühle, seine Seele. Er begann zu malen und versuchte, die Schönheit zu versichtbaren und das, was mit aller Rationalität nicht zu deuten und zu erklären war. Und seine Malerei reproduzierte nicht nur in der Weise, wie zuvor die Maler gearbeitet haben. Seine Pinselstriche erwirkten mehr eine Verschwommenheit auf den Bildern als klare Strukturen und Linien. Ihm war es nicht so wichtig, dass etwas auf dem Bild klar zu erkennen sein sollte. Nicht der Wiedererkennungswert stand im Vordergrund, sondern genau das, was keiner erwarten würde, sollte in den Blick der Betrachter geraten.
Und genau deshalb erzähle ich Euch das alles heute Abend, denn da Vinci hat einen Johannes gemalt, den keiner als Johannes auf den ersten Blick erkennen würde. Eben nicht den hageren lebensabgewandten Mann in einem Gewand aus Fell, sondern vielmehr einen schelmisch dreinschauenden, gut aussehenden jungen Burschen mit lockigem Haar. Und das Besondere dieses Bildes: Er steht vor einem gänzlich schwarzen Hintergrund und es scheint und nur sein Gesicht wird von einem geheimnisvollen Licht angestrahlt. Ein Mann, umgeben von größter Dunkelheit und dennoch schaut der Betrachter in ein Gesicht, das hell erstrahlt ist. Auch hier setzt da Vinci eine Überzeugung der Renaissance um, die den Menschen damals ganz neue Lebensofferten schenkte: „Der Mensch ist nicht fürs Elend geboren. Das will Gott nicht“. So wie der Künstler die Betrachter mit in seine Bilder hineinholen möchte, ihnen nicht nur die Rolle eines Betrachters zuspricht, sondern zur Beteiligung ermutigt, so will uns auch die Heilige Schrift hineinholen in ihr Geschehen. Die Heilige Schrift will nicht gelesen, sie will erlebt werden. Johannes der Täufer ist die Personifizierung dieser Glaubensbotschaft. So wie Gott in der Taufe zu Jesus sagt: „Du bist mein geliebter Sohn“, so sagt er es allen. Kinder Gottes sind wir, und dazu berufen, in seinem Namen die Schöpfung zu entdecken und all das, was noch in ihr verborgen ist. Der geöffnete Himmel ist ein Verweis auf diesen göttlichen Auftrag an uns Menschen, uns auszustrecken mit allen unseren Sinnen, mit allen unseren Gaben und Fähigkeiten, um zu erkennen, was das Leben lebenswerter macht, was dem Leben Zukunft schenkt.

Und dies nicht verbissen, verklemmt, gehemmt, sondern zuversichtlich, gelassen und fröhlich. Auch hier hilft uns Leonardo da Vinci. Er malte ein Bild mit Anna, der Mutter Jesu, die locker auf ihrem Knie sitzt, das eigene Kind – Jesus – in den Armen haltend, der nichts wichtigeres zu tun hat, als Johannes, seinen Cousin, der am Boden liegt und spielt, an den Füßen zu kitzeln. So leicht kann das Leben sein. Daran zu arbeiten, ist unsere Aufgabe heute.
Christoph Simonsen