2.-8. Sonntag im Jahreskreis A 2014

8. Sonntag im Jahreskreis A – 2014 (Karnevalsssonntag)

Evangelium: Matthäus 6,25-34

Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.

 

Sorge dich nicht, lebe

Es war eine Meldung im Fernsehen an Fettdonnerstag: Ein aus dem Himmel zurückgekehrter Literaturkritiker stellte einen bahnbrechenden Vergleich an. Die Bibel sei zwar doppelt so dick wie der Ikea Katalog, allerdings bei weitem nicht so interessant wie dieser. Dieser These wollte ich auf die Spur gehen, und das war auch gut so. Der Gegenbeweis lag wenige Minuten später vor mir auf dem Schreibtisch. Links die Jerusalemer Bibel und rechts der erwähnte Möbelkatalog. Ein Zollstock bestätigte meine Zweifel. Der Literaturkritiker konnte nicht recht haben, weil: die Bibel ist viermal so dick wie der Ikea Katalog. Die erste Behauptung war also schnell aus den Angeln gehoben. Wenn also ein direkter Zusammenhang besteht zwischen dem Umfang der Bücher einerseits und dem Gehalt des Inhalts andererseits, so wäre also auch die zweite Behauptung unwahr.

Um ganz sicher zu gehen beschloss ich, den Pressereferenten des dienstältesten deutschen Bischofs zu konsultieren, der selbst nicht zu sprechen war, da er nach seiner Abberufung auf einer Abschiedstournee in seinem Bistum unterwegs war. Dieser antwortete umgehend folgendermaßen: Der Bischof würde bis heute seine alte Bibel aus Studienzeiten benutzen. Da diese allerdings aus vergangenen DDR Zeiten von der Stasi geschwärzt wurde und diese aus Sicherheitsgründen nahezu keine Textstellen offen ließen und der Bischof sich bis heute aus guter Tradition heraus geweigert hätte, eine neue moderne Bibel zu kaufen, wäre seine Sicht auf die Heilige Schrift nur eine Begrenzte. Einen Vergleich zum Ikea Katalog könne er auch deshalb nicht treffen, da es in der DDR diese Möbeleinrichtung nicht gegeben hätte und er nach der Wiedervereinigung auf Anraten guter Freunde, die später auf seinen Vorschlag hin auch bischöfliche Verantwortung übernommen hätten, nur Möbel nutzen würde, die für die Ewigkeit bestimmt wären; sein eigener Dom wäre da ein adäquates Vorbild gewesen, der ihn beflügelte, diesen guten Rat anzunehmen. Da nun diese Erklärung nicht weiterhalf, suchte ich nach weiteren Anhaltspunkten.

Ich fragte im Rektorat der RWTH Aachen nach. Die Antwort hier war etwas klarer, wenn auch immer noch verschlüsselt. Zur Bibel könne sie keine Angaben tätigen, da diese den wissenschaftlichen Ansprüchen der Universität nicht gerecht würde. Zum Katalog dieses namhaften Möbelvertriebes könne man nur so viel sagen: Nach missverständlichen Presseinformationen zur Zusammenarbeit der RWTH mit staatlichen Einrichtungen der Vereinigten Staaten von Amerika hätte man sich, um den guten Ruf der Hochschule wieder herzustellen, zu einer Zusammenarbeit mit der Friedenskommission der UNO geeinigt, drei Forschungsaufträge zu vergeben an die Maschinenbauer, die Architekten und die Sprachwissenschaftler, um die Bedienungsanleitungen des bekannten schwedischen Möbelhauses zu untersuchen. Da Ergebnisse allerdings noch nicht vorliegen würden, könne noch keine letztgültige Aussage getroffen werden, die wissenschaftlichen Maßstäben entsprechen würde. Also auch hier keine eindeutige Auskunft.

Es war ein Zufall, dass Allensbach eine Blitzumfrage startete mit selbiger Fragestellung und zwar gleichzeitig vor dem Aachener Dom und vor einem bekannten Möbelhaus auf der Krefelder Straße. Die Ergebnisse, kurz zusammengefasst, eher zwiespältig: die einen sagen: so, die anderen sagen: so. Kirchenbesucher und Ikea-Treue hatten je eigene sehr differente Standpunkte.

Um meinen eigenen Standpunkt zu festigen, lese ich in den beiden Büchern, die da vor mir auf dem Schreibtisch liegen mit ihren so unterschiedlichen Gewichtungen und mir wird sehr bald klar, dass der zurückgekehrte, auch von mir sehr geschätzte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der in der Stunksitzung in Köln zu Wort kam, an dieser Stelle von mir keine Unterstützung bekommt. Die Bibel ist für mich eindeutig das interessantere Buch, ja ich würde sogar sagen, das Interessanteste. Dies nicht nur wegen der Botschaft des heutigen Tages, sondern weil ich aus ihr in frohen und traurigen Phasen meines Lebens Tatkraft, Lebensmut und eine immer wieder sich neu öffnende Zukunftsperspektive erhalte: Sorge dich nicht (oder ich sag ehrlicherweise) sorge dich nicht zu viel, lebe, denn du bist getragen und es wird jemand da sein, der dir zum Leben gibt, was du zum Leben brauchst. In diesen Tagen vor allem Frohsinn (auch in den Prüfungsvorbereitungen) und Gelassenheit.

Christoph Simonsen

 

6. Sonntag im Jahreskreis A – 2014

Evangelium: Matthäus 5,17-19.33-34a.37

Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.

Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. IchEuer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen. aber sage euch: Schwört überhaupt nicht

Der Spagat zwischen Gesetz und Wahrheit

Zur Zeit schlagen die Wogen mal wieder ziemlich hoch. Meinungen prallen aufeinander, zeitweise fliegen die Fetzen. Am vergangenen Montag zum Beispiel komme ich deswegen gleich in eine prekäre Situation da. Ich habe mir selbst ein Fernsehboykott auferlegt und mir versprochen, keine Berichterstattung über die Olympiade in Sotchi anzuschauen und dann bin ich mittags irgendwo zu Gast und schon im Türrahmen stehend höre ich aus dem Fernseher: „Gold, Gold, Gold für Deutschland“. Mir ist es nicht möglich gewesen, meine Gastgeber zu überzeugen, den Fernseher auszustellen und es entwickelte sich eine heftige Diskussion für und wider die Winterolympiade 2014.

„Euer Ja sei ein Ja, euer nein sei ein nein; alles andere stammt vom Bösen“. Nein, ein Sportfest in einem Land, das Schwule und Lesben zu Menschen niederer Klasse deklassiert, schaue ich mir nicht an. Nein, ein Sportfest, in dem Menschen zu Sklaven herabgewürdigt werden und unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten sollen, damit fragwürdige Politiker ihr Image aufpolieren können, schaue ich mir nicht an. Und dagegen mein Gastgeber: Ja, ich kann Politik und Sport voneinander trennen. Ja, ich will einem sportlichen Ereignis die Ehre geben, das alle vier Jahre Menschen fast aller Nationen zusammenführt, damit sie sich einander messen können und freue mich über ein ideologiefreies Fest.

Wenn nun die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit ein unaufhebbares Gebot Gottes ist, wer von uns beiden hebt dann jetzt dieses Gebot auf? „Was ist Wahrheit“, fragt Jesus einmal an anderer Stelle. In dem beschriebenen Fall: Sage ich die Wahrheit oder mein Bruder? Beides ist doch wahr: diese Winterolympiade in Sotschi ist eine Begegnung von Menschen, die nicht offen und frei leben und reden dürfen; ihnen wird ein Knebel angelegt, nicht zu dem stehen zu dürfen, wer und was sie sind und ihnen wird bei Strafe verboten, ihre tiefe persönliche Überzeugung kund zu tun. Aber natürlich ist dieses große Sportfest auch ein Ereignis, wo der Wettstreit im Vordergrund steht und wo Freude und Traurigkeit über Sieg und Verlieren mit allen Emotionen gelebt werden wollen. Wer von uns beiden wird jetzt also groß sein im Himmel und wer klein? Und wenn beide Recht haben, werden wir beide groß sein bei Gott oder doch eher eine kleine Leuchte? Es ist gut, dass über Segen und Fluch nicht wir Menschen entscheiden sondern einzig Gott. Und alle irdischen Wesen, die vorgeben zu wissen, wer im ewigen Licht Gottes die Zeit überlebt und wer im Dunkeln verharren muss, die sind gut beraten, sehr viel vorsichtiger zu sein mit ihren Glaubensgewissheiten, denn sie könnten sich ganz intensiv den Mund verbrennen. Selbst die deutschen Bischöfe kloppen sich ja zur Zeit mal wieder um die Deutungshoheit der Wahrhaftigkeit, wenn die einen den anderen ein nicht berechtigtes Ansinnen an Barmherzigkeit und Neuorientierung unterstellen im Blick auf die Vielfalt der Lebensformen und anders herum, die anderen den einen Starrsinn und Blindheit vor dem wirklichen Leben unterstellen.

Die Frage muss aber offen ausgesprochen werden: Um was streiten wir Menschen? Um die Wahrheit oder um den gesicherten Platz im Himmel? Nicht selten habe ich den Eindruck, wir Menschen streiten nicht, um der Wahrheit näher zu kommen, sondern um den Hoheitsanspruch darüber, wer den Schlüssel zum Himmelreich besitzt

Und genau in dieses Wespennest sticht die heutige Botschaft Jesu: Es ist wertvoll und notwendig, so verstehe ich Jesus in seinen heutigen Worten, dass wir Menschen um die Wahrheit streiten, aber den klaren Geist, der befähigt, eine alles erfassende Wahrheit zu erkennen, diesen klaren Geist hat nur Gott. Den Schlüssel zum Himmelreich hält allein Gott in seinen Händen bzw. noch besser: in seinem liebenden Herzen. Er weist uns Menschen in die Schranken und legt uns zugleich eine wunderbare Aufgabe in unser aller Leben: die Wahrheit ist allein bei Gott; Gesetze sind Stützen, Gerüste, die uns helfen mögen, der göttlichen Wahrheit Gottes näher zu kommen. Dieser Wahrheit näher zu kommen ist unser Auftrag, sie besitzen zu wollen, wäre unser Untergang. Wann immer ein Mensch der krankhaften Überzeugung anhängt, er hätte die Wahrheit gefunden, kommt es zu Spaltung, Krieg und Tod. Nur, wenn wir Menschen uns als Suchende auf dem Weg der Wahrheit erkennen, bleibt die Auseinandersetzung und der Streit, ohne den Leben nicht möglich ist, konstruktiv, bleibt dem Leben dienlich und  wirkt heilsam.

Und so streite ich mich also mit meinem Bruder weiter. Mein JA zu den Protesten gegen die menschenverachtenden Gesetze in Russland und sein JA zu dem Weltfest des Sports müssen und können einander aushalten. Denn Ziel ist es nicht, dem einen Recht und dem anderen Unrecht zuzusprechen, sondern zu verstehen, warum dem einen die eine Überzeugung in dieser Situation wichtig ist und dem anderen die andere. Und wenn wir einander verstanden haben, ohne einander zu verbiegen, dann sind wir der Wahrheit einen Schritt näher gekommen.

 

5. Sonntag im Jahreskreis A – 2014

Evangelium: Matthäus 5,13-16

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Ansprache anlässlich der Taufe von Amelie:

„Spieglein, Spieglein an der Wand, sagt, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Liebe Amelie, ihr Lieben alle, ihr kennt sicher diese Frage aus dem Schneewittchen Märchen und ihr kennt auch die Antwort: „Verehrte Königin, ihr seid die Schönste im ganzen Land, doch hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, da wohnt eine, die ist noch schöner als ihr“.

Ist jemand hier heute, der nicht den Wunsch in sich trägt, schön sein zu wollen, wenn er nicht schon von sich selbst überzeugt ist, er sei es? Ich glaub, so ein bisschen eitel sind wir doch alle, oder?   Und klar, das darf auch so sein. Wenn jede und jeder von uns ein Geschöpf Gottes ist – und Dir, Amelie, wird das heute ja in hervorgehobener Weise zugesprochen – wenn jede und jeder von uns für die Welt ein Geschenk Gottes ist, dann dürfen wir uns auch selbst und einander sagen, wie schön, wie wertvoll, wie wunderbar jede und jeder von uns ist. Und dann dürfen wir uns zuhause auch vor den Spiegel stellen und uns schön zurecht machen im Wissen darum, dass wir von innen her, vom Herzen her, von unserer Seele her schön sind. Am schönsten ist ein Mensch, wenn er von innen heraus strahlt, wenn er die Dankbarkeit dafür, dass ihm sein Leben geschenkt worden ist, nach außen hin zeigt. Da kann man mit ein paar Cremes und ein wenig Lidschatten bei den Damen sicher nachhelfen, aber müssen tut man das nicht. Da kann man mit schicker Kleidung oder mit schönem Schmuck Akzente setzen, aber müssen tut man das nicht. Die maßgebliche Frage ist, ob das Äußere das Innere unterstützt oder ob das Äußere nur Fassade ist, um das Innere zu übertünchen.

Und noch ein weiteres ist bedeutsam: Will ich mich mit meinen äußeren Akzentsetzungen abheben von den anderen und mich erheben, oder will ich mich als von Gott wertgeschätzten Menschen anderen gleichberechtigt und eingebunden zeigen in das Ganze? Die Königin aus  Grimm’s Märchen ist da in der Tat kein gutes Vorbild, aber das wissen wir ja auch alle ganz gewiss.

Im Letzten steht immer die Frage im Vordergrund: Wer bin ich? Wenn ich weiß, wer ich bin, dann weiß ich auch, wie ich mich am besten zeige. Auf die Frage, wer ich denn sei, da kann man auf unterschiedliche Weise Antwort geben. Die Amelie würde auf diese Frage, so vermute ich einmal, antworten: ‚Ich bin die Amelie, das Kind von Mama und Papa‘. Die Frage, wer ich denn sei, kann ich mit meiner Herkunft beantworten. Aber genügt das, um sich seiner selbst vergewissern zu können? Genügt das, um mich anderen bekannt zu machen? Das heutige Evangelium, gibt uns da einen spannenden Hinweis: Jesus sagt zu seinen Freundinnen und Freunden: „Ihr seid das Salz der Erde“ und: „Ihr seid Licht für die Welt“.

Jesus erinnert seine Freundinnen und Freunde nicht in erste Linie an ihre Herkunft, an ihre Geschichte, er erinnert sie an ihren Auftrag. Wir Menschen haben einen Auftrag. Wir werden uns erkennen, wir werden uns finden, wenn wir uns unserer Lebensaufgabe bewusst werden. Dem Leben einen bleibenden Geschmack geben und die Würde des Lebens versichtbaren, das ist unsere Aufgabe. In seinen Augen genügt es nicht, das Leben zu bewahren, vielmehr gilt es, es zu gestalten. In jeder und jedem von uns liegt ein Fundus von Kreativität und Lebendigkeit, das Leben auf dieser Erde mitzugestalten. Wer diese Kräfte versickern lässt, der wird, so prophezeit Jesus, an seiner Tatenlosigkeit zerbrechen.

Eines wird mir klarer: Schön bin ich und stolz sein darf ich auf mich,  wenn ich mich wirklich erkenne als den, den Gott geschaffen hat, wenn ich meine Identität mit seinem Wesen verknüpfe, wenn ich mein  „Ich“ mit seinem verbinde und in ihm mein Gegenüber sehe. In diesem Sinn darf ich Dich, liebe Amelie, jetzt taufen. Du bist schön wie eine Königin und du darfst ein ganzes Leben lang stolz sein auf dich, weil du ein Kind Gottes bist.

 

Semesterschlußgottesdienst

Evangelium Lukas 2,22-40:

Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein. Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben. In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe. Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, / wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. wie dein Wort es verheißen hat. Denn meine Augen haben das Heil geschaut, das du geschaffen hast, damit alle Völker es sehen: ein Licht, das die Heiden erleuchtet, / und eine Verherrlichung deines Volkes Israel. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, / das du vor allen Völkern bereitet hast,  ein Licht, das die Heiden erleuchtet, /

und Herrlichkeit für dein Volk Israel. Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen. Damals lebte auch eine Prophetin namens Hanna, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt; nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück. Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm.

 

Ansprache:

Das Außergewöhnliche liegt im Gewöhnlichen. So machten es alle damals: „Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein“; das war so wie bei der „Taufe“, oder „Erstkommunion“. Ein wenig abgewandelt könnte man auch sagen: Wie Semesterschlussgottesdienst. Ein Ritual halt, allen vertraut. Natürlich verband man mit dem Gestus auch eine innere Gesinnung. Das Zeichenhafte versichtbart einen Wert, eine Überzeugung: Eine Dankbarkeit zum Beispiel für das Geschenk des Lebens und eine Erinnerung daran, dass das Geschenk des Lebens einen wunderbaren liebevollen Ursprung hat: Gott. Rituale haben vielleicht ein  vergleichbares Gegenüber in der Musik oder in der Kunst: Sie bringen etwas zum Ausdruck, was man kaum in Worte zu fassen vermag. Sie vermitteln eine Wirklichkeit, die das Rationale und das Greifbare übersteigen.

Dieser Gottesdienst heute Abend, so wie heute, so feiere ich ihn schon fast 10 Jahre mit Euch, regelmäßig zweimal im Jahr. Klar, die wenigsten von euch waren 2005 schon dabei, das wäre auch mehr als problematisch, wenn dem so wäre. Aber Beate zum Beispiel, die hat diesen Gottesdienst hier gefeiert, da hab ich noch gar nicht daran gedacht, einmal in Aachen zu leben und zu arbeiten. Diese Feier heute Abend ist eine Institution, ein Ritual am Ende eines Semesters. Wir feiern nicht das Ende der Vorlesungen und Seminare, der Praktika und der überprüfbaren Leistungen. Nein: wir feiern das Geschenk des Lebens, dass wir erfahren durften, wie wir uns entwickeln; wir dürfen uns erinnern, dass jede und jeder von uns das Geschenk Gottes ist für diese Welt, damit diese Welt immer mehr zu dem werden kann, was Gott in sie hineingelegt hat. Dafür haben wir gelernt, uns Wissen und Erfahrung angeeignet. Nicht für die Profs haben wir gelernt, nicht für die Zertifikate, die wir dann bekommen, nicht einmal für uns selbst, sondern für diese Welt, die immer mehr die Welt Gottes werden möchte. Dieser schlichte Spruch, den mir meine Eltern schon vor 50 Jahren um die Ohren geschlagen haben, der stimmt wirklich: Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben. Uns daran heute zu erinnern, sind wir hier. Und gleich, wie die Prüfungen ausfallen werden, gleich, wie erfolgreich wir waren und werden nach den Maßstäben der Hochschulen, wenn wir uns dessen erinnern, für die Welt zu studieren und zu arbeiten, für die Menschen in dieser Welt, für den Erhalt der Schöpfung, und wenn das unsere Leidenschaft und unser Antrieb war, dann haben wir heute Abend allen Grund zu feiern. Dann ist dieses Ritual des Semesterschlussgottesdienstes ein goldwerter Augenblick In die Gewöhnlichkeit des Lebens kann dieses Stunde das Außergewöhnliche, das Besondere, das Bleibende, das Wertige offenlegen.

So war es damals in Jerusalem: Die Eltern des kleinen Erstgeborenen Jesus gingen hinauf zum Tempel. Es war das erste Mal für sie, aber es war ein Brauch, den schon Generationen vor ihnen vollzogen haben. Die Gesten und Riten dieses Brauches waren allen vertraut. Und dann begegnen Maria und Josef dem greisen Simeon und der Prophetin Hanna. Sie sagen den Eltern Ungeheuerliches voraus: Das Leben ihres Sohnes wird ein Einmaliges sein und sein Leben wird ganz Israel und die Menschen verändern und auch an ihnen, den Eltern, wird dies alles nicht spurlos vorübergehen. Durch ihren Sohn werden die Gedanken vieler Menschen offenbar werden, sagt der greise Mann. Ich hab mich gefragt, was das bedeuten mag. Und mir folgender Gedanke schlüssig: Wer in Jesu Nähe lebt, der vermag sein Inneres, das, was einzig das Ihre und das Seine ist, nicht mehr zu verbergen. In Jesu Nähe spielt keiner mehr sein Leben; in Jesu Nähe ist alles Leben echt, ehrlich, offen und ungeschützt. Das kann Angst machen, das kann auch zu Auseinandersetzungen führen, auf jeden Fall aber wird es befreien und zum Schlüssel der Selbsterkenntnis werden. Ein Schwert würde durch Marias Seele dringen, sagt Simeon dann weiter. Da, wo Menschen einander offenherzig zeigen, wo sie sich zeigen und nicht etwas von sich, da gerät unsere geordnete und geregelte Welt aus den Fugen genauso wie damals zur Zeit Jesu. Simeon sagt der Maria ein Leiden an der Verletzbarkeit der anderen voraus. Und so ist es wohl bis heute: Da wo Menschen sich in ihrer Verletzbarkeit zeigen, da sticht es jedem ins Herz, der kein Herz aus Stein hat.

Dieses Fest des heutigen Tages nennt die katholische Kirche das „Fest der Darstellung des Herrn“. In einer Welt, die nicht selten vom Schein und vom Scheinerfolg lebt, da ist es Gang und Gebe, sich in voyeuristischer Weise darzustellen; so offenbart man  ausschließlich eine Freude an sich selbst und diskreditiert die anderen.  In der Welt, die Gott meinte, als er sie schuf, da zeigt sich der Mensch in einer verschenkenden, ja sich selbst verströmenden Weise.  So lebte Jesus und so war und ist er bis heute Anstoß für alle, die sich ausschließlich um ihrer selbst zeigen wollen. Aber zugleich schenkt er allen einen heilsamen Anstoß für das Leben all denen, die sich selbst eben nicht genügen.

Das Außergewöhnliche liegt im Gewöhnlichen. Ein gewöhnlicher Gottesdienst, ein gewöhnliches Semesterende, ein gewöhnlicher Sonntag, dem eine gewöhnliche Woche folgen wird, in der sich viele von euch auf -ja auch auf gewöhnliche – Klausuren vorbereiten. Aber jede und jeder von euch ist ein außergewöhnlicher Mensch, wenn ihr bei allem gewöhnlichen des Lebens das Außergewöhnliche nicht aus dem Blick verliert: Den Auftrag Gottes, an einer Welt zu bauen, in der alle Menschen frei und würdevoll ihr Inneres, ihr eigentliches, ihr wirkliches Leben zeigen dürfen: verletzlich und gerade deshalb stark. Und genau das bemühen wir uns hier und heute zu feiern, symbolisch, zeichenhaft in der Zuversicht, dass uns genau dies auch in unserem Leben morgen gelingen möge.

Christoph Simonsen

 

3. Sonntag im Jahreskreis A – 2014

Evangelium: Matthäus 4,12-23

Als Jesus hörte, dass man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, zog er sich nach Galiläa zurück. Er verließ Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali. Denn es sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist:  Das Land Sebulon und das Land Naftali, /die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, / das heidnische Galiläa:

das Volk, das im Dunkel lebte, / hat ein helles Licht gesehen; / denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, / ist ein Licht erschienen. Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, genannt Petrus, und seinen Bruder Andreas; sie warfen gerade ihr Netz in den See, denn sie waren Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. Als er weiterging, sah er zwei andere Brüder, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren mit ihrem Vater Zebedäus im Boot und richteten ihre Netze her. Er rief sie, und sogleich verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten Jesus. Er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.

Kehrt um und folgt mir nach

„Kehrt um“, fordert Jesus seine Freundinnen und Freunde auf. In Anlehnung an das Brainstorming zu Beginn des Gottesdienstes zu Jesu zweiter Aufforderung, die ja lautet: „Folge mir nach“, fällt mir zu seinem ersten Aufruf „Kehr um“ folgendes ein:

  • Mist, ich hab was vergessen und muss zurück.
  • Ich hab mich verlaufen, so was blödes.
  • Jetzt komm ich doch noch zu spät zum nächsten Gespräch und andere müssen warten, hoffentlich sind die nicht sauer jetzt.
  • Den Weg hätte ich mir auch sparen können. Nix, wie schnell wieder zurück.
  • Ich hab mich hier total verfranzt, das bringt alles nichts.
  • Zurückzugehen, das kann nervig sein und erscheint oft als vertane Zeit.
  • Zurückzugehen kostet Kraft. Wofür all das? Zurückzugehen ist doof.

„Kommt her, folgt mir nach“ fordert Jesus dann vier besonders angesprochene Freunde auf. Aber nein, die vier lernt er ja gerade erst kennen; da von Freundschaft zu sprechen, scheint wohl zu verfrüht zu sein. Was passiert da in diesem Augenblick. Menschen begegnen einander; zwei Brüderpaare, einander vertraut, wie Brüder eben vertraut sein können, wenn sie tagtäglich gemeinsam der gleichen Arbeit nachgehen und ihnen gegenüber ein Fremder, der die beiden Geschwister mir-nichts-dir-nichts anspricht und zu ungeheuerlichem auffordert:“Folgt mir nach, ich werde euch zu Menschenfischern machen“.  Nicht nur, dass ich mit dem Begriff des „Menschenfischers“ überfordert bin, weil ich gar nicht weiß, was das bedeutet; ich würde doch nicht mein ganzes Leben umkrempeln auf die Aufforderung eines Fremden hin, neu anzufangen.

Wieso lassen sich vier erwachsenen Männer, wie eben Simon und Andreas, Jakobus und Johannes, von solch einer Aufforderung so beeindrucken? Sie sind lebenserfahren. Sie sind eingespannt in einen anstrengenden Alltag und wissen, was es heißt, sich den Unterhalt für das Leben verdienen zu müssen. Sie stehen mit beiden Beinen mitten im Leben, auch wenn sie auf einem schwankenden Boot ihrer Arbeit nachgehen; sie haben gelernt, Verantwortung zu tragen für sich und ihre Familien. Und dann lassen sie sich von einem Fremden einreden, alles hinter sich zu lassen? Den Vater lassen sie buchstäblich im Wasser stehen und ihre Familien überlassen sie schlicht ihrem eigenen Schicksal. Wer bereit ist, so etwas Lebenstragendes und Wertvolles aufzugeben, der kann eigentlich nur in einer Lebenskrise stecken. Waren die Vier vielleicht in der Midlifecrisis und haben in dem Fremden endlich einen gefunden, der ihnen den Weg weist auf den befreienden Selbstfindungstrip? Sieht so die Bewältigung der Midlifecrisis im 1. Jahrhundert aus?

Vier gestandene Männer auf dem Selbstfindungstrip und ein Guru, der den Vieren den Kopf verdreht. Ist das die Quintessenz des heutigen Tages? Man kann es so sehen. Dann wären all die Argumente der beiden eben zusammengetragenen Brainstormings mehr als verständlich. Menschen, die wirklich mitten im Leben stehen, die fallen auf solche Bauernfängertricks nicht herein;  sie sind viel zu verantwortungsbewusst, als dass sie ihr bisher gelebtes Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen.

Man kann das alles aber auch anders sehen und interpretieren: die vier sind gar nicht in der Midlifecrisis und der Fremde ist kein Guru. Und umzukehren ist keine vertane Zeit und nachzufolgen ist kein Armutszeugnis über fehlendes Selbstbewusstsein.

Die Vier erkennen, dass ein Leben des ‚Immer-Wiederkehrenden“ eine Grabesruhe nach sich zieht und dass es einer inneren Unruhe bedarf, um das Leben wirklich zu spüren. „Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in dir“, erkennt schon der Psalmist. Die vier erkennen, dass keine irdische Absicherung diese Unruhe zu stillen vermag; sie sind ehrlich zu sich selbst und wiegen sich nicht in eine vordergründige Zufriedenheit; sie erkennen, dass der Blick auf Haus, Hof, Familie die Verantwortung für das Ganze -für das Geschenk des Lebens – nicht auszufüllen vermag.

Und der sogenannte Guru ist kein Verführer; er ist ein Erinnerer. Er erinnert die Vier an die Sehnsüchte, die immer schon in ihnen schlummerten und die nur eines Anstoßes bedurften. Deshalb folgen sie dem Fremden, der zum Freund wird. Sie vertrauen dem, der ihnen den Blick auf das Ganze neu eröffnet hat. Und indem sie ihm vertrauend folgen, gehen sie zurück, zurück zu den Quellen ihres Lebens. Sie kehren um und sehen zugleich das Ziel. „Kehrt um“  und „Kommt her“: so widersprüchlich diese beiden Aufforderungen sind, so weisen sie doch in die gleiche Richtung, zur Quelle und zum Ziel.

Man kann es so oder so hören; nur überhören kann man es nicht.

Christoph Simonsen

 

2. Sonntag im Jahreskreis A – 2014

Evangelium: Johannes 1,29-34

Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt.

30Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.

31Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekanntzumachen.

32Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.

33Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.

34Das habe ich gesehen und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.

Ansprache: Ja, wir Menschen können uns ändern

Johannes der Täufer ist uns in den letzten Wochen ja nun schon des Öfteren begegnet. Wir haben verschiedentlich von ihm gehört in der Zeit des Advent wie auch in der Weihnachtszeit. Aber das tolle ist, uns ist immer eine andere Seite seines Lebens vor Augen geführt worden. Einmal der bissige, kompromisslose  Prophet, der den Menschen das Weltenende ankündigt, dann der Lehrer, der zum Schüler mutiert und sich dem zugewandten Jesus unterwirft und nun – heute – der Zeuge, der den Himmel offen sieht und ganz frei, ohne jede Beschwernis zum Fingerzeig Jesu wird.

Ja, wir Menschen können uns ändern. Wir können uns wandeln und wie Johannes Neues in uns entdecken. Und das Neue, das wir ins uns finden können ist weit und offen und lebensfroh. Ja, wir Menschen können uns ändern. Wenn wir uns verfangen haben in Selbstüberschätzung, wenn wir uns unserer selbst zu sicher geworden sind, wenn wir uns entfernt haben von dem Leben, das sich um uns vollzieht, wenn uns die Lust am Leben abhanden gekommen ist und wir die Last des Lebens zum Maßstab unserer Daseinsberechtigung erhoben haben, wenn wir  dann – so wie Johannes – bereit sind, uns verunsichern zu lassen und uns – so wie Johannes – wachrütteln lassen,  dann werden wir – wie Johannes – aus allen Wolken fallen und erkennen können, dass das Leben doch ganz anders ist, als wir es uns eingeredet und eingebildet haben.

Johannes hatte ein gefestigtes Bild vom Messias; er hat die Welt verlassen und den Weg in die Wüste angetreten; er wollte frei sein von der Welt, um Gott in der Abgeschiedenheit zu finden; er wollte Verzicht üben, um den Hunger nach Gott zu stärken. Und dann kommt der, den er verkündet, lässt sich taufen und beginnt seinen Weg und geht mitten hinein in die Welt, so dass der – Jesus – sich vorwerfen lassen muss, mit Fressern und Säufern zu verkehren. Johannes kehrt der Welt den Rücken zu, um zu Gott zu finden, Jesus geht zurück in die Welt, lebt mit den Menschen, teilt ihre Schicksalsschläge, ermutigt sie zu leben und dem Leben zu trauen; Jesus schickt die Menschen in ihr Leben, „gehe deine Wege“, sagt er jeder und jedem einzelnen, denen er begegnet. Jesus traut den Menschen und er traut ihnen zu, dass sie ihr Leben verantwortlich leben. Immer wieder ermutigt Jesus die Menschen, Gott zu vertrauen, dem Gott, der das Leben in Fülle schenkt. Johannes sucht Gott außerhalb allem Weltlichem, Jesus verkündet Gott als einen, der in der Welt, im Miteinander der Menschen zu finden ist.

Johannes hatte die Kraft sich zu verändern. „Er ist der Sohn Gottes“, bezeugte er, nachdem er in den offenen Himmel schaute. Der „ganz andere“ ist der Sohn Gottes. Der, der den eigenen Vorstellungen gänzlich quer liegt, der ist der Sohn Gottes. Innerlich offen werden, Gott im anderen finden: im anderen Gedankengut, im anderen Lebensstil, im anderen Menschen.

Ja, wir Menschen können uns ändern, wir müssen nur den Geist Gottes auf dem anderen,  im anderen wahrnehmen, dann wird alles Leben weit und offen.

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