Herzlichen Glückwunsch: Ernesto Cardenal
Es gibt Menschen, an denen scheiden sich die Geister. Ernesto Cardenal ist so ein Mensch. Wer das Gebot der Liebe ernst nimmt, wer der Sehnsucht verfallen ist, im Einklang mit der Welt zu leben, der muss dafür kämpfen und er muss Spannungen nicht nur aushalten, er muss ihnen Gutes abgewinnen. Mit ‚Friede, Freude, Eierkuchen‘ ist der Welt und den Menschen, die auf ihr Leben, keine Zukunft beschieden. „In der Armut liegt ein Glanz verborgen. Der Glanz des Authentischen“, hat Cardenal mal gesagt. Lieber authentisch sein und arm, als falsch und gesichert. Wahrheit will errungen werden, sie ist nicht einfach gesetzt. Alle Wahrheit dieser Welt ist durchtränkt von menschlichen Erfahrungen und von daher ist Wahrheit zunächst einmal immer subjektiv. „In Bewegung“, so lautete das Motto der letzten Heiligtumsfahrt hier in Aachen. Auch Wahrheit ist beweglich. Wer wüsste das nicht besser als die vielen unter uns, die in Wissenschaft und Forschung tätig sind. Selbst persönliche, ins eigene Fleisch hineinschneidende Erfahrungen zeigen uns die Veränderlichkeit allen Seins. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als um die Wahrheit zu ringen. Ein ‚Basta‘, wie es in den achtziger Jahren Johannes Paul II gesprochen hat, kann nie die Lösung sein. Im Gegenteil: vermeintliche Endgültigkeit schafft immer neue Spaltung.
Im Blick auf das heutige Evangelium könnte eine Quintessenz sein, anzuerkennen, dass es nicht Jesu Ziel war, alle in gleicher Weise zu Freundinnen und Freunden zu machen, sondern gerade aus der Erfahrung von Spannung und Unterschiedlichkeit heraus, Leben friedlich zu gestalten. Jesus möchte die Auseinandersetzung, er weicht einem Streitgespräch nicht aus; er will nicht alles und alle über einen Kamm scheren. Jesus verweigert sich dem Anspruch, Endgültigkeiten zu schaffen. Um die Wahrheit ringen, und sie zugleich keinem absprechen. Nicht anderen nach dem Mund reden, aber auch nicht die andere mundtot machen. In dieser Spannung spielt sich verantwortungsvolles Leben ab. Leben gestalten zu wollen, das beinhaltet auch immer, Leben suchen zu wollen: gemeinsam, aber unter Umständen auch in einer gesunden Abgrenzung voneinander, die Achtung voreinander nicht außer Acht lassend.
Ernesto Cardenal ist nicht lange Minister geblieben. Die politischen Befreier, mit denen er gegen die Diktatur gekämpft hat, haben sich nach geraumer Zeit selbst als Diktatoren entpuppt. „Du kannst nicht mit Gott sein und zugleich neutral“. Auch das ein Wort des Dichterpriesters. Bis heute positioniert er sich auf die Seite derer, die gerichtet werden und distanziert sich von den Richtern. Und mit heute 94 Jahren ist er immer noch davon überzeugt davon, dass es sich lohnt, sich in eine Gesellschaft zu integrieren, die Zukunft hat und in der Zukunft liegt. Und er kämpft für diese Gesellschaft – mit Worten.
Christoph Simonsen