Advent und Weihnachten 2014

Taufe des Herrn 2015

Evangelium: Markus 1,7-11

Johannes verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.

 

„Die Vermessung der Welt“: Ein Liebesgeschehen

„Die Vermessung der Welt“: Dieser Spielfilm führt uns in das Leben der beiden Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Karl-Friedrich Gauß. Die ARD hat ihn in der vergangenen Woche gezeigt. Von Humboldt, der aus 110% Neugierde bestand und die Welt und die Menschen und die Zusammenhänge des Lebens verstehen wollte und dem nichts zu verwegen war, dem Unwissen den Garaus zu machen. Und Gauß, der begriffen hat, dass Mathematik mehr ist als addieren oder subtrahieren, der der Wissenschaft der Mathematik dazu verhalf, sie zu einer Philosophie der Logik zu machen.

Dieser Film hat mir wieder einmal auf sehr anschauliche Weise vor Augen geführt, dass das Leben so etwas wie eine Entdeckungsreise ist. Wissenschaft geschieht eben nicht nur in abgezirkelten Räumen eines Labors oder eines Arbeitszimmers, sondern mitten in der Welt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, den Menschen zu begegnen gewillt ist, und den Tieren und der Natur, dem wird der Tag nicht langweilig. So vieles gilt es noch zu entdecken, weil noch so vieles offen ist im Leben. Und das gilt weder nur für die Hightech-Forschung noch nur für die Wirtschaft, die den Markt immer wieder in neue Höhen treiben will, ja das gilt nicht einmal für die Geisteswissenschaften, die heute eh leider immer mehr an Relevanz verlieren. Das gilt vor allem für das alltägliche Zusammenleben. Ich schaue in das Gesicht eines altgewordenen Menschen und sehe die Spuren, die das Leben dort eingegraben hat; ich sehe in das Gesicht eines jüngeren Menschen und bin ergriffen von den Fragen, die mir entgegen leuchten und ich sehe in den Spiegel und werde neugierig, mich selbst besser verstehen zu können.

Es ist schön, wenn sich etwas klärt im Leben, wenn etwas klarer, verstehbarer, verständlicher wird. Solche Erkenntnis tut gut. Sie zeigt mir, dass es weiter geht im Leben, das Leben immer ein Vorankommen ist. Nur wer sucht, findet eben auch. Nur, wen die Neugierde packt, vermag auch Befriedigung zu erfahren. Wer nichts erwartet, verfängt sich in Gleichgültigkeit und Belanglosigkeit und wird blind allem gegenüber, was erkannt werden möchte.

Vielleicht war Johannes der Täufer so etwas wie ein Vorläufer derer von Humboldt’s und Gauß‘. Auch er war ein ewig Suchender. Er war ein Unzufriedener im wahrsten Sinn des Wortes, er suchte den Frieden, den er bis dahin noch nicht wirklich gefunden hat. Bis sich dann endlich der Himmel geöffnet hat und klar wurde, dass diese Welt, alles Leben, jeder Mensch, der sich zur Erde herabzubeugen bereit ist und ersehnt, sich nach der Weite des Himmel strecken zu können, dass all das geliebt ist und an all dem Gott gefallen hat.

Von Humboldt und Gauß und vor und nach ihnen viele andere sind in die reale und in die geistige Welt ganz tief hineingestiegen, um zu begreifen und zu verstehen. Doch so wichtig das ist, zu begreifen und zu verstehen, war dies Johannes noch zu wenig. Er wollte erkennen. Und wer nun auf die hebräische Wurzel dieses Begriffes schaut, der weiß, dass Erkenntnis immer auch ein Akt des Zeugens, des Schöpferischen beinhaltet. Wer erkennt, der erschafft Neues. Die Welt vermessen, um sie besser verstehen zu können ist das eine. Aber zu erkennen, dass in dieser Welt eine schöpferische Urkraft liegt, dass auf ihr und in ihr ein Geist liegt, der, um Goethe zu zitieren, alles zusammenhält, dazu bedarf es nicht nur eines ausgeprägten Abenteuerwillens wie der des Alexander von Humboldt; es bedarf auch mehr als nur eines so introvertierten Denkvermögens, wie es Karl-Friedrich Gauß zu eigen war. Darüber hinaus bedarf es auch eines sehnsüchtigen Himmelblicks.

Jesus hat sich von Johannes eintauchen lassen in die Tiefen des Jordan, um sich anschließend dem Himmel entgegen zu strecken, der sich dann öffnete und aus dem ihm der Zuspruch entgegenkam, geliebt zu sein. Verstehen und begreifen vermag ich vieles, erkennen kann ich nur aus der Kraft der Liebe. Von Humboldt und Gauß waren nur schwerlich liebesfähig. So neugierig, so zielstrebig, so wissbegierig sie waren, so unzufrieden sind sie beide doch bis an ihr Lebensende geblieben. Sie glichen oft Getriebenen, aufgerieben und sich zerreißen lassend von dem Unbekannten, das in dieser Welt liegt. Und zweifelsohne wäre ein Fortschritt des Lebens ohne ein solches Getrieben sein undenkbar. Es bedarf unabdingbar zu dem auch der Einsicht, bedürftig zu sein. Es bedarf der Einsicht, der Liebe bedürftig zu sein. Wer ohne Liebe die Welt zu verstehen sich bemüht, wer ohne ein Mitgefühl für diese Welt in die Geheimnisse dieser Welt einzudringen versucht, der wird nie im Letzten lieben können, was er entdeckt hat. Wer nur forscht, extremerweise um seinem eigenen Ehrgeiz gerecht zu werden, verrennt und verzettelt sich und im schlimmsten Fall wird er zum Handlanger zerstörerischer Kräfte. Für den, der um die Liebe weiß, ist alles Forschen immer ein Geschehen in Demut vor dem geheimnisvollen Ganzen.

In der Taufe ist uns diese Erkenntnis zuteil geworden, wenn sich über dem Menschen der Himmel auftut und der Zuspruch den Raum erfüllt: „An dir habe ich Gefallen gefunden. Du bist mein geliebtes Kind“. Die zugesprochene Liebe Gottes ist der Schlüssel zur Erkenntnis, allem Geheimnis des Lebens ehrfürchtig zu begegnen und alle eigene Wissbegierde der Liebe zu allem, was lebt, unterzuordnen. Für den Forscher, der den Himmel im Blick hat, ist nicht die erste Frage die nach dem Können oder wollen, vielmehr fragt dieser zuerst: Dient es dem Leben und schafft es den Frieden.

Christoph Simonsen


 

 

4. Advent im Lesejahr B – 2014

Evangelium: Lukas 1,26-38

Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich. Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.

Wie ist das möglich?

Mal ehrlich: Kann solch ein Text Menschen des 21. Jahrhunderts noch überzeugen? Können Menschen, die sich fähig sehen, künstliche Intelligenz zu schaffen, noch erwärmen für Engel, die Unvorstellbares verkünden? Gehören solche Botschaften nicht eher in die Kategorie ‚Märchen‘? Und eine Schwangerschaft ohne einen biologischen Kontakt: diese Botschaft scheint doch auch eher einer Zeit zugeordnet zu sein, in der der Arzt noch Medizinmann hieß.

Aber diese Geschichte ist einfach nicht tot zu kriegen. Sie zieht selbst die Hartgesottensten in ihren Bann. Sie berührt Menschen die ansonsten eher einem programmierten Computer vertrauen als einem Fremden. So wenig diese Geschichte in unsere aufgeklärte Zeit zu passen scheint, so neugierig macht sie zugleich auch. Wie ist das möglich, dass eine Geschichte mit diesem unvorstellbaren Verlauf über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg unvergesslich ist.

Vielleicht deshalb, weil in dieser Geschichte eine tiefe menschliche Sehnsucht geweckt wird, die uns alle, jung und alt, einfach bewegt, die in uns Lebenswünsche aufdeckt nach mehr als dem, was ansonsten unser Leben auszeichnet?

Ich erinnere mich eines Wortes des Denkers und Dichters Dante Alighieri, der einmal gesagt hat: „Drei Dinge sind uns vom Paradies geblieben: Sterne, Blumen und Kinder“.

Wer von uns möchte nicht nach dem Himmel greifen, um das strahlende Licht der Sterne zu greifen; kein LED-Strahler vermag zu schenken, was das Licht eines Sternes zu schenken vermag. Wer unterliegt nicht der Faszination einer aufblühenden Amaryllis, wie sie gerade in der Weihnachtszeit oft zu sehen ist, und gegen deren Schönheit jeder noch so schöne Swarowski-Stein verblassen muss. Und wer erinnert sich nicht gerade in diesen Tagen an seine Kindheit und schwelgt in träumerischen Gedanken und ist dankbar dafür, für kurze Zeit der Nüchternheit des Lebens entfliehen zu können.

Der Geschichte dieser traumhaften Begegnung zwischen Maria und dem Engel Gabriel, geht es eben nicht darum , die Wirklichkeit widerzuspiegeln. Es geht auch nicht darum, dass ein vor Allmacht protzender Gott zeigen will, so mir nichts dir nichts die Gesetze der Natur aushebeln zu können.

Die anrührende wie auch aufrüttelnde Botschaft, die sich in dieser Begegnung offenbart ist eine andere: Sie erinnert uns Menschen daran, dass wir unendlich viel mehr sind als die Summe unserer nachprüfbaren und objektivierbaren Fähigkeiten. Wir sind viel mehr, denn wir sind Geschöpf und Geschenk Gottes in dieser Welt und mit uns will er der Welt Gutes tun. Mit uns und durch uns möchte Gott der Welt den Atem des Heiligen verleihen. Gott will mit uns Menschen die Welt erneuern, so wie er mit der Unterstützung Marias einen neuen Anfang gesetzt hat. Und das eben nicht nur imaginär, sondern sehr wirklich und real in der Weise, dass ER, Gott, Mensch wird.

Maria hält dem Engel ihre kindliche Offenheit hin, das was ihr zu eigen ist, nicht mehr und nicht weniger; sie hält unvoreingenommen ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten hin und sie vertraut darauf, dass Gott damit Unvorstellbares bewirken kann. Und was geschieht dann? In ihr und durch sie wird Gott Mensch.

Wie ist das möglich, dass diese Geschichte über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg unvergesslich ist. Weil es eben keine Geschichte ist, sondern jeden Tag Wirklichkeit werden kann und weil wir tief im Inneren davon überzeugt sind, dass diese Wirklichkeit uns heil macht.

Christoph Simonsen


 

3. Advent im Lesejahr B – 2014

Evangelium: Johannes 1,6-8.19-28

Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht

Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.

„Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war“.

Ohne Zweifel lädt uns der heutige Text des Evangeliums zu vielen Gedanken ein, die man vertiefen kann. Den Menschen Johannes haben wir schon hier in unseren Gottesdiensten vielfältig angeschaut: Die Radikalität seines Lebens; die ungerechte Schmach, die ihm bereitet wurde in seiner willkürlichen Ermordung; die geistige Kraft, die ihm zu eigen war und die sich in seiner Zuversicht äußerte, dass Gott seinen Retter senden würde; sein Selbstbewusstsein im Gegenüber zu den selbstherrlichen Pharisäern und den Obrigkeiten von Staat und Glaubensgemeinschaft; sein unerschütterlicher Glaube daran, dass Gott mit dieser Welt etwas Heilvolles vorhat. Aber auch seine Schrulligkeit ist uns sehr wohl vertraut; sein Anders-sein gegenüber den übrigen Frommen seiner Zeit; seine ihm eigene Lebensart. Der Mensch Johannes ist zweifelsohne eine Schlüsselfigur, um Gottes Botschaft nur annähernd verstehen zu können. Nicht selten wird er in der Volksfrömmigkeit ja auch als Fingerzeig Gottes bezeichnet. Und dies in seiner ganzen Persönlichkeit, so vielfältig sie auch gewesen sei und so merkwürdig dass man sie nicht verstehen mochte.

Mich führt dieser Mensch Johannes zu einer sehr persönlichen Frage, die ich mir – und gerne auch euch – heute Abend stellen möchte: Ist mir in meinem bisherigen Leben schon einmal ein Mensch – oder mehrere sogar – begegnet, von denen ich ahnen konnte, dass sie von Gott zu mir gesandt waren? Und das vielleicht gerade deshalb, weil sie schwer zu verstehen waren, weil sie mir fremd waren oder weil ich sie einfach komisch fand? Gibt es im Blick auf die eigene Lebensgeschichte Menschen, die mir das Geheimnis Gottes näher bringen konnten? Und das vielleicht ganz anders, als ich es mir bis dato zu erklären versucht habe?

Und die zweite Frage, die sich mir auftut: Bin ich mir eigentlich bewusst, dass auch ich für andere zum Fingerzeig Gottes werden kann?

Johannes traute sich, Gott anders zu fühlen und anders zu denken. Und er traute sich, dies öffentlich zu sagen. Er traute sich, sein Gottesbild zu befreien von vorgefassten Vorstellungen und von einengenden Normen. Johannes traute sich, das andere Gottes anzuschauen. Auch wenn er in manchem falsch lag in der Einschätzung dessen, wie der Messias sich auf der Erde verhalten würde, so sicher war er sich aber, dass Gott nicht der Ferne bliebe, sondern der Welt, dem Leben, den Menschen, der ganzen Schöpfung nahe kommt. Es ist ein Leichtes, das Heilige, das Göttliche in Sphären des Unerreichbaren zu heben, denn so bliebe Gott der Große und der Mensch immer der Kleine. Diesen Status zwischen Gott und den Menschen beizubehalten, das war das wichtigste Anliegen all derer, die der Tradition verhaftet waren und dem Gesetz. Johannes hat ganz aus dieser Hoffnung gelebt, dass Gott in diese – seine und unsere – Welt kommt. Und genau so sicher war er sich, dass Gott Gutes mit dieser Welt im Sinn hat. Er vermochte das andere Gottes, das alle Grenzen sprengende noch nicht in Worte fassen, aber er ahnte es. Er ahnte, dass Gott die Verhältnisse umkehren würde. Er wusste nicht wie dies geschehen werde, aber er wusste, dass Gottes Offenbarung jedes menschliche Denkvermögen sprengen würde.

Ich darf mich dreier Menschen erinnern, die mir dieses Andere Gottes geschenkt haben: da ist zum einen Herbert Joeres, mein Heimatkaplan anfangs der 70iger Jahre in Süchteln, der mir nicht mit frommen Sprüchen kam und vorgesetzten Vorstellungen eines in Regeln zu fassenden Lebens, sondern der mir immer vermittelte, meinem Inneren zu trauen; der mir Selbstbewusstsein schenkte und mir voraussagte, dass ich dann stark sein werde, wenn ich ich selbst wäre.

Und ich erinnere mich an Klaus Hemmerle, den viel zu früh verstorbenen Vorgänger unseres jetzigen Bischofs Heinrich, der mich kurz vor meiner Priesterweihe besuchte im Seminar und mir sagte, er freue sich, mich zum Priester zu weihen, nicht, obwohl ich so bin, wie ich sei, sondern weil ich so bin wie ich bin und er wünschte mir Mut zu einem Kurswechsel, wann immer der Geist ihn mir nahe legen würde. Und ich erinnere mich eines guten Freundes, der mit Kirche so gar nichts am Hut hat und der mir immer auf die Füße tritt, ich solle doch endlich hinter diesem verkorksten Laden endlich von außen die Tür zu machen. Ich stehe dann immer wieder in der Erklärungspflicht zu sagen, warum ich genau dies nicht tue. In diesen Begegnungen und Gesprächen mit meinem Bekannten, da muss ich mich selbst immer wieder von Neuem prüfen, ob und wie ich von Gott gesandt bin, den Menschen frohe Botschaft zu künden von einem menschlichen Gott, der nicht in den Fernen des Himmels bleiben sondern mitten in dieser Welt leben wollte. Und ich muss mich fragen und fragen lassen, ob diese Welt nicht deshalb so perfide und lieblos ist, weil ich perfide und lieblos bin. So steht alles Selbst-sein und alles Selbstbewusstsein auf dem Prüfstand der Menschwerdung Gottes, jeden Tag und jeden Augenblick neu, ob in meinem Sein, das Sein Gottes durchscheint. Einander diese Frage zu stellen, dazu sind wir aufgerufen, oder sollte ich sagen: berufen!?

Christoph Simonsen


 

2. Advent im Lesejahr B – 2014

Evangelium: Markus 1,1-8

Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes: Es begann, wie es bei dem Propheten Jesaja steht: Ich sende meinen Boten vor dir her; /

er soll den Weg für dich bahnen. Eine Stimme ruft in der Wüste: /Bereitet dem Herrn den Weg! / Ebnet ihm die Straßen! So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündigte Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.

 So erfüllt kann Warten sein

So ungefähr 7 Jahre Verspätung haben sich in diesem Jahr bei der Deutschen Bahn angesammelt, wenn man alle Zugverspätungen addiert. Da hat sich so mancher – auch sicher von uns – die Beine in den Bauch stehen müssen auf zügigen Bahnsteigen und in dieser Jahreszeit kalte Füße bekommen. Und dann immer die Frage: Kommt er oder kommt er nicht, und wenn er kommt, wann denn endlich? Wer die Bahn nutzt, dem ist das Warten nicht fremd. Klar, irgendwann kommt dann doch immer ein Zug. Aber die Zeit des Wartens ringt einem schon eine gehörige Portion Geduld ab. Und das blöde ist ja bei der Bahn, wenn man nicht gerade im Besitz einer Komfort-Karte ist und man sich im warmen Wartesaal bei einem Kaffee hinsetzen kann, ist man auf dem Bahnsteig oder in der Halle eigentlich zum Nichtstun verdonnert.

Und jetzt kommt mein galanter Übergang zum heutigen Evangelium des 2. Adventsonntag. Einer, der fast sein ganzes Leben mit Warten zubrachte, war Johannes der Täufer. Sein Warten war allerdings nicht mit einem passiven Nichtstun vergleichbar. Während wir bei der Bahn in den Himmel schauen oder durch die Ladengalerie der Bahnhofshalle schlendern können im Wissen darum, dass die blöde Bahn irgendwann auf jeden Fall kommt, und wenn nicht diese, dann eben doch die Nächste, wanderte Johannes zwischen der Wüste, der Jordangegend und der Hauptstadt zu Fuß hin und her, ohne irgendeine Gewissheit, ob sein Warten irgendwann einmal ein Ende haben würde. Obwohl er überhaupt keine Garantie hatte dafür, ob seine Sehnsucht irgendwann einmal erfüllt werden würde, war eine große Ungeduld in seinem Warten. Solch eine Wartezeit hielte wohl kein Mensch aus ohne eine sehr prägnante und klare Vorstellung dessen, worauf man denn tatsächlich warte. Und Johannes hatte eine sehr klare Vorstellung dessen, auf den er warten würde. Er kannte die Heiligen Schriften der Thora und der Propheten. Der, auf den er wartete, der war so hocherhaben, dass er es nicht wert sei, ihm die Schuhbänder zu lösen. Der, auf den er warte, würde für klare Verhältnisse sorgen und er würde das Gericht zur Vollendung bringen und die Guten von den Bösen trennen. Der, auf den er warte, würde die Schöpfung vollenden und den Traum der Ewigkeit verwirklichen.

Und als er dann kam, der Erwartete, da erwies es sich, dass er ganz anders war: Er wusch seinen Freunden die Füße. Er richtete nicht, sondern pries selig, die am Rande standen und verdammt waren. Und anstatt die Ewigkeit zu verherrlichen prangerte er die Unrechte in der unvollendeten Welt an.

Das Warten des Johannes muss in eine große Krise geraten sein. Zweifel kam auf und viele Fragen: „Bist du es, auf den wir warten sollen, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Anlass hätte es genug gegeben, das ungeduldige Warten zu beenden.

Da haben wir es heute besser. Wir können uns doch gemütlich zurücklehnen. Unsere Wartezeit ist sehr überschaubar und das Ersehnte ist bekannt: In zwei einhalb Wochen feiern wir Weihnachten und die Zukunft des Kindes in der Krippe ist uns hinlänglich bekannt. Anders als Johannes wissen wir um das Anderssein des Messias. Uns ist dieser Jesus sehr vertraut und seine Verheißungen führen uns nicht in große Verunsicherungen. Eigentlich ist alles geklärt. Das Warten hat ein Ende, könnte man meinen; außer, man ist abhängig von der Bahn. Und mit diesem Warten haben sich die meisten Bahnreisenden auch mehr schlecht als recht abgefunden.

Macht uns die Gewissheit der Geburt des Messias zu erwartungslosen Menschen?

Wenn sich mit der Geburt Jesu die Zeit erfüllt hat, wozu braucht es dann noch unsere Zeit? Ja, die Zeit ist erfüllt, sie ist wirklich erfüllt. Sie ist ganz voll von Gottes Gegenwart und sie ist ganz voll von seiner göttlichen Erwartung. Gott hat Erwartungen an uns Menschen; nicht fordernd, nicht erzwungen, sondern vorlebend und mitlebend. Die Perspektive des Wartens hat sich mit diesem göttlichen Geschenk verändert: Nicht wir müssen auf Gott warten, sondern Gott wartet auf uns in dieser Zeit, in unserer Wirklichkeit. Seine Erwartung ist unser Leben, unser Leben in Verantwortung für diese Welt. Seine Erwartung ist unser Leben, barmherzig und mitfühlend in dieser Welt. Erst wenn seine Erwartung und unser Leben sich wirklich verwoben haben, bedarf es keiner weiteren tieferen Erwartungen mehr und erst dann ist die erfüllte Zeit auch eine vollendete Zeit. So sinnlos und zeittötend ein Warten auf die Bahn ist, so sinnenhaft und weltbewegend ist ein Warten darauf, den Erwartungen Gottes entgegen zuschauen und dieses Warten mit Leben zu erfüllen. Deshalb ist uns diese Zeit des Advent geschenkt, unser Warten zu überprüfen, ob es denn ein tatenloses Warten ist ohne Sinn und Ziel oder tatsächlich ein wachsames Warten im Blick auf die Erwartungen Gottes, mit uns seine Schöpfung menschlich zu machen.
Christoph Simonsen


1.Advent

Evangelium: Markus 13,24-37

Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Seht euch also vor und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!

 

Ohne Worte, oder: die rechten Worte zur rechten Zeit

Es gibt Genies, die haben nie ein Buch geschrieben, sind nie für ihre besonderen Leistungen geehrt worden und haben auch nie eine Würdigung besonderer Art erfahren, so wie zum Beispiel in den vergangenen Tagen die Königin von Schweden, die in der Nachbarstadt Kerkrade eine Ehrung erfuhr für ihr soziales Engagement. Es gibt Menschen, die in der Öffentlichkeit eigentlich gar nicht vorkommen und doch Vorbild sind und unserer Gesellschaft, unserem konkreten Miteinander einen großen Dienst erweisen.

So ein Mensch ist in meinen Augen Brett Banfe, den ich persönlich überhaupt nicht kenne und von ihm nur etwas gelesen habe, was mich sehr nachdenklich gemacht und bewegt hat. Alles fing aus einer bierseligen Laune heraus mit einer Wette an. Diese besagte, dass der damals nicht mehr ganz nücherne Brett Banfe wetten würde, dass er es schaffe, ein ganzes Jahr, 12 Monate, lang kein Wort zu reden. Auf diese ungewöhnliche Wette ging die Gruppe gern ein, davon überzeugt, dass das keiner schaffe, ein ganzes Jahr lang die Klappe zu halten. Aber Brett hielt sich tapfer die ersten Tage und sogar Wochen; dann allerdings ereignete sich etwas, was die Wette gehörig in Gefahr brachte. Brett lernte eine Frau kennen und verliebte sich in sie. „Was nun?“, sprach Amor, der Gott der Liebe. Brett nahm einen Zettel und schrieb darauf: „Ich finde Dich sehr liebenswert und würde dich näher kennenlernen.“ Ihr könnt Euch die Irritation bei der Frau vorstellen, die diese Form der Kommunikation natürlich ziemlich befremdlich fand, um nicht zu sagen bescheuert. Ich lass es jetzt erst einmal Eurer Phantasie, wie diese Liebesgeschichte wohl ausgegangen sein mag. Was ich Euch aber verraten möchte ist die Sicht von Brett, wie er nach dem Schweigejahr diese erste Begegnung wahrgenommen hat. Er sagte da nämlich: „Zu sagen, ‚ich mag dich‘ hört sich ausgesprochen wie eine Floskel an, die man beliebig jemandem zusprechen kann. Auf Papier geschrieben bekommt dieser Zuspruch etwas Ewiges. Worte verschwinden, sobald sie ausgesprochen sind. Schreibst du aber deine Worte auf, so bleibt ihr wunderbarer Wert dauerhaft sichtbar.“

In diesen Tagen hat Papst Franziskus eine aufrüttelnde Ansprache vor dem Europarat gehalten. Er bezeichnete darin den sehr oft ungestörten Waffenhandel als die schrecklichste Wunde der Menschheit der unerträglich die Armen schädige. Er sprach von einer Globalisierung der Gleichgültigkeit und einer gefährdeten Menschlichkeit. Dass in diesem Rat die Lobbyisten des Waffenhandels ein und aus gehen, ist dem Papst sicher nicht verborgen geblieben. Zu gern hätte ich mal hinter die Stirn der aufmerksam zuhörenden politisch Verantwortlichen geschaut, die eben mit diesen Lobbyisten im Gespräch sind. Er wolle Europa aufwecken, so sagte er weiter und er warne vor Müdigkeit und Pessimismus.

Wenn man bedenkt, welcher Art Worte sonst in diesem Parlament und in den vielen anderen politischen Zirkeln gesprochen werden, so war die Rede des Papstes dort vor diesem Auditorium mehr als eine rühmliche Ausnahme. Klare Worte, frei von Taktik und Diplomatie, gesprochen mit einer tiefen geistigen und emotionalen Überzeugung. Dass er die Flüchtlingspolitik Europas kritisiert hat, muss da nicht sonders erwähnt werden. Die Worte von Franziskus klangen und klingen ähnlich wie die Worte des Propheten Jesaja, die wir heute hören: „Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind.“

Die Welt ist zum Davonlaufen. Das Leben -auch das eigene – ist manchmal zum Davonlaufen. Der Prophet wie auch der Papst sehen eine große Bedrohung auf die Welt zukommen. Eine Bedrohung, die sich zeigt in vielen überflüssigen und falschen Worten, wie auch eine Bedrohung, die sich Bahn bricht durch ein unüberhörbares Schweigen, wo klare Worte heilen könnten. Ob Worte überhaupt noch eine Wirkkraft haben in dieser Welt, eine heilende, friedensstiftende Wirkkraft? Wäre solch ein Schweigegebot eines Brett Banfe nicht weitaus wirkkräftiger, weil solch eine Stille keiner wirklich erwartet? Ich stelle mir vor, wie der Papst eine halbe Stunde schweigend vor dem Europarat gestanden hätte und wie dann die Reaktionen der Politiker ausgefallen wären. In einer Welt wie der unseren gebiert doch inzwischen fast jedes Wort zur Floskel. Aber natürlich muss der Papst die Kraft seiner Worte nutzen, es ist die einzige Kraft, die ihm zu eigen ist neben dem Schweigen. Brett Banfe hat es womöglich ein wenig übertrieben mit seinem Schweigegelübde ein ganzes Jahr. Aber die Richtung stimmt, glaub ich. Und zu Beginn des Advent ist mir sein Akzent, das Wort neu wert schätzen zu lernen, ein guter Rat, meine eigenen Worte nicht der Beliebigkeit oder der Entwertung des Mensch-seins auszusetzen. Vielleicht schaffen wir es ja in diesen Tagen des Advent, unsere Worte bedächtiger einzubringen und sie darauf hin zu prüfen, ob sie eher geeignet sind, Worte für die Ewigkeit zu sein oder doch nur Worte für die Absicherung des bestehenden Wahnsinns.

Christoph Simonsen

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