April – August 2020

Verplant?

Krisenbedingt werden nun schon seit März meine Pläne durcheinander gebracht oder müssen zumindest auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Aber, wer kann schon genau sagen, wie die Situation im nächsten Jahr sein wird.
Gut, dass bei mir nicht die berufliche Existenz davon abhängt, wie bei Künstlern, Freiberuflichen, Sportlern, …
Unser Frankreich-Urlaub im Juli, abgesagt – Vielleicht im nächsten Jahr?
Die Hochzeit eines Freundes und die meiner Tochter, abgesagt – vielleicht in 2 Jahren, da die Locations wegen der Absagen in diesem Jahr für das nächste Jahr schon belegt sind?
Das Konstantin Wecker Konzert im August, abgesagt – Die Tickets sind auch in der nächsten Saison gültig!
Besuche bei Kindern und Enkeln – besser nicht, zu hohes Infektionsrisiko, wegen Schule und KiTa!
Die Mitgliederversammlung, die Teamsitzungen, die Bundeskonferenz, … ja, aber nur als ZOOM-Konferenz und kürzer, eben anders …
Die Gottesdienste: erst abgesagt, dann zögerlich ersetzt durch Video-Streams von einsamen Priestern an einsamen Altären, ohne Mitfeiernde …
Gefordert ist Flexibilität, der Situation angepasst, kreativ nach möglichen Alternativen suchen, … und entdecken, dass sich neue Erfahrungen machen lassen, die im Plan nicht vorgesehen waren.
John Lennon, einer der Philosophen der Pop-Kultur, hat mal gesagt: “Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.”
Statt unseren verunmöglichten Planungen nachzujammern, in unseren Veranstaltungskalendern immer nur „fällt aus“ zu markieren, möchte ich das Leben, die Wirklichkeit als Chance ergreifen immer wieder neu die Möglichkeiten zu entdecken für ein erfülltes Leben.
Je älter ich werde, fällt mir diese Haltung natürlich schwerer – weil mir die Sicherheit fehlt. Dabei habe ich als Glaubender eine “Lebensversicherung”, wie der Jesuiten-Pater Alfred Delp kurz vor seiner Hinrichtung durch das Naziregime zu Weihnachten 1944 schrieb:
„Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“
Meine Pläne helfen mir nur, wenn ich sie als Ideengerüst betrachte und bereit bin mich von ihnen zu trennen und das Leben, so wie es mir gerade begegnet, zu leben.

GS 12. August 2020

Ein altes Kirchenlied (1657 – von J.S. Bach vertont) -Wendepunkt im Roadmovie “Vaya con Dios”- drückt das aus:

  1. Wer nur den lieben Gott läst walten
    Und hoffet auf Ihn allezeit
    Der wird Ihn wunderlich erhalten[3]
    In aller Noht und Traurigkeit.
    Wer Gott dem Allerhöchsten traut
    Der hat auf keinen Sand gebaut.
  2. Was helfen uns die schweren Sorgen?
    Was hilft uns unser Weh und Ach?
    Was hilft es daß wir alle Morgen
    Beseuftzen unser Ungemach?
    Wir machen unser Kreutz und Leid
    Nur größer durch die Traurigkeit.

  1. Sing / bet / und geh auf Gottes Wegen
    Verricht das Deine nur getreu
    Und trau des Himmels reichem Segen
    So wird Er bey dir werden neu.
    Denn Welcher seine Zuversicht
    Auf Gott setzt / den verläst Er nicht.

Fehlt Dir Was?

Meist, wenn diese Frage gestellt wird geht es um das persönliche “Wohlsein”. Irgendwie strahlen wir aus oder sieht man uns an, dass wir uns nicht “wohl” fühlen.
Irgendwie fehlt was! Unvollständig, Leere, ergänzungsbedürftig, … auch das eher ein Gefühl.
Nach 5 Monaten Corona bedingter Einschränkungen des kirchlichen Lebens und mit Blick auf die Frage “wie werden wir und insbesondere ich unter diesen Bedingungen, deren Ende ja nicht absehbar sind, als Christen in den kommenden Monaten kirchliches und spirituelles Leben gestalten und feiern”, stellt sich auch hier die irritierende Frage “Fehlt Dir was?”
Ich zögere … Gibt es ein Glaubens-Wohl-Sein? Und ist es abhängig von Hygienemassnahmen, Abstandsregeln, Maskenpflicht und Versammlungsbeschränkungen?
Mir fällt eine Postkarte vom Beginn der Coronazeit ein, die seitdem auf unserem Eßzimmertisch steht:
Ich bin da und werde dasein als Dein helfender und heilvoller Gott. Was auch geschehe Ich Bin Da.

Mit dieser Zusage aus Exodus 3,14 fehlt und kann mir nichts fehlen, wenn ich daran glaube, davon überzeugt bin und diese Überzeugung lebe. Dann fehlt mir grund-sätzlich nichts.
Dieses Glaubens-Wohlsein wird verstärkt, durch Menschen mit denen ich zusammen diesen Glauben teile und noch wohler wäre mir, wenn ich deren Nähe und die Gemeinsamkeit körperlich spüren und erfahren kann im Gespräch, im Gebet, im miteinander Singen und im Gottesdienst. Ja diese Präsenz, dieses Erlebnis, diese gemeinsamen Erfahrungen und Begegnungen fehlen mir manchmal in dieser Pandemie.
“Du fehlst!”
Und ich bin gespannt auf das “Danach” und zu wem ich dann sagen werde “Du hast mir gefehlt!”

GS 4. August 2020

Sommer- oder Schwarzes Loch?

Es ist parlamentarische Sommerpause und viele Menschen sind im Urlaub, die täglichen Corona-News aus der ganzen Welt werden schon als normal verbucht und wenig beachtet, sofern sie nicht gerade Hoffnung machen auf einen Impfstoff, der den Virus aus der Welt schafft.
Da füllt eine römische Instruktion, also eine Anordnung für die Katholische Kirche, die normalerweise als irrelevant nur von wenigen Betroffenen und Experten, die noch nach Rom hören, wahrgenommen würde, das Sommerloch. Die Instruktion zur Zukunft der Pfarrgemeinden: “Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche” wurde erstellt von der Klerus-Kongregation des Vatikans. Entsprechend hat sie die Rolle der Priester als Gemeindeleiter im Blick. Sie “besagt unter anderem, dass Laien von der Gemeindeleitung ausgeschlossen sind. Auch Teams aus Geweihten und Nicht-Geweihten sind demnach nicht zulässig. Stattdessen wird die Rolle des Pfarrers betont.” (Katholisch.de)
Also nichts Neues aus Rom! Es wird nur das Sommerloch gefüllt? Wenn es denn so wäre!
Die krisengeschüttelte katholische Kirche in Deutschland versucht z.Zt. mit einem breit angelegten Gesprächsprozess zukunftsfähig zu werden. Gleichzeitig verliert sie an gesellschaftlicher Bedeutung und immer mehr Katholiken treten aus.
Zukunftsfähig sein? Kirche hat eine Mission: Die Botschaft Jesu verkünden und leben in dieser Zeit. Wie sie das tut und wie sie dies organisieren soll, erfahren wir nur ansatzweise in den Schriften der Apostel: Zu den Menschen gehen, ihre Sorgen und Nöte wahrnehmen, teilen, einander dienen, miteinander Brot brechen im Gedenken Jesu und seines Auftrages. Die erforderlichen Dienste bestimmt und beauftragt die Gemeinde vor Ort. Alle bringen sich ein, je nach ihren Möglichkeiten.
Mich erinnert das an basisdemokratische Strukturen in selbstverwalteten Betrieben.
Aber geht das nach 2000 Jahren Kirchengeschichte, die feudale Strukturen und Hierarchien entwickelt und verfestigt hat?
Andererseits werden -und sind- Struktur- und Machtfragen (und um solche geht es in der Instruktion) leicht zu einem Schwarzen Loch, das alle Energien absorbiert und aus dem nichts mehr nach außen kann. Energien, die sinnvoller eingesetzt wären für den Dienst am Menschen und seiner Mitwelt und im Engagement für ein gutes Leben für alle auf diesem Planeten.
Die Zukunft der Kirche?
Eine Kirche in der Welt und für die Welt, die den Menschen und damit Gott dient. Vielfalt entsprechend der jeweiligen Lebenssituation und dem kulturellen Umfeld, motiviert durch die befreiende Botschaft des Evangeliums und miteinander verbunden im Gebet. Im besten Sinne katholisch, also “allumfassend”. Geleitet von Menschen mit unterschiedlichen Gaben, von ihrer Gemeinde beauftragt. Gemeindeleitung, wie Paulus sie in seinen Briefen an „seine“ Gemeinden verkündet. Diese leiteten selbstverständlich auch Frauen.
Wenn Kirchenleiter (m) und Kirchenlehrer (m) zu Ideologen werden, auf ihrer Deutungshoheit bestehen, Andersdenkenden und -sprechenden die Befugnis dazu absprechen und dem (Kirchen-) Volk die Konsensfähigkeit im Glauben absprechen, die Glaubenden entmündigen, dann entspricht das nicht dem Auftrag, der Praxis und der Lehre Jesu: “Aber bei euch soll es nicht so sein. Im Gegenteil: Der Erste unter euch soll sich allen anderen unterordnen, und wer euch führen will, muss allen dienen.”(Lukas 22,26)
GS 29. Juli 2020

wikipedia – schwarzes Loch – https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5

Einatmen! – Ausatmen!

Die Hygiene- und Abstandsregeln der Pandemie-Situation gehen manchen zu weit. Sie werden als massiver Eingriff in die persönliche Freiheit empfunden. Dabei sollen und wollen sie uns anhalten, dass wir uns gegenseitig vor der Ausbreitung des Virus schützen.
Achtsamkeit füreinander und Solidarität miteinander wurden zu Beginn der Pandemiezeit von vielen wieder neu als gesellschaftliche Grundhaltung in dieser Krisenzeit entdeckt. Mit sinkenden Infektionszahlen wird die Forderung nach “Normalität” wieder lauter und die unsichtbare Bedrohung durch Aerosole in der Atemluft wird von den einen ignoriert, den anderen gerade deswegen gefürchtet.
Die restriktiven Regeln der Pandemie-Zeit haben das Wohl der Menschen im Blick und werden dennoch oft genug von Ignorantinnen, Verschwörungstheoretikerinnen und auch von Bürgerrechtler*innen desavouiert.
Auf die Beschränkung unserer persönlichen Freiheit in der Gesellschaft und auch in der Kirche reagieren wir empfindlich, teils aggressiv, fühlen uns unterdrückt, …
Jesus nimmt unter seinen Volksgenossen ähnliche Empfindungen wahr, ausgelöst durch die das ganze Leben regulierenden Verhaltensregeln des jüdischen Gesetzbuches, als „Gesetz des Mose“ quasi göttlich legitimiert.
Er sieht die Not der Menschen, die alles richtig machen wollen, aber es nie wirklich schaffen, da viele Regeln und Gesetze unterschiedlich von den Religionsbehörden ausgelegt werden, bzw. sich sogar wiedersprechen. “Ihr plagt euch mit den Geboten, die die Gesetzeslehrer euch auferlegt haben. Kommt alle zu mir; ich werde Euch aufatmen lassen!” (Mt 11, 28 nach F.Stier) Er fordert sie auf von ihm zu lernen, dass der Maßstab jeglichen Verhaltens und Handelns das Wohl der Mitmenschen sein muss. Diese neue Lehre wird uns “aufatmen und leben” finden lassen.
So gesehen sind Masken tragen Zeichen der Achtsamkeit füreinander und der Solidarität miteinander, was ja das neue Erleben zu Beginn der Pandemie war.
Also trotz oder gerade wegen der Masken”pflicht” und anderer vermeintlich meine Freiheit einschränkenden Regeln: Einatmen … und Ausatmen …
Gelassenheit spüren und “Aufatmen finden für mein Leben” (Mt 11,29 nach F.Stier)
GS 7. Juli 2020

Selbstverzwergt statt relevant

Wenn man in Krisenzeiten und zur Zukunft Befragungen durchführt, wie die Befragten die Wirksamkeit ihres Handelns durch Änderung und Wandel einschätzen, so trauen die wenigsten dieser Wirkung. Es müsste die Politik, die Wirtschaft, die Industrie …: den gesetzlichen Rahmen vorgeben, nachhaltiger denken, effektiver produzieren, …

Stattdessen Jammern und Meckern über die Welt und vor allem die anderen.

Und in der derzeitigen Kirchenkrise? Wo sinkende Relevanz an Kirchenaustritten festgemacht wird und im Hintergrund die Angst um die Kirchensteuereinahmen zu spüren ist?
Wobei die Frage erlaubt sei, welche Art von Krise dies ist, eine systemische Krise (Maria 2.0 u.ä) oder eine Glaubenskrise (Bischof Oster u.a.)?

Die Kirchen bezeichnen sich als die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden und sich zu ihm Bekennenden. Die Mitgliedschaft liegt begründet in der (Kinder-)Taufe und deren persönliche Bestätigung (= firmare) in der Firmung (oder Konfirmation).

So verstanden ist die konstatierte Kirchenkrise eine Gemeinschaftskrise, in der wir uns fragen müssen, wie wir diese Gemeinschaft leben, wo sie glaubwürdig erfahren werden kann und wodurch sie sich auszeichnet.

Die Kirchenaustritte „zeigen, dass Kirche offensichtlich nicht mehr überall präsent ist, dass wir viele Menschen nicht mehr erreichen und dass wir intensiv arbeiten müssen, wenn wir dem Anspruch gerecht werden wollen, die Freude der Botschaft Jesu für die Menschen sichtbar werden zu lassen“ und „Die Kirche muss bereit für Veränderungen sein. … Sie muss sich zukunftsfähig aufstellen, als eine Kirche, die nah bei den Menschen ist, ihr Vertrauen genießt und ihnen zur Seite steht.“ (Generalvikar Andreas Frick)

An den eigenen Ansprüchen gescheitert?

Der Auftrag Jesu an seine Nachfolger*innen: In die Welt gehen, die Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen verkünden und SEINE neue Ordnung der Gerechtigkeit und des Friedens. Ohne volle Taschen dieses Reich zu leben durch Zuwendung zu den Armen und Hilfsbedürftigen und dies vor aller Welt zu bezeugen.(Mt 10, 5-15)
Die Motivation der Jüngerinnen und Jünger auf Befragung: dass sie gar nicht anders können als überall zu erzählen, was sie von diesem Gottesreich und der befreienden Botschaft Jesu gesehen, gehört und verstanden haben.(Apg 4, 13-22)
Die Kern Kompetenz der Jünger*innen ist Zeugnis geben und Zuwendung – Verkündigung und Dienst. Nicht unabhängig voneinander, sondern auf einander bezogen. Gemeinsam essen, erinnern und feiern in herrschaftsfreier Gemeinschaft, in Anerkennung der unterschiedlichen Begabungen und einander in Solidarität verbunden.

Hohe Ansprüche an ein Christ- und Kirche-Sein!

Und wir, die wir noch in dieser Kirche leben und mitarbeiten, motiviert uns das immer noch und leben wir das?
Oder neigen wir zur Selbstverzwergung und trauen unserer Motivation und unserer Glaubwürdigkeit nichts mehr zu, weil Kirche nicht mehr relevant ist für die Welt?

Wenn wir von uns selbst überzeugt wären hätten wir auch unserer Gesellschaft etwas zu bieten:

„Eine wichtige Aufgabe wäre es, den Glauben als etwas anzubieten, das “mehr als notwendig” (E. Jüngel) ist – also bereichernd werden möchte, auch wenn ihn offensichtlich immer weniger Menschen “brauchen”  (Pastoraltheologe Jan Loffeld, Utrecht).

Angesichts der menschenverachtenden, rassistischen nationalsozialistischen Bewegung und ihrer quasireligiösen Ideologie vom Herren-Menschen entstand in der ökumenischen Jugendbewegung ein Lied, das bis heute in den Volkskirchen gesungen wird und im Kern auf einen Text aus dem 18ten Jahrhundert beruht: Sonne der Gerechtigkeit
Ein Weckruf zu einem überzeugenden Christsein in einer Kirche, die relevant für diese Welt ist:

Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf in unsrer Zeit, brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann.
Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt.

Christian David 1728/ Christian Gottlob Barth 1827/ Otto Riethmüller 1932( gesamt)

GS 1. Juli 2020

Earth Cry – ein Ohrwurm

Meine persönliche Chance dieser Corona-Pandemie ist das Arbeiten im Home-Office! Nein nicht als solches, denn die Erfahrung kreativeren und konzentrierteren Arbeitens teile ich mit Vielen in dieser Zeit. Meine Chance ist der riesige Garten hinter meinem Home-Office, über dessen Pflege-Ansprüchlichkeiten ich sonst immer stöhne und denen ich nur widerwillig nachgekommen bin.
In diesen Wochen der ClimEx, den Klimaexerzitien im Alltag, die ökumenisch für Studierende in Aachen angeboten werden, führen mich die täglichen Impulse der Kolleg*innen zu den Elementen ERDE und WASSER und auch meine eigenen Impulsfragen zu LUFT immer wieder in diesen Garten hinein. So wird er neu zum Biotop, zum Lebensort für mich. In diesem Mikrokosmos erlebe ich die Folgen des Klimawandels, diese bedrohte Schöpfung. Hier wird mir täglich bewusst, wie sehr ich darin verstrickt bin.
In diesem Garten werden auch die Erfahrungen der Autoren der biblischen Bücher und ihrer erdnahen Sprache lebendig und ich kann deren Weisheit und was sie über Gott und sein Sorgen für uns Menschen, über unseren Pflegeauftrag an seiner Schöpfung aussagen, besser verstehen.
Wir sind Teil dieser Erde („Da nahm Gott, der HERR, etwas Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“ – 1.Mose 2,7). Wir haben den göttlichen Auftrag diese Erde, Gottes Garten, seine Schöpfung, in der wir wohnen dürfen, die uns Heimat ist und Lebensgrundlage zu pflegen („Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen. – 2.Mose 2,15) Bei diesem Pflegeauftrag haben wir gründlich versagt. Wir haben ihn als Recht zur Ausbeutung verstanden.
Die Erde ist ein belebter Organismus und die menschliche Ausbeutung und die unterlassene Pflege wird immer sicht- und fühlbarer in Dürren, Starkregen und anderen durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen.
All dies kann ich in meinem Mikrokosmos Garten beobachten: Z.B. an den Bäumen, die jetzt schon die Blätter abwerfen, weil nach drei zu trockenen Sommern in Folge der alte Walnussbaum der bereits vor dem Bau des Hauses dort gepflanzt wurde, nicht mehr genügend Wasser bekommt. Zumal der nahe Tagebau ihm auch noch das Grundwasser wegpumpt. In den vergangenen 100 Jahren haben seine Blätter und sein Stamm ca. 1,5 Tonnen CO2 gebunden. Das Sechsfache verursache ich durch meinen Ressourcenverbrauch pro Jahr.
Wäre die Erde ein Mensch, würde sie ununterbrochen schreien (Paulus sagt das im Römerbrief 8 über die Schöpfung, die auf die Erlösung wartet), denn sie leidet unter unserer hemmungslosen Ausbeutung. Diesem Schrei der Erde hat der Gitarrist Carlos Santana in einem seiner bekanntesten Stücke Europa – Earth Cry, Heaven’s smile von 1976 einen einfühlsamen Ausdruck gegeben. – Harmonisch und aufwühlend, wie unsere Beziehung zur Erde
Earth Cry ist für mich zum Ohrwurm geworden und mahnt mich nicht nur in meinem eigenen Garten, sondern auch im Gemeinsamen Haus, der Mutter Erde (Papst Franziskus, Laudato Si) meinem Pflege-Auftrag nachzukommen.
GS 23. Juni 2020

Ausgewählt und mit Vollmacht

Unsere bundesdeutsche demokratische Zivilgesellschaft mit ihrem hohen Anspruch an vielfältigem sozialem und kulturellem Leben funktioniert nur, wenn viele sich “ehrenamtlich” engagieren, ihre Fähigkeiten unentgeltlich einbringen, hochmotiviert und engagiert.
Fast 16 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland in Vereinen, Initiativen, sozialen Bewegungen, im Sport, in der Arbeit mit Jugendlichen, im Gesundheitsdienst, in der Sozialfürsorge, in der Pflege und Betreuung, in der Nachbarschaftshilfe, … und in den Kirchen.
Mit “Ehrenamt” wird im deutschen Sprachraum die Übertragung einer Aufgabe des bürgerschaftlichen Engagements durch Wahl oder Beauftragung verstanden, eben ein AMT. Dies traut den Gewählten zu, dass sie die Aufgabe ausführen zum Wohle der Gemeinschaft und zum Dienst an der Gesellschaft – und dass es ihnen Spaß macht.
Ich arbeite nun schon seit 50 Jahren “ehrenamtlich” in unterschiedlichen Gruppen und Initiativen, meist in Friedens- und Entwicklungspolitischen Initiativen, aber auch kirchlichen Initiativen und Gremien; in vielen Fällen langjährig in Leitungsfunktionen.
Entscheidend für die “freiwillige” Übernahme dieser Funktionen und für mein Engagement überhaupt war immer meine Motivation, mein Interesse an den Menschen und den damit verbundenen Herausforderungen.
Für die Kirchen in Deutschland ist ein vielfältiges ehrenamtliches Engagement lebensnotwendig, um ihren Dienst an der Zivilgesellschaft und ihre internen Dienste und Angebote aufrechterhalten zu können. Hier ist für das EhrenAMT zunächst mal die Mitgliedschaft durch die Taufe und die Firmung/ Konfirmation Voraussetzung und die Einbindung in die Organisation, die Hierarchie (Heilige Ordnung). Die individuelle Motivation ist der Berufung durch die Taufe zum Dienst in der Kirche nachrangig. Ehrenamtlicher Dienst ist die zwangsläufige Konsequenz der Mitgliedschaft und keine Frage der inneren Motivation und der Voll-Macht.
Das Matthäus-Evangelium zeigt auf, wie Jesus die, die sich für seine Botschaft engagieren wollten in sein Wirken eingebunden hat und sie motivierte für ihren Dienst:
Erst verkündet er seine Botschaft vom Friedensreich der Gerechtigkeit und Liebe, dann setzt er in seinem Leben und Handeln diese Botschaft konsequent um, gewinnt Anhänger, die mit ihm gehen. Und als er erkennt, dass der Bedarf nach Botschaft, Leben und Handeln größer ist, als er allein leisten kann, wählt er unter seinen Followern Bevollmächtigte aus es ebenso zu tun, die Reichweite seiner Botschaft und seines Handelns zu vergrößern. Er nimmt ihre Motivation und ihr Engagement ernst und traut ihnen zu in seinem Sinne zu handeln. – Auch wenn einer ihn enttäuscht an die Religionsbehörde verrät.
Jesus sendet sie aus ohne Bezahlung oder Vergütung, darauf vertrauend, dass sie versorgt werden von der Gemeinschaft der ihm und mit ihm Gott Glaubenden.
Sein Motivations-Zuspruch: „Tut alles, ohne etwas dafür zu verlangen, denn ihr habt auch die Kraft dazu ohne Gegenleistung bekommen.“(Matthäus-Evangelium 10,8)
Fragen:
In unserer Individual-Gesellschaft, in der soziales Engagement sich lohnen muss, ein schwer vermittelbares Mitarbeiter Rekrutierungs- und Motivierungsmodell?
Weil Kirche der eigenen Botschaft und der Attraktivität ihrer Dienste am Nächsten und für die Gemeinschaft nicht traut? – Oder weil sie ihren Followern und deren Motivation nichts zutraut?
GS 17. Juni 2020

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? – Niemand!

Dieses Spiel mit zwei gegenüberstehenden Mannschaften spielten wir Anfang der 1960er Jahre in den Pausen an unserer Grundschule (damals noch Volksschule genannt, weil dem nachwachsenden Volk Bildung beigebracht werden sollte) in meiner Heimatstadt Essen, Zentrum des Schmelztiegels (melting pot) Ruhrgebiet, auch Ruhr-Pott genannt.

Der Ruf, der sich anschloss an das furchtlose „Niemand“ war „Und wenn er kommt?“ Darauf wurde trotzig zurück geschrien „Soll er doch!!!“, und die ohnehin schon dichte, mauerartige Menschenkette wurde noch dichter, man klammerte sich aneinander, stemmte sich dem nun unmittelbar folgenden oder taktisch verzögerten Ansturm des einzelnen  „Schwarzen Mannes“ entgegen, damit er nicht diese menschliche Mauer durchbrechen konnte.

Was heute als rassistisch vom Schulhof verbannt würde, war für uns Kinder im Wirtschaftswunderland Deutschland der frühen 1960er Jahre eine unbewusste Form des Umgangs unserer Angst vor den Fremden, den Gastarbeitern aus Südeuropa und der Türkei, die – fast alles Männer, dunkelhaarig, dunkelbraune Hautfarbe, unserer Sprache nicht mächtig – uns unheimlich waren und gegen die (und unsere Angst) wir eine kollektive Abwehrmauer errichteten.

Dieses nunmehr 50 Jahre alte Spiel ging mir durch den Kopf während der sog. Flüchtlings-Krise 2015 und jetzt wieder als ich den Protesten und Solidaritätsbekundungen der #blacklivesmatter Bewegung folgte und die nahegehenden Zeugnisse von Alltagsrassismus in Deutschland, gesammelt aus dem Erleben von Schwarzen in Deutschland im „Brennpunkt Rassismus“ von Carolin Kebekus sah.

Im Spiel, das wahrscheinlich bis in die Zeit der Pest -dem schwarzen Tod- zurückgeht, wird schwarz mit böse assoziiert und so sind wir schnell in den einfachen kindlich-kindischen Denkschemata von gut/böse, hell/dunkel, weiß/schwarz …

Das scheint auch in unserer global vernetzten, liberalen Gesellschaft, die sich gerne als christliche Wertegemeinschaft etikettiert, immer noch oder zunehmend wieder zu rassistischen Übertragungen und Hass getrieben Gewalt-Exzessen zu führen, überall auf der Welt.

Wirklich christlich dagegen wären wir, wenn wir uns davon leiten lassen würden, dass vor Gott Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, gesellschaftliche Stellung irrelevant sind (Paulus an die Kolosser) und wir so gemeinsam Verantwortung übernähmen für das gemeinsame Haus –diese von Gott geschenkte Erde-, um eine Gesellschaft der Gerechtigkeit und Liebe aufzubauen und zu leben. (Papst Franziskus, Laudato Si).
Der erste Schritt dahin ist der Respekt vor der Würde des anderen. – Vielleicht gelingt es uns dann ja auch unsere Angst zu überwinden und diesen Anderen vorurteilsfrei anzunehmen. Ja, vielleicht gelingt es uns ja ihn zu lieben.

GS 9. Juni 2020

Motivierend

Ich habe gestern mal wieder eine Runde ums Dorf gedreht, genauer eine 30 km Runde um mehrere Dörfer. Mal eben so, weil ich Lust darauf hatte – und ein neues Fahrrad!
Herrliches Wetter, blühende Landschaften, nur selten wurde dieser An- und Ausblick durch den Tagebau und die damit einhergehende Zerstörung dieses schönen Fleckchens Erde unterbrochen. Ich habe neue Wege entdeckt und erfahren.
Gut, mit dem alten Fahrrad wäre das auch möglich gewesen, aber irgendwie war das doch sehr gekoppelt an die tägliche Fahrt zur Arbeit und das nun schon 15 Jahre lang –Routine-Fahrt. Da brauchte es mal einen neuen Impuls, einen Kick, um mich in Bewegung zu bringen, die Leistungsfähigkeit des neuen Fahrrads auszuprobieren, auch in unwegsamem Gelände. Meine vom Corona-Home-Office erschlafften Muskeln in Bewegung zu bringen, mich wieder neu zu erfahren.
Wenn der Weg was steiler und herausfordernder wurde hab ich mich unterstützen lassen, denn es ist ein eBike, das mich zur Entdeckungsfahrt motiviert.
Meinen eingefahrenen Denk- und Handlungsmustern täte solch ein Booster auch mal gut. Neues Denken, ausprobieren, Experimente wagen und trotzdem mir selbst und meinem Glauben treu bleiben.
Vielleicht ging es den Jüngern Jesu auch so, nachdem er von ihnen gegangen war und Ihnen den Auftrag gegeben hatte, seine Botschaft in die Welt hinaus zu tragen, zu verkünden und zu leben. Aber wie, wo doch der, der sie inspiriert hatte nicht mehr da war? Aus den Erinnerungen zehren? Sich selbst immer wieder neu motivieren? Nein da brauchte es schon einen deutlicheren Motivationsschub:
Sie saßen zusammen und beteten, wie sie jetzt diesen, seinen Auftrag erfüllen sollten. Der Evangelist Lukas erzählt in dieser Situation von einer gemeinsamen “Begeisterung”. Dieser neue Geist motiviert sie, treibt sie nach draußen zu den Menschen aus aller Welt, denen sie endlich die befreiende Botschaft Jesu von der Gerechtigkeit, der Liebe und dem Frieden verkünden. Von da an weiß sich diese kleine, aber immer mehr wachsende Gemeinschaft von Jesu Geist, dem Heiligen Geist inspiriert und motiviert ihren Weg in die Welt hinaus zu gehen. Diese Pfingst-Power treibt sie an, immer wenn sie am Boden sind, sie können gar nicht anders. Als sie befragt werden, woher sie die Kraft zur Verkündigung und zum Heilen nehmen, verweisen sie auf den Geist Jesu und als man sie mundtot machen will sagen sie: Wir können nicht schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.
Diese immer wieder motivierende Power wünsche ich mir für mein Leben, meine Arbeit und für die ausgepowerte Nachfolge-Organisation dieser Jünger*innen-Gemeinschaft, die sich Kirche (=Herausgerufene) nennt.
GS 3. Juni 2020

Verdrängt

Seit Februar ist Covid 19 und die Folgen das alles beherrschende Thema unserer Kommunikation. Es gestaltet unsere Beziehungen und unser Verhalten, es bedroht unsere wirtschaftliche und physische Existenz, es bestimmt unsere Wichtigkeiten und Wertigkeiten. Einfach so!
Bei einer Videokonferenz mit Partnern in Sambia war der Einstieg ins Gespräch natürlich auch über das Leben mit der Pandemie. Ja, sicherlich es ginge eine diffuse Bedrohung davon aus, und man traue den Zahlen der Regierung nicht, die Corona-Bedrohung diene auch dazu Polizei- und Militär-Übergriffe zu rechtfertigen, … aber viel existenzieller und auch Hunger-tödlicher seien die sicht- und spürbaren Folgen des Klima-Wandels: Bereits im 3. Jahr Dürre und Schädlingsbefall.
Ich weiß seit 5 Jahren um diese immer bedrohlicher werdende Entwicklung nicht nur in Sambia. Sie trifft besonders die armen Kleinbauern, die von der Nebenerwerb-Landwirtschaft leben. Aber jetzt, da Corona alles überlagert und so nah ist, hatte ich verdrängt, was sich im globalen Süden immer schneller entwickelt und die Menschen dort in ihrer Existenz bedroht.
Am 24. Mai 2015 als die Zahl der Flüchtlinge, die über die Balkanroute und das Mittelmeer nach Europa kamen immer schneller Anwuchs, stellte Papst Franziskus seine Enzyklika LAUDATO SI – über die Sorge für das gemeinsame Haus -vor.
In der Einleitung platziert er einen Aufruf:
„Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen. … Ich lade dringlich zu einem Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln … betreffen uns alle.“
Mit der gefühlten Entspannung in der Covid19 Krise kommt der Klimawandel und seine Folgen wieder eher in den Blick und bei Meinungsumfragen ist er nach wie vor das Thema Nr.1.
Was wir zwischenzeitlich verdrängt haben ist eine gemeinsame Herausforderung geblieben; eine Anfrage an unseren Handlungswillen hier und unsere weltumspannende Solidarität in gemeinsamer Verantwortung für das gemeinsame Haus.
GS 27.Mai 2020

Allmächtiger Gott,
der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist
und im kleinsten deiner Geschöpfe,
der du alles, was existiert,
mit deiner Zärtlichkeit umschließt,
gieße uns die Kraft deiner Liebe ein,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.
Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Brüder und Schwestern leben
und niemandem schaden.
Gott der Armen,
hilf uns,
die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
die so wertvoll sind in deinen Augen,
zu retten.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind
und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen
und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Rühre die Herzen derer an,
die nur Gewinn suchen
auf Kosten der Armen und der Erde.
Lehre uns,
den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen
auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.
Danke, dass du alle Tage bei uns bist.
Ermutige uns bitte in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

Gebet für unsere Erde (Papst Franziskus, 2015)

Fakten, Deutung, Wirklichkeit und die Wahrheit

Gelockert treffen sie sich jetzt wieder zur Demo, meist den Vorschriften entsprechend, gegen die sie demonstrieren. Es geht um Fakten-Deutung, Recht(e) haben, Gestaltungsmöglichkeiten und-notwendigkeiten der Wirklichkeit unserer Zivilgesellschaft; letztlich um Demokratie gegen Expertokratie.

Unter dem Tarnnamen MEINUNGSFREIHEIT versuchen Ideologen unterschiedlichster Weltanschauungen bei diesen Versammlungen Stimmung zu machen gegen die Regierungen und ihre Experten und Berater*innen; andere nutzen die Verunsicherung der Bedrohungslage, um diffus Schuldige und ihre Machenschaften zu benennen: Bill Gates, eine geheime Weltregierung, die Mächte des Bösen, …

“Wenn sich plötzlich die Ordnung ändert, wenn die Menschen Orientierung suchen und die Realität zu kompliziert erscheint, um sie mit dem Verstand zu erfassen – dann schlägt die Stunde der einfachen Erklärungen.” (Zeit-Dossier VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN 21/ 2020 – S.12)

Auch Jesus lebte in einer Zeit der Umbrüche, die politischen Ordnungen veränderten sich, die Deuter seiner Zeit sahen die Apokalypse kommen, das Ende der Welt. Der Evangelist Johannes (Joh 14) beschreibt, dass Jesus die Verunsicherung seiner Freunde und Zuhörer spürt, zumal auch er von einer neuen Weltordnung spricht. Diese allerdings wird nicht von den Mächten des Bösen, oder von sich selbst ermächtigenden Regierungen oder Autokraten geprägt, sondern von dem neuen Geist der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens. Diesen neuen Geist der Wahrheit hat er Ihnen verkündet. Er soll ihnen Orientierung geben, ihnen Mut machen ihr Leben in diesem Sinne zu gestalten und so mit ihm und Gott in Verbindung zu bleiben.

Diese Wahrheit Jesu ist keine einfache Welterklärung oder Verschwörungstheorie über die Mächte des Bösen, sondern eine visionäre Lebenspraxis eines Guten Lebens für alle Menschen.

Wenn diese Wahrheit wirksam, also Wirklichkeit werden soll, ist es an uns sie glaubhaft zu leben, gegen alle Verunsicherung und im Vertrauen auf das Gute – auch in den Zeiten der Krise.

GS 19. Mai 2020 https://www.youtube.com/embed/n6k5WZpgVKE?feature=oembed

Verwirrt

“Lasst Euch nicht verwirren!”(Joh 14,1) Diese mahnenden Worte Jesu im Johannesevangelium vom Sonntag klangen mir noch in den Ohren, als ich die Berichte über die Demonstrationen des Wochenendes sah. Eigentlich waren es ja keine Demonstrationen, also Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit, sondern Proteste unterschiedlich motivierter Menschen und Gruppen gegen die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheiten im Rahmen der Pandemie-Gesetze und –Verordnungen, erlassen von demokratisch gewählten Gremien, in Solidarität und zugunsten des Infektionsschutzes älterer und vorerkrankter Menschen.

Die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit wurde nicht zur politischen Meinungsbildung genutzt, sondern von Verschwörungstheoretikern und antidemokratischen Gruppen zur Verbreitung ihrer verwirrten Ideen missbraucht. Für diese Art der populistischen Meinungs- und Panikmache waren sich auch katholische “Würdenträger” nicht zu schade und reihten sich mit einem gemeinsamen Brief ein. Sie leugnen die Ansteckungsgefahr des Virus, warnen vor Impfen und behaupten in ihren Verschwörungsmythen, dass finstere Mächte die Menschen in Panik versetzen wollten, um eine unkontrollierbare Weltregierung schaffen zu können:

“Die Eindämmungsmaßnahmen seien geschaffen worden, um in Wirklichkeit „die Einmischung von fremden Mächten“ zu begünstigen. Die Rede ist von Projekten, „um besser manipulieren und kontrollieren zu können“, einer „Politik der drastischen Bevölkerungsreduzierung“ und den Kampf gegen einen „unsichtbaren Feind“.(Weser-Kurier 10.5.20)

Angesichts solcher kruden Verschwörungstheorien, die Gut-Gläubige manipulieren und aufhetzen wollen – auch schon zur Zeit Jesu – setzt dieser auf den gesunden Menschenverstand, das Selbstvertrauen und bestärkt den Glauben seiner Freundinnen und Freunde gegen einen blinden Glauben an selbsternannte Propheten und Hirten, die er als Diebe und Räuber bezeichnet (Joh 10): „Ihr kennt den richtigen Weg!“ (Joh 14,4) Der ist vorgezeichnet in seiner Botschaft vom guten Leben für alle in Solidarität und Liebe, Gerechtigkeit und Frieden. – „Lasst Euch nicht verwirren!“

GS 13. Mai 2020

Stress-Test

Sieben Wochen ohne fühlbare Nähe durch social distancing und die Ungewissheit, wie lange das noch so gehen wird. Dazu der Blick aus dem Fenster in einen grauen, regnerischen Himmel und die bestürzenden Nachrichten im Ohr, dass Deutschland jetzt schon die für dieses Jahr zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen verbraucht hat – Earth Overshoot Day.
Sieben Wochen ohne sind mein persönlicher Stress-Test und die Corona-Pandemie scheint ein Stresstest unserer Zivilgesellschaft zu sein.
Das Ziel von Stress-Tests ist ja die Belastungsfähigkeit festzustellen. Zunächst aus der Humanmedizin kommend, fand der Begriff infolge der Bankenkrise Eingang in alle Bereiche unserer Gesellschaft.
Meine Erkenntnis: social distancing klärt Beziehungen. Wie isset?-Joot!-Beziehungen verflüchtigen sich, weil sie aus dem (zufälligen) Blick geraten. Es braucht ein wirkliches Interesse aneinander und das Suchen nach dem Gemeinsamen als Kern dieser Beziehung. Meine Hoffnung für das „Danach“: Dass diese Verdichtung bleibt und das Gemeinsame tragfähig ist.
Der gesellschaftliche Stresstest lässt u.a. erkennen, wie ernst es unserer Gesellschaft mit ihren Werten von Solidarität und Freiheit ist. Das “Danach” wird erweisen müssen, ob der Solidarität und der Verzicht auf Freiheiten der Jungen und Gesunden zugunsten und zum Schutz der Älteren und Kranken in der Coronakrise die Solidarität und der Verzicht der Älteren im Gegenzug in der Klimakrise folgt.
Krise kommt vom griechischen Krinein, was Entscheidung bedeutet. So fordert diese Krise uns zur Entscheidung in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen.
Für diese Entscheidung brauchen wir offensichtlich noch Resilienz im Umgang miteinander und mehr Achtsamkeit für einander.
GS 5. Mai 2020

Foto: Asli Yüksel

Normal?

In dieser Woche begannen die ersten Lockerungen der Versammlungsbeschränkungen und schon wird der Ruf nach mehr! bzw. ungerecht! laut. Die Begründung: Freiheit! und Wirtschaft!

Die Sehnsucht dahinter ist die Rückkehr zur “Normalität”. Aber wohin will man dann zurück? Und was ist die (soziale) Norm, an der sich diese Normalität orientiert? Und wer legt diese als Norm fest?

Soziale Normen unterliegen immer dem sozialen Wandel und bringen (äußerliche) Erwartungen der Gesellschaft an das Verhalten von Individuen zum Ausdruck. (WIKIPEDIA)

Unsere Gesellschaft und ich als ein Teil von ihr hat sich durch die Herausforderung des Virus verändert. Da ist die diffuse Angst vor Infektion und ihren möglicherweise tödlichen Folgen, der nahezu unmögliche Versuche sich und andere zu schützen, die existenzielle wirtschaftliche Not von Selbständigen und Unternehmen, …
Aber die bedrohliche neue Situation weckt auch viel Kreativität und unsere Gesellschaft entdeckt alte Werte wieder neu, wie Solidarität, Hilfsbereitschaft wildfremden Menschen gegenüber, die urchristliche Haltung tätiger Nächstenliebe … Werte und Haltungen, die verloren gegangen schienen als in unserer Gesellschaft noch alles normal (erfolgs- und profit-orientiert) lief.

Wollen wir wirklich zurück in dieses, unser normales Leben? Oder müssen wir das Normal erst mal für uns neu definieren?
Das neue normal wäre dann für mich vielleicht Achtsamkeit, Gelassenheit, Zeit für mich selbst und andere zu haben, … und auch etwas Neues, was ich in dieser Krisenzeit erst entdecke, ausprobiere und als bereichernd erfahre für mein Leben. Das ist die viel zitierte und oft schnell über die Lippen gehende Chance, die in der Krise steckt.

So verstehe ich auch das nachösterliche Evangelium des letzten Sonntages, wo es die Freunde Jesu –ja es sind diesmal wirklich mal wieder die Männer- nach dessen Tod und einer Zeit der Enttäuschung und Trauer wieder danach drängt ins normale Leben zurückzukehren. „Ich gehe Fischen“ und die anderen schlossen sich ihm an. Erfolglos!
Erst auf die Ermunterung eines Mannes, der in gebührendem Abstand am Ufer stand und den sie erst später als den auferstandenen Jesus erkannten, es nochmal zu versuchen haben sie Erfolg.

Die Reset Taste zu drücken und beim Reboot zu erwarten, das alles wieder „normal“ läuft scheint nicht zu funktionieren, sondern es bedarf der Aufarbeitung der Krisenerfahrungen um daraus das neue normal zu entwickeln. – Das gemeinsame Mahl steht erst am Ende dieses Prozesses und nicht am Anfang, wie es jetzt Kirchenführer vorschnell fordern und mit abstrusen Regeln (Normen) durchsetzen wollen.

Für ein neues Normal brauche ich und vielleicht auch unsere Gesellschaft wohl noch was Zeit – und eine Sicherheit, dass das Virus therapierbar ist.

Das Gebet von Reinhold Niebuhr passt in unser Suchen:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

GS 29. April 2020

Distanzlos

In diesen Tagen des social distancing, des Corona-Sicherheitsabstandes, des Selbst- und Fremdschutzes durch Mund-Nase-Masken, Desinfektionsmaßnahmen und Hygiene-Handschuhen ist die Begegnungsgeschichte zwischen dem auferstandenen Jesus und seinem Schüler und Freund Thomas, die am Sonntag in den katholischen Gottesdiensten über Video-Kanäle aufgezeichnet, von Lesepulten vor leeren Bänken live gestreamt oder in Video-Meetings in die Kamera gelesen, irgendwie aus der Krisenzeit gefallen.
Jesus fordert in dieser Geschichte (am Ende des Johannes-Evangeliums) zum Haut- und Wunden-Kontakt auf. Er lässt sich berühren, ungeschützt! Er fordert den kritischen, faktenorientierten Schüler auf zu begreifen, was er nicht meint glauben zu können.
Die Wirklichkeit stellt sich aus der Distanz anders dar und die Berührung verändert die Wahr-Nehmung.
Diese Begegnung ist damals wie heute ein starkes Zeichen. Es nimmt die Faktenorientierten ernst und auch in Schutz gegenüber den Gutgläubigen: Überzeuge Dich selbst von der neuen Wirklichkeit und komme dadurch zum Glauben aus echter Überzeugung.
Wenn wir Nachgeborenen ohne handgreiflichen Kontakt glauben können, können wir uns glücklich schätzen. Der Normalfall des Glaubens sind glaubwürdige Zeugen und Zeichen, die uns Hoffnung machen, dass unser Leben einen Sinn hat – und dass am Ende alles gut wird.

GS 21. April 2020

LmbF – Leben mit beschränkter Freiheit

Die Kritik einiger Politiker*innen richtet sich derzeit, 3 Wochen nach dem Lock down, gegen diese und weitere Gesetze und Verordnungen, die die Grundrechte der Bürger*innen zeitweise einschränken und teils auch aussetzen, wie die Versammlungsfreiheit. Diese eher liberalen Politiker*innen bekommen u.a. Unterstützung von ultrakonservativen Christen, die dadurch insbesondere vor dem anstehenden Osterfest, die freie Ausübung der Religion beschnitten sehen.

Sozialverbände und -politiker fürchten und beobachten einen Anstieg der häuslichen Gewalt und bei manchen Jugendlichen wie Erwachsenen macht sich der Hüttenkoller breit.

Leben und Freiheit werden in Frage gestellt.

Diese eigentlich versammlungsintensive Woche vor Ostern, die uns ja mit allen Facetten des Lebens konfrontiert wie Begeisterung, Liebe, Hoffnung, … – Verrat, Leid, Einsamkeit, Tod, Trauer …;

diese Karwoche hat ihren Höhepunkt in der Feier eben dieses, unseres Lebens im Osterfest.

Die vorübergehende Einschränkung unserer Freiheit macht mir wieder neu bewusst, wie gefährdet mein Leben und meine Freiheit sind. Dieses Virus ist lebens-gefährdend und verstärkt diese Gefahr noch für die Menschen, die ohnehin schon unter Not, Hunger, Krankheit und Krieg leiden.

Der deutsch-israelische Dichter und Journalist Schalom Ben Chorin hat ein Gedicht 1942 in der Emigration und angesichts großer Hoffnungslosigkeit und Leid geschrieben und es das Zeichen überschrieben:

“… Ein bisschen meschugge, ein bisschen verrückt ist das ja: ein zarter Blütenzweig als Protest gegen den Druck von Hoffnungslosigkeit.” So sagte Schalom Ben Chorin später dieses Gedicht (Dank an Burkhard Hose für seinen Post dazu)

Diese Zeiten sind meschugge und so will ich in all dem Schlamassel (jiddisch = Unglück) dieser Tage mich dennoch auf Ostern freuen und das Leben feiern!
GS 7. April 2020

Das Zeichen

Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging,
so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig
für des Lebens Sieg.

(Schalom Ben Chorin, 1942)