Predigten Advent – Weihnachten 2015

Taufe des Herrn 2016
Evangelium: Lukas 3,15-16.21-22
Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.

Von der Verantwortung eines Vaters
Balázs ist vor wenigen Tagen Vater geworden. Einige von Euch mögen ihn noch kennen aus der Zeit, als er hier in Aachen studiert hat. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und dem kleinen Zuwachs wieder bei sich daheim in Ungarn. Nachdem ich ihm zu der Geburt seines Sohnes Ignac gratuliert habe, kam auch postwendend Antwort, worüber ich mich natürlich sehr gefreut habe. Aus jedem Wort dieser Mail sprang mir die Dankbarkeit und der Stolz des frisch gebackenen Vaters entgegen. Aber er schrieb auch von seinen Ängsten in seiner neuen Rolle als Vater und dass er sehr behutsam lernen müsse, zu verstehen, was der kleine Erdenmensch, der ja noch nicht sprechen kann, ihm in all den vielen nonverbalen Ausdrucksformen sagen wolle. Manchmal könnte er ungeduldig werden, weil Ignac eben immer genau dann seine Bedürfnisse anmelden würde, wenn es so gar nicht in seinen Zeitkram passen würde. Zum Beispiel, dass er Hunger habe, oder er sich einsam fühle oder dass er aufs Töpfchen möchte oder dass er beschäftigt werden wolle.  Das passiert natürlich immer genau dann, wenn der Papa mit anderen Dingen beschäftigt ist oder er einfach nur mal seine Ruhe haben wolle. Die Eltern unter uns verstehen sicher, was ich meine. Da kann man dann schon mal ungehalten werden und sich ärgern und ohne es zu wollen kriegt dann nicht selten unbewusst der kleine Mensch den Ärger ab, der sich angestaut hat, nur weil der kleine und der große Mensch ein anderes Zeitverständnis haben. Auch wenn ich da natürlich nicht aus eigener Erfahrung mitreden kann, aber Papa sein, das will wohl wirklich erst gelernt sein.

Mich hat diese Mail von Balázs zum Nachdenken darüber gebracht, dass wir alle ja irgendwie immer erziehen, gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst. Schon in diesem Augenblick, wo ich meine Gedanken mit Euch teile, bemühe ich mich doch, etwas zu vermitteln von dem, was mich bewegt, was mir wichtig ist und ich hoffe und wünsche, dass es dann auch etwas mit Euch macht. Dass ihr darüber nachdenkt, meine Gedanken oder Erfahrungen mit den eigenen verknüpft und dass sich auf diese Weise etwas bewegt. Dass ihr mein Bemühen um einen gelebten Glauben mit eurem Mühen abgleicht, den Glauben in euer Leben zu weben. Es wäre unlauter zu behaupten, dass wir nichts voneinander wollten. Natürlich ist es mein Wunsch, dass mein Glaube, meine Vorstellung von Leben euch in irgendeiner Weise trifft. Und dass es euch beeinflusst. Jede Form, Glauben und Leben zu teilen ist auch eine gewisse Form von Beeinflussung. Jeden Tag erziehen wir einander, ohne dass wir dies direkt so nennen würden. Erziehen und Einfluss nehmen, das geht immer Hand in Hand.

Da wundert es nicht, dass Balázs, der unerfahrene Vater, Angst hat und sich sorgt, dass seine Erziehung auch zum Schaden seines Kindes werden könnte. Eine Erziehung einseitig von oben nach unten verfestigt bestehende Abhängigkeiten. Balázs liebt Ignac von ganzem Herzen; Liebe aber führt in die Freiheit und verabscheut Fesseln und Ketten. Wie diesem Dilemma entkommen: Verantwortung für einen anderen übernehmen und in die Freiheit begleiten?

Gott macht es uns vor: Auch er, der menschgewordene Gott, der Gott, der sich uns mitteilen wollte, der sein Wesen, seine Göttlichkeit mit uns teilen wollte, hat sich mit dieser Welt verbunden, um uns zu erziehen. Er wollte uns lehren, das Göttliche, das Große, das Erhabene in uns zu entdecken – im Menschlichen, im Kleinen, im Erbärmlichen. Und er lehrt es uns, indem er Mensch wird, klein und erbärmlich. Ja, Gott wollte und will Einfluss nehmen, aber nicht, indem er seinen Einfluss geltend machte, sondern indem er den Einflusslosen Maß und Bedeutung zusprach. Gerade auf diese Weise ist Gott seiner Verantwortung als Gott nachgekommen. Er wurde Mensch, er unterstellte sich den Gebräuchen und Riten der Menschen, indem er sich taufen ließ, er entäußerte sich, gab sich selbst auf- und gerade so schenkte er allen den Himmel, schenkte er allen Zukunft.

Lieber Balázs, als frisch gebackener Vater, stehst du vor vielen neuen Aufgaben und dass da Bangen und Zittern förmlich zu spüren sind, kann ich nur zu gut verstehen. Und auch, wenn all die Aufgaben, die in den nächsten Jahren auf dich zukommen, unübersehbar sind, das Vorbild Gottes, dich klein zu machen vor Deinem Kleinen, vielleicht sogar ab und zu kleiner, als dein Sohn ist, und du ihm so als Vater Diener bist, seine Wege zu finden, wird Ignac seinen offenen Himmel sehen lassen und ihm Zukunft schenken.

Christoph Simonsen



Predigt am 27. Dezember 2015

In meinem Bekanntenkreis gibt es inzwischen immer mehr junge Eltern. Ein Vater erzählte neulich, wie er mit seiner einjährigen Tochter zum ersten Mal auf den Weihnachtsmarkt ging. In ihren Kinderaugen konnte er lesen, wie viel da gleichzeitig auf sie einstürmte. Eindrücke, die er als Erwachsener bereits kontrollieren und beiseite schalten konnte. Für sie war es eine Reizüberflutung an Farben, Geräuschen und Gerüchen, die sie so zuvor kaum erlebt hatte.

Trotzdem: Sie wollte unbedingt selber laufen und er ging in die Hocke, damit sie wenigstens eine Person auf Augenhöhe hatte. In dem Moment wuselte sie um einige Passanten herum und für kurze Zeit sah er sie nicht mehr. Er brauchte wenige Sekunden um sie einzuholen. Aber er sagte mir: „In dem Moment ist mir das Herz stehen geblieben und ich dachte, ich sehe sie nie wieder.“

Auch wenn es schwierig ist, Zustände von heute auf die Zeit Jesu zu übertragen: So ungefähr müssen sich die Eltern Jesu irgendwann gefühlt haben. Wir lesen bei Lukas, dass sie zuerst bemerkten, dass ihr Sohn nicht bei ihnen war – sie aber glaubten, er sei irgendwo in der Pilgergruppe. Und wir wissen zumindest das: Josef und Maria waren keine Helikoptereltern. Einen ganzen Tag lang reisten sie zurück in ihre Heimatstadt, immer weiter fort, von Jerusalem, wo er in Wirklichkeit war. Sie suchten ihn bei Verwandten und Bekannten und erst nach drei Tagen fanden sie ihn in Jerusalem.

Sie müssen auf ihn zugestürzt sein, als sie ihn im Tempel fanden, überglücklich und noch voll der Angst, die sie seit drei Tagen begleitete. Und Jesus sieht sie mit zwölf Jahren an und sagt gewissermassen: „Eure Angst ist vollkommen unbegründet.“ Stärker noch: „Wieso habt ihr mich gesucht? WUSSTET ihr nicht, dass ich hier bin? Wo es doch das Haus meines Vater ist und ich darum hierhin gehöre?“

Die Logik ist bestechend. Sie sagt aber auch „Ihr kennt mich nicht. Wenn ihr mich kennen würdet, hättet ihr euch nicht gesorgt, sondern wärt sofort hierhin gekommen.“

Es ist ein wenig gewagt, Jesus an dieser Stelle als ganz normalen pubertierenden Sohn zu lesen. Aber ich lese hier ein weiteres Bekenntnis, von denen Lukas viele versammelt. Schon mit zwölf Jahren ist Jesus nicht nur ein sehr klugen und wortgewandter Junge, sondern er versteht sich selber bereits als Sohn Gottes. Sein Leben richtet sich an diesem Gott aus, wie das anderer Menschen an anderen Zielen oder Motivationen. Sohn dieses Gottes zu sein, so zu leben, wie Gott es von den Menschen ersehnt, das ist der Kern seines Selbstverständnisses.

Es ist hier nicht die Zeit um auf die vielen Parallelen hinzuweisen, die von den Evangelisten zwischen Jesus und großen Figuren der jüdischen Geschichte gezogen werden. Nur wenige seien hier angerissen:

Jesus ist ein „unerwartetes Kind“, wie zuvor Issak und Samuel. Wie bei Abraham, Josef und Moses führt sein Weg nach Ägypten und wieder zurück. Abraham war die erste literarische Figur, die von zu Hause in ein ungewisses Neues aufbrach. Ähnlich beginnt mit Jesus ein Weg, der von vielen als „neuer Weg“ wahrgenommen wurde. In der Apg werden die Jünger Jesu oft mit dem Namen „Der Weg“ in Verbindung gebracht. Und daher rührt auch der Kindermord in Bethlehem, der historisch Herodes nicht nachgewiesen werden kann. Er erinnert an den Befehl des Pharao zur Zeit der Gefangenschaft in Ägypten.

In dem heutigen Evangeliumstext findet ein weiterer solche Aufbruch statt. Jesus löst sich aus dem vorgegebenen System „Familie“. Während seinen Eltern deutlich Sorge und Angst zugeordnet werden, dominiert bei der Beschreibung des Sohnes Sicherheit, Selbstbewußtsein.

Es ist harte Kost. Vor allem drei Tage nachdem wir zusammen gefeiert haben, dass unter ärmlichsten Verhältnissen eine kleine Familie entstand. Dass alle Beteiligten sich viel haben abverlangen lassen. In einem Film würde uns eine solche Entwicklung empören. Aber die Schreiber der Heiligen Schrift hatten ein etwas anderes Verständnis von Happy End. Lukas übersah nicht die sehr menschlichen und realen Ängste der Eltern. Aber er sagte mit dieser für ihn unverzichtbaren Episode: Wer aufbricht, wer Gewohnheiten aufbricht, wer ohne Ziel aufbricht, riskiert nicht nur Gefahren – sondern sein Leben. Er riskiert, wirklich zu leben.

Und das ist bis heute eine überraschende Wendung.

Tobias Kölling


4. Adventsonntag im Lesejahr C – 2015
Lesung: Jesaja 40,2-5

Tröstet, tröstet mein Volk, / spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen /

und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, / dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten / von der Hand des Herrn / für all ihre Sünden. Eine Stimme ruft: / Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße / für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, / jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, / und was hüglig ist, werde eben.

Weihnachten wird nicht, Weihnachten ist

Die Worte werden milde, nun: so wenige Tage vor dem Weihnachtsfest. Das Leben ist hart, ja, und auf der Welt liegt so viel Bitterkeit. Die Milde tut gut, aber vermag sie zu wandeln, was verhärtet ist?

Ja, die Mild tut gut und in ihr liegt eine heilende Kraft. Welche Kraft? Und wir, jede und jeder einzelne von uns, vermag in die Bitterkeit der Welt eine Herzlichkeit zu legen.

Wie Pflanzen nach einem Regen kann alles wieder zu wachsen beginnen.

Begeisterung greift um sich, denn wir dürfen etwas erwarten von unserem Leben; etwas, was sich nicht in Worte fassen lässt, weil es mehr ist, als Worte sagen könnten und weil es unsere kühnsten Gedanken übersteigt. Es kommt auf uns zu: ein neuer Himmel nämlich und eine neue Erde.

In uns lebt ein Mut, so dass wir aufhören zu warten auf den Tag, wo wir uns stark genug fühlten und wir beginnen heute, hier und jetzt, mitzuarbeiten an dieser Erde und an diesem Himmel, die einander berühren, weil wir sie verbinden.

Alles ist anders: Die Zurückhaltenden bringen sich ein. Die ergreifen die Initiative, die sich bisher immer herausgehalten haben. Die bereichern die Welt mit neuen Ideen, die zuvor nur mitgelaufen sind.

Jetzt sind die heißen Eisen nicht mehr zu heiß, als dass sie nicht angepackt würden. Jetzt wird an die Hand genommen, was immer nur beiseitegeschoben wurde. Jetzt ist Gespräch da, wo vorher nur Schweigen war. Jetzt ist Verstehen da, wo vorher nur Streit war. Und wir erkennen: Es gibt immer einen Weg; es braucht keine Auswege mehr und Irrwege versperren sich von alleine.

Nicht der eigene Vorteil geistert im Sinn sondern das Wohl des anderen. Nicht das Haben nimmt Besitz vom Herzen, sondern das Geben. Denn wir erkennen: Was wir haben, ist uns geschenkt und was wir sind, sind wir nicht für uns alleine. Die Hoffnung ist stärker als alle Strapaze und wir erkennen: Menschsein ist ein Gottesgeschenk.

Ja, die Worte werden milde und das Herz wird warm. Es wird Weihnachten. Nein, es ist Weihnachten, jeden Tag.

Christoph Simonsen


  1. Adventsonntag im Lesejahr C – 2015

Lesung: Zefanja, 3,14-17

Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! / Freu dich und frohlocke von ganzem Herzen, / Tochter Jerusalem! Der Herr hat das Urteil gegen dich aufgehoben / und deine Feinde zur Umkehr gezwungen. Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte; / du hast kein Unheil mehr zu fürchten. An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen: / Fürchte dich nicht, Zion! / Lass die Hände nicht sinken! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, / ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, / er erneuert seine Liebe zu dir, er jubelt über dich und frohlockt, / wie man frohlockt an einem Festtag.

Evangelium: Lukas 3,10-14.17-18

Da fragten ihn die Leute: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso. Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist. Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold! Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen. Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk in seiner Predigt.

Über die vielen Gottesbilder und das eine Bild Gottes

Hab ich da irgendwie was falsch verstanden? Ich bin bisher immer davon ausgegangen, die Liebe Gottes, seine Zuwendung, sein „Sich-auf-den-Weg-machen“ zu mir, wäre ihm ein Herzensanliegen. Ich dachte, seine Menschwerdung, sein „solidarisch-sein“ mit meiner Menschlichkeit, wäre das großzügigste Geschenk seiner Freundschaft zu mir.

Nun also doch alles, wie ich es gewohnt bin, wie ich es kenne: Leistung hat Anerkennung zur Folge. Wer sein Leben in die Scheune einfahren möchte und nicht ins nie verlöschende Feuer geworfen werden möchte, der muss schon was vorweisen. Wer vor Gott bestehen möchte, wer vor Gott nicht als Schmarotzer, als ‚Liebes-Schmarotzer‘ gelten möchte, der muss sich anstrengen. Es gibt scheinbar nichts umsonst im Leben, auch nicht die Liebe Gottes.

Was soll ich also tun? Meinen Kleiderschrank wieder einmal ausmisten und wohltätig zur Sammelstelle bringen, was ich sowieso nicht mehr gebrauche? Meinen Gerechtigkeitssinn aufpolieren? Meine Anstecknadel mit der Friedenstaube erneut sichtbar an den Pulli heften? Irgendwas muss ich tun, um Gott zu gefallen, um einen kleinen Strahl seines Gnadenglanzes abzubekommen. Irgendwas muss ich tun, verflixt, ich will doch nicht dem ewigen Feuer anheimfallen. Irgendwas muss ich tun, sonst bin ich verloren.

Der Prophet Zefanja, hat gut reden: „Fürchte dich nicht. Freu dich und frohlocke von ganzem Herzen. Er erneuert seine Liebe zu dir. Du hast kein Unheil mehr zu fürchten“. Ist der wirklich so naiv? So kann doch nur reden, wer den Ernst der Lage verkennt. „Jauchze Israel, juble Tochter Zion“. Von wegen: Wer Gott in die Augen schauen möchte, der muss schon was vorweisen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Erst das Jammertal, dann das Paradies. „Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt.“ Von wegen: Rettung bringt meine Leistung, mein Verzicht, mein Klagen und Wehen. Leben ist zunächst einmal Opfer, die Freude des Seins will hart errungen werden.

Zwei Propheten: Johannes und Zefanja. Zwei Wegbereiter Gottes, zwei ganz unterschiedliche Menschen. Auch zwei ganz unterschiedliche Vorstellungen Gottes: der fordernde Gott und der nachsichtige Gott?

Gottesbilder werden von Menschen gemacht. Sie sind die Frucht je verschiedener menschlicher Erfahrungen; sie entstehen in je verschiedenen menschlichen Situationen. Gottesbilder sind Bilder von Gott, aber eben nur Bilder; sie mögen etwas von Gott aufscheinen lassen, aber sie mögen Gott niemals in seiner geheimnisvollen Ganzheit versichtbaren. So trägt, davon bin ich überzeugt, jede und jeder von uns auch ihr und sein Gottesbild in sich. Erzählungen, Erfahrungen, Erlebnisse haben ihren Beitrag zu getan, dass es Konturen bekommen hat. Gottesbilder fallen nicht vom Himmel, Gottesbilder sind immer menschliche Bilder von Gott. Und nicht selten ringen, ja streiten wir darum, wer, wie, was Gott ist. Mit dem Bild, das der eine von Gott hat, begegnet er einer anderen, die ein anders Bild von Gott hat, weil ihre Lebenserfahrungen andere sind. Und je anders suchen wir auch nach Erklärungen für das, was oft keine menschliche Erklärung finden kann. So machen wir uns Bild um Bild von Gott. So wie Zefanja und Johannes.

Und dann wird Gott Mensch, ganz unverhofft- und ganz anders; kein Bild wird diesem wunderbaren Gott gerecht. Unseren vielen Bildern von Gott hat Gott selbst sein Bild von sich hinzu gestellt: Er wird Mensch wie wir.

Ob Gott ein fordernder ist oder ein nachsichtiger? Gott ist menschlich, das ist gewiss.

Christoph Simonsen


2. Sonntag im Advent im Lesejahr C – 2015 – Fest des Heiligen Nikolaus

Niklaus ist ein guter Mann
Niklaus ist ein guter Mann,
dem man nicht genug danken kann.
Lustig, lustig, traleralala …

Habt ihr auch so gesungen, als ihr noch Kinder ward? Habt Ihr am Vorabend des Nikolausfestes eure Stiefel vor die Tür gestellt in der Hoffnung, sie am nächsten Morgen mit Süßigkeiten gefüllt wieder zu finden? Schon ein klasse Kerl, dieser Nikolaus, finde ich. Wenn ich an ihn denke, dann macht das Warten richtig Freude. Ich weiß, ich werde beschenkt, ich geh nicht leer aus. Das ist die tolle Botschaft dieses heiligen Mannes: Kein Mensch soll leer ausgehen im Leben, alle sollen beschenkt werden.
Ich weiß gar nicht, ob es Zufall ist, dass die Kirche das Fest des Nikolaus  in die Adventzeit gelegt hat. Wenn nicht, dann muss ich ihr zugestehen, dass sie da mal einen passsenden Einfall hatte. Adventzeit ist doch nichts anderes als Wartezeit in der frohen Erwartung, beschenkt zu werden.
Der Advent ist eine erwartungsvolle Zeit. Wir ermutigen einander, einer großen Sehnsucht zu trauen: Der Sehnsucht, dass der Traum einer alle überzeugenden Menschlichkeit wahr wird, Wirklichkeit wird. Dass einer kommt, der der Menschlichkeit ein Gesicht gibt.
Wenn nun einer damit anfängt, dieser Sehnsucht Raum in einer Welt zu geben, die oft so unmenschlich ist, dann ist das ein guter Anfang. Wenn nun einer anfängt, zu sagen, dass es sich lohnt, dieser Sehnsucht, diesem Traum zu trauen, dann kann Hoffnung aufkeimen und dann kann eine heilsame Ungeduld aufblühen, die allem Warten und allem Hoffen Nahrung gibt.
Wann haben wir das letzte Mal einem Menschen Hoffnung geschenkt? Wann haben wir das letzte Mal einem Menschen Mut gemacht, aufzustehen und seinen Weg zu gehen? Wann haben wir das letzte Mal einem Menschen zu einem wachen und wachsamen Leben ermutigt? Wann haben wir das letzte Mal einem Menschen etwas geschenkt, was ihn von Herzen froh gemacht  hat?
Diese Fragen sollten uns alle im Mark treffen. Es sind adventliche Fragen. Und wir sollten uns nichts vormachen. Es sind sehr konkrete Fragen. Diese Fragen finden ihre Antwort nicht in Beschaulichkeit  und Nettigkeit.  Diese Fragen  bergen die Gefahr in sich, bloßzustellen, dass alles herum dümpeln im Leben tödlich ist. Mut machen, das kann  nur, wer mutig ist. Aufrichten, das kann nur, wer stehen bleibt und seine Hände hinhält, an der andere sich festmachen können.  Gut sein, das kann nur, wer Güte in sich trägt.
Der Heilige Nikolaus war so ein Mensch, der den Menschen Mut machte, sie aufrichtete und Güte ausstrahlte. Der bis heute den Kleinen ein Freund ist und uns Großen ein Freund und Mahner. Wer, wenn nicht er lässt bis heute diese wunderschöne Hoffnung aufkeimen, dass Wohl-sein, Gut-sein unvergesslich, ja unsterblich macht. Und dass, wer einen aufrichtet, die ganze Welt stärker und heiler macht. Nikolaus ist ein guter Mann.

Während einer großen Hungersnot erfuhr er, dass ein Schiff im Hafen vor Anker lag, das Getreide für den Kaiser in Byzanz geladen hatte. Er bat die Seeleute, einen Teil des Kornes auszuladen, um in der Not zu helfen. Sie wiesen zuerst die Bitte zurück, da das Korn genau abgewogen beim Kaiser abgeliefert werden müsse. Erst als Nikolaus ihnen versprach, dass sie für ihr Entgegenkommen keinen Schaden nehmen würden, stimmten sie zu. Als sie in der Hauptstadt ankamen, stellten sie verwundert fest, dass sich das Gewicht der Ladung trotz der entnommenen Menge nicht verändert hatte. Das in Myra entnommene Korn aber reichte volle zwei Jahre und darüber hinaus noch für die Aussaat.
Den Kleinen ein Freund, den Großen ein Freund und Mahner. Hier erweist es sich. Die er mahnt, die beschenkt er auch mit einer Weisheit, die alles Leben trägt: Wer schenkt, wird nicht ärmer.
Oder diese Legende: In Seenot geratene Schiffsleute riefen in ihrer gefährlichen Lage den heiligen Nikolaus an. Ihnen erschien ein mit Wunderkräften ausgestatteter Mann und übernahm die Navigation, setzte die Segel richtig und brachte sogar den Sturm zum Abflauen. Daraufhin verschwand der Mann wieder. Als die Seeleute in der Kirche von Myra zum Dank für ihre Rettung beteten, erkannten sie den Heiligen und dankten ihm.

Den Kleinen ein Freund, den Großen ein Mahner und Freund. Die einem Fremden vertrauen, kommen heil ans Ziel.

In der Erwartung, mit der Menschlichkeit Gottes beschenkt zu werden, dürfen auch wir uns einüben zu geben, was wir haben, um zu empfangen, was in uns lebendig werden möchte: Menschlichkeit.

Christoph Simonsen


Lesung: Jeremia 33,14-16

Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn -, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit.

Und es wird doch alles gut!

Die Zeit, in der wir leben, sie ist zu ernst, zu kompliziert auch, als dass einfache Antworten auf die schwierigen Fragen des Lebens und des Zusammenlebens gegeben werden könnten. Und dumme Sprüche verbieten sich erst recht in Zeiten, in denen Menschen ziellos und sinnlos aufeinander losgehen. Vor allem ein Satz, der so oft in ratlose Situationen hineingesprochen wird, der ist mir schon immer auf den Wecker gegangen, weil ich ihn ganz oft als Floskel empfinde, weil er nur die Hilflosigkeit und die Ahnungslosigkeit dokumentiert, die mein Gegenüber nicht wagt zuzugeben. „Wird schon alles wieder gut werden“. Diesem Satz trau ich nicht über den Weg.

Aber was ist, wenn dieser Satz ganz anders ausgesprochen wird: nicht in heilloser Verlegenheit, sondern mit einer tiefen, ehrlichen Überzeugung?

„Es wird alles wieder gut!“ Was ist, wenn diese Zuwendung wirklich als ehrlicher Trost zugesprochen wird und in diesem Satz eine Überzeugung zum Ausdruck kommt, die wirklich die Kraft der Veränderung und der Erneuerung in sich trägt? Kann jemand so verrückt sein, das wirklich zu glauben, dass alles, wirklich alles, gut wird. Gut wird in dieser Welt, in diesem Leben; gut wird in mir und in dir? Kann jemand wirklich so verrückt sein, einem anderen das aus tiefstem Glauben heraus ins Gesicht zu sagen und mit einem ehrlichen Gewissen?

Scheinbar ja, denn diese Botschaft verbirgt sich für mich in der Lesung des heutigen 1. Advent. Jeremia sagt indirekt diesen unglaublichen Satz: „In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben ‚Jahwe ist unsere Gerechtigkeit‘. “ Jesaja ist sich gewiss, dass die Menschen in Jerusalem in Sicherheit leben können, in dieser Stadt, die mehr als andere Orte in der Welt die Stadt Gottes war und in der trotzdem Besetzte und Besatzer sich feindlich gesinnt gegenüber standen. Jeremia war sich sicher, dass sich das ändern würde. Jeremia glaubte an Veränderung, an einen Fort-Schritt zum Guten hin.

Er glaubte daran, dass es einen gibt, der die Kraft hat, allem Leben einen Fortschritt zum Heilen zu schenken. Das Leben wird sich zum Guten wenden, daran glaubte er. Und er glaubte das wirklich. Weil er nämlich zutiefst daran glaubte, dass sein Gott ein Wort des Heiles und des Heilens über diese Stadt spricht durch einen Menschen, durch einen von uns. Und weil diese Stadt Jerusalem die Mitte der damaligen Welt war, war nur konsequent, dass er davon überzeugt war, dass es in der Welt gut werden würde.

„Es wird alles wieder gut“: Die Kraft so einander Trost zuzusprechen, erwächst aus der gläubigen Gewissheit, dass eben doch nicht alles allein von uns Menschen abhängt, von unserem Vermögen und von unseren Kräften, sondern von einem, der es bis in den Mark des Lebens gut meint mit uns Menschen. Es kann alles wieder gut werden, nicht weil ich und weil wir Menschen so toll wären. Das bin ich nicht und das sind wir Menschen nicht. Wenn es drauf ankommt, sind wir doch alle irgendwie immer mehr auf das eigene Wohlergehen bedacht und mehr oder weniger kleine oder große Egoisten. Wäre die Zukunft von uns abhängig, wir hätten keine. Aber weil trotz aller Engstirnigkeit und Kleinkariertheit oder vielleicht gerade deshalb ein anderer seinen Geist, seine Menschlichkeit, sein Herz in uns hineingelegt hat, weil ein anderer unser Herz weiter und unsere Liebe sehnsüchtiger gemacht hat, weil ein anderer an uns glaubt und uns Zukunft schenken möchte, deshalb werden uns immer wieder Augenblicke zuteil, in denen wir diesem Zuspruch vertrauen dürfen: „Es wird wieder gut werden“. Denn es gibt immer wieder Menschen, die nicht zuerst aus sich, sondern aus Gott heraus sprechen. In den nächsten Wochen dürfen wir voller guter Sehnsucht auf diesen einen Menschen warten, der uns vorlebt, wie das geht, und der uns lehrt, dass es möglich ist, Gott aus uns sprechen zu lassen. Wer Gott aus sich sprechen lässt, der muss nicht befürchten, mit Floskeln und billigen Vertröstungen einher zu kommen. Wer Gott aus sich sprechen lässt, der schenkt Zukunft in der Gegenwart.

Christoph Simonsen

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