Predigten – Dreifaltigkeitssonntag-September 2016

Sonntag, 11. September 2016

Evangelium: Lukas 15,11-32
Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen. Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land und es ging ihm sehr schlecht. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner. Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und zieht ihm Schuhe an. Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern. Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.

„Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein“
Letztens auf der Pontstraße: Chaos, Blaulicht und Sirenengeheule. Was war los? Eine Brandschutzübung im Institut gegenüber der Khg. Und das war schon die zweite innerhalb von 8 Tagen. Und so nervig das auch sein mag, weil dann auf der Pontstraße erst mal alles still steht, es macht Sinn. Lieber einmal zu viel prüfen als zu wenig, ob die Schutzmechanismen greifen und alles Menschenmögliche getan ist, um eine Katastrophe zu vermeiden.
Aber was dahinter steckt, wie viele Richtlinien eingehalten werden müssen, um die Behörden zufrieden zu stellen, das krieg ich persönlich dann immer mit im Gespräch mit unserem technischen Leiter in der Khg. Und mit dem krieg ich mich dann regelmäßig in die Wolle, weil selten so einfach etwas verwirklicht werden kann, wie ich mir das vorstelle. Entweder wird die Realisierung wahnsinnig teuer oder so schwierig in der Umsetzung, dass man fast schon die Lust verliert, auch nur irgendetwas zu verändern. Und trotz alledem macht es Sinn, denn wer könnte verantworten, wenn ein Unfall geschehen würde aufgrund unsicherer Gebäude? Wir alle wissen heute, dass eine Reihe von Todesfällen oder Verwundungen hätten vermieden werden können in Folge des schrecklichen Erdbebens in Italien, wären die Gebäude sicherer gewesen.
Wir Menschen brauchen in bestimmten Lebenssituationen Schutzmechanismen; sie helfen uns, sie schützen uns, sie schenken uns ein Gefühl von Sicherheit, auch wenn sie manchmal lästig sind.
Heute werden wir auf eine wesentliche Dimension unseres Glaubens verwiesen, die genau dies im Sinn hat. Der Glaube möchte uns schützen, manchmal sogar vor uns selbst. Er möchte uns schützen davor, dass wir uns verlaufen in unserem Leben, dass wir im wahrsten Sinn des Wortes in eine Sackgasse geraten, dass wir unter die Räuber fallen und verlieren, was im Leben wichtig ist.
Es tut gut, jemanden im Rücken zu haben oder auch schon einmal jemanden vor sich zu haben, der einen schützen möchte und dem man vertrauen darf, dass er gut zu einem ist. Das schenkt ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Und dennoch: Gott ist nicht der Chef der Bauordnungsbehörde und auch nicht der Direktor des TÜV. Gottes Regeln sind anders aufgestellt als die Schutzparagraphen der kommunalen Ämter und Behörden. Und was noch ein gravierenderer Unterschied ist: Wir Menschen werden nicht zusammengebaut nach bestimmten Vorgaben und Regeln; wir werden nicht gemacht und sind dann ein für alle Mal fertig.
Ja es stimmt, wir Menschen brauchen Schutzmechanismen, die uns davor bewahren, dass wir in die Irre laufen und die uns auch davor bewahren, andere in die Irre zu führen. Aber wie sehen diese Mechanismen aus, die uns aus unserem Glauben heraus erwachsen? Darauf gibt uns die Dreierbeziehung eine Antwort, von der wir heute im Evangelium hören. Die Geschichte eines Vaters, der zwei Söhne hat wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Meistens steht ja der verlorene Sohn, wie er ja immer genannt wird,  im Fokus des Interesses. Ich möchte aber zunächst auf den älteren Sohn schauen. Ich glaube nämlich, dass Jesus seinen Zuhörerinnen und Zuhören eben diesen älteren Sohn als Spiegel vor die Nase halten wollte. Und ich wette, er ist auch das Spiegelbild vieler Menschen heutiger Zeit, vielleicht sogar von uns? Er ist sozusagen der Prototyp eines korrekten Menschen. Er hat nie ein Gebot übertreten, war immer korrekt, anständig und bei ihm ist sicher nie was zusammengebrochen. Als Architekt seines Lebens – wenn ich das so in ein Bild fassen darf – durfte er sicher davon ausgehen, dass sein Lebenshaus auf Ewigkeit nicht zusammenfällt. Aber –oh Gott – es bricht zusammen. Es bricht zusammen, weil es aufgebaut war auf der verinnerlichten Angst, etwas falsch zu machen im Leben. Es bricht zusammen, weil all das, was er getan hat, aus einer Verkrampfung heraus geschehen ist, etwas falsch zu machen. Deshalb hat er in blindem Gehorsam lieber den Vorgaben des Vaters Folge geleistet in der dummen Annahme, dann fehlerfrei zu bleiben. Sein Leben bricht zusammen, weil er jegliche eigene persönliche Bedürftigkeit ignoriert, ja unterdrückt hat. Der ältere Sohn hat sich an die Kette seiner Angst gelegt und seine Freiheit dabei verloren. Aber das weiß jeder, zumindest jeder Hundebesitzer (und das bin ich ja bekannter Weise): Hunde, die an die Kette gelegt werden, werden aggressiv. Sie mögen nichts tun, schließlich sind sie ja angekettet, aber, wenn sie könnten: sie würden beißen und zerstören. Wer von Angst geführt wird, der verliert Güte und Milde. Wer sich zwingt, gut sein zu wollen, der wird böse. Und der ältere Sohn ist böse, denn er zeigt mit dem Finger auf seinen jüngeren Bruder, um diesen zu entblößen. Rechthaberische Menschen suchen immer Sündenböcke.
Schauen wir auf den jüngeren Sohn. Er hat sich verlaufen; aber doch nur deshalb, weil er sein Leben selbst in die Hand nehmen wollte. Nicht seine Ziele waren falsch, sondern die Mittel, diese umzusetzen. Und der Vater: er gibt seinem jüngeren Sohn das ihm zustehende Erbe nicht aus einem Pflichtbewusstsein heraus, auch nicht aufgrund juristischer Korrektheit; er gibt es ihm aus einem hohen Respekt der Freiheitssehnsucht seines Sohnes gegenüber.
Es tut gut, jemanden um sich, ja: in sich zu wissen, der einem Schutz und Geborgenheit schenkt. Aber dieser Schutz Gottes beinhaltet keine Garantie, ohne Blessuren durchs Leben zu kommen, wohl aber die Garantie, mit den Blessuren, mit den Verwundungen und den Narben leben zu können und vor allem: als „sich geliebt wissen“ leben zu dürfen, frei leben zu dürfen, selbst wenn ich das einmal in einer tiefen Not vergesse. Der Schutzmechanismus Gottes bewahrheitet sich in seinem Versprechen, auch den Gefallenen, den Gebrochenen, den Verirrten nicht fallen zu lassen, nicht seinem Schicksal zu überlassen, sondern die Arme offen zu halten, sein Herz offen zu halten.
Für die Bauordnungsbehörden sind zweifelsohne Unfälle und Zusammenbrüche mit allen Mitteln zu vermeidende Katastrophen; für Gott sind es Lehrstunden des Lebens, die einen Verantwortung lehren für sich und für die anderen.
Ihnen…. Legt sich Gottes guter Geist nun ins Herz, wenn Sie jetzt gefirmt werden; er nistet sich bei ihnen ein, will in ihnen wohnen und er möchte Ihnen Mut machen. Sie kennen sicher das Kinderlied: „Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut steht ihm gut, s’geht im wohlgemut.“ Stock und Hut ist vielleicht nicht Ihres, vermute ich mal, aber wohlgemut dürfen und sollen sie gehen hinaus in die weite Welt, und Gott geht mit Ihnen.

Christoph Simonsen


04. September 2016
23. Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Lesung: Weisheit 9, 13-19
Denn welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift, was der Herr will? Unsicher sind die Berechnungen der Sterblichen und hinfällig unsere Gedanken; denn der vergängliche Leib beschwert die Seele und das irdische Zelt belastet den um vieles besorgten Geist. Wir erraten kaum, was auf der Erde vorgeht, und finden nur mit Mühe, was doch auf der Hand liegt; wer kann dann ergründen, was im Himmel ist? Wer hat je deinen Plan erkannt, wenn du ihm nicht Weisheit gegeben und deinen heiligen Geist aus der Höhe gesandt hast? So wurden die Pfade der Erdenbewohner gerade gemacht und die Menschen lernten, was dir gefällt; durch die Weisheit wurden sie gerettet.

Evangelium: Lukas 14,25-33
Viele Menschen begleiteten ihn; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.

„Et hätt noch immer juuut jejange – evver wie?“
Wenn ihr euch selbst beschreiben wolltet, wie würdet ihr euch einschätzen? Handelt ihr eher spontan oder doch eher bedächtig? Wie stark ist eure Entscheidungsfreudigkeit? Macht ihr lieber rasch Nägel mit Köpfen oder schiebt ihr Entscheidungen lieber so lange hinaus, wie es irgendwie geht? Mich selbst kenne ich als jemanden, der so manchmal Entscheidungen aus der Hüfte fällt. Da ist ein Problem und dann muss auch irgendwie gleich die Lösung her. Ungewisse Situationen kann ich nur schwer aushalten; dann lieber rasch eine Entscheidung herbeiführen und hoffen, dass es die Richtige ist. Irgendwie vertrau ich da einem Gebot des Kölschen Grundgesetztes: „Et hätt noch immer juut jejange“. Im Rheinland gibt es zur Bestärkung auch noch diesen aufmunternden Spruch: „Butter bei de Fische“, was so viel heißen soll: „Jetzt mach mal,  entscheide dich, zögere nicht so lange herum.
Ohne Zweifel, es ist gut, wenn sich etwas im Leben klären konnte oder noch besser: Wenn ich etwas klären konnte und das Leben dadurch klarer wurde. Das ist ein schönes Gefühl. Es tut gut, klares Leben in sich und um sich zu haben.
Aber was, wenn die getroffene Entscheidung, die ich da womöglich aus der Hüfte gezogen habe, eine Fehlentscheidung ist? In solch einem Augenblick hilft auch das Kölsche Grundgesetz nicht mehr. Denn dann ist unter Umständen etwas nicht gut gegangen, trotz guten Glaubens. Im schlimmsten Fall hat aufgrund meiner Entscheidung ein anderer Mensch Schaden gelitten, ihm ist Unrecht widerfahren aufgrund meines Tuns. So sehr ich die Kölsche Mentalität schätze, diese Leichtfüßigkeit und diesen unverbrüchlichen Optimismus, so muss ich mich doch der Tragik des Lebens stellen, dass aufgrund meiner Entscheidungen dem Leben, dem Leben anderer, dem Leben der Welt Schaden zugefügt wird.
Jedem Entscheidungsprozess liegt die Hoffnung zugrunde, das Gute, das Richtige zu tun. Und doch ist die Folge menschlicher Entscheidungen oft das Böse und das Falsche. Warum? Weil dem Menschen – ich sage das so salopp, weil ich keine anderen Worte finde – weil dem Menschen der Durchblick fehlt. So viel der Mensch auch vermag, so weit der Verstand auch reicht, ja so selbstlos ein Mensch auch sein mag, er denkt und handelt immer von sich aus und aus sich heraus. Dem Mensch fehlt im letzten die Weitsicht. Diesem Dilemma können wir nicht entkommen. Aber was wir können: Wir können es minimieren. Wir können den Schaden, der strukturell wie auch persönlich von unserer Begrenztheit ausgeht, in Zaum halten.
Die Texte des heutigen Gottesdienstes schenken uns guten Rat. Da hören wir, zum Leben gehören zwei wesentliche Eigenschaften: Zum einen, die Weisheit Gottes zu suchen und zum anderen, die Schwere des Lebens anzunehmen.
Letztens las ich einen sehr nachdenkenswerten Satz in einem Artikel, in dem der Schauspieler Matthias Brandt, der Sohn des verstorbenen Parteivorsitzenden und ehemaligen Bundeskanzlers Willi Brandt ist, zu seiner Lebenseinstellung gefragt wurde. Er sagte: „In der Gesellschaft von heute hat das Wundern wenig Raum. Im Zuge des Selbstoptimierungsquatsches muss immer eine Lösung im Raum stehen. Dabei ist es etwas Wunderbares, das Nichtmehrweiterwissen.“ Ich glaube, damit hat er ganz knapp zusammengefasst, was unseren Glauben auszeichnet und was uns die heutigen Texte vermitteln möchten: Leben kann da gelingen, wo der Mensch seine eigenen Bürden anzunehmen bereit ist und sie nicht, wie es so oft heute geschieht, anderen auflastet und dann meint, seine Lebensnöte seien gelöst. Und damit sei das Problem aus der Welt. Nein, es gibt Nöte, Sorgen, Ungeklärtes, das kann ich nicht wegdelegieren, das muss ich selbst tragen, so schwer es ist. Und zugleich ist da aber auch eine Hoffnung, dass die Bürden des Lebens, die Kreuze des Lebens, wie Jesus sagt, in Demut vor Gott und in Freundschaft zu den Menschen geteilt werden können durch ein kluges Leben und kluge Entscheidungen. Denn aus einer Demut Gott und den Menschen gegenüber erwächst eine Weisheit, die nicht allein sich selbst im Blick hat, sondern das Ganze, die Schöpfung Gottes. Wenn ich das Ganze im Blick behalte, mit der Hilfe Gottes über mich selbst hinauswachse, dann weed it juut jeen. Nit immer, evver immer öfter.

Christoph Simonsen


Sonntag, 28. August 2016
22. Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Evangelium: Lukas 14,1.7-14
Als Jesus an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau. Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen:  Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Dann sagte er zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich ein, und damit ist dir wieder alles vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.

Nachdenken über Selbstverständliches, was nicht mehr selbstverständlich ist
Diese beiden Texte bedürfen wohl keiner Deutung. Sie sprechen so Selbstverständliches aus, so dass darüber nachzudenken eigentlich unsinnig vertane Zeit ist. Gastfreundschaft und ein bescheidenes Auftreten sind einfach bestechend überzeugende menschliche Tugenden. Noch mehr: es sind Lebenseinstellungen.
Ein bescheidener gastfreundlicher Mensch bekundet eine ursprüngliche Sympathie zum Menschen, eine Neugierde für den Menschen, eine herzhafte Offenheit, im Gegenüber einen Lehrer, eine Lehrerin für das Leben zu finden. Bescheidene, gastfreundliche Menschen haben nicht die Schere im Kopf, die teilt in Menschen, von denen sie was haben und den anderen, die ihnen nichts bringen. Sie haben eine unbändige Begabung, im anderen immer zuerst eine Bereicherung zu sehen; sie freuen sich am Gegenüber und vermögen es, den Menschen immer noch etwas Gutes abzugewinnen, wo andere sie schon längst abgeschrieben haben.
Bescheidene, gastfreundliche Menschen zeichnen sich dadurch aus, offentürig, offenherzig zu sein, ohne anderen einen Seelenstriptease aufzudrängen; sie schätzen den Austausch von Lebenserfahrungen mehr als von Faktenwissen. Für sie ist der Spruch „Geben ist seliger denn nehmen“ mehr als eine Binsenweisheit.
Sind wir bescheidene, gastfreundliche Menschen? Lebt in uns die Überzeugung, dass wir nur zu leben vermögen in der und aus der Begegnung mit den anderen? Und zwar mit den tatsächlich anderen? Nicht vorrangig mit den uns Vertrauten, sondern eben mit den ganz anderen, den uns nicht Vertrauten, den uns Fremden.
Ehrlicherweise wäre wohl eine andere Frage angebrachter: Wie könnten wir solche Menschen werden? Denn meistens ist es doch so, dass wir zwar gerne feiern, aber halt doch lieber mit denen wir uns eh gut verstehen? Meistens ist es doch so, dass wir gern geben, aber eben verbunden mit einem gerechten Austausch? Meistens ist es doch so, dass wir gerne Freundschaft gewähren, jedoch sicherheitshalber nur als Gegenleistung?
Mit wem feiern wir denn unseren Geburtstag oder unsere bestandene Prüfung? Mit wem gehen wir ein Bier trinken und für wen stellen wir uns an den Herd, um ein leckeres Essen vorzubereiten?  Wir umgeben uns lieber mit unseresgleichen, dann ist uns ein fröhlicher Abend gewiss.
Nein, die Zeit ist nicht vertan, darüber nachzudenken, was so selbstverständlich scheint: Gastfreundschaft und Bescheidenheit. Unsere Zeit verpflichtet uns geradezu dazu, darüber nachzudenken. Wir treffen damit den Nerv unserer Zeit. Unter seinesgleichen bleiben, Privatsphären sichern, seine Freizeit in closed clubs genießen; „Nur für Mitglieder“ an den Eingang schreiben: Das sind weiß Gott keine himmlischen Perspektiven. Aber es ist die Regel in unserer Gesellschaft, von wenigen Ausnahmen vielleicht abgesehen.
Ich glaube, wir müssen sehr wohl intensiv darüber nachdenken, ob Gastfreundschaft und Bescheidenheit Ausdrucksformen unserer Lebensüberzeugungen sind. Es stehen genug vor unserer Tür, die mit uns feiern, mit uns leben wollen.
Unser Bundesland ist in diesen Tagen 70 Jahre jung geworden. In den Medien sieht man die Ministerpräsidentin mit einem schmucken englischen Prinzen und anderen hochgeschätzten Damen und Herren fröhlich mit einem Glas Sekt in der Hand. Da haben definitiv die Armen, die Lahmen und Blinden, die Benachteiligten und Ausgesonderten gefehlt. Damit das Selbstverständliche wieder selbstverständlich wird, müssen wir wohl noch an uns arbeiten.
Christoph Simonsen


Sonntag, 21. August 2016
21. Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Evangelium: Lukas 13,22-30
Auf seinem Weg nach Jerusalem zog er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und lehrte. Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? Er sagte zu ihnen:  Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen; denn viele, sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen.  Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt, dann steht ihr draußen, klopft an die Tür und ruft: Herr, mach uns auf! Er aber wird euch antworten: Ich weiß nicht, woher ihr seid.  Dann werdet ihr sagen: Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken und du hast auf unseren Straßen gelehrt.  Er aber wird erwidern: Ich sage euch, ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan!  Da werdet ihr heulen und mit den Zähnen knirschen, wenn ihr seht, dass Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid.  Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.  Dann werden manche von den Letzten die Ersten sein und manche von den Ersten die Letzten.

Die Alternative zur Frage nach „Himmel, Hölle Fegefeuer“ ist die Frage nach sich selbst
Was hätte ich Jesus wohl gefragt, nachdem ich ihm bei einer seiner beeindruckenden Rede zugehört hätte? Was hättet ihr ihn gefragt? Ich glaube, mir wären andere Fragen naheliegender gewesen als diese eine, wer denn gerettet werden würde. Ich glaube, meine Fragen wären diesseitiger gewesen. Mir wären Fragen nach einem erfüllten und erfüllenden Leben hier und jetzt viel naheliegender gewesen als eine Frage nach dem jenseitigen Leben. Die Frage, wie Kriege zum Wohl der Menschen beendet werden könnten, wie der Hunger gestillt und die Armut bekämpft werden könnte. Die Frage, wie ich bewusster leben könnte, wie ich offener mein Leben teilen könnte mit anderen. Diese und ähnliche Fragen wären mir in den Sinn gekommen. Aber die Frage danach, wer gerettet werden würde für die Ewigkeit, die wäre gewiss nicht meine erste gewesen.
Nicht, dass mir diese Frage unbedeutend erscheinen würde. Nein, sicher nicht. Aber sie erschiene mir nicht relevant für mein Leben heute. Eher wollte ich meine Grenzen eingestehen, dass ich hier und heute zu wenig glaubwürdig, zu wenig radikal, zu wenig jesuanisch mein Leben bestreiten würde.
Ich sorge mich nicht, dass jemand in der Ewigkeit verloren gehen würde. Da bin ich viel zu gutgläubig. Ich vertraue der unverbrüchlichen Liebe Gottes, die keinen verloren gehen lässt. Das Leben jenseits der Grenze des Todes bereitet mir keine Sorge. Bin ich da vielleicht zu naiv?
Letztens hörte ich ein Interview eines Wallfahrtsdirektors, der beklagte, dass die drei wichtigsten Themen des christlichen Glaubens verloren gegangen wären: Die Fragen nach Himmel, Hölle und Fegefeuer. Ups, dachte ich da sofort: Wenn das die wesentlichen Fragen des Glaubens sind, dann hab ich  bisher irgendwie was missverstanden in der Botschaft Jesu: „Sorgt euch nicht um das, was morgen ist, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen“; und komplementär dazu: „ Was ihr dem Geringsten meiner Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan“.
Die christliche Botschaft will den Menschen Hier und Jetzt überzeugen und begeistern, so habe ich bisher gedacht, will die Ebenbildlichkeit der Schöpfung und alles Lebendigen mit dem Schöpfer herausstellen und daraus Verantwortlichkeiten wie Freiheiten entwickeln und vergegenwärtigen. Der christliche Glaube schenkt mir die tiefste Freiheit, mich von meinen eigenen Bedürfnissen zu lösen und die Bedürftigkeit der anderen wahrzunehmen. So dachte ich bisher immer. Dass die Liebe Gottes alles übersteigt und so großherzig ist, dass sie mein Scheitern verzeiht und mein Mühen mit Freuden betrachtet: Das ist wesentlicher Bestandteil meines Glaubens. Muss ich mich da um den Himmel sorgen und die Hölle fürchten? Diese Sorge und diese Furcht war nicht die meine – bisher zumindest. Muss ich das alles jetzt nivellieren? War mein Glaube zu kindlich, meine Hoffnung zu naiv?  Eine meiner schönsten Botschaften, die ich für mich im Evangelium gefunden habe, ist der Aufruf Jesu: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, habt ihr keinen Anteil an mir“. Ist das alles zu vordergründig, zu oberflächlich?
Das Bild der engen Tür, die vielleicht zu eng ist, als dass ich da hindurchkomme: Dieses Bild ist unmissverständlich. Und doch ist es mir auch fremd, unangenehm. Aber es stimmt wohl: Ich kann mein Leben vertun. Ich kann es so vertun, dass es nicht ans Ziel kommt, dass es ausgesondert wird. Diese Mahnung muss ich ernst nehmen, sonst würde ich Jesu Worte verharmlosen. Aber ich bin mir gewiss: Ich nehme diese Mahnung Jesu dadurch ernst, dass ich mich selbst ernst nehme, mich mit meinen Grenzen, mit meinen Halbherzigkeiten und all den kleinen und großen Egoismen. Und wenn ich diesen Teil meiner Existenz ernst nehme, wirklich ernst nehme, dann werde ich auch sehr gewissenhaft erkennen, dass es zu wenig ist, nur ein Mitläufer Jesu zu sein, ihm äußerlich nahe zu sein, dienstverpflichtet sozusagen. Dass es zu wenig ist, mit ihm gegessen und getrunken zu haben, zumindest jeden Sonntag im Gottesdienst und zu wenig, auf ihn gehört zu haben. Wenn ich wirklich verinnerlicht habe, dass ich nie genüge: nie genüge seiner Stärkung und seinen Weisungen und mich mühe, ereifere, meiner eigenen Ungenügsamkeit entgegenzutreten in kleinen, bescheidenen Schritten, dann hoffe ich, dass die Tür nicht vor mir verschlossen ist. Ich vertraue meinem kindlichen, naiven Glauben und fülle ihn mit einem erwachsenen Anspruch: nämlich mit der Stärkung Gottes und den weisen Worten Jesu mein Leben in Bewegung zu halten, und offen zu bleiben für die Verantwortlichkeiten, die der Glaube an diesen Gott mir mit innerer Freiheit ins Herz legt.

Christoph Simonsen


Sonntag, 14. August 2016
20. Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Evangelium: Lukas 12,49-53
Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung. Denn von nun an wird es so sein: Wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.

Der Kampf gegen die Windmühlen
Wenn es nicht so makaber und grausam wäre, dann könnte man Jesus  gratulieren angesichts seiner so trefflich formulierten Vorausschau. Die Radikalität des Glaubens hat sich tief hinein gebissen bis in die kleinsten Familienstrukturen hinein. Im Namen Gottes lässt eine Familie ein Scharia Urteil über den eigenen Sohn und Bruder verhängen, weil er sich einer Zwangshochzeit entzieht. Eine fest im Glauben stehende christliche Familie verfällt in Sprachlosigkeit, weil die Ehe der Tochter zerbrochen ist. Und ein Vater einer anderen Familie verlässt Haus und Hof, weil er der Überzeugung ist, den Glauben dort nicht konsequent genug leben zu können. Das sind nur einige Beispiele, die mir aus Begegnungen der letzten Wochen bekannt sind. Ist Jesus deshalb auf die Erde gekommen, um eben das herbeizuführen?
Unsere Welt als Ganzes steht an einem Scheidegrund, weil die Menschheitsfamilie untereinander in einer Art und Weise zerstritten ist, dass nur noch ein Funke fehlt, die Welt in Brand zu setzen. Wie oft mussten wir in letzter Zeit hilflos zur Kenntnis nehmen, dass Menschen im Namen Gottes Spaltung, Streit, Hass und Krieg schüren? Weil Menschen sich Gott verpflichtet fühlen, weil sie aus der Überzeugung heraus handeln, in seinem Namen für Recht und Ordnung sorgen zu müssen, nehmen wir teil an einem Ausschnitt der Weltgeschichte, die genau das widerspiegelt, was Jesus den Jüngerinnen und Jüngern damals prophezeit hat: „Wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen“. Ist Jesus deshalb auf die Erde gekommen, um eben diese Situation herbeizuführen?
Was mach ich mit solchen Worten, wie wir sie heute im Evangelium hören? Was ich respektvoll wahrnehme: Jesus zeigt sich in diesen Begegnungen ganz als Mensch. Er erkennt immer mehr, dass seine Botschaft an welchen Mauern auch immer mehr zerschellt. Seine gelebte Radikalität der Liebe stört die politischen Machtverhältnisse, unterwandert jegliche jüdische Traditionen, kehrt die gesellschaftlichen Verhältnisse um. Er kämpft gegen Windmühlen und er spürt immer mehr, dass er den Kampf verlieren wird. Wer könnte sich in solch einer Lebenssituation freisprechen von Frust und Enttäuschung?  Aber ist es nur das?
„Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist.“ Mehr kann ein Mensch eigentlich nicht von sich offenbaren als diese ungeschützte Ausweglosigkeit, diese Vermengung von Traurigkeit und Bitterkeit, von Verzweiflung und Ärgernis. Aber zeigt sich nicht auch noch mehr in diesem Eingeständnis Jesu? Zeigt sich nicht darin auch, dass trotz aller Bitterkeit und Verzweiflung Jesus an das glaubt, was er lebt und was er sagt, dass er festhält an seinen Überzeugungen und Werten, an seinem Vertrauen und Glauben?
Mit der angesprochenen Taufe ist, das wisst ihr sicher, sein Leidensweg gemeint. Jesus geht seinen Weg also weiter im Vertrauen darauf, von Gott begleitet zu sein; er weicht nicht ab davon, den Kleinen, den Benachteiligten, den Suchenden, den Warmherzigen, den Unbedeutenden, den Kranken, den Ohnmächtigen Freund zu sein. Im Wissen um die Erfolglosigkeit seines Lebens und im Wissen um die Alternativlosigkeit seines Lebens geht er seinen Weg weiter. Hier zeigt sich die Ursache der von Jesus wahrgenommenen Spaltung. Jesus spaltet nicht, um der Polarisierung willen; er spaltet auch nicht, um Machtverhältnisse zu zementieren. Jesu Spaltung dient der Klarheit und der Klärung, wer bereit ist, den unteren Weg zu gehen. Wer diesen Weg geht, der beginnt keine Kriege, der zwingt niemanden zu etwas, der grenzt keinen aus, der setzt nichts in Brand. Wer diesen Weg geht, der lädt ein, der wirbt, der lebt vor und zeigt auf diese Weise, dass es unterschiedliche Überzeugungen und Lebenskonzepte gibt. Wer diesen Weg geht, der scheut nicht die Ohnmacht, verabscheut aber jedwede ausstoßende Absolutheit.

Christoph Simonsen


07. August 2016
19. Sonntag im Jahreskreis C-  2016

Evangelium: Lukas 12, 32-48
Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben. Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Legt euren Gürtel nicht ab und lasst eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft. Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er verhindern, dass man in sein Haus einbricht. Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. Da sagte Petrus: Herr, meinst du mit diesem Gleichnis nur uns oder auch all die anderen? Der Herr antwortete: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr einsetzen wird, damit er seinem Gesinde zur rechten Zeit die Nahrung zuteilt? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Wahrhaftig, das sage ich euch: Er wird ihn zum Verwalter seines ganzen Vermögens machen. Wenn aber der Knecht denkt: Mein Herr kommt noch lange nicht zurück!, und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen; wenn er isst und trinkt und sich berauscht, dann wird der Herr an einem Tag kommen, an dem der Knecht es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Ungläubigen zuweisen. Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber nicht darum kümmert und nicht danach handelt, der wird viele Schläge bekommen. Wer aber, ohne den Willen des Herrn zu kennen, etwas tut, was Schläge verdient, der wird wenig Schläge bekommen. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen.

„Ich bin dann mal weg. Gruß, Gott“
Nicht wenige behaupten ja, unsere Welt sei gottlos geworden. Was wäre, wenn sie Recht haben. Was wäre, wenn nicht nur Hape Kerkeling sich verabschiedet hätte mit den Worten: „Ich bin dann mal weg“, sondern er nur nachgeahmt hätte, was Gott schon längst verwirklicht hat: sich dieser hektischen, rechthaberischen, zerschlissenen Welt  zu entziehen?
Jesus fordert seine Freundinnen und Freunde auf, so zu leben, als sei Gott nicht da, als sei er abwesend, verreist eben. So leben, als sei Gott nicht da. Stellt euch einmal vor, ihr erhieltet morgen Post: „Bin auf unbestimmte Zeit verreist, haltet bitte alles in eigener Verantwortung in Ordnung. Liebe Grüße, Gott!“
Wir hören es persönlich aus Jesu Mund: Verlass dich nicht darauf, dass Gott gegenwärtig ist in deinem Haus, in deinem Leben. Du musst dein Haus, dein Leben selbst bestellen und verwalten. Da ist keiner, der dir vorgibt, was du zu tun oder zu lassen hast. Du bist ganz auf dich gestellt. Du allein trägst die Verantwortung für dich und dein Leben, für das Haus, in dem du lebst, für die Welt, in der du lebst.
Deutlicher kann man es nicht sagen, wie Jesus es formuliert: Lebe, als sei der Herr nicht da. Du bist auf dich allein gestellt. Denk aber daran, dass der Herr wiederkommt und du Rechenschaft ablegen musst über dein Tun und Lassen.
Das klingt wie eine Drohung und kann ganz schön Angst machen. Dass Jesus die Menschen ermahnt: ja, das wissen wir aus verschiedenen Erzählungen der Heiligen Schrift. Aber dass er als Angstmacher auftritt, quasi die Fußstapfen vorprägt, in die hinein dann die Pegida-Hasser und all die anderen Angstmacher unserer Tage reintreten, das kann ich mir nur schwerlich vorstellen.
Wie so oft tut es vielleicht gut, die Botschaft einmal gegen den Strich zu lesen: Ich will nicht glauben, dass Jesus sich so billig zum Propagandisten einer Weltuntergangsstimmung aufspielt. Aber was will er denn? Will er uns erinnern daran, dass Gott uns ebenso ernst nimmt, wie er sich selbst ernst nimmt?
Sagt er nicht: Der Hausherr, Gott eben, nimmt dein Leben ernst. Du hast die Aufgabe und auch das Vermögen, in seinem Namen zu handeln und zu gestalten. Du bist Verwalter Gottes auf Erden. Erinnert er uns so nicht an unsere Ebenbildlichkeit, aus der heraus eben auch konsequenterweise die Eigenverantwortung für alles Reden und Handeln entspringt? Und erinnert er uns nicht daran, dass die eigentlichen Schätze, die uns reich machen, anderswo liegen als an der Oberfläche des Lebens?
Die Frage des Petrus überhört Jesus geflissentlich. Petrus, der da so selbstbewusst wie eben auch naiv meint, mit dieser Mahnung, würde Jesus natürlich nur die anderen ansprechen wollen, aber nicht die treuen Knechte des Glaubens. „Falsch gedacht, lieber Petrus“, muss man da konstatieren. Petrus meint wohl, dass die Treue zu Gott sich im Bekenntnis manifestiert. Das sieht Jesus anders. Glaube erweist sich in der Erwartung Gottes, in der Sehnsucht nach Gott. Glaube geschieht in der Erwartung einer immer wieder ausstehenden Gottesbegegnung.

Jesus ruft die Menschen auf, sich bereit zu halten. Aber was heißt das? Das heißt nicht, passiv abwartend, devot abhängig,  schwärmerisch anhimmelnd Leben verstreichen lassen. Vielmehr heißt es, zupackend, kreativ und nicht minder die Realität respektierend das Leben in die Hand nehmen. In der Konkretheit des tatsächlich gelebten Lebens keimt Hoffnung auf, Gott zu begegnen. Und wir müssen – nein: wir dürfen – erkennen, dass Gott gar nicht weg ist. Er ist nur nicht da, wo wir ihn vermutet haben. Das zu erkennen bedeutet, sich auf den Weg zu machen, ihn zu suchen. Und über allem steht der eine Aufruf: „Fürchte dich nicht“.

Christoph Simonsen


31. Juli 2016

Evangelium: Lukas 12, 13-21
13 Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen.
14 Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht?
15 Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.
16 Und er erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte.
17 Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll.
18 Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen.
19 Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!
20 Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?
21 So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.

Buen Vivir – die Vision des „Guten Lebens“
Da macht einer, der mit viel Mühe sich Wissen, Besitz, Erfolg und Macht erworben hat (er nennt sich König in Israel, was aber eine literarische Fiktion ist, um an der Autorität des weisen Salomon anknüpfen zu können) Gedanken darüber, ob seine Nachfahren diese Mühe und Arbeit überhaupt zu schätzen wissen, oder ob sie nur nach Reichtum und Macht gieren. Und auf sich selbst blickend stellt er fest, dass ihm dieser Besitz auch nur Sorge, Ärger und schlaflose Nächte einbringt.
Wahrscheinlich war er, was man aus seinem Namen schließen kann, ein etablierter Philosoph und Lehrer im politisch-religiösen Machtzentrum Jerusalem vor 2300 Jahren. Er ist auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens, des Lebens in das er hineingeboren ist und an dessen Ende der alle gleichmachende Tod steht. Er kennt und reflektiert die orientalischen Weisheiten und Philosophien seiner Zeit, aber es befriedigt ihn nicht. Wenn alles eher zufällig ist (im wahrsten Sinne des Wortes), oder wie Kohelet es ausdrücken würde „Windhauch“, was bleibt dann als Sinn und Ziel seines/ unseres Lebens; wenn doch mit dem Tod alles aus ist und nur die Hoffnung darauf bleibt, dass es jenseits des Todes bei Gott (und an dessen Zuneigung zu den Menschen glaubt er), dass es erst jenseits des Todes eine Würdigung der Lebensverdienste gibt und auch eine Gerechtigkeit für erlittenes Unrecht. (So auch sein Zeit- und Glaubensgenosse Hiob).
Während Kohelet in seinem öffentlichen Philosophieren meist fast depressiv daherkommt, ist sein Schluss aus all dem überraschend pragmatisch und lebensbejahend: Lebe jetzt und hier und genieße das, was Du von Gott geschenkt bekommen hast und Dir erarbeitet hast. Oder mit seinen Worten einige Verse später:
Ich hatte erkannt:
3,12 Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück, es sei denn, ein jeder freut sich und so verschafft er sich Glück, während er noch lebt,
13 wobei zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennen lernt, das ein Geschenk Gottes ist.
——
Drei Jahrhunderte später, Habgier und Streben nach Reichtum und Macht bestimmt immer noch die Gesellschaft, und so wird auch Jesus von seinen Volksgenossen mit der Frage des Besitzes konfrontiert.
Er, der genau wie sein Cousin Johannes als Wanderprediger durch die Gegend zieht ohne persönlichen Besitz und ganz auf die wohlwollende Unterstützung der ihm Begegnenden und ihm wohlgesonnenen Menschen angewiesen ist. Er grenzt sich von dieser Zumutung ab. Statt als Streitschlichter diesen individuellen Fall zu klären, wertet er das dahinter stehende Motiv: „Hütet Euch vor jeder Art von Habgier!“ und ich würde ergänzen Neid, denn das ist der Vorläufer der Habgier.
Und dann wird er noch radikaler: „Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.“

Spätestens da sind auch wir Bewohner der westlichen Industrienationen angesprochen mit unserem relativen Reichtum und unserem materiellen Überfluss und individualistischen Denken. Unsere Brüder und Schwestern in den Armenhäusern dieser Welt könnten von uns fordern diesen Reichtum, das gemeinsame Welt-Erbe zu teilen, denn letztlich ist ja nicht unser Verdienst, dass es uns überwiegend mehr als materiell gut geht.
Jesus spricht hier vom materiellen Überfluss und warnt vor Neid und Habgier, denn das hält uns ab „vor Gott reich zu sein“, d.h. sich zu engagieren für eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, in der es allen gut geht und in der alle „Leben in Fülle haben“ wie es im Johannesevangelium heißt.

Was verbindet nun das Denken des Kohelet mit der Botschaft Jesu?
Es ist die Zufriedenheit mit dem, was mir  an Wissen, Können  und Vermögen zufällt, was ich mir erarbeite oder erwerbe. Ich soll  es als Geschenk begreifen und mit anderen teilen, um so gemeinsam ein gutes, ein glückliches Leben zu führen.

In der Vision des Buen Vivir der indigenen Völker Lateinamerikas, die genau dies als nachhaltiges Lebens- und Politikziel beschreiben wird diese biblische Botschaft aktualisiert. Das „Buen Vivir“ stellt das menschliche Zusammenleben nach ökologischen und sozialen Normen ins Zentrum seiner Philosophie. Gutes Leben bedeutet in diesem Kontext mehr als wirtschaftliches Wachstum und materieller Wohlstand. Zentral ist ein gemeinschaftliches Leben im Einklang mit und nicht auf Kosten der Natur und anderer Menschen sowie die Wahrung kultureller Identitäten.

Diese Vision hat die Vereinten Nationen im vergangenen Jahr bei der Fortschreibung der Weltentwicklungsziele, den sogenannten Millennium Goals wesentlich beeinflusst.
Leben in Fülle – Buen Vivir,  lasst uns dafür arbeiten und es als Gottesgeschenk genießen.
Denn wie schreibt Kohelet vor 2300 Jahren: „Immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennen lernt, ist das ein Geschenk Gottes.

Guido Schürenberg


24. Juli 2016

  1. Sonntag im Jahreskreis C – 2016Evangelium: Lukas 11,1-13
    Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. / Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung. Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.

Beten statt sprechen

So über den Daumen gepeilt: Wie oft haben wir wohl schon das Vater-Unser gebetet, oder besser: gesprochen? Denn das scheint mir eine bedeutsame Frage zu sein, ob das, was wir sprechen immer auch ein Gebet ist. Wann wird das, was ich spreche oder denke, zu einem Gebet? Wieso baten die Jünger Jesus darum, sie das Beten zu lehren. Wussten sie bis dahin nicht, wie das geht: beten? Was Besonderes haben die Jünger wahrgenommen, als sie Jesus beim Beten beobachtet haben, so dass sie ihn ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt danach fragten?Und mich bewegen noch andere, existentiellere Fragen: Wozu überhaupt beten, machen wir doch seit Menschengedenken die Erfahrung, dass die Welt keinen Zoll besser geworden ist, ob mit oder ohne Gebet? Kein Gebet ändert etwas am Lauf der Welt.

Ich bewundere die Verlässlichkeit der vielen Menschen, die immer wieder für den Frieden beten und für eine Welt ohne Krieg und Terror. Mir fällt dies immer schwerer angesichts der Wirklichkeiten, die unsere Welt tagtäglich unmenschlicher, ungerechter und friedloser werden lassen. Kein Gebet der Welt macht die Welt wieder zu dem, was sie im Ursprung war im Schöpfungsgedanken Gottes. In diesen Tagen lese ich, dass Papst Franziskus zu einem Weltgebetstreffen nach Assisi einlädt. Wenn nicht genau vor 30 Jahren einer seiner Vorgänger eben dies schon einmal getan hätte, ich wäre begeistert. Aber jetzt, nach 30 Jahren eine Wiederholung des vorherigen vorzunehmen, wer könnte glauben, dass dies die Welt verändert? Hat Gott doch sehr bewusst die Verantwortung für die Geschicke in der Welt in des Menschen Hand gelegt. Wenn Gott heute die Gebete der Menschen hört, muss er dann nicht – sehr banal formuliert –  denken: ‚Ihr habt euch den Mist selber eingebrockt, also rückt ihn auch wieder zurecht‘. Wer könnte Gott verdenken, so zu denken? Ist das Gebet also was für weltfremde, womöglich sogar weltabgewandte Illusionisten? Für Menschen, die sich lieber in eine Traumwelt zurückziehen, um sich der Wirklichkeit nicht stellen zu müssen? Birgt das Gebet womöglich sogar die Versuchung in sich, der Welt entfliehen, die Augen vor der Wirklichkeit verschließen zu wollen? Ja, dieser Versuchung unterliegt das Gebet, zweifelsohne. Sich einzig auf das Gebet zu verlassen, kann auch Ausdruck einer grenzenlosen Verantwortungslosigkeit sein.

„Herr, lehre uns beten“, mit dieser Bitte gingen die Jünger auf Jesus zu, als dieser von einem Gebet zurückkam. Sie haben wohl nicht gehört, was er gebetet hat, aber sie haben es gesehen. Das scheint mir eine nicht unwichtige Beobachtung zu sein. Das Gebet hat den Menschen Jesus in seiner Erscheinung verändert. Wenn sich auch durch ein Gebet nicht die Welt verändern lässt, offensichtlich verändert es aber den Menschen, der betet. Seine Einstellung zum Leben, zur Welt ändert sich. Das Gebet verdichtet ein Vertrauen zu Gott. Es hilft, falsches Klammern, dumpfe Verkrampfung zu lösen. Wenn zwischen Mensch und Gott liebendes Vertrauen ist, dann ist nicht vorrangig bedeutsam, dass er gibt, was ich mir wünsche, dann ist wichtig, dass er ist, dass er in meinem Leben ist. Das Gebet möchte einem Eintauchen in eine liebende Beziehung gleichen. Und liebende Beziehung verändert immer, verändert den, der liebt und der sich geliebt weiß.

Um Gottes Reich zu bitten ist dann kein spektakuläres Geschehen, so als ob sich alles ändern müsste; als ob das eine Reich zusammenfallen müsste, damit ein anderes entstehen könne. Gottes Reich ist nicht etwas Fernes, Entrücktes, noch Ausstehendes; vielmehr ist Gottes Reich da. Gottes Reich ist in Menschen Herz. Sich ihm anvertrauen, das zieht eine neue Weite des Herzens nach sich, so dass der Mensch mit einem vollen und weiten Herzen leben kann. So eng die Welt auch sein mag, das Leben wird weit – und des Menschen Sein, das Reden, das Handeln wird getragen von dieser Weite. Durch menschliche Weite vermag auch die Welt weiter zu werden.

Das Gebet verändert nicht die Welt. Aber die Welt wandelt sich durch Menschen, die aus dem Gebet heraus der Engstirnigkeit in der Welt die Weite eines neuen Vertrauens gegenüberstellen. Ob das Vater Unser, dass wir sprechen, ein Gebet ist, misst sich wohl an der Frage, ob die Worte uns in der Weise treffen, dass durch uns die Welt weiter wird.

Christoph Simonsen


16. Sonntag im Jahreskreis C – 2016
Semesterschluss Sommersemester 17.07.2016

Evangelium: Lukas 10,38-43
Sie zogen zusammen weiter und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.

Was kann ich tun….
Martha war also ganz in Anspruch genommen, für Jesus zu sorgen. Aber ihm war das gar nicht recht. Er tadelt sie sogar für ihre Art der Fürsorge, stellt ihr Maria als Vorbild hin, die eigentlich nichts tut, als nur da zu sein. Ein  ziemlich ungewöhnlicher Charakterzug von Jesus, der sich da so überhaupt nicht gentlemanlike zeigt und Martha sogar noch eins überbrät. Wen wundert es, dass Martha sich verletzt fühlt und nicht wertgeschätzt in ihrem Bemühen, ihrem Gast einen schönen Abend zu bereiten. Ohne Zweifel hat sie es doch gut gemeint und dann kriegt sie doch eins gehörig auf den Deckel. Jesu Klarstellung muss ihr herzlos erscheinen.
Vielleicht kennt ihr das aus eigener Erfahrung ja auch: Da habt ihr mit den besten Absichten gehandelt und es wird euch nicht gelohnt. Oder was noch tragischer ist: was ihr gemacht habt, wird euch noch als Fehler vorgehalten. Das tut einfach nur weh. Wer so etwas schon einmal erlebt hat, der wird Mitleid empfinden Martha gegenüber. Aber wegen eines mitleidigen Gefühles hat die Erzählung doch bestimmt nicht Eingang gefunden in der Heiligen Schrift.

Was ist da schief gelaufen zwischen Martha und Jesus? Mir scheint, sie haben zu wenig  miteinander gesprochen. Die beiden hatten wohl eine unterschiedliche Vorstellung darüber, wie der Besuch verlaufen sollte. Martha wollte alle ihre Künste aufwenden, um ihre Wertschätzung gegenüber Jesus deutlich zu machen; deshalb brutzelte sie in der Küche, um ein einmaliges Abendessen zu kreieren. Jesus aber hat sich den Abend zweifelsohne anders vorgestellt. Was wollte er? Ihm lag wohl weniger an einem guten Dinner als an einer lebendigen Begegnung. Jesus suchte das Gespräch, freute sich auf einander geschenkte Zeit; Jesus wollte Martha und Maria, also natürlich nicht sexuell, sondern menschlich. „Maria hörte seinen Worten zu…. Und sie hat das Bessere gewählt“. Jesus wollte Austausch, Austausch von Leben, von Lebenserfahrung, von Lebenslust und Lebensleidenschaft, vielleicht auch von Lebensangst. Jedenfalls freute sich Jesus freute weniger auf einen reich gedeckten Tisch als einfach auf liebe Freundinnen.
Es geht in der Erzählung der beiden unterschiedlichen Schwestern um mehr als nur eine private Unstimmigkeit oder um ein mehr oder weniger nachhaltiges Missverständnis zwischen ihnen und Jesus. Es geht um eine Grundhaltung, die jeder menschlichen Begegnung zugrunde liegen sollte. Um eine Achtsamkeit darauf, was dem anderen gut tut. Wie oft setzen wir wie selbstverständlich voraus zu wissen, was dem anderen gut tut. Und dabei gehen wir nicht selten von unseren Bedürfnissen und Vorstellungen aus und versetzen uns viel zu wenig in die Situation unseres Gegenübers hinein. Martha meinte zu wissen, was Jesus gut tut, dabei hat sie Jesus völlig aus dem Blick verloren. Die Frage, die wir uns viel zu selten stellen, ist so banal, dass ich sie kaum wage auszusprechen: „Was kann ich tun, damit es dir gut geht?“.

Diese Frage trifft uns am Ende eines Semesters in einer beginnenden Prüfungszeit; sie trifft uns in einer gesellschaftlichen Situation, die offensichtlich geprägt ist von vielerlei Abgrenzungstendenzen und ausgrenzenden Ideologien; sie trifft uns in einer kirchlichen Situation, in der ganz viel Verunsicherung vorherrscht angesichts der Tatsache, dass viele Menschen in den Kirchen keine Heimat mehr finden. Diese Erzählung trifft jede und jeden von uns in einer ganz eigenen, vielleicht sogar nach außen hin gar nicht sichtbaren lebensgeschichtlichen Situation. Diese Erzählung trifft auf uns als Individuen, ebenso wie als politische und als  mit Gott verbundene Menschen. Diese eine Frage muss in die konkreten Situationen unseres Lebens hineinbuchstabiert werden: „Was kann ich tun damit es dir gut geht? Damit zum Beispiel du in deinen Prüfungsvorbereitungen vorankommst? Was kann ich tun, damit in unserer Gesellschaft sich die wollkommen fühlen, die in den Augen vieler anderer bei uns nichts zu suchen haben? Was kann ich tun, dass Menschen sich aufgehoben fühlen in unseren Kirchen?“

Was kann  ich tun?“ Diese Frage hat etwas sehr entlastendes, aber auch etwas sehr herausforderndes an sich. Zum einen entlastet sie mich, immer schon wissen zu müssen, was zu tun ist. Zum anderen fordert sie mich, weil ich mich damit offen zeige, mich dem anderen zu stellen. Ich zeige mich lernbereit; ich zeige mich neugierig. Neugierig nicht auf irgendetwas, neugierig auf einen Menschen. Neugierig, die Oberfläche zu durchstoßen und zum Wesen, zum Wesentlichen vorzudringen.
So hätte es auch laufen können: Jesus klingelt an der Haustür. Martha öffnet. „Hey, schön, dass du da bist. Komm rein. Bist aber was früh, ich bin noch nicht fertig in der Küche.“ Jesus nimmt im Wohnzimmer Platz. Maria setzt sich zu ihm. Die beiden unterhalten sich angeregt. Da fragt Maria plötzlich, was Martha wohl mache gerade. Jesus schläft vor: „Lass uns nachschauen.“ Gesagt, getan. Sie fragen, ob sie helfen könnten. Jesus schält die Kartoffeln, Maria putzt den Salat. Martha macht eine Flasche Wein auf und sie bereiten gemeinsam das Essen, währenddessen sie sich angeregt unterhalten. Jesus erzählt von seinen Begegnungen der letzten Tage und die Schwestern von ihrem letzten ziemlich überflüssigen Schwesternknatsch. So hätte es laufen können, denn das Wesentliche zeigt sich nicht selten in einfachen Begegnungen. Nur die Zeit müssen wir uns dafür nehmen.

Christoph Simonsen


Evangelium zum 15. Sonntag im Jahreskreis C – 2016: Lukas 10,25-37

Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben. Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!

Was bleibt?

Was bleibt? Das ist die Frage. Die Todesanzeigen, die das Bistum Aachen nach dem Tod eines priesterlichen Kollegen an alle Kleriker des Bistums verschickt, suggerieren, dass die Eckdaten bleiben, also Geburt, Weihejahr, Versetzungen, Ruhesitz und der Ort der Beisetzung. Die Anzeigen lesen sich dann ungefähr so: „Am 28. September des Jahres verstarb Herr Pfarrer XY, geboren dann und dort, geweiht im Hohen Dom zu Aachen im Jahr X. Es folgten Kaplanjahre da und dort, die Berufung zum Pfarrer erfolgte dann und dann da, nach Wahl durch den Pastoralrat wurde er zusätzlich zum Dechanten gewählt. Darüber hinaus hat der Bischof von Aachen ihn berufen für die seelsorgliche Begleitung des Verbandes XY. Nach der Neuordnung der Gemeinden wurde Herr Pfarrer XY zum Leiter der GdG Z ernannt in solidum mit Pfarrer AB sowie zum Vorsitzenden des Kirchengemeindeverbandes. Nach kurzer Krankheit starb Herr Pfarrer XY am 28. September. Die Beisetzung findet statt in der Grabeskirche St. Josef am 4.Oktober. Ich bitte alle, des Verstorbenen zu gedenken. Aachen, den 1. Oktober. Der Bischof von Aachen“

Was bleibt? Zahlen, Daten, Funktionen? Als ich am vergangenen Montag zum Mitarbeiter Jahresgespräch beim Personalchef eingeladen war und er mich denn fragte, wie ich mir meine Zeit nach der Arbeit in der Khg vorstellen würde, haben wir einige Ideen durchgesponnen und zum Schluss konnte ich mir nicht verkneifen, ihm zu sagen, dass ich testamentarisch verfügen würde, dass über mich keine solche Todesanzeige verschickt werden dürfe, denn diese Eckdaten meines Lebens seien weder interessant, noch für irgendjemanden relevant, noch bedeutsam für die Ewigkeit.

Was also bleibt? Oder noch anders gefragt: Was bleibt wo von meinem Leben? Mein Horizont ist zu begrenzt, als dass ich mir die Ewigkeit vorstellen könnte. Die Kenntnis der Ewigkeit ist Gott vorbehalten. Was von mir bei ihm bleibt – denn Gott ist die Ewigkeit – liegt nicht in meiner Hand. Dass ich in seiner Hand liege, erhoffe ich, verdienen kann ich mir dieses Geschenk nicht. Insofern ist die Frage nach der Ewigkeit eine immerwährende, denn es ist die Frage nach Gott. Aber es ist keine Frage, die mich umtreibt, die mich in eine wirkliche Unruhe versetzt, denn die Frage nach Gott, die Frage nach einem Leben in ihm über alle Grenzen hinweg, ist hineingewoben in ein Urvertrauen, in Gott gehalten zu sein. Ich brauch mich dessen nicht zu beunruhigen, denn der Gott, auf den ich baue, ist ein barmherziger Gott. Die Frage ist in der Welt, sie ist in mir, diese Frage nach Gott und ohne diese Frage würde mein Leben leer sein, orientierungslos, womöglich sogar sinnlos. Diese Frage nach Gott ist mir Weg- und Lebensbegleiter in einer ruhigen, hoffenden, ahnenden Gewissheit. Was von mir bei Gott bleibt, liegt in Gottes Hand.

Was dagegen in der Welt bleibt von mir und was in mir Bestand hat, was mir mein Leben sinnvoll erscheinen lässt: Diese Frage zu beantworten liegt in meiner Verantwortung; und dafür Sorge zu tragen, liegt einzig in meiner Hand. Und so eröffnen sich mir ganz andere, und auch viel bedrängendere Fragen: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Warum sind wir Menschen so unbelehrbar? Warum dreh ich mich mit meinem Leben immer irgendwie im Kreis? Warum bin ich immer erst hinterher klüger?‘ Meine Antwort darauf: Weil ich mich immer wieder von der Angst leiten lasse, ich könnte verlieren, was mir wichtig ist; ich könnte mich verirren, wenn ich die vorgegebenen Wege verlassen; ich könnte das Nachsehen haben, wenn ich mich anderen nähere.

Ich möchte noch einmal auf das heutige Evangelium schauen. Nachdem der Gesetzeslehrer diese alles menschliche Maß überfordernde Frage nach der Ewigkeit Jesus gestellt hat, tritt Jesus mit ihm in den Dialog mit einer Gegenfrage ein und führt den Lehrer behutsam an das Liebesgebot heran, an das Gebot Gottes. Jesus holt die nicht zu fassende Dimension der Ewigkeit hinein in die Konkretheit des Jetzt. Und noch mehr: Er sprengt die Fesseln jeglichen normierten Lebens und konfrontiert den gesetzestreuen Lehrer mit einer ganz anderen Lebensmoral: Das Leben anzuschauen, wie es ist und zu handeln nach dem Herzen, mit den Möglichkeiten, die einem gegeben sind.

Der Frage: „Was bleibt?“ steht eine andere Frage zuvor: „Was ist?“ Wenn das, was ist, nicht so bleiben soll, und wenn von mir und von uns mehr bleiben soll als Zahlen, Fakten und Funktionen in der Erinnerung dieser Welt und der Menschen, mit denen wir leben, dann sollten wir uns einander auch wohl gegenseitig mehr an das Liebesgebot erinnern und danach handeln. Also mehr handeln nach dem, was das Herz sagt und die Vernunft und die Regeln in ihre Schranken verweisen.

Was bleibt? In dieser Woche machte die Nachricht die Runde, dass am 2. Oktober die Menschen in Ungarn zu einer Volksabstimmung aufgerufen sind über die Frage der Zuwanderung in ihrem Land. Und was Volksbefragungen bewirken, das wird zurzeit in aller Munde diskutiert. Was bleibt? Ob die Menschlichkeit bleibt, ist wohl die Frage aller Fragen, nicht nur in diesem Land sondern überall, denn die Ewigkeit beginnt nicht irgendwann, sie beginnt heute.

Christoph Simonsen


14.Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Evangelium: Lukas 10,1-9

Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.

Welchen Namen gibst du Gott?

Wenn Frauen sich in die Haare kriegen, dann kann es schon mal hoch hergehen. So bei Sara, der Frau Abrahams, die sich einmal mit Hagar, ihrer besten Freundin, in einem Streit verfangen hat. Hagar haut schließlich ab, weil sie sich ihrer Freundin nicht gewachsen fühlt und zieht sich in die Wüste zurück. Das alles wird im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis, beschrieben. Dort in der Wüste geschieht dann etwas sehr Wertvolles und Nachhaltiges. Zum ersten Mal spricht ein Mensch Gott mit einem Namen an, noch bevor Gott selbst sich mit dem Namen Jahwe erklärt. Hagar betet nämlich dort in der Wüste und beginnt ihr Gebet mit „Du, der du nach mir schaust“. Nachdem sie so mit Gott gesprochen hat, findet sie wieder Kraft, so beschreibt es die Heilige Schrift, ihre Wege zu gehen und sich den Dingen des Lebens zu stellen. Auch Sara konnte sie wieder in die Augen schauen und sich dem aussetzen, wovor sie zuvor weggelaufen war.

Hagar gibt Gott einen Namen. Und mit diesem Namen verknüpft sich, was sie ersehnt, was sich in ihrem Innersten verbirgt. Der Name, den sie Gott gibt, ist zugleich ihr Lebenswunsch, behütet und beschützt zu sein. Indem sie in Gott ihren Beschützer findet, vermag sie wieder neu ihre Schritte ins Leben zu gehen.

Gott hat viele Namen, so beten wir, wenn wir uns betend verbinden mit Menschen anderen Glaubens. Ja, das ist wahr, Gott hat viele Namen. So wie Hagar Gott einen Namen gegeben hat, so sind wir auch eingeladen, Gott einen Namen zu geben. Wie ein geliebter Mensch oder eine gute Freundin nicht einfach nur Fritz oder Lieselotte heißt, sondern mit einem ganz besonderen Kosenamen bedacht wird, der eine ganz persönliche Bedeutung hat zwischen diesen beiden vertrauten Menschen, so dürfen wir auch Gott einen Namen geben, der die ganz besonders tiefe innige Freundschaft zwischen uns und ihm ausdrückt. Denn der Name, den ich meinem Freund Gott gebe, er kann auf den Punkt bringen, was meine Sehnsucht ist, was meinem Leben Richtschnur ist. Gott hat viele Namen. Ein Name Gottes liegt in unserer Seele und zeigt sich in unserer ganz persönlichen Sehnsucht. Wenn wir Gott auf diese Weise ansprechen, dann finden wir einen ganz persönlichen Draht zu ihm.

Mit diesem Namen Gottes, mit unserer ganz persönlichen Anrede Gottes, sollen wir uns auf den Weg machen von Dorf zu Dorf. Wir sollen keinen normierten Gott, keinen gemachten Gott künden, sondern den Gott, dessen Name in uns lebt und der uns bewegt, den sollen wir künden. Keinen Vorgegebenen, Vorgekauten, in Frischhaltedosen aufbewahrten Gott sollen wir künden und leben, sondern den Gott, der unsere Sehnsucht beflügelt, der uns Mut macht, mitten hinein zu gehen in diese Welt, die so unvollkommen und so widersprüchlich ist, in die Welt, in der es Schafe und Wölfe gibt und einer den anderen auffrisst. In diese Welt sollen wir gehen und zwar barfuß, damit wir den Bodenkontakt nicht verlieren und unmittelbar spüren, wie sich die Welt anfühlt. Wie damals Hagar in die Stadt zurückgeht und die offene Begegnung sucht mit Sara und dabei ihren Namen Gottes auf den Lippen trägt „Du, der du nach mir schaust“, so dürfen auch wir hineingehen in die Konflikte unseres Lebens, so dürfen auch wir uns offenherzig den vielen verschlossenen Türen in dieser Welt stellen, wenn wir um einen Gott wissen, dessen Name unserer Sehnsucht Kraft verleiht. Gott hat viele Namen. Der Name, den ich Gott gegeben habe, heißt: „Du, der du Ja sagst zu mir“. Welchen Namen habt ihr Gott gegeben? Mit diesem Namen dürfen wir losgehen ins Leben mitten hinein in die Welt der Schafe und Wölfe.

Christoph Simonsen


Sonntag, 26. Juni 2016

Evangelium: Lukas 9, 51-62

Als die Zeit herankam, in der er (in den Himmel) aufgenommen werden sollte, entschloss sich Jesus, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Diese kamen in ein samaritisches Dorf und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf. Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.

Über die Freiheit, in Frage zu stellen, was selbstverständlich scheint

„Unverhofft kommt oft“, behauptet eine sprichwörtliche Weisheit. Und – vielleicht habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht –oft ereignet sich Wichtiges im Leben zwischendurch, unterwegs sozusagen. Unverhoffte Begegnungen sind nicht selten auch die Nachhaltigsten. So zum Beispiel am vergangenen Dienstag, als auf der Roermonder Straße, wo ich an einer roten Ampel warten musste, ein alter Herr an die Autoscheibe klopfte und mich fragte, ob ich ihn mitnehmen könne. Er wäre in Würselen in den falschen Bus gestiegen und wollte eigentlich nach Vaals. Ich hab ihn bis Aachen mitgenommen zum Busbahnhof und unterwegs entwickelte sich ein sehr schönes Gespräch zwischen uns beiden. Zum Schluss fragte er nach meinem Namen und verabschiedete sich mit einem Segensgruß. Dieser Segen hat mich über den Tag begleitet. Wir sollten viel öfter einander Segen zusprechen.

Auf dem Weg nach Jerusalem passiert Jesus auch so einiges Unverhofftes. Oder besser: denen Jesus begegnet, denen passiert Unverhofftes.

Da sind zum einen die Freunde Jesu, die mal wieder in ihrem stürmischen Temperament Feuer vom Himmel fallen lassen wollen. Da wollten sie Jesus ein Zeichen der Verbundenheit und der Solidarität setzen, indem sie den ungastlichen Dorfbewohnern Pech und Schwefel an die Backe wünschen, und bekommen stattdessen selbst eins übergebraten. Da ist der Mann, der Jesus Treue und Zuneigung schenken möchte; und der wird mit der Warnung konfrontiert, Heimat und Sicherheit zu verlieren, wenn er mit ihm gehe; das klingt alles andere als einladend. Schließlich ein anderer Mann, der Offenheit gegenüber Jesu Einladung signalisiert, mit ihm zu gehen, aber zuvor den Toten die Ehre erweisen möchte; und der wird von Jesus rüde zurecht gewiesen, die Toten hinter sich zu lassen; das klingt alles andere als einfühlsam. Und wieder ein weiterer Mann, der ebenfalls Bereitschaft zeigt, Jesus zu begleiten, ihm wird zugemutet, Frau und Kinder, die ganze Familie, aufzugeben; das hören wir heute in Zeiten, wo doch die Familie als das non plus ultra verkauft wird.

Unverhoffte Begegnungen aus denen sich unverhoffte Konfrontationen ergaben. Unverhoffte Konfrontationen, die in aller Verschiedenheit der Menschen und der Umstände des Gespräches Menschen vor die Alternative stellten: Bewahren oder wagen, festhalten oder loslassen. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will: Das heutige Evangelium ist eine Zumutung. Es mutet mir zu, meine Beziehung zu Jesus – im letzten also zu Gott – zu überprüfen. Dieses Evangelium macht mir wie kaum ein anderes bewusst, dass der Glaube an Gott mit Konsequenzen verknüpft ist; dass der Glaube eher einem Chaosprogramm als einem Wohlfühlprogramm gleicht.

Die hilfreiche Unterteilung zwischen Gut und Böse, die Geborgenheit der Heimat, die Ehrfurcht vor den Verstorbenen, die Stabilität, die Familie und Freundschaft schenkt. Das alles sind wunderbare Gottesgeschenke. Aber all das scheint nicht – wenn Jesu Worte gelten – das höchste erstrebenswerte Gut zu sein. Wer von uns ist nicht der festen Überzeugung, alle diese guten Wesenheiten würden das Leben tragen, sie formen und prägen. Wer von uns sehnt sich nicht nach Heimat, nach Zuneigung, nach Geborgenheit und ist fest überzeugt, damit hätte das Leben ein gutes Fundament? Und ist es nicht Jesus selbst, der uns Menschen genau darauf in seinen Predigten immer verweist? Gilt all das nicht mehr? Doch es gilt, und zugleich bedarf es auch einer kritischen Hinterfragung. Denn diese wunderbaren Wertevorstellungen, die sich im Lauf der Menschheitsgeschichte als zukunftsträchtig erwiesen haben, und die Jesus selbst auch mit den Mensche geteilt hat, sie stehen immer in der Gefahr, sich zu verselbständigen. Die Begriffe „Heimat“ und „Familie“, wie wir sie heute diskutieren, verdeutlichen dies eindringlich. Mit dem Heimatbegriff werden vor Hunger, Armut und Krieg fliehende Menschen wieder in ihre Ursprungslänger zurück gedrängt, weil schließlich dort ihre Heimat sei. Und die Familienkonstellation des 19. Jahrhunderts muss heute in unserer Zeit dafür herhalten, um neuen Formen des Zusammenlebens den Garaus zu machen. Jesus legt die Finger in die Wunde der Menschen. Nichts im Leben ist auf alle Ewigkeit festgefügt. Nicht die Werte stellt Jesus in Frage, aber ihre von Menschen gesetzte Unverrückbarkeit, denn Jesus geht es um das Reich Gottes, um nichts anderes. Alles im Leben ist vorläufig, alles gilt es daraufhin zu prüfen, ob es hilft, dem Reich Gottes näher zu kommen.

Und der Segen, den mir der alte Herr am vergangenen Dienstag geschenkt hat, der hilft. Er hilft mir zu erkennen, was notwendig ist auf dem Weg zum Reich Gottes und wovon ich mich verabschieden kann und auch verabschieden muss, wenn ich offen bleiben möchte für das Reich Gottes.
Christoph Simonsen


Sonntag, 19. Juni

12. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr C – 2016

Lesung: Galater 3,26-29
Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.

Wenn der Glaube der Politik etwas vor macht…
Wieder einmal ein Massaker in den Vereinigten Staaten; wieder einmal viele Tote und Verletzte, wieder einmal unzählige fragende Trauerende, Angehörige, Freundinnen und Freunde; wieder einmal die Mahnung, den Waffenhandel zu erschweren; wieder einmal tiefe Betroffenheit; wieder einmal die Rede von einem Angriff auf unsere offene Gesellschaft.
Wie oft haben sich diese und ähnliche Szenarien in den letzten Monaten wiederholt. Je suis Charly, je suis Paris, je suis Cologne, je suis Brusselles. Damals wie auch jetzt in diesen Tagen werden wir mit vielen Zeichen und Gesten darauf verwiesen, wie kostbar und bewegend Symbole sein können, wenn zum Beispiel der Eiffelturm in den Farben des Regenbogens die Nacht erhellt oder wie gestern Abend in Berlin das Brandenburger Tor in den Farben der gay community  erstrahlt, und viele Menschen ihre Verbundenheit schweigend zum Ausdruck bringen. Für einen Moment sind alle Vorbehalte vergessen, alle Abgrenzungsmechanismen aufgehoben. Es ist tröstlich, wenn Menschen zusammenstehen über Grenzen und Unterschiedenheiten hinweg. Da wird etwas sichtbar und spürbar von dem, was Paulus in seinem Brief an die Galater schreibt: „Ihr seid alle durch den Glauben Kinder Gottes“. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau. Ihr alle seid eins in Christus Jesus“.
Leider gibt es aber auch eine andere Wahrheit, die nicht verschwiegen werden darf. Weil der Attentäter von Orlando einen afghanischen Vater hat, macht schnell die Vermutung die Runde, es handele sich um einen terroristischen Anschlag aus muslimischen Beweggründen.
So schnell, wie wir Menschen Verbundenheit zum Ausdruck bringen, so rasch lassen wir uns auch blenden von Vereinfachungen und Verallgemeinerungen und knüpfen Verkettungen, die rasch Antwort zu geben versuchen auf Wirklichkeiten, die doch ganz anders sein können. Wie heißt es bei Paulus weiter? „Wenn ihr zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams nachkommen, Erben Kraft der Verheißung“. Erben Abrahams sind wir Christen aber in gleicher Weise wie Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens. Paulus erinnert uns an etwas, was in Gott überwunden ist, woran wir Menschen aber kranken: An den Streit der Religionen, an die geschichtlich gewachsenen Vorurteile und an die Alleinstellungsansprüche, die die einzelnen Religionen für sich erheben, woraus dann Streit, ja sogar Hass und Krieg entstanden sind. Anstatt sich der gemeinsamen Wurzel zu erinnern, dass Gott sich den Menschen in unnachahmlicher Weise dem Urvater Abraham geoffenbart hat, dass er mit den Menschen in einen direkten Dialog treten möchte, dass ihm, Gott, an einem Mit-Gehen gelegen ist, zerreiben wir Menschen uns an der Frage, wem Gott wie viel wann von sich geoffenbart hat. Anstatt uns zu erinnern, dass wir gemeinsam Erben der Verheißung Gottes sind, verlieren wir uns in Traditionen und versteifen uns darin, die Unterschiede zu betonen. Aus diesem Glaubensirrsinn erwachsen heute die gesellschaftlichen und politischen Positionierungen, die der Welt innere Barrieren und Grenzen aufzwingen und die Menschen militarisieren und zu Gewalttätern machen. Die Politik vermag diesen Zwiespalt, diese Zerrissenheit alleine nicht zu befrieden, davon bin ich überzeugt; nur gemeinsam mit den Glaubensgemeinschaften, also auch mit uns Glaubende kann dieser Terror überwunden werden, indem wir Zeichen des Friedens und des Verstehens zwischen den Religionen setzen.
Die vielen medienwirksamen Symbole und Gesten, die die Menschen in den sozialen Netzwerken und an den öffentlichen Plätzen immer wieder von neuem setzen, sie werden erst dann wirklich zu einer Erneuerung des Denkens und Lebens beitragen können, wenn Menschen ihre Betroffenheit rückbinden an das Fundament eines persönlichen Glaubenszeugnisses. Eines Glaubenszeugnisses, das sich nährt aus dem je eigenen Glauben ohne den Glauben des anderen zu diskreditieren. Eines Glaubenszeugnisses, das überzeugend ist, ohne die Überzeugung des anderen zu verurteilen. Das ist ein mühevoller Weg, zumal wir viel zu lange wissentlich andere Wege gegangen sind. Aber es ist ein gangbarer Weg, wenn wir uns der gemeinsamen Wurzeln wieder tiefer erinnern und uns klar wird, dass Gott sich auf vielerlei Weise den Menschen offenbart hat und dass die Offenbarungen Gottes nicht einander ausschließen, sondern den Menschen helfen möchten, sich dem einen großen Geheimnis Gottes anzuvertrauen, der immer Geheimnis bleiben wird.
So wie Jesus sich sehr wohl in der langen Reihe der Propheten und seiner Wegbereiter sah, so nimmt er doch für sich in Anspruch, dass sich in ihm auf einmalige Weise das Wort Gottes in die Welt hinein gesprochen hat. Und vergleichbar liegt so in jedem Glauben, der sich auf den einen Gott Abrahams beruft, etwas Wertvolles und Einmaliges, das wert ist, geschenkt und geteilt zu werden. Leben, das von Gott kommt, zeichnet sich aus durch zwei Wunder: Es ist wertvoll an sich, weil es da ist und eingebunden ist in ein großes Ganzes und es ist wertvoll, weil es so ist: einzigartig, unverwechselbar, einmalig.
Das Leben von 50 Menschen ist in Orlando auf sinnloseste Weise zerstört worden, es kann nicht mehr geteilt werden und ihren Freundinnen und Freunden, ihren Familien, ja der ganzen Welt ist versagt, sich an diesen Leben freuen zu können und von ihnen lernen zu können, auch den Glauben lernen können. Wieder traf es eine ganz besondere Gruppe von Menschen, Schwule, Lesben und Transgender. Mich beschämt der Kommentar in einem Fernsehbericht, der nach den Ursachen dieser Tragödie fragte und bemerkte, dass noch nicht gesichert sei, ob es sich um einen islamistischen Anschlag gehalten, oder das Attentat nur einen homophoben Hintergrund gehabt hätte. Dieses Wort „nur“ hat mir den Hals zugeschnürt. Als sei ein grausamer Tod, der aus religiösen Motiven entstanden sei, ehrenvoller als ein Tod, der von einem psychisch kranken Menschen verursacht wurde. Und noch mehr beschämt mich, dass mit diesem „nur“ das Leben eines homosexuellen Menschen in einer Weise missachtet wird, wie es subtiler nicht sein könnte. Tragisch, dass nur der Bischof von Chicago auch der Lebenspartnerinnen und Lebenspartner der Verstorbenen und Verletzten ausdrücklich gedacht hat. Alle anderen haben es bei allgemeinen Trauerbekundungen gelassen. Ebenso wie die Suche nach der Einheit  in der Vielfalt des Glaubens nur von den Glaubenden im Sinne Gottes beantwortet werden kann, so ist es auch mit der Vielfalt der Liebesorientierung: Als Glaubende haben wir die Verantwortung, das einende immer stärker wahrzunehmen als das Unterscheidende. Glaubende vermögen mehr als alle Politiker und Juristen dieser Welt. Glaubende vermögen zu verstehen und zu verbinden. Es liegt an uns, die wir uns Mühen, Gott im Blick zu behalten; es liegt an uns, ob dieser Welt eine  friedvollere Zukunft beschert ist.

Christoph Simonsen


Sonntag, 12. Juni

Evangelium: Lukas 7,36-8,3
Jesus ging in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist. Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister! (Jesus sagte:) Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht. Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir (zur Begrüßung) keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden! In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen.

Mittendrin: Gott
In diesem Evangelium ist doch mal alles drin und dran, was unsere Welt heute auch auszeichnet: Pharisäer, Prostituierte, Geldverleiher, von Geistern besetzte Menschen, Kranke, Beamtenfrauen, und da mittendrin der Sohn Gottes. Die menschgewordene Wirklichkeit Gottes im wahrsten Sinn des Wortes mittendrin. Gott, schonungslos eingebunden in einer Welt, wie sie realer nicht dargestellt werden könnte.
Wie auch schon am vergangenen Sonntag werden wir heute wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Gott gegenwärtig ist im Konkreten, im Unbereinigten, im Weltlichen. Und ich werde den Eindruck nicht los, dass er gerne genau in dieser Wirklichkeit, in dieser Welt gegenwärtig ist. Ja, Gott ist gern in der Welt des ungeschönten Seins. Genau da, wo das Leben ist, wie es ist, genau da ereignen sich die Wunder der Liebe. Gott packt die Welt nicht mit spitzen Fingern an, er sucht sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen. Er sucht – und er findet – das Wunderbare, das Liebenswürdige, das Vorbildhafte im Verstrickten, im Sündigen, im Beladenen. Der gesetzesgläubige Pharisäer, der – wir wissen eigentlich gar nicht warum – den ungeliebten Jesus zu Tisch bittet; der Geldeintreiber, der – warum eigentlich – uneigennützig die Schulden erlässt; die Prostituierte, die – man glaubt es kaum – voller Sehnsucht nach Liebe ist; die Besessene, die – wer immer sich da überwinden musste – sich berühren lässt; die Staatsverdiener, die – man staune – ihre Frauen nicht gängeln. Sie alle sind Bild einer unvollkommenen Welt. Jesus maßregelt keine und keinen von ihnen, er kommt ihnen nahe und entlockt ihnen das Gute.
Und ich heute (vielleicht auch ihr): ich staune, dass Gott kein Ort, keine Situation, kein Mensch zu weltlich, zu unvollkommen ist, als dass er dort nicht mit Lust und Zuversicht einkehren mag. Die Welt, in der Gott zu finden ist, ist nicht sauber und überschaubar eingeteilt in Gut und Böse. Das Bild Gottes von dieser Welt ist kein Dualistisches. Gott solidarisiert sich nicht mit den einen um die anderen beiseite zu stoßen. Im Gegenteil: Er kehrt ein, nimmt teil und sucht so lange, bis er im Endlichen das Ewige findet, im Besessenen das Suchende, im Kranken das Heile, im Schuldhaften das Liebenswürdige, im Gewinnsüchtigen das Mitfühlende sieht. In der Welt, in der Gott ist, verändern sich die Dinge, die Sachverhalte; und viel wichtiger: die Menschen ändern sich.
Es ist nicht so, dass sich erst die Welt häuten, reinigen, umkehren muss, damit Gott ankommen kann. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Da, wo Gott hinkommt, verkehren sich die Verhältnisse und mit ihnen die Menschen.
Wir haben von Pharisäern ein vorgeprägtes Bild, eigennützig seien sie gewesen, blind gesetzestreu und selbstverliebt. Auch die Bilder von Huren und Dirnen in unseren Köpfen sind selten liebevoll und es gibt, glaube ich, mehr Witze über Beamten als Beamte selbst; und auch Besessene, heute würden wir vielleicht etwas höflicher sagen: Behinderte, sie müssen nicht selten in der Gesellschaft gegen Vorurteile ankämpfen. Aber genau die, von denen unsere Welt, unsere Gesellschaft vorgeprägte, oft misslich gestimmte Bilder im Kopf hat, sind im heutigen Evangelium diejenigen, die sich offen gezeigt haben für die Gegenwart Gottes. Das alles sagt Wichtige aus über die Menschen; es sagt etwas aus über Gott. Vor allem aber ist es eine Anfrage an uns, inwieweit unser Weltbild, unser Menschenbild und unser Gottesbild einer Korrektur bedarf.

Christoph Simonsen


Sonntag, 06. Juni

Lesung: 1 Könige 17,17-24
Nach einiger Zeit erkrankte der Sohn der Witwe, der das Haus gehörte. Die Krankheit verschlimmerte sich so, dass zuletzt kein Atem mehr in ihm war. Da sagte sie zu Elija: Was habe ich mit dir zu schaffen, Mann Gottes? Du bist nur zu mir gekommen, um an meine Sünde zu erinnern und meinem Sohn den Tod zu bringen. Er antwortete ihr: Gib mir deinen Sohn! Und er nahm ihn von ihrem Schoß, trug ihn in das Obergemach hinauf, in dem er wohnte, und legte ihn auf sein Bett. Dann rief er zum Herrn und sagte: Herr, mein Gott, willst du denn auch über die Witwe, in deren Haus ich wohne, Unheil bringen und ihren Sohn sterben lassen? Hierauf streckte er sich dreimal über den Knaben hin, rief zum Herrn und flehte: Herr, mein Gott, lass doch das Leben in diesen Knaben zurückkehren! Der Herr erhörte das Gebet Elijas. Das Leben kehrte in den Knaben zurück und er lebte wieder auf. Elija nahm ihn, brachte ihn vom Obergemach in das Haus hinab und gab ihn seiner Mutter zurück mit den Worten: Sieh, dein Sohn lebt. Da sagte die Frau zu Elija: Jetzt weiß ich, dass du ein Mann Gottes bist und dass das Wort des Herrn wirklich in deinem Mund ist.

Wo Gott ‚Gott‘ sein darf und der Mensch an seinem ‚Menschsein‘ nicht zu verzweifeln braucht
Es gibt einen Wissensdurst in uns Menschen, der unbändig ist und zügellos: Wir wollen verstehen, wie etwas zusammenpasst, warum sich einiges zusammenfügt und anderes nicht, wie intensiv wir uns auch mühen. Das hat schon damals unsere ganze Energie in Anspruch genommen, als wir noch mit Bauklötzen gespielt haben. Und heute ist es nicht anders, wenn wir uns angetrieben fühlen, Welt und Natur zu erforschen. Indem wir Zusammenhänge erkennen, befriedigen wir unsere Wissensgier.
Was aber, wenn es uns trotz allen Mühens mangelt, etwas zu verstehen? Was, wenn wir Menschen an unsere Grenzen stoßen, wenn unser Verstand versagt, unser Wissen und unsere Erfahrungen ihr Unvermögen eingestehen müssen?
Eine dieser Frage, die uns zerreißt, ist die nach dem zu frühen Tod, nach dem schicksalhaften Tod mitten im Leben. Nach dem Tod, der so viel Unvollendetes zurücklässt und Menschen ratlos, mit allen Sinnen und Gefühlen überfordert in Gram und Wut fallen lässt. Bilder ertrinkender Kinder heute sind keine Seltenheit und es mögen viele plausible nüchterne Ursachen auf der Hand liegen, aber ein letztes „warum“ hallt unbeantwortet im Raum nach.
Was liegt da näher, als  einen Funken Trost zu suchen in einer Antwort, die zwar unbegründet und unreflektiert ist, aber ein Maß an Ruhe schenkt, die weiterleben lässt?
Wo der Mensch etwas nicht versteht, wo der Mensch an seine Grenzen stößt, da muss oft die Schuld herhalten, um ein einigermaßen erträgliches Gleichgewicht wieder herstellen zu können: ein Gleichgewicht der Gefühle und ein Gleichgewicht der Gedanken. Schuldgefühle wühlen eben nicht nur auf, manchmal beruhigen sie auch einen Menschen, so unsinnig sich das auch anhört. Ein Schuldempfinden drückt einen Menschen zwar nieder, aber es erklärt auch etwas und gewährt so ein Gefühl der Zufriedenheit. In vergangenen Zeiten wurde ein früher Tod oft erklärt damit, dass dieser Tod Sühne war für ungesühnte Schuld. Der Tod fand einerseits so eine Deutung und andererseits konnten die Trauernden Gott ins Spiel bringen und in ihm ein Gegenüber ausmachen, der zu verantworten hat, was unerklärbar ist. Vereinfacht ausgedrückt: Der zu frühe Tod ist zwar ungerecht, er findet aber ein Deutungsmuster in der Unzulänglichkeit des Menschen, der dem Anspruch Gottes nicht gerecht geworden ist. So hat sich der Mensch erklärt, was nicht zu erklären ist und er hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: er hat nämlich nicht nur den ungerechten Tod erklärt, zudem hat er sich Gott erklärt.
Gott nämlich, der Lenker und Richter ist, der belohnt und bestraft, der Herr ist über Leben und Tod. Gott, der in den Sphären des Himmels wohnt, der über allem und allen steht, der Macht hat, zu tun und zu lassen, wie er für richtig hält. Gott, der in gut und in böse unterteilt, der rettet oder verdammt. In dieses Gottesbild fügt sich die Tragik eines ungeklärten Todes gut hinein. Dieses Gottesbild zieht weiter unweigerlich ein Menschenbild nach sich. Ein Bild vom Menschen, der gehorsam ist oder eben nicht, der sich fügt oder rebelliert, der das Leben verdient oder eben nicht.
Gott, der Entrückte, wird zum Spielball all dessen, was das menschliche Maß übersteigt. So ist Gott zwar der Entrückte, der über der Welt steht, zugleich aber ist er in der Hand des Menschen, weil dieser sich diesen Gott zu eigen macht, seine eigene Begrenztheit wett zu machen. In einer solchen Abhängigkeit lässt sich gut leben, selbst im Angesicht des Todes. Macht sich der Mensch doch diesen Gott zu eigen, die eigene Unzulänglichkeit zu übertünchen. Banal formuliert: Ich bin zwar von Gott abhängig, lade womöglich sogar Schuld auf mich, dafür aber muss ich vor keiner Frage, die das Lebens mir stellt, mehr Angst haben. In diesem Gottes-Menschen- und Weltbild hält der Mensch Gott einen Vertrag hin in der Erwartung, er, Gott, unterschreibt diesen Vertrag. Beide haben was davon: Gott wird seine Hoheit zugestanden, und der Mensch darf sich ‚die Krönung der Schöpfung‘ nennen, da er doch der einzige ist, der die Welt als einziges in seiner Gänze versteht – selbst wenn nichts mehr zu verstehen ist. Aber die Frage ist: Wie kann Gott ‚Gott‘ sein, wenn der Mensch das Bild Gottes malt, wenn der Mensch das Wesen Gottes vorgibt, wenn er, Gott, unter den Bedingungen des Menschen Gott sein darf? Ist die Existenz Gottes, seine Daseinsberechtigung darin begründet, dass er die Antwort auf alle menschlichen Fragen ist?
Die Texte des Alten wie auch des Neuen Testamentes, die wir heute gehört haben, durchkreuzen diese menschlichen Gedankengespinste. Und nicht unbedeutend ist, dass vor allem der alttestamentliche Text hier widerspricht, da doch viele der Überzeugung anhängen, dass der Gott des Neuen Testamentes den Gott des Alten  Testamentes aufheben würde. Nein, in beiden Texten, in gleicher Weise, offenbart sich Gott als der andere, der nicht zu vereinnahmende Gott. Als der Gott, der sich nicht den Gedanken und Vorstellungen der Menschen unterwirft, der eben nicht die ‚Schuld und Sühne Theorie‘ der Menschen befriedigt, sondern handelt nach dem Prinzip der Liebe. Liebe ist aber unberechenbar, sie rechnet nicht Leben und Tod auf. Liebe geht es nicht darum verstanden zu werden; Liebe sehnt sich danach, angenommen zu werden, auch wenn man nicht versteht. Das lehren uns die heutigen Texte und das zeichnet ein Bild Gottes, das Gott ‚Gott‘ sein lässt nach seinen Vorstellungen, nicht nach den Vorstellungen des Menschen. Mit diesem Gott können wir Leben und Sterben annehmen und in allem eine Liebe entdecken, die nie und nimmer zu verstehen ist und die uns lehren darf, dass wir als Menschen unsere Grenzen des Verstehens annehmen dürfen, ohne verzweifeln zu müssen.

Christoph Simonsen


29. Mai – 9. Sonntag im Jahreskreis C – 2016

Lesung: 1. Buch der Könige8,41-43
Auch Fremde, die nicht zu deinem Volk Israel gehören, werden wegen deines Namens aus fernen Ländern kommen; denn sie werden von deinem großen Namen, deiner starken Hand und deinem hoch erhobenen Arm hören. Sie werden kommen und in diesem Haus beten. Höre sie dann im Himmel, dem Ort, wo du wohnst, und tu alles, weswegen der Fremde zu dir ruft. Dann werden alle Völker der Erde deinen Namen erkennen. Sie werden dich fürchten, wie dein Volk Israel dich fürchtet, und erfahren, dass dein Name ausgerufen ist über diesem Haus, das ich gebaut habe.

Integration im Haus Gottes
Mir ist schon bewusst, dass es problematisch ist, das Thema wieder aufzugreifen. Nicht, weil es nicht wichtig wäre, vielmehr, weil sich zu viele darüber das Maul zerreißen, weil dieses Thema so oft und so vielfältig und nicht selten so widerwärtig besprochen wird, dass man es kaum mehr hören mag. Zudem ist es ein Trugschluss zu glauben, wir könnten dieser neuen Wirklichkeit Herr werden dadurch, dass wir möglichst viel darüber reden. Es geht um Fremde, ihr habt es sicher schon geahnt. Es geht um Menschen, die anders sind als du und ich; um Menschen, die aus der Ferne zu uns gekommen sind; um Menschen mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen Kultur, einem anderen Glauben. Es geht um Menschen, die auffallen, einzig, weil sie nur hier sind mitten unter uns. Die Texte des Tages drängen uns heute dieses Thema auf.
Es geht um Fremde, und es geht um Integration. Das, was sich hinter diesem Wort „Integration“ verbirgt, hatte einmal einen sehr freundlichen und einladenden Charakter. Heute dagegen verbindet sich mit diesem Wort etwas, das nach Druck, nach Zwang, nach Anpassung riecht. Mit diesem Wort „Integration“ werden Erwartungen, Bedingungen verknüpft, die erlauben, dass sie – die Fremden – bleiben dürfen bei uns. Der Ruf nach Integration wirkt wie ein Aufruf, sich in Reih und Glied einzuordnen, ja vielleicht sogar unterzuordnen. Um nun Missverständnissen vorzubeugen: zweifelsohne ist es wichtig, dass Sprachbarrieren überwunden werden müssen, dass gewisse Rechte, Freiheiten akzeptiert werden müssen, die in unserer Gesellschaft gelten.
Aber darüber hinaus stehen wir immer mehr in der Gefahr, ein Gefälle zu stabilisieren zwischen uns und den anderen, zwischen den Etablierten und den Fremden. Und dieses Gefälle zieht nicht selten ein Wertegefälle nach sich. Unbewusst vielleicht, aber gerade deshalb um so nachhaltiger und beständiger. Die Fremden sind es, die sich den Ansässigen anzugleichen haben. Die anderen sind diejenigen, die in der Pflicht stehen, sich ändern zu müssen, sich anpassen zu müssen. Sie sind diejenigen, die an sich arbeiten müssen, die ihre Kultur, ihre Tradition, ja: auch ihren Glauben zur Disposition zu stellen haben.
Nun sind wir heute Abend hier im Haus Gottes (und nicht in einer medialen Diskussionsrunde). Wir sind hier, um zu beten, so wie damals Salomo, der ja bekanntlich als weiser Mann in die Geschichte eingegangen ist. Das tun wir gerne und immer wieder, und ich tu es gern mit euch gemeinsam sonntagabends. Aber wie tun wir es? Salomo gibt uns da einen nachdenkenswerten Hinweis. Salomo vertraut Gott die Fremden an. Die, die nicht zum Volk Israel gehören, nimmt Salomo hinein in sein Gebet. Und er äußert die Hoffnung, oder besser die Zuversicht, dass Gott sich ihnen anvertrauen möge. Er bittet Gott, den Fremden gegenüber ein offenes Ohr schenken: „Höre sie im Himmel“, fleht er Gott an. Salomo bittet Gott, seinen Blick auf die Fremden zu richten; dadurch erweist er den Fremden einen Freundschaftsbeweis und er setzt ein Zeichen des Vertrauens. Salomo war durchaus die Religionsvielfalt, die unsere Welt heute auszeichnet,  vertraut, wenn auch anders, als uns heute, die wir von Weltreligionen sprechen. Die Religionsgemeinschaften zur Zeit Salomos standen nicht minder in einem Konkurrenzkampf untereinander, wie unsere Weltreligionen heute auch. Und man war damals weit davon entfernt davon, auch nur an einen Dialog der Religionen zu denken. Uso bemerkenswerter ist dieses Grundvertrauen des weisen Beters den Fremden gegenüber und Gott gegenüber. Seine Hoffnung war es, dass Gott sich den Fremden anvertrauen würde. Aber worin begründete sich seine Hoffnung? An keiner Stelle wird auch nur erwähnt, dass die Fremden genötigt würden, ihrem Glauben abzuschwören. Salomo vertraut die Fremden der Obhut Jahwes an, ohne die Fremden vereinnahmen zu wollen. Er vertraut der Weisheit Gottes, seinem Wort, seinem starken Arm, den Fremden gegenüber gut zu sein. Salomo vertraut Gott und deshalb findet er einen wohlwollenden Zugang zu den Fremden.
Salomo’s Gottvertrauen entlarvt den bedrängenden Missionierungszwang all derer, die den Fremden heute Lasten auferlegen, sich von ihren Traditionen und ihrem Glauben zu verabschieden, um wirklich hier willkommen zu sein. Salomo kehrt das Denken und das Handeln um. Er schaut zuerst auf Gott und vertraut die Fremden seiner Fürsorge an; und dieses Vertrauen auf Gott öffnet sein Herz, den Fremden wohlwollend und respektvoll zu begegnen. Viele heutzutage dagegen schauen zuerst auf die Fremden und erwarten, dass sie sich unserem Gott zuwenden müssen. „Tu alles, weswegen der Fremde zu dir bittet“, so betet Salomo. Wohlgemerkt, als Fremder, nicht als Gläubiger. Salomo vertraut, dass der Fremde um Wohlwollendes bittet und er vertraut darauf, dass Gott das Wohlmeinende des Fremden hört. Salomo glaubt fest daran, dass der Fremde und Gott in einem Austausch stehen.
Ich erinnere mich gern unseres Abendgebetes in diesem Jahr am Gründonnerstag im Nachklang unseres Gottesdienstes hier in der Citykirche. Einige sind damals mit in unseren Raum der Stille der Khg gegangen, wo schon andere warteten. Fremde aus der muslimischen Gemeinde, aus der Hindugemeinde, aus der Bahai Gemeinde. Gemeinsam haben wir gebetet, eine nach dem anderen in ihrer und seiner Tradition. Da war eine große Aufmerksamkeit, denn wer wirklich auf Gott schaut, der kann nur wohlmeinend sein, der kann nur zugewandt sein, der kann nur weitsichtig sein. Wir sollten viel mehr einladen zum gemeinsamen Beten, im Respekt um die Fremdheit der anderen, im Wissen aber auch um die einigende Kraft des Betens.
Salomo eröffnet mir, und vielleicht auch euch, eine neue Weise, über Integration nachzudenken und sie zu verwirklichen, sie zu leben. Ja, es stimmt wohl: weniger zu reden über die Fremden täte allen gut, den Fremden wie auch uns. Einander Gott anvertrauen und einander vertrauen, darin läge für mich eine neue Chance. Aus diesem Vertrauen erwüchse eine integrative Kraft, die unser Zusammenleben friedvoll vertiefen würde, denn wer sich Gott anvertraut und wer andere Gott anvertraut, den bringt so schnell nichts mehr auseinander. Gottes Haus ist für alle gebaut.

Christoph Simonsen


Dreifaltigkeitssonntag 22. Mai 2016

Lesung: Buch der Sprichwörter, 8,22-31
Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands. Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, als er droben die Wolken befestigte und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer,als er dem Meer seine Satzung gab und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag / und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.

Die Freude Gottes, bei den Menschen zu sein
Ich hatte ziemlich genau eine Stunde Zeit am Donnerstagmittag, um mit den Hunden zu laufen, danach stand ein Gesprächstermin außerhalb Aachens an. Und da es immer anders kommt, als geplant, hat sich einer der beiden Raubtiere selbständig gemacht, schließlich war ja schönes Wetter, und strolchte an der Wurm durchs Unterholz. Da konnte ich rufen, wie ich wollte: sinnlos. Die Zeit verstrich und ich spürte, wie die Unruhe in mir kochte. Zu spät kommen, bei einem Termin, bei dem mehrere beteiligt sind, das ist nicht nur unhöflich, das erschwert auch die Entscheidungsprozesse, denen wir uns an diesem Tag stellen mussten. Ich hätte Ruben (er war der Streuner, der mir die Zeit stehlte) erwürgen können. Viel zu spät kam er dann angewackelt, schaute fröhlich zu mir hoch, so nach dem Motto: Das war aber mal schön. Natürlich kam ich abgehetzt zu spät zum Gespräch.
Abends dann lese ich ein Interview mehr oder weniger lustlos und einfach nur so, um abzuschalten, und da lese ich dann von der Schauspielerin diesen einen Satz, der der Reflexion des zu Ende gehenden Tages eine neue Wende geben sollte: „Ich versuche, die Zeit zu meiner Freundin zu machen“. Das war mir an diesem Tag definitiv nicht gelungen. Aber die Frage bahnte sich Bahn in mir: Wie geht das, die Zeit zur Freundin zu gewinnen? Normalerweise ist mir die  Zeit mehr unangenehme Antreiberin als liebevolle Freundin. Wobei: Die Zeit kann ja eigentlich nichts dafür; es sind die Verpflichtungen, die Erwartungen, die Anforderungen, die mich antreiben, die mich durch mein Leben mit ICE-Geschwindigkeit rasen lassen. Und dann gibt es noch eine andere Wirklichkeit, die mich auf Kriegsfuß mit der Zeit stellt. Wenn sie mir – was selten genug vorkommt, gewogen ist,  dann weiß ich ganz oft nichts Rechtes mit ihr anzufangen; ich trödel, ich hänge rum,  verplempere sie mit unnützen Dingen. Aber wieder ist eigentlich nicht die Zeit die Verursacherin dieses Missglücks, sondern ich, der ich sie einfach verstreichen lasse. An jedem Tag sind mir 24 Stunden geschenkt, 1440 Minuten, 86400 Sekunden, 365 Tage im Jahr und ich weiß nicht, wie viele Jahre.
„Ich versuche, die Zeit zu meiner Freundin zu machen“, für mich beinhaltet dieser Wunsch eine noch tiefere und existentiellere Sehnsucht als mir nur eine Achtsamkeit für das Geschenk der Zeit zu bewahren: Ich möchte meinem Leben mit Dankbarkeit und Achtsamkeit begegnen; ich möchte mein Leben spüren, ja, ich möchte spüren, dass ich lebe; ich möchte dem Wert, dem Wunderbaren meines Lebens auf die Spur kommen. Ich möchte dem Leben die Gelegenheit geben, mich beschenken zu lassen mit Unerwartetem, das geschehen kann, wenn ich es nur zulasse.
So grübel ich also nach über das Wesen der Zeit und mir kommen zwei ganz unterschiedliche Anzeichen in den Sinn, die mich erkennen lassen, dass die Zeit mir Freundin werden kann und ich der Zeit ein verlässlicher Freund: Wenn, ja wenn ich ganz in ihr aufgehe, wenn ich mich – im wahrsten Sinn des Wortes – ganz in der Zeit verliere, der Augenblick zur Ewigkeit wird, weil nämlich das, was geschieht, mich ganz erfüllt. Und eine ganz andere Situation ist es, wenn sich in einer Sekunde, in einem Augenblick alles bündelt, was wert und wichtig und heilsam ist. In den letzten Tagen ist mir indirekt so eine Situation geschenkt worden. Im Verlauf eines Gespräches erzählte mir jemand von einer schwierigen Begegnung, wo unterschiedliche Meinungen aufeinanderstießen; die Emotionen kochten hoch. Zufällig schaute er aus dem Fenster nach draußen und bemerkte eine Naturlandschaft, die ihm  vertraut war, aber bisher nie besonders aufgefallen ist. Gerade in diesem Augenblick jedoch sah er das Grün der Wiese und die Farben der wilden Blumen in einer Weise, wie er es zuvor nie wahrgenommen hat. Das hat ihm eine solche innere Ruhe beschert, sagte er, dass das Streitgespräch unerwartet einen ganz anderen, versöhnlicheren Verlauf vernahm. Ein einziger Blick auf die Farben in der Welt vermag Wege des Verständnisses aufzuschließen.
Von der Zeit ist in den heutigen Texten die Rede, genauer gesagt: von einer Zeit davor und einer Zeit danach und auch von der Weisheit und von der Wahrheit. Besser: Von der Weisheit Gottes und vom Geist der Wahrheit.
Wenn wir heute das Fest der Dreifaltigkeit Gottes feiern und verstehen wollen, was diese Wirklichkeit Gottes für uns bedeutet, dann sind diese Merkmale vielleicht hilfreich.
Gott begegnen wir in der Zeit, und er übersteigt dennoch alle Grenzen der Zeit, so dass wir Gott nicht nur in unserem Leben begegnen, vielmehr in allem was war und was kommen wird. Diese Größe Gottes bewahrt uns davor, ihn vereinnahmen zu können und lehrt uns, ihn in allem zu suchen.
Gott schenkt alles von sich, und er ist dennoch das größte Geheimnis, so dass wir Menschen jeden Augenblick unseres Lebens zur Suche nach ihm aufgerufen sind. Die Weisheit Gottes bewahrt uns davor, stehen zu bleiben, uns zu begnügen und ruft uns auf, Suchende zu bleiben.
Gott ist der Verlässliche, der sich ganz verlieren kann in uns und doch ganz bei sich bleibt, der sich verströmt bis zur Selbstaufgabe und sich doch nie verliert. Die Wahrheit Gottes macht uns Menschen frei, uns nicht an Vordergründigem zu binden, sondern einzig an ihn, der sich zeigt im anderen.
Gott steht in einer immerwährenden Beziehung, zu sich, zu uns, zu allem. Gott ist nicht für sich Gott, sondern für seine Freundinnen und Freunde – für uns.
Nun, ich bin am vergangenen Donnerstag zu spät gekommen zu einem Kooperationstreffen. Dennoch war es eine sehr schöne Begegnung und wir haben uns verstanden und wir konnten gemeinsam einiges klären und auf den Weg bringen und im Übrigen war ich nicht der einzige, der zu spät da war. Wenn mein Hund demnächst mal wieder eigene Wege und mir nichts bleibt, als zu warten, dann erinnere ich mich vielleicht an die Gedanken, die ich mir in den vergangenen Tagen gemacht habe und bleibe gelassener. Denn wenn Gott Urheber der Zeit und der Garant für Wahrheit und Weisheit ist, dann wird es gut werden. Seine Freude ist es, „bei den Menschen zu sein“. Das hat mein Hund vielleicht am vergangenen Donnerstag besser verstanden als ich.

Christoph Simonsen

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