Ist ja noch was Zeit bis zum Fest
Es gibt Worte, die möchte man nicht hören. Die machen einen widerspenstig, erinnern daran, dass man eben doch ein kleiner Schweinehund ist. Von wegen zwei Gewänder, einen ganzen Schrank voll hab ich, und geteilt wird, was sowieso weg kann. Und was den Sold angeht, da beziehe ich mich doch lieber auf ein anderes Wort der Heiligen Schrift: „Wer arbeitet, hat auch Anrecht auf Lohn“. So wird ein Schuh draus, und dabei geht’s gar nicht in erster Linie um‘s Geld, ich will Anerkennung für das, was ich getan habe. Gehalt muss stimmen, aber die Connection nach oben sind mindestens ebenso wichtig. Kontaktpflege ist unabdingbar; gute Vernetzung ist heutzutage alles. Wenigstens misshandeln tu ich keinen, da bin ich sauber. Trotzdem, wenn die Spreu vom Weizen getrennt wird…. Sicher bin ich mir da nicht, wo ich da landen werde. Könnte so eine erste Reaktion sein auf das gerade Gehörte?
Es gibt Worte, die möchte man nicht hören. Sie erinnern einen an die permanent gelebte Unvollkommenheit und an die Angst vor den Konsequenzen des eigenen Handelns. Das ist nicht nett, so kurz vor Weihnachten den Finger in die Wunden gelegt zu bekommen. Nichts geht über ein sorgenfreies, unbekümmertes Fest. „Frieden den Menschen auf Erden“, wenigstens den eigenen Hausfrieden. Die Vorstellung, im nie erlöschenden Feuer zu verbrennen, die kann einem diesen weihnachtlichen Hausfrieden schon ziemlich madig machen.
Will genau das dieser komische Mann in der Wüste erreichen: den Menschen ein schlechtes Gewissen machen kurz vor Weihnachten? Er muss doch wissen: Drohungen erzeugen Abwehr. Menschen, die mir drohen, denen versuche ich aus dem Weg zu gehen, oder ich gehe in eine unliebsame Verteidigungshaltung hinein. Keine schöne Atmosphäre.
Tauchen wir etwas tiefer in die Geschichte ein, und da wird etwas Bemerkenswertes als Erstes deutlich: Die Leute, die da zu Johannes hingehen, die gehen ja freiwillig da hin; keiner zwingt sie. Es mag vielleicht ein wenig Neugierde da sein: mal gucken, was da für ein komischer Kauz in der Wüste lebt. Aber das allein kann das Interesse der Menschen nicht erklären. Sie hängen ihm ja buchstäblich an den Lippen und das sind sicher nicht alles Masochisten, die sich freiwillig die Seele in Stücke reißen lassen wollen. Johannes ist nicht zimperlich. Was wir heute nicht gehört haben ist, dass Johannes die Menschen vorher ziemlich gehörig zur Schnecke gemacht hat. Als Schlangenbrut hat er sie bezeichnet und dass sie dem Gericht Gottes nicht entkommen können; alle, die die Chancen ihres Lebens vertun, werden umgehauen und ins Feuer geworfen. Ja und das hören wir dann ja heute auch wieder. Johannes ist so richtig geladen. Und trotzdem: Die Menschen hängen an seinen Lippen und fragen dann, was sie tun sollen. Johannes hat den Menschen mehr als deutlich die Leviten gelesen, so richtig Tacheles geredet und sie hätten allen Grund, beleidigt abzuziehen. Wer lässt sich schon gern vor versammelter Mannschaft runterputzen?
Ein Satz im heutigen Evangelium erklärt vielleicht die Situation. „Das Volk war voll Erwartung.“ Das scheint zunächst höchst widersprüchlich. Die Johannes da fragten, das waren alles wohlsituierte Leute, achtsame Bürger, denen es gut ging, die ein sorgenfreies Leben führen konnten: Ehrbare Bürger, Soldaten, Zollbeamte.
So drastisch Johannes in seiner Wortwahl war, so charismatisch muss er gewesen sein. Mit mahnenden Worten ermutigen, das kann noch lange nicht jeder. Johannes ist das gelungen. Und wie? Er hat in den Menschen eine Erwartung geweckt, die in ihnen verborgen schon lebendig war. Sie haben sich nur nicht getraut, sich diese zuzugestehen. Die Menschen hatten ein festes Bild: von Gott, vom Leben, von ihrem Verständnis von Verantwortungsbewusstsein und Gerechtigkeit. Johannes gelingt es, die Menschen mitzunehmen und zugleich ihren Glauben zu weiten, hin zu einem Gottesbild, das unabhängig ist von Ritualen und Traditionen, hin zu einem Gott, der anders ist als je Menschen ihn sich vorstellen können, der anders ist und doch ihnen gleich, hin zu einem Gott, der verbindet, wo sie gewohnt waren, in Klassen und Rassen zu denken, hin zu einem Gott, für den Gerechtigkeit Auftrag ist, den anderen genauso im Blick zu haben wie sich selbst. Johannes bereitet den Weg, dass sich die Menschen von jahrhundertalten Traditionen befreien können und offen werden für die Frage, die allein Zukunft verheißt: Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wer uns wohl in diesen verbleibenden Tagen vor dem Weihnachtsfest mal die Leviten lesen kann, damit wir wieder auf das Wesentliche des Lebens gestoßen werden? Es sind ja noch ein paar Tage Zeit, dass wir in die Wüste gehen können.
Christoph Simonsen