Predigten Mai – November 2017
34. Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Lesung: Ezechiel 34,11-12.15-17
Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben.
Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. Ihr aber, meine Herde – so spricht Gott, der Herr -, ich sorge für Recht zwischen Schafen und Schafen, zwischen Widdern und Böcken.
Sondierungsgespräche anders
Gehen wir zunächst von Tatsachen aus, denen wir uns nicht verweigern können. Nur das ist redlich und nur das bietet ein gutes Fundament, Glauben und Leben miteinander zu verzahnen. Hier also zunächst die gedankliche Basis, von der her ich meine weiteren Gedanken spinnen möchte: Wir Menschen begegnen einander, ob wir wollen oder nicht, ständig in vorgeprägten Herrschaftsverhältnissen: Eltern-Kinder; Lehrer-Schüler; Dozent-Student; Arbeitgeber-Arbeitnehmer; Arzt-Patient… Selbst wenn ein Menschen zu mir als Seelsorger kommt, so kommt er als Fragender, Suchender, Hoffender, Verzweifelter, Glückseliger, wie auch immer, und immer ist ein Gefälle der Bedürftigkeit da. Auch Mann und Frau, Freund und Freundin, wenn sie miteinander ein gemeinsames Leben gestalten, es geschieht immer aus unterschiedlichen Rollengegebenheiten heraus. Zu verleugnen, dass solche Unabdingbarkeiten immer auch von Macht und durch Macht geprägt sind, wäre unredlich. Überall, wo Menschen aufeinander verwiesen sind, ist Macht im Spiel. Da mag man noch so basisdemokratisch gesinnt sein, im Letzten werden Entscheidungen getroffen und nicht selten treffen einzelne sie für eine Gesamtheit. Das ist mir in der vergangenen Woche noch einmal bewusst geworden nach dem Scheitern der politischen Sondierungsgespräche, wo die einen Kompromissbereitschaft zeigten und den Rückhalt ihrer Basis über die Maßen strapazierten und die anderen Härte an den Tag legten unter dem Kalkül ihrer Partei für die Zukunft noch bessere Machtpositionen zu sichern. Deutlich wird: Ich kann Macht so oder so einsetzen. Ich brauch aber gar nicht in die Politik abzuschweifen; in den Kirchen ist es nicht anders. Unverhohlen sprechen die Medien von Machtkämpfen im Vatikan und von Koalitionen, die dem Papst das Leben schwer machen wollen und die Evangelische Kirche in Deutschland reflektiert ziemlich machtbeladen ihr zu Ende gegangenes Reformationsfest und sucht nach Verantwortlichen für die davongelaufenen Kosten und die zu geringen Besucherzahlen. Gleich, wer wo wie steht, wir alle sind verquickt in Machtverhältnisse und von ihnen abhängig.
Und jetzt feiern wir heute am Ende des Kirchenjahres ein Fest, in dem der Sohn Gottes, der doch gekommen ist zu dienen und zu retten, als König der Welt gefeiert wird. Zweifelsohne ist in der Vergangenheit mit diesem Fest ziemlich machtbesessen umgegangen worden; aus dem Königtum Jesu wurden unumwunden menschliche Machtstrukturen abgeleitet; Machtstrukturen und eben auch Abhängigkeitsverhältnisse. Wie ich anfangs angedeutet habe: Wer Glauben und Leben in Berührung bringen möchte, der stößt immer auch auf Machtstrukturen. Machtbesitz vermag zu zerstören; dass er auch zu verbinden vermag, das müssen wir Menschen wohl immer wieder neu lernen. Und da tut es gut, sich den Quellen des heutigen Festes noch einmal zu nähern.
Ein Blick in die Geschichte hilft. Ezechiel beschreibt die Situation Israels in der Zeit von 587 vor Christus. Die Führungsschicht hat versagt, das Volk ausgebeutet, mehr für sich selbst gesorgt als für das Gemeinwohl. Das Volk und die Verantwortlichen verfolgten diametrale Interessen: Profit gegen Gemeinsinn. Misstrauen stand zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Politikern. Damals wohl nicht anders als heute. Wo aber Zerrissenheit ist, da füllen andere das Machtvakuum. Und auch hier gilt: so wie damals, so auch heute. Jerusalem wurde angegriffen und das ganze Volk verschleppt.
In diese Situation hinein sagt dann Gott: „Ich will meine Schafe selber suchen und mich um sie kümmern.“ Es scheint, Gott habe das Vertrauen zu den Menschen verloren; er entzieht ihnen die Verantwortung für seine Schöpfung. Gott hat die Schnauze voll von der falschen Machtgier der Menschen und nimmt nun das Ruder wieder selbst in die Hand. Das Projekt „Mensch“, so scheint es, sieht Gott als gescheitert an; Freiheit verführt die Menschen wohl doch zu sehr zu Eigensinn und treibt sie in den Egoismus. Da scheint eine Menge Trotz in den Worten Gottes zu stecken: „ Ich sorge für Recht zwischen Schafen und Schafen, zwischen Widdern und Böcken“. Ich mach das jetzt wieder selbst, sagt er wohl, wenn die Kindsköpfe das nicht hinkriegen. Vertraut Gott den Menschen nicht mehr? Aber er reagiert doch ebenso menschlich und handelt genau so, wie wir, wenn wir mit der Arbeit der anderen nicht zufrieden sind. Dann machen wir es eben selber.
Aber Achtung; wir sollten Gott nicht zu schnell in ein allzu menschliches Schema hineinpressen. Denn eines fällt doch auf. Die Worte Gottes sind einzigartig liebevoll gewählt und: er führt die Menschen nicht vor; er hält ihnen keine Standpauke. Er sagt nicht, dass wir Menschen zu doof und zu töricht seien, die Geschicke der Welt zu lenken. Er sagt ganz anders: Ich mache euch vor, wie es gehen kann; ich zeige euch, wie das Leben miteinander gelingen kann.
Gott geht zu den Menschen als Vorbild und Mittler und er möchte überzeugen, dass Recht schaffen nicht von oben herab gehen muss, sondern auf eine ganz andere Weise viel besser gelingen kann. Nämlich dadurch, einen heilen Blick auf sich selbst und auf den nächsten zu werfen. Erinnern wir uns, was er sagt: „Ich schaffe Recht zwischen Schafen und Schafen und zwischen Widdern und Böcken.“ Also, denen, die schon vertraut sind miteinander und auch denen, die verschieden sind, soll Recht zuteilwerden. Gott bewegt sich auf die Menschen zu, er urteilt nicht aus Distanz; er urteilt auch nicht nach den Buchstaben des Gesetzes, vielmehr urteilt er mittels eines guten Blickes auf sie.
Und jetzt wird es nahezu paradox: Gott zeigt sich als Richter und König, indem er sich als Mensch zeigt. Ich kann nur ein hilfreicher König sein, indem ich mich als Mensch oute. Vorbild kann ich nur sein, wenn ich mich einreihe in die Gemeinschaft aller. Glauben und Leben gestalten gelingt, indem ich hingehe und mitgehe und eben nicht überfliege. „Ich werde sie ruhen lassen – Spruch des Herrn“. Herrschaftsverhältnisse, in die wir alle verwoben sind und denen wir uns nicht entziehen können; sie gewinnen an Menschlichkeit in der Ruhe. In der Ruhe können Blicke sich treffen, Worte nachhallen und Wege zu dem werden, was sie sein wollen: Bewegungen gemeinsamen Gehens und Entdeckens und keineswegs zeitverschwendende Sondierungen dazu, die wunden Stellen der anderen zu entlarven.
Christoph Simonsen
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33. Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Lesung: Buch der Sprichwörter 31,10-13.19-20.30-31
Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert. Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie und es fehlt ihm nicht an Gewinn. Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens. Sie sorgt für Wolle und Flachs und schafft mit emsigen Händen. Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand, ihre Finger fassen die Spindel. Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen. Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, nur eine gottesfürchtige Frau verdient Lob. Preist sie für den Ertrag ihrer Hände, ihre Werke soll man am Stadttor loben.
Evangelium: Matthäus 25,14-15.19-21
Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!
Wenn Arbeit erfüllend sein soll
Ist zufällig eine der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen heute Abend im Gottesdienst? … Dem scheint nicht so, da bin ich doch beruhigt. Dann brauch ich mich für den heutigen Lesungstext auch nicht zu entschuldigen. Die Frau, deren Daseinsberechtigung sich über den Mann definiert, ist heute in den meisten Teilen unserer Gesellschaft – Aufklärung und Gleichberechtigung sei es gedankt – ausgestorben. Gut, ein paar verkriechen sich noch hinter einigen Kirchenmauern: also, ich meine natürlich ein paar Männer, die diesem Frauenbild anhängen und den Naturgesetzen dafür die Verantwortung zuschreiben, da dies so ja schließlich von Gott festgeschrieben ist, weshalb wie selbstverständlich nur den Herren der Schöpfung von Gott gegeben ist, das Wort Gottes zu verkünden und seine Gegenwart zu feiern; wie könnte schließlich eine Frau Gott vergegenwärtigen. Aber im Großen und Ganzen ist unsere Welt da schon weiter und lässt sich nicht gefangen nehmen von Menschenbildern, die historisch betrachtet vielleicht einmal eine Berechtigung hatten, aber in unserer Zeit völlig absurd erscheinen. Dass die Heilige Schrift eben auch ein zeitgenössisches und kulturbedingtes Dokument ist und aus ihr heraus immer wieder neu das bleibende und verbindliche Wort Gottes in der jeweiligen Zeit heraus zu entdecken ist, das kann heute nur denen verborgen sein, die heute lieber im gestern verharren wollen.
Aber lassen wir mal die geschlechterspezifischen Ungerechtigkeiten außer Acht, dann ergibt sich womöglich eben doch ein nachdenklich stimmendes Bild, das unabhängig ist von jeder Geschlechtlichkeit oder geschlechtlichen Orientierung und es offenbart sich ein göttliches Wort, das auch uns heutigen Menschen etwas sagen möchte. Und das ist vielleicht schlichter und selbstverständlicher, als wir zunächst denken mögen: Die Arbeit eines Menschen verdient Anerkennung; und dies eben nicht nur pekuniär, sondern ganzheitlich, Anerkennung also, die das Herz eines Menschen erfüllt und nicht nur die Lohntüte. Jede Arbeit verdient diese Anerkennung. Am Stadttor soll die Arbeit eines Menschen gelobt werden, öffentlich, nicht abgeschieden im Konferenzraum anlässlich der Weihnachtsfeier und abgespeist mit einer verzierten Urkunde. Ein Mensch, der seine Arbeitsfähigkeit, seine Professionalität mit einer offenen Hand den anderen zur Verfügung stellt – wie es in der Lesung steht – und der dabei nicht als mehr erscheinen möchte als er wirklich ist, der strahlt Gottesfurcht aus; der zeigt Ehrfurcht vor Gott. Wer sich in und mit seiner Arbeit schenkt, der ehrt Gott. Wer seine Arbeit überzeugt und leidenschaftlich tut, der ehrt damit Gott. Diese Gewissheit macht jede ehrliche Arbeit zu einem unübertrefflich hohen Gut.
„Ich will dir eine große Aufgabe übertragen, sagt im Evangelium der Verwalter zum Arbeiter. Das nicht zu vergessen: das, was wir tun, was wir arbeiten (und zu studieren ist ja schließlich nicht weniger Arbeit), ist eine Gabe, ein Talent, das uns geschenkt ist und das uns und andere erfüllen möchte, reich machen möchte. Daran immer wieder neu zu erinnern, das stünde uns gut an. Weil wir es nämlich oft vergessen und weil wir die Fähigkeit zu arbeiten in unserer Gesellschaft, trotz Aufklärung, trotz Gleichberechtigung, oft umdeuten ausschließlich als Verpflichtung, um das Leben neben der Arbeit so gut als möglich leben zu können. Arbeit ist aber mehr als ein Produktionsprozess, Arbeit ist ein Lebensprozess.
Nun weiß ich ebenso wie ihr – so vermute ich zumindest- , dass Theorie und Praxis oft weit auseinanderliegen. Arbeit wird in unserer Gesellschaft nicht genügend wert geschätzt, Arbeitsverhältnisse sind nicht selten Abhängigkeitsverhältnisse, die Arbeitskraft von Menschen wird missbraucht, um den Reichtum weniger zu mehren und andere zu unterwerfen, in unseren Breitgengraden sicher weniger als in anderen Regionen unserer Erde, aber dennoch auch hier; Arbeit wird nicht gebührend honoriert, weder pekuniär noch ideell; Arbeit unterstützt die Ungleichheit zwischen Menschen anstatt sie einander anzunähern; Arbeit fördert Abhängigkeiten, führt zu Konkurrenzdenken und Neidstimmungen. Die Zahl der Wohnungslosen z.B. ist in den letzten drei Jahren um 150% gestiegen auf 860.000, trotz einer boomenden Wirtschaft. Diese Zahl erschrickt mich. Und noch ein anderer Kontrapunkt: Arbeit wird weniger als ein Gut, als ein Geschenk wahrgenommen, sondern als ein notwendiges Übel, um damit den Wohlstand zu mehren. Oft steht eine erfüllte Arbeit einem erfüllten Familienleben behindernd gegenüber.
Der Verwalter, von dem wir im Evangelium hörten, gab jedem nach seinen Fähigkeiten. Ist das vielleicht der Schlüssel dazu, Theorie und Praxis einander ein wenig mehr anzunähern? Uns zu fragen, was sind wirklich unsere Fähigkeiten?
Letztens war ich – sicher ein Zufall – mit mehreren Studierenden im Gespräch, die davon erzählten, dass sie nach einem Jahr ihr Studienfach gewechselt haben, weil sie erst da ihre wirklichen Fähigkeiten und Leidenschaften erkannt hätten. Das finde ich mutig in einer Zeit, in der von Menschen höchste Leistungen in ergiebigster Zeit verlangt werden. Oder ein Studi erzählte von einem sozialen Jahr, das er im Ausland verbracht hätte, und das dazu führte, dass er nun ein völlig anderes Studium beginnt, als er vorher geplant hatte. In Verantwortung vor sich selbst seine Fähigkeiten entdecken und diese einbringen in Leben und Arbeit, das könnte dazu führen, dass der Ertrag von Leben und Arbeit wirklich lohnenswert ist und dass darin wirklich etwas Göttliches zum Vorschein kommt; Zufriedenheit nämlich und Dankbarkeit. „Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn“. Wenn Arbeit Freude macht, dann sind wir sicher auf einem guten Weg. Und dann werden Gleichstellungsbeauftragte gänzlich überflüssig.
Christoph Simonsen
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32 . Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Lesung Buch der Weisheit 6,12-16:
Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen. Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen. Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei. Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken.
Evangelium: Matthäus 25,1-13
Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Wahre Weisheit
Die Lesung aus dem Buch der Weisheit versöhnt mich mit dem heutigen Evangelium. In der Lesung hören wir von einer wohltuenden Weisheit; im Evangelium werden den Menschen rücksichtslos die Konsequenzen ihres Handelns um die Ohren geschlagen. Geduld und Aufmerksamkeit sind weise Tugenden, hau ruck und hoppla hopp Handlungen dagegen sind mehr als dumm und lassen meist noch Dümmeres Folgen.
Ich hab’s eilig, zieh mir hastig die Jacke über, schnauze meine Hunde an, weil die irgendwo in der Wohnung rumturnen und nicht kommen wollen, streife ihnen endlich das Halsband über, zerre sie auf den Flur, die Tür fällt ins Schloss – und der Schlüssel liegt irgendwo in der Wohnung. Da liegt er gut, aber ich steh draußen. Der Schlüsseldienst muss kommen und ich bin 120 Euro quitt. Dumm gelaufen.
Nun bin ich zweifelsohne sehr dankbar, dass es so was wie Schlüsseldienste gibt (wenn ich mich über das hohe Honorar auch geärgert habe); es gibt hilfreiche Dienste, die korrigieren können, was meine Ungeduld angerichtet hat, oft mir selbst zum Schaden. Das Evangelium behauptet nun, dass es auch Folgeschäden meiner eigenen Dummheit gibt, die nicht so einfach zu korrigieren oder zu reparieren sind. Darüber würde ich gern mit euch nachdenken. Eine hastige und voreilig getroffene Entscheidung, ein zu schnell ausgesprochenes Wort, und es ist eine Chance vertan, die sich so nicht noch einmal ergibt und die nichts als Scherben hinterlässt. Weder ich selbst noch ein Außenstehender vermag da noch eine Reset-Taste zu drücken. Chance vertan, ich bleibe draußen – im übertragenen Sinn.
Es gibt zweifelsohne Augenblicke, die unendlich viel kaputt machen, die dazu führen, dass einige drin sind und die anderen draußen; dass die einen allen Grund haben zu feiern und die anderen darben. Wenn es die anderen sind, die draußen stehen, fällt es oft nicht auf, denn man selbst ist ja mitten drin im Geschehen. Erst wenn man selbst draußen steht, sich ausgeschlossen hat, kommt der Schmerz auf und man spürt die Isolation.
Ich erinnere mich einer vergangenen Freundschaft, die zerbrach, weil mir zur rechten Zeit der Mut fehlte, ein verbindendes Wort zu sagen. Dass die Freundschaft kaputt gegangen ist, war das eine; die Erfahrung aber, dass ich selbst dies zu verantworten hatte, diese Einsicht kam erst viel später. Solche Erfahrungen tun in der Seele weh; ich kann sie nicht einfach zudecken, vergessen machen. Sie zu verdrängen gelingt vielleicht eine Zeitlang, aber sicher nicht auf Dauer. Es bleibt nichts anderes, als mit ihnen zu leben, sie ins Leben mit hineinzunehmen und aus ihnen zu lernen.
Ja, aus unwiderruflichen Fehlern zu lernen, das ist weise. Morgens vor die Tür gehen und sich der vergangenen Fehler erinnern in der Hoffnung, heute anders handeln und reden zu können. Ich muss einsehen, dass es Dinge in meinem Leben gibt, die ich nicht einfach so wieder gut machen kann. Sie sind geschehen. Ich muss aber auch nicht an ihnen verzweifeln; ich kann aus ihnen lernen. „Seid also wachsam“ rät Jesus den Menschen. Die Erfahrung, einmal ausgeschlossen zu sein vom Fest, sollte genügen, bei der nächsten vergleichbaren Situation weiser, sensibler, menschlicher zu handeln und zu reden. Ja die Lesung versöhnt mich mit dem Evangelium, und das ist gut so.
Christoph Simonsen
- Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Evangelium: Matthäus 22, 34-40
Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie (bei ihm) zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.
Einer, der sich zuwendet
Gott lieben, wie geht das? Mir kommt die Antwort des verstorbenen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in den Sinn, der auf die Frage, ob er sein Land, also Deutschland, lieben würde, geantwortet hat: „Ich liebe nur meine Frau“. Manche sagen ja mit großer Überzeugung, sie würden die Kirche lieben. Aber wie könnte ich ein Gebilde, ein gesellschaftliches Konstrukt lieben. Liebe zeigt auf ein konkretes Gegenüber, auf ein Du, vielleicht noch auf ein Wir. Aber doch nicht auf ein Land oder eine Institution. Da ist mir Gustav Heinemann ganz nahe, der diese pathetische Frage herunterbricht auf eine ganz schlichte nachvollziehbare Antwort. Aus einer konkreten Liebe auf einen Menschen hin vermag dann womöglich eine Kraftquelle erwachsen, Respekt, Vertrauen, Wohlwollen, auch Verantwortungsbewusstsein einem Größeren entgegenzubringen. Aber lieben kann ich nur ein Du, ein Gegenüber. Und wie zum lieben die Umarmung gehört, so auch die Verstörtheit; so, wie das Vergessen der Zeit dazu gehört, so auch das Mühevolle und Gelangweilte.
Gott lieben vermag nur der, der in Gott ein Gegenüber sieht, ein Du. Nun ist Gott eine Wirklichkeit, die unfassbar ist, im wahrsten Sinn des Wortes. Gott ist größer als alles andere, größer als alles, was wir Menschen begreifen, denken, empfinden könnten. Gott war und ist vor der Zeit und er wird nach der Zeit sein. Wenn Gott in der Zeit wäre, wie könnte er dann Gott sein, denn er wäre endlich, habbar für uns Menschen und somit uns Menschen untergeordnet. Wie also Gott als ein Du wahrnehmen, wie ihn lieben können, wenn er doch mehr ist als ein Du, mehr als ein „wir“, da er doch der ist, aus dem alles ist und aus dem alles wird? Wie ihn lieben, wenn er mehr ist als Welt, ganz sicher auch mehr als Kirche? Wie in Gott ein Du erkennen?
Diese Frage konnten die Menschen nicht beantworten bis zu dem Zeitpunkt, da Gott die Himmel verließ und sich Moses auf dem Sinai offenbarte und seinen Namen offenbarte: Jahwe. Gefürchtet haben die Menschen zuvor Gott, verehrt, geheiligt, aber nicht geliebt. Bis sich Gott gebeugt hat, im wahrsten Sinn des Wortes. Er selbst, Gott, hat die Möglichkeit, die Voraussetzung geschaffen, zu einem liebens-würdigen Gegenüber zu werden für die Menschen. Gefürchtet und geehrt zu werden, angebetet und verherrlicht zu werden, war Gott zu wenig, zu gering, zu einseitig, vor allem aber zu geringschätzend; wer nur gefürchtet wird, bleibt im Letzten allein. Beispiel wollte er sein und vormachen, wie Leben aussehen kann, ja muss: Nur wer sich gibt, sich selbst gibt, nur wer sich in die Hände eines anderen gibt, wer sich anvertraut, wer einen Vorschuss seiner selbst gibt ohne Absicherung, und wer bereit ist, seinen eigenen Stand zu verlassen, der kann je erfahren, was Liebe ist. Gott sehnte sich nach Liebe, um diese Sehnsucht in den Menschen zu wecken. Sich offenbaren, nicht einen Offenbarungseid ablegen, das wäre erniedrigend, sondern sich zeigen, sich ganz und unverhüllt zeigen, das hat Gott gewagt um der Liebe willen.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben…“; mit dieser Aufforderung überfordert Jesus seine Zuhörerinnen und Zuhörer gewaltig. Gott lieben? Er mutet den Menschen ein Bild von Gott zu, das sie aus der Bahn wirft, denn sie haben nicht verstanden, dass dieser Gott nicht verehrt, nicht verherrlicht werden will, sondern geliebt. Sie haben es nicht verstanden, trotz Abraham, Moses und all den Prophetinnen und Propheten. Und wir haben es im Letzten auch nicht verstanden, trotz Martin Luther, der Gott aus der Sphäre des Unerreichbaren in die Mitte der Menschheit holen wollte. Wir haben es nicht verstanden, weil wir immer noch an Prinzipien und Gedankengebäuden festhalten, die die Trennung der Konfessionen aufrechterhalten sollen. Gott will geliebt werden, damit wir der Liebe fähig werden. Lieben heißt vor allem auch, auf Macht verzichten. All das hat Gott uns vorgemacht, vorgelebt.
„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und deinen Nächsten, wie dich selbst“; der Liebe untereinander werden wir wohl erst dann mehr gerecht, wenn wir uns einüben in die Liebe Gottes. Wie hieß es letzten Sonntag im Evangelium? „Alles ist bereit, das Festmahl kann beginnen.“. Oder anders: Alle Liebe ist uns entgegengebracht, wir brauchen sie nur zu erwidern.
Christoph Simonsen
Evangelium: Matthäus 22,15-21
Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin.
Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!
Immer schon, und erst recht: heute
Was Jalil immer schon war, auch vor dem heutigen Tag seiner Taufe, das wird heute in dieser kleinen und unspektakulären Feier in besonderer Weise sichtbar: Jalil ist ein Kind Gottes und Gott ist Jalil Freund, Vater und Mutter. Das ist er heute und das war er in der Vergangenheit, damals schon, als Jalil in seiner ursprünglichen Heimat Afghanistan gelebt hat; das war er während seiner ungewissen Reise hierher nach Deutschland. Und Jalil wusste immer um diese göttliche Freundschaft oder zumindest ahnte er sie, denn wenn ein Leben in solch ungewissen Zeiten Kraft und Energie findet, all das zu überstehen, was das Leben so schwer und so unsicher macht – dann muss diese Kraft irgendwo herkommen; aus sich allein heraus vermag kein Mensch das zu tragen und zu ertragen, was das Leben einem beschert. So liegt es nahe, dass Jalil auf die Suche gegangen ist, wer und was ihn getragen hat. Und er hat den gefunden, der immer schon da war: den göttlichen Freund.
Gott macht seine Freundschaft zu uns Menschen nicht abhängig von weltlichen Zeichen und Symbolen. Allerdings helfen uns Menschen solche sichtbaren und spürbaren Ausdrucksformen, weil sie etwas menschlich verdeutlichen, was eigentlich kein Mensch verstehen kann: Die Freundschaft Gottes, die uns Menschen ohne Vorbedingung, vorbehaltlos, ungebrochen seit jeher und für immer geschenkt ist. Zwischen uns Menschen ist eine Freundschaft oft brüchig und abhängig von äußeren Bedingungen; Freundschaften, die einmal mit ganzer Leidenschaft geschlossen wurden, zerbrechen oft an Kleinigkeiten, wer von uns wüsste das nicht aus eigenen Erfahrungen. Und auch diese Erfahrung ist Jalil sicher bekannt. Um so schöner heute die Erfahrung, dass Jalil hier für sich eine neue Familie gefunden hat, die ihm freundschaftlich verbunden ist, die zu ihm steht, die ihm Heimat schenkt und Liebe und die ihn heute hierher begleitet. Heute ist für Jalil ein fröhlicher Tag, für Jalil und auch für uns alle, denn wir dürfen eine Freundschaft feiern, die unabhängig ist von politischen Systemen, unabhängig von Kulturen und Lebensgeschichten; eine Freundschaft, die reicht vom Anfang der Erde bis zu ihrem Ende, von südlichsten Zipfel der Welt bis zum Nordpol; eine Freundschaft, die unabhängig ist von allem, was in der Welt geschieht und die doch ganz greifbar, erfahrbar, spürbar ist in unserer konkreten Weltengeschichte.
Von einer anderen konkreten Weltengeschichte geht das heutige Evangelium aus. Das Volk Jesu lebte in einem besetzten Land. Anders als für uns, unterscheidet sich die Erfahrung des Volkes Jesu gar nicht so sehr von den Erfahrungen, die Jalil in seinem Leben bisher machen musste; auch er lebte in einem besetzten Land. Aber schauen wir zunächst auf die Welt zur Zeit Jesu: Der Kaiser von Rom trieb die Steuern ein. Er tat dies als gottgleicher Herrscher. Die Menschen wurden ausgebeutet, missbraucht für das Wohlergehen und die Kriegslust des römischen Herrschers. Eben das Volk, das sich ungefähr 1200 Jahre zuvor aus der Sklaverei des Pharaos befreien konnte, fand sich wieder einmal in einer – wenn auch – anderen Form der Gefangenschaft. In der Rocktasche trug man die Münzen, die das Antlitz des römischen Kaisers zeigten und tagtäglich wurde man so an diese Abhängigkeit erinnert. Nicht nur, dass die Besatzer durch die Präsenz der Soldaten und des Rechtssystems in Israel schalten und walten konnten, wie sie wollten; noch unerträglicher war, dass die Macht des römischen Herrschers die innere Würde und Freiheit der Menschen zerstörte. Denn die Steuern, die die Menschen bezahlen mussten, dienten einzig dem Wohlstand der Besatzer und demütigten all die, die sie zahlen mussten. Sicher ist nicht alles eins zu eins übertragbar, aber aus einem auch besetzten Land – Afghanistan – ist Jalil geflohen, weil das Leben dort so sehr vom Tod bedroht ist, dass dort zu leben in Freundschaft und Offenheit unmöglich wurde.
In die damalige Situation hinein sagte Jesus: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und gebt Gott, was Gott gehört.“ Wenn das nur so einfach wäre. Was, wenn der Kaiser für sich in Anspruch nimmt, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln? Was, wenn er sich auf die Stufe Gottes stellt? Was, wenn Menschen Kaiser und Gott gar nicht mehr auseinanderhalten können oder wollen? So wie damals gibt es auch heute solche Orte, wo eben dies eine große Tragik für viele Menschen ist, dass Menschen sich an die Stelle Gottes setzen.
An kaum einer anderen Stelle der Heiligen Schrift wird so klar und deutlich, warum Jesus den Staatstragenden ein Dorn im Auge war, als in dieser Perikope. Sie wollten Jesus beseitigen, weil er „immer die Wahrheit sagt“. Jesus war unabhängig; er ließ sich weder beeinflussen von der Besatzungsmacht Roms noch von den Glaubenshütern des Hohen Rates. Jesu Anspruch war es, Freund der Menschen zu sein im Namen und im Auftrag Gottes, ohne – und das ist jetzt wichtig – ohne sich auf die Stufe Gottes zu stellen, ganz als Mensch. Seine Wahrheit war, dass kein Mensch der Anbetung würdig ist, sondern einzig Gott allein.
Deshalb wundert es nicht, dass er Kritik gegenüber allem und allen übte, die unrechtmäßig Einfluss zu nehmen versuchten auf die Seele des Menschen, gleich, ob Staat, Religionsgemeinschaft oder einzelne Menschen. Einzig der, der nicht besitzen und beherrschen, sondern stärken und begleiten will, darf in das Innerste des Menschen vordringen, und das ist Gott: So sagt es Jesus unmissverständlich. Dank Gottes Freundschaft vermag jede und jeder sie und er selbst werden und von einer Wahrheit sprechen, die sie selbst erfahren und erkannt haben. Allein diese Wahrheit macht Menschen groß und unabhängig und frei – frei von jeder Art äußerer Beeinflussung.
Diese Gewissheit hat auch Jalil stark gemacht und selbstbewusst, so dass er den Weg antreten konnte in eine freie Gesellschaft, in der dem Kaiser dass gegeben wird, was ihm zusteht und Gott, was Gott zusteht. Wer wollte eine Gemeinschaft stärken, die einen frisst, die einen der eigenen Persönlichkeit beraubt. Das wäre krank und machte krank. Eine Gemeinschaft, die jedem Lebensraum garantiert, die einen wachsen und werden lässt, die einen sein lässt, wie man ist: eine solche Gemeinschaft zu unterstützen und zu stärken, zeugt von Verantwortung, der Allgemeinheit wie auch sich selbst gegenüber. Ohne eine wohlmeinende Gemeinschaft vermag kein Mensch zu wachsen; sie schenkt den Raum, in dem keiner verloren geht. Wir alle füreinander dürfen eine solche Gemeinschaft sein, und dort mittendrin Jalil. Das sind wir unserem Gott schuldig.
Christoph Simonsen
- Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Evangelium: Matthäus 22, 1-10
Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete. Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen. Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren es nicht wert (eingeladen zu werden). Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein. Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen
Das Leben zu feiern vermögen
Die Zeitangabe stimmt mich nachdenklich: „An jenem Tag“. Der Prophet Jesaja verheißt den Menschen ein Fest, das die ganze Welt ergreifen soll, und Gott selbst soll der Gastgeber sein; an diesem Tag sollen alle Grenzen aufgehoben sein und alles Leben heil und fröhlich, befreit soll das Leben sein von Tränen und Schmerzen, befreit auch von Schande und Schuld; ein Tag, an dem selbst der Tod seine Macht verliert. Schlicht: Jesaja stimmt den Menschen auf ein paradiesisches Leben ein. Aber mal ehrlich, da hat Jesaja doch wohl selbst nicht dran geglaubt – und wir schon mal gar nicht. Heute wird wieder gewählt, in Niedersachsen, in Österreich; und was ist allen gemein: Die Politiker hauen drauf auf die Schwächsten.
Utopien sind das Gegenteil von Realität und wer sich in unseren Lebenskontexten der Wirklichkeit entzieht oder sich ihrer entfremdet, kann nur eines sein: verrückt. Was sagte schon der weise Helmut Schmidt: Wer Utopien hat, solle zum Arzt gehen. Aber wer legt eigentlich fest, was real und wirklich ist?
Der Therapeut? Die Allgemeinheit? Der Gesetzgeber? Wer kann unmissverständlich und allgemeingültig sagen, was wirklich ist. Ist nicht ein Traum auch wirklich, auch wenn er nicht zu fassen ist?
In der vergangenen Woche jährte sich zum sechsten Mal der Todestag von Steve Jobs; mit 56 Jahren ist er im Oktober 2011 gestorben. Der Mann, der einem angebissenen Apfel zu Weltruhm verholfen hat. Aus einer Utopie hat er eine Philosophie geformt. Er hat dem Computer, der bis dahin nur als hilfreiche und sicher auch notwendige Kommunikations- und Informationsstütze wahrgenommen wurde, nicht nur eine neue Ästhetik gegeben, sondern darüber hinaus ganz neue Kommunikationsstrukturen geschaffen. Man mag über Sinn und Nutzen im Einzelfall streiten, aber wer könnte sich heute vorstellen, ohne einen Apple oder ein Samsung oder sonst ein anderes Kommunikationselement zu leben? Selbst meine 92jährige Mutter kommuniziert mit uns über WhatsApp oder Facebook.
In einem Nachruf über Steve Jobs hieß es damals: „Technik und Kunst verschmolzen zum persönlichen Gebrauchsgegenstand, der das Leben von Grund auf neu entwarf, statt sich ihm bloß einzufügen.“
Und noch ein Todestag jährte sich in der vergangenen Woche: Vor 25 Jahren ist Willi Brandt gestorben. Bis heute unvergessen sein Kniefall in Warschau und damit der Beginn einer tragfähigen Freundschaft zwischen Polen und Deutschland, die so stabil ist, dass sie die die heutigen Spannungen zwischen den Ländern auszuhalten vermag. Unvergessen auch sein Wort, das bis heute Mahnung und Aufruf ist: „Mehr Demokratie wagen“. Da, wo Menschen einander besser verstehen, da kommt, um das utopische Bild wieder zu benutzen, das Paradies näher.
Beiden gelang das unbestritten nur sehr begrenzt; weder Steve Jobs noch Willi Brandt haben aus dieser Erde das Paradies formen können. Aber dank ihrer Zuversicht, dank ihres Mutes zu träumen, haben sie Menschen ihrer Zeit gezeigt, dass es sich lohnt, und das es möglich ist, die Welt in ihrer Globalität zusammenzuhalten und die Menschen einander näher zu bringen. Dass all das, was Menschen schaffen, auch gegenteiliges bewirken kann von dem, was sie an Gutem beabsichtigen, ist ein Los alles Weltlichen. Aber sollte uns das hindern, unseren Ideen und Träumen keine Chance auf Verwirklichung zu geben? Menschen ohne Träume sind wie Bäume ohne Blätter.
Was ist wirklich? Man kann an der Wirklichkeit zerbrechen, weil sie zu schwer auf einem lastet, oder weil man zu schwach ist, sie zu ertragen; man kann aber auch zerbrechen, wenn man Wirklichkeit reduziert auf das Messbare im Leben und das Unfassbare, das Geheimnisvolle, das Sehnsüchtige in einem nicht ernst nimmt. Leben bleibt bruchstückhaft und wir Menschen selbst verursachen Brüche und tragen auch Verantwortung dafür, aber das sollte keinen abhalten davon, den Träumen seines Lebens zu vertrauen und aus ihnen Kraft zu schöpfen.
Wo diese Offenheit verkümmert, da bleibt dann nur noch Druck: innerer und äußerer Druck, zu machen und zu tun, zu ackern und zu hantieren. So, wie eben die Menschen im Gleichnis, das Jesus erzählt. Sie können nicht daran glauben, dass das Leben ein Fest ist, dass es einer um ihrer selbst willen gut mit ihnen meint, dass sie eingeladen sind, das Leben zu feiern. Sie können nicht daran glauben, dass sie wert sind, dass man mit ihnen feiern möchte. Sie selbst messen ihren Wert an Erfolg, an nachweisbaren Ergebnissen aber nicht daran, Wert in sich zu sein und Wert in sich zu tragen. Was ist wirklich? Du bist wirklich und ich bin wirklich und was uns ausmacht, ist wirklich.
2005, bei der Abschlussfeier der Stanford University, sagte Steve Jobs zum Schluss seiner Ansprache: „Fast alles, alle äußerlichen Erwartungen, aller Stolz, alle Furcht vor Blamagen, all diese Dinge verschwinden im Angesicht des Todes und lassen nur das übrig, was wichtig ist. Die Einsicht, sterben zu müssen, ist der beste Weg, den ich kenne, um die Falle zu vermeiden, die der Gedanke stellt, es gäbe etwas zu verlieren…. Ihr habt keinen Grund, nicht eurem Herzen zu folgen.“ Wenn Jesaja an jenen Tag zum Festmahl einlädt, dann meint er vielleicht den Tag, wo wir genau das erkennen: Wert zu sein aus uns selbst heraus. Und wenn wir das erkannt haben, dann ist jeder Tag wert, ein Fest zu feiern und ein Festmahl zu halten, dann ist jeder Tag ein Hoch-Zeits-Tag. Jener Tag ist dann jeder Tag und das Paradies ist keine Utopie sondern Wirklichkeit.
Christoph Simonsen
Evangelium: Matthäus 21.33-44
Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen. Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun? Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, /er ist zum Eckstein geworden; / das hat der Herr vollbracht, / vor unseren Augen geschah dieses Wunder? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.
www.Enttäuscht.net
Eine ziemlich realistische Einschätzung unserer Weltsituation, die wir da gerade gehört haben. Gott vertraut uns diesen wunderschönen Planeten an, und wir beuten ihn aus, auf Teufel komm raus, gewinnoptimierend natürlich nur für uns selbst, was gehen uns schließlich die anderen an in den anderen Kontinenten dieser Erde. Sollte uns jemand von außen daran erinnern wollen, dass dieser Planet doch für alle Lebensraum bieten möchte, nicht nur uns wohlfeinen Winzern, dann machen wir eben die Grenzen dicht oder wählen ein neues Parlament, so das es noch schwieriger macht, andere an den Früchten unseres Weinbergs teilhaben zu lassen.
Das können wir uns jetzt schön reden und dagegen halten: So allgemein stimmt das doch nicht; man kann doch schließlich nicht alle und alles über einen Kamm scheren. So viele zeigen Bereitschaft, ökologisch umzudenken, bringen Wissen und Können ein, um verantwortungsvoller mit diesem Geschenk der Schöpfung umzugehen. Wir steigen auf Elektroautos um, verzichten auf Plastiktüten, ernähren uns vegetarisch, leisten Entwicklungshilfe.
So vielen liegt doch an dieser Mutter Erde, so vielen liegt daran, dass allen Menschen Gerechtigkeit widerfährt und nicht wenige – auch von uns, die wir heute Abend hier sind – fühlen sich verantwortlich dafür, dass sich wirklich etwas ändert, auch grundlegend ändert. Ist das nicht der eigentliche, der tiefe Antrieb, ein Studium zu beginnen, unsere Welt besser zu machen, heiler, gerechter?
Ja, das ist sicher eine Motivation, die euch und uns antreibt. Und trotzdem lässt mich ein Gedanke nicht los, den ich letzte Woche versucht habe, mit einigen von euch im Gottesdienst zu teilen: Die Einsicht der eigenen Unzulänglichkeit angesichts der unzähligen Bedrohungen auf dieser Welt und die Erkenntnis, unweigerlich mit schuldig zu sein daran. Was mich begleitet: eine permanente Enttäuschung über mich selbst und meine Unbeholfenheit, dieser Welt einen wirklichen Friedensschub geben zu können. Ich bin enttäuscht über mich selbst angesichts der eigenen inneren Zerrissenheit, nicht so zu sein, wie ich sein könnte.
www.enttäuscht.net, mit dieser URL haben wir zum heutigen Semestergottesdienst eingeladen. Und ich möchte mit euch – sinnbildlich – mal ins Netz, bei Wikipedia oder bei Google oder sonstwo nachschauen, was sich mit diesem Begriff so verbindet. Sind wir doch wohl deshalb hier, um Anregung, Ermutigung geschenkt zu bekommen, der Weltverhaftung zu entfliehen und der Himmelshoffnung neue Weite zu geben. Ich vermute, Enttäuschungen – welcher Art auch immer – begleiten nicht nur mich; Enttäuschung muss doch im Letzten jeden erfassen, dem Gottes Wort Richtschnur ist.
Der Anfang eines neuen Semesters ist prädestiniert dafür, sich neu auszurichten. Natürlich gilt für viele, sich erst einmal einzurichten, anzukommen, sich zurecht zu finden; aber dabei darf es nicht bleiben. Ohne Perspektive kann keiner leben. Und eine Perspektive, die nur sich selbst berücksichtigt, kann im Letzten nicht befriedigen. Das meinen zwar viele, aber deren Enttäuschung wird eine noch existentiellere sein als die, von der ich gerade spreche. Wer ausschließlich sich selbst im Blick hat, wer nur sich selbst befriedigt, wird an seiner Gier verhungern. Davon erzählt das heutige Evangelium. Und ob wir das einsehen wollen oder nicht: Die Weltlage ist nicht wesentlich anders als zur Zeit Jesu. So sehr wir um unsere Verantwortung wissen, so sehr sind wir doch mehr mit uns selbst beschäftigt und unserem eigenen Selbsterhaltungstrieb.
Deshalb ist die Frage so bedeutsam, wie es gelingen kann, die Enttäuschung über die eigene Unzulänglichkeit nicht in Gleichgültigkeit ausarten zu lassen und in eine heilsame Unruhe umzuwandeln. Wie kann es gelingen, dass die Enttäuschung über das eigene begrenzte Mensch-Sein mich weder in eine lähmende Depression noch in eine arrogante Selbstüberschätzung führt, sondern zu einem neuen Suchen und Fragen nach dem wird, was Gott von mir und uns will?
Das Evangelium, das uns heute zu Semesterbeginn vorgelegt ist, gewährt aber nicht nur eine realistische Sicht auf die Welt, es öffnet auch einen realistischen Blick auf das Wesen Gottes: Auf einen Gott nämlich, der nicht minder einer tiefen Enttäuschung ausgesetzt ist, der Enttäuschung darüber, dass der Mensch – sein Geschöpf – mehr aus einer Verlustangst lebt denn aus dem tragenden Vertrauen, getragen zu sein.
Er hatte allen Grund, wütend zu sein. Und vielleicht war er es ja auch. Das Evangelium legt diese Vermutung nahe. Aber was macht er mit seiner Wut? Wir Menschen münzen oft Wut um in ein unkontrolliertes Handeln. Gott macht es anders, weil er anders fühlt: Aus seiner Wut und Enttäuschung über seine Geschöpfe entspringt Trauer, eine tiefe Trauer. Ich glaube, uns allen fehlt der Mut zur Traurigkeit, zu einer wirklich tief spürbaren Traurigkeit; einer Traurigkeit, die sich nicht festhalten und wiedergeben lässt in wohlfeinen Worten, bei Facebook gepostet, sondern die in ein resolutes Schweigen, Weinen, Klagen mündet: still, verborgen, sich selbst ausgeliefert. In dieser Trauer, aus dieser Trauer, und vielleicht nur aus solch tiefsitzender Trauer heraus vermag sich ein neuer Blick zu ergeben auf diese Welt. Wirkliche Trauer ist es, die Enttäuschung zu wandeln vermag in wirkliche Zuneigung zu dieser Welt.
Eine wahrhaftige innere Trauer zeigt ein Ringen in sich, ein Suchen nach Sinn und nach Zukunft. Franz Kafka sprach einmal davon, dass ein wahrhaftiges Leben „ein Heraustreten aus den Totschlägerreihen“ sein müsse. Vielleicht würden sich unsere Enttäuschungen ein wenig minimieren, wenn wir einen Schritt nach vorne gehen würden, aus den Totschlägerreihen heraus. Dass Gott dies auch passiert ist, wissen wir. Wir sind keine Helden, wir sind nur Menschen. Und wir sind, wie wir sind. Es ist vielleicht ein ungewöhnlicher Rat am Beginn eines Semesters. Aber bei allen Aufbrüchen und Umbrüchen, denen viele in diesen Tagen ausgesetzt sind, denen unsere Gesellschaft und unsere Welt ausgesetzt sind, kann es vielleicht doch gelingen, sich für wenige Momente zurückzuziehen, um das Trauern neu zu lernen, das Trauern und dann auch das Leben. Ein gewandeltes, neues, verantwortetes Leben, damit wir und damit unsere Welt eine gute Zukunft haben.
Christoph Simonsen – Predigt zum Semestereröffnungsgottesdienst WS 2017/18 am So 8. Oktober 2017
Leistung muss sich wieder lohnen?
„Leistung muss sich wieder lohnen“, das war der Wahlslogan der CDU zur Bundestagswahl 1982; man war der Meinung, dass die vorherige Regierung zu leichtfertig soziale Leistungen gewährt hatte. 24 Jahre später, im Jahr 2006, wirbt die SPD mit dem gleichen Spruch: „Leistung muss sich wieder lohnen“. Dieses Mal nicht anlässlich einer Wahl sondern eines neuen Parteiprogramms, das geschrieben werden sollte. Nun sollten die Ungerechtigkeiten der sogenannten „Besserverdienenden“ korrigiert werden. Und am 12. Juli 2016, anlässlich des „Steuerzahlergedenktages“, zitiert die FDP Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern diesen gleichen Satz mit dem Inbrunst der Überzeugung: „Leistung muss sich wieder lohnen“. Sie erinnerte daran, dass fast die Hälfte eines jeden verdienten Euro an Steuern abgezogen wird.
In diesem Wahlkampf stand die Bildung junger Menschen in einem besonderen Fokus aller Parteien und indirekt können wir sicher auch hier assoziieren, dass eine gute Bildung zu guten Leistungen führen soll zum Wohl des einzelnen wie auch zum Wohl der Gesellschaft.
Wir Menschen sind unbestritten leistungsorientierte Wesen. Der Antrieb, etwas leisten zu wollen, ist nicht etwas, das uns Menschen von außen aufgedrückt werden muss. So mag es zwar manchmal scheinen, wenn der Lehrer einen in der Schule zu noch besseren Leistungen antreibt, der Meister im Betrieb den Lehrling kritisiert, oder der Gruppenzwang an einem nagt, der einen herausfordert, besser sein zu wollen als die anderen.
Aber wer wüsste nicht, dass man Leistung nicht erzwingen kann. Muss man aber auch nicht, denn in jeder und jedem von uns ist dieser Wunsch grundgelegt, eine gute Leistung erbringen zu wollen. Mit dem, was ich einbringe, und wie ich es einbringe in unsere Gesellschaft, ist mir daran gelegen, mich zu verwirklichen. Das ist, weiß Gott, keine neue Erkenntnis: Wir Menschen sind geschaffen, unsere Werte, unsere Fähigkeiten, unsere Begabungen in die Waagschale des Lebens hineinzuwerfen, um uns unvergesslich zu machen. Das mag im Einzelfall dazu führen, eitel zu werden und arrogant, aber im guten Sinne verstanden ist es der Auftrag Gottes selbst, der uns so sein lässt. Als seine Ebenbilder ist jede und jeder von uns gerufen und bestimmt, eine – nein: seine bzw. ihre einmalige und unverwechselbare göttliche Fähigkeit zum Wohl aller einzubringen. Dies, damit er, damit Gott, unvergessen in dieser Welt gegenwärtig bleibt. Wenn wir uns nicht einbringen mit dem, was uns von Gott gegeben ist, dann mag Gott zwar Gott sein, aber er würde in dieser Welt vergessen, da er sich doch unwiderruflich durch uns an diese Welt gebunden hat. Also: wenn wir nicht einbringen in das Weltgeschehen, was an Vermögen und Fähigkeit in uns drin ist, dann verbauen wir Gott den Zugang zu dieser Welt. Diese Gewissheit darf, kann, ja: muss uns Motor sein, unser Leben als eine Herausforderung anzusehen, uns zu mühen, anzustrengen, aus uns herauszuholen und einzubringen, was Gott in uns hineingelegt hat.
Es bleibt die Frage, ob das, was das Meine ist, von anderen benötigt wird. In unserer Zeit versuchen viele Menschen, sich Vermögen und Kenntnisse anzueignen unter der Vorgabe, das zu lernen, was unsere Zeit, unsere Gesellschaft braucht. Nicht wenige wählen ihr Studium aus, geleitet von der Frage, wie sicher der sich daraus ergebende Beruf später sein wird. Dies ist nur zu verständlich, gibt es doch in unserer Gesellschaft kein würdiges Leben ohne Absicherungen verschiedenster Art.
Und dennoch stellt uns das heutige Evangelium eine sehr provokante Frage: Hab ich genügend Vertrauen zu mir selbst, dass ich auf das baue, was an Begabung in mir drin steckt? Oder sattele ich um auf etwas, was zwar zukunftssicher ist, aber weniger meinen eigenen Begabungen entspricht? Wie viel Geduld habe ich mit mir selbst, darauf zu bauen, dass ich gefunden werde mit meinen Begabungen und Fähigkeiten? Die meisten von uns sind es gewohnt, sich zu bewerben: einmal, zweimal, x-mal, bis die richtige Stelle gefunden ist. Unsere Gesellschaft ist heute so: Man muss sich anpreisen, anbieten. Wie viel Selbstachtung bleibt da oft auf der Strecke?
Jesus stellt uns heute ein anderes Arbeitsmarktmodell vor. Menschen stehen am Straßenrand, geduldig, erwartungsvoll, und warten, dass jemand kommt, sie anzusprechen: „Dich brauch ich; Dich und deine Fähigkeiten“. Und dann wird am Ende nicht die tatsächlich getane Leistung bezahlt, sondern allein die Tatsache, dass der/ die einzelne Person sich eingebracht hat ins Ganze. Ob man dieses Vorgehen tatsächliche christliche Marktwirtschaft nennen kann? Leben von dem und mit dem, was im wahrsten Sinne gottgegeben ist. Unser Gesellschaftssystem ist, wie es ist. Aber es ist eben ein menschengemachtes System; und wenn es auch das Beste ist von allen Systemen, die wir kennen, es führt immer in Ungerechtigkeiten und Asozialität. Die Gerechtigkeit Gottes ist eine andere als die, dass nach Leistung bezahlt wird. Nicht Leistung ist der Maßstab Gottes, sondern Leidenschaft. Die Leistung, die aus der Leidenschaft entspringt, ist in den Augen Gottes wirklich eine Leistung, die lohnenswert und auch belohnenswert ist. Leistung, die den Profit in den Vordergrund stellt, ist mehr als fragwürdig.
In Deutschland wurde heute gewählt. Hoffentlich können alle von uns, die wählen dürfen, hier heute sagen, dass sie dieser Verantwortung nachgekommen sind. Aber mit dieser Wahl haben wir nicht die Verantwortung abgegeben, innerhalb unseres gesellschaftlichen Systems diese Ungerechtigkeit im Blick zu behalten und uns die Sensibilität zu bewahren dafür, gegenzusteuern, wo Menschen ausschließlich nach einer Leistung bemessen werden, die dem Druck entspringt, nur irgendwie überleben zu können. Das ist zu wenig und schon gar nicht ist es christlich. Wenn alle den gleichen Lohn bekämen aufgrund dessen, was sie aus Leidenschaft und Überzeugung eingebracht haben, dann wären wir dem Himmel, von dem Jesus ja spricht, ein großes Stück näher.
Christoph Simonsen
Semesterschlußgottesdienst am 23. Juli 2017 (Biblische Texte nach der oekumenischen Leseordnung)
Reformation(s)Ja(hr)
Lesung: Jes 43, 1-7 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott Weil du teuer bist in meinen Augen und herrlich und weil ich dich lieb habe So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir
Evangelium: Matth 28, 16-20 {Aber} die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Auslegung:
Der Auftrag an uns, wenn wir diesem Jesus nachfolgen wollen, ist klar: Zu den Menschen gehen, das Evangelium verkünden, sie taufen und sie darin begleiten die Botschaft Jesu umzusetzen. So weit, so gut? – Oder doch nicht? Kann ich auch den Auftrag ablehnen? Oder ist das nicht eine Mission für Profis und wir als Laien (was ja aus dem Griechischen kommt und Volk bedeutet) sind damit überfordert und das sieht eher nach einer Mission Impossible aus.
Immerhin waren die Jünger zum vereinbarten Treffpunkt gekommen. Sie, die Jesus 3 Jahre begleitet hatten und erlebt hatten, was die Botschaft, die er verkündete für eine Wirkung hatte, bis hin zu Verrat aus den eigenen Reihen und zur Kreuzigung. Aber als er sich Ihnen als der Auferstandene zeigte, kamen einigen schon Zweifel und es bedurfte schon gutes Zureden, dass sie sich dem Auftrag stellten. Sie waren ja nur einfache Fischer, Bauern oder Handwerker, also Laien, Leute aus dem Volk. Aber sie waren von ihm berufen und bevollmächtigt.
Das aus dem „zu den Völkern gehen“ schon bald eine weltweite Bewegung würde, die nicht nur Begeisterung brauchte sondern auch eine Organisation, hatte damals wahrscheinlich keiner geahnt. Die basisdemokratischen Anfänge (heute würde man sie theologisch korrekt wohl synodal nennen) waren ja auch ermutigend. Bis die erste Krise sich an den Zulassungskriterien zur Mitgliedschaft im Kreis der Jesus Follower entzündete. Da konnte sich dann der Quereinsteiger Paulus, der vom Kirchenverfolger Saulus zum begeisterten Chefideologen der Jesusbewegung mutierte und auf den sich 1500 Jahre später Martin Luther in seiner Kirchenkritik besonders bezog, durchsetzen.
Die Begeisterung der Zeugen und die Zugkraft der Botschaft, die sie verkündeten, wäre wahrscheinlich mit ihnen gestorben, wenn nicht vier Intellektuelle die verkündete Botschaft niedergeschrieben hätten und der selbsternannte Gemeindegründer Paulus in seinen Briefen diese Lehre interpretiert hätte für die Glaubens- und Lebenspraxis der Gemeinden in Palästina, Libanon, Syrien, Türkei, Griechenland und Italien, also im damaligen römischen Reich. Und wo er nicht hinkam, weil er zeitweilig im Knast saß, wurde die neue Lehre von der Liebe Gottes zu allen Menschen und vom Reich Gottes, also dem Leben in Fülle in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden durch Handlungsreisende weitergetragen.
Die Kirche, was griechisch ekklesia, also die Herausgerufene bedeutet, etablierte sich immer mehr auch als Institution insbesondere nachdem der römische Kaiser Konstatin im 4. Jahrhundert sie quasi zur Staatskirche machte und mit Verwaltungsaufgaben betraute.
War es bis dahin noch um Abgrenzungen und Entwicklung der christlichen Lehre gegangen, bezogen sich von da an Kirchenkritik und Reformwünsche auf die Amtsstruktur und die Lebensführung der Amtsträger. Immer wieder in der Diskussion war die Forderung nach einem kirchlichen Leben, das rein auf dem Evangelium beruhte, also an den Wurzeln Maß nahm, in diesem Sinne also radikal war.
Diese Kritik und der Wunsch nach Reform, die wieder an der Wurzel Maß nimmt begleitet die Jesus-Bewegung also von Anfang an. Sie hält den Gründerauftrag im Bewusstsein und fragt, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind und ob die kirchliche Lehre nicht zur Unterdrückung der Gläubigen missbraucht wird. Hinzu kommt der ZEITGEIST, also wie sich die Gesellschaften in denen die Kirchen leben und wirken sich auch in ihren Werten verändern; welche Herausforderungen sich stellen und wie miteinander kommuniziert wird.
Es ist der Verdienst Martin Luthers, dass er die biblische Botschaft demokratisiert hat, indem er sie ins Deutsche übersetzte und so der alleinigen Interpretation der griechisch/lateinisch Gebildeten entzog. So wurde die Verkündigung volksnah, in einer alltagstauglichen Sprache und nicht theologisch verschwurbelt, wie der Kirchensprachekritiker Erik Flügge in einem Kommentar zum Reformationsjahr schrieb.
450 Jahre nach der Reformation hat das katholische Reformkonzil, das 2. VATIKANUM, endlich den Menschen in den Mittelpunkt der Seelsorge und Verkündigung gerückt wenn es festlegt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Jesu, der Kirche (Gaudium et Spes)
Damit sind wir wieder beim kirchlichen, unserem Auftrag, bei den Menschen zu sein, in unserer Sprache und in unserem Tun. Wir sind dazu berufen Jesu Botschaft immer wieder neu zu verkündigen, orientiert an dem, was die Menschen unserer Zeit bewegt und in einer Sprache, die sie verstehen und die darüber hinaus begeistert.
Ist das nicht eine Mission Impossible für Nicht Profis?
Nein, ich glaube, dass da die Zusage Gottes aus dem Buch Jesaja Mut macht unsere Berufung als Glaubende zu leben:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!… So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.
Und ja, wir brauchen immer wieder eine Reformation, wie schon Augustinus gefordert haben soll. Eine Reformation , die immer wieder Maß nimmt an der Botschaft Jesu, an der Lebenswirklichkeit der Menschen und die fragt, ob unsere Verkündigung und unser Handeln als Kirche im wahrsten Sinne des Wortes glaubwürdig ist.
In diesem Sinne verstehe ich die Kritik von Erik Flügge als Auftrag auch für meine Arbeit in dieser Kirche:
„Wenn die Kirche in der Nachfolge von Jesus Christus und Martin Luther wirklich an die Macht der heiligen Schrift glaubt, dann stellt Euch verdammt nochmal auf die Straßen und verkündet sie. Man lädt nicht in eine Kirche ein und hofft, dass Kirchenferne kommen, sondern man stellt sich mitten auf die Plätze. Mit einem Mikrophon, egal wie peinlich es ist. Man spricht aus, was man glaubt: ‚Die Rettung allein liegt in Jesus Christus.‘ Man traut sich hinaus und verkündet das Wort und verschwurbelt es nicht.“ (Erik Flügge)
Guido Schürenberg
Predigt am 16. Juli
15. Sonntag im Jahreskreis A – 2017
Evangelium: Matthäus 13,1-9
An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. Er sagte: Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre!
Ein bisschen mehr Wahrheit täte der Welt gut
Der Symbolcharakter des Bootes hat sich diametral verkehrt:
Früher, als es noch keine Flugzeuge gab, war das Schiff das Verkehrsmittel, das Kontinente einander näher brachte; die Meere haben Menschen und Kulturen miteinander verbunden. Und auch wenn Fremdheit voreinander ebenso beängstigend war wie heute, so ist man – wenn auch manchmal sehr schmerzhaft errungen – in der Moderne zu der Einsicht gelangt, dass wir alle in einer Welt leben.
Heute ist das Boot ein trauriges Symbol dafür, wie weit unsere Kontinente einander entfernen und Menschen zum Spielball der Systeme machen; das Boot wird immer mehr zum Symbol der Angst, der Reichtum der Schöpfung würde nicht mehr für alle reichen. Dass wir alle in einem Boot sitzen, daran zu erinnern ist heutzutage mehr als nur ein schnell daher gesagter schöner Spruch, es ist eine politische Botschaft, die nicht gerne alle hören und die doch die umfassende Botschaft ist, die der Gottessohn den Menschen gepredigt hat. Paulus hält es später schriftlich fest: „In Christus sind wir alle eins“. Das ist mehr als ein frommer Gedanke, das ist ein weltumspannender Anspruch, der Christsein erst glaubwürdig werden lässt.
Hier und heute erinnern uns Kinder an diese Botschaft; Kinder von überall her, die an diesem Boot gebaut haben, um aufmerksam zu machen darauf, dass diese Einheit, diese gottersehnte Einheit, brüchig geworden ist. In diesem Boot sitzen wir heute Abend und sind doch weiter entfernt voneinander, als ansonsten in unseren Gottesdiensten hier in der Citykirche; die Blicke aufeinander sind eingeschränkt. Bedrängnis und Fremdheit bündeln sich emotional in dieser Stunde hier. Dieses Boot ist ein Boot der Mahnung und Erinnerung; dieses Boot möchte selbst zur wortlosen Verkündigung werden und uns mahnend erinnern an diese Sehnsucht Gottes, dass seine Welt eine sein möge.
Ich bin der Überzeugung: Wir sollten öfter in ein Boot steigen, unseren sicheren Grund und Boden verlassen. Jesus hat das auch getan. Wir haben es eben gehört. Jesus verlässt den sicheren Grund und fährt mit einem Boot aufs Wasser, um von dort aus die Menschen anzusprechen. Das hatte ganz praktische Gründe, so hatte Jesus einen besseren Blick auf die große Schar der Menschen. Wenn auch der oder die einzelne kleiner, unscheinbarer wurde für Jesus, so war gewiss, dass er keinen aus dem Blick verlieren konnte. Gottes Wort sollte an keinem vorbeigehen. Alle sollten sich angesprochen fühlen, alle ohne Unterschied in gleicher Weise. Und wenn auch die Menschen am Ufer vielerseits einander fremd waren, sie standen zusammen, hörten gemeinsam zu; sie waren in aller Verschiedenheit eine interessierte Gemeinschaft. Dieses gemeinsame Interesse, ja selbst wenn es auch nur Neugierde gewesen ist, hat sie zusammengehalten.
Kann es sein, dass unser Glaube, unsere Verkündigung deshalb heute so oft überhört wird, weil wir uns nicht aus der Masse heraus bewegen ,in ein schwankendes Boot steigen, um so den besseren Überblick zu bekommen? Kann es sein, dass unser Glaube deshalb langweilig, fruchtlos bleibt, weil wir immer nur das gleiche zu immer nur den Gleichen sagen?
Jesus erzählt den Menschen eine Geschichte, so wie er es oft getan hat. Und seine Geschichten haben eines immer gemein: sie möchten ermutigen, das Leben anzuschauen, so, wie es ist. Mit all dem, was dazugehört: mit dem steinigen und vertrockneten nicht minder wie mit dem warmen, bergenden und fruchtbaren. Das alles mögen wir anschauen, und zu all dem dürfen wir uns zunächst einmal bekennen: Das ist unser Leben, das macht uns aus.
Das ist gewiss nicht immer einfach, zu sagen: So ist das Leben. Und weil das so schwer ist, dem Leben ehrlich zu begegnen, bauen wir uns Trutzburgen, in die hinein wir uns verschanzen. Sicherheit heißen diese selbstgemachten Bunker. Aber wie könnte mein Leben sicher sein, wenn das andere in Gefahr ist? Was wäre das für eine Sicherheit in den Augen Gottes? Nur, wenn wir wirklich erkennen, wie das Leben ist; wenn wir uns Zeit nehmen, das Leben aus allen Blickwinkeln der Wirklichkeit zu betrachten, wenn wir alle und alles im Blick haben, das ganze Feld der Schöpfung Gottes, nur dann vermögen wir zu erkennen, welcher Art Sicherheit es bedarf, damit die ganze Schöpfung Gottes atmen kann.
Jesus erzählt den Menschen gern Geschichten. Geschichten, zumal Lebensgeschichten, bedürfen als erstes einer urteilsfreien Wahrnehmung; wir sollen uns mit all unseren Sinnen, mit Augen und Ohren, an die Geschichten des Lebens herantasten; unsere Nase muss riechen können, was in der Geschichte erzählt wird, und unsere Hände müssen tasten können nach dem, was dort beschrieben wird.
Auch die traurigen Geschichten, auch die Geschichten, in denen Menschen an Grenzen stoßen, die Geschichten, die von den Verstrickung des Menschen in das Boshafte des Lebens erzählen, auch sie wollen wahrgenommen werden. Es sind Geschichten des Lebens. Das Wertvolle solcher Geschichten besteht darin, dass sie wahr sind und dass sie in Erinnerung rufen, dass wir Menschen Menschen sind, fehlerhaft, begrenzt, schuldverstrickt. Lebensgeschichten erinnern uns Menschen aber nicht minder an unsere Ideale, an das, was uns wertvoll erscheint und erhaltenswert; Geschichten wie diese erinnern uns daran, dass wir ein Herz haben. Die Wirklichkeit ertragen und doch mit der Kraft unserer Ideale, mit der Gabe unseres Glaubens diese Geschichten weiterzuschreiben, so dass die Sehnsucht Gottes, alle mögen eins werden, ein bisschen mehr Wahrheit wird in unseren Lebensgeschichten: Dazu haben Kinder dieses Boot gebaut, in dem wir heute Abend sitzen.
Christoph Simonsen
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Predigt am 02. Juli
Evangelium: Matthäus 10,37-42
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.
„Wichtig ist, was hinten rauskommt“?!?!
Worum geht es? Es geht um Liebe: wer liebt wen wie viel? Es geht um Leben: Man kann es gewinnen, man kann es auch verlieren? Es geht um’s Kreuz: Und zwar nicht um irgendeines, sondern das selbst zu Tragende. Und schließlich geht es um das Miteinander der Menschen: wer mit wem in Verbindung steht. Und zu allerletzt geht’s um‘s Ergebnis: Gibt es einen angemessenen Lohn für mein Leben.
Habt ihr Interesse, euch am Sonntagabend mit diesen grundsätzlichen Lebensfragen auseinanderzusetzen? Denn das dürfte schon beim ersten Hören klar geworden sein: Eine Auseinandersetzung mit diesen Worten Jesu geht ans Eingemachte. Will ich mein Leben wirklich so ungeschont auf den Prüfstand stellen? Und damit einher geht ja eine weiterführende Frage, nämlich die, ob ich innerlich bereit bin, mich zu verändern. Und das eben nicht nur beruflich, sondern existentiell.
„Wichtig ist, was hinten herauskommt“, hat der Kanzler gesagt, der in diesen Tagen nach seinem Tod wieder in aller Munde ist. Jesus spricht auch vom Lohn, vom Lebenslohn, von dem, was am Ende des Lebens rauskommt. Mal im Ernst: Mache ich mir darüber Gedanken? Denke ich über den heutigen Tag hinaus und zwar nicht pekuniär, ob die Rente reichen wird, sondern essentiell, ob mein Sein, mein So-Sein reichen wird?
Jesus konfrontiert seine Freundinnen und Freunde mit mehreren Fragen. Eine Frage: was bringe ich mit, wenn ich anderen begegne? Ausschließlich meine Themen, meine Überzeugungen; meine Zeit, meine Launen und Stimmungen? Oder bringe ich mit mir und durch mich den mit, der meinen Blick und meine Sicht weitet auf das Wesentliche, das sich im anderen zeigt? Und die Frage, die sich daraus erschließt: Welchen anderen begegne ich eigentlich? Nur meinesgleichen, nur Gleichgesinnte und Gleichgeschaltete, nur Ebenbürtige und ‚auf Augenhöhe-Befindliche‘? Oder traue ich mich zu den Kleinen, wie Jesus sie nennt, zu den anderen, zu den Unvertrauten und unten Stehenden?
‚Wichtig ist, was hinten rauskommt‘. Genügt mir am Ende meines Lebens meine Pension als Maschinenbauer, genügt mir mein gestärktes Selbstbewusstsein als moderner Intellektueller, genügt mir meine Lebensleistung als Exzellenz-Universität Geprüfter? Und überhaupt: Habe ich den Mut, auf das Ende meines Lebens zu schauen, meinen Blick zu weiten hinaus über die nächste Prüfungsphase, die nächste Beförderung, den nächsten Auslandsaufenthalt, die nächst anstehende Lebensphase? Was bedeutet mir das Ende meines Lebens: ist es Ende für mich oder Voll-Endung?
Fragen über Fragen. Antworten auf diese Fragen finde ich nicht bei Google, nicht in den Büchern, mögen sie noch so wissenschaftlich fundiert sein. Antworten auf diese Fragen finde ich nur im learning by doing. Das stellt das Leben auf wackelige Füße; dies auszuhalten, ohne ständig nach Sicherheiten Ausschau zu halten, bezeichnet vielleicht das Kreuz, von dem Jesus heute spricht. Aber wenn dann der Lohn am Ende des Lebens tiefste Dankbarkeit ist für eben dieses Leben, dann hat es sich doch gelohnt, oder?
Christoph Simonsen
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12. Sonntag im Jahreskreis A – 2017 – 25. Juni
Evangelium: Matthäus 10,26-33
Darum fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.
‚Angst machen‘ ist nicht
Ich weiß nicht, wo ihr beim Hören mit euren Gedanken hängen geblieben seid. Vielleicht habt ihr euch, wie ich mich selbst auch, gefragt, wo der innere Zusammenhang dieser Aneinanderreihung von Gedanken und Bildern ist. Da ist die Rede von „Verhüllen-enthüllen“; „verbergen-bekannt machen“; „Leib töten oder Seele und Leib ins Verderben stürzen“; von Spatzen und Haaren ist die Rede, von Furcht, von bekennen und verleugnen. Von Himmel und Hölle ist die Rede. Mir erscheint das alles sehr verworren und ich suche nach einem roten Faden. Ein Wechselbad von Gefühlen kommt auf, wenn ich diesen Text höre und lese: Hölle macht Angst, Himmel weckt Erwartungen, ein Bekenntnis verlangt von mir Klarheit und Eindeutigkeit.
Was immer die Quintessenz dieser Rede Jesu ist; diese Ansprache mutet seinen Freunden ganz schön was zu, und zwar nicht nur sprachlich und gedanklich. Vielleicht ist das ein erster Zugang zum Text, sich bewusst zu werden: Zu glauben ist eine Zumutung. Was Jesus seinen Jüngern voraussagt ist, dass Glaube kein Hobby ist, kein Freizeitvergnügen, kein „ich-lass-es-mir-gut-gehen-Garant“.
Glaube ist Wagnis: „Ja sagen“ zu etwas, was unfassbar, unbeweisbar ist und doch zugleich das ganze Leben in Anspruch zu nehmen erwartet. Glaube ist: sprachlos, stammelnd vor einem Geheimnis stehen, unerklärbar, unbegreiflich und doch so einsichtig, so naheliegend, dass man es in sich spüren kann, dieses Lebensgeheimnis. Und Glaube ist: Nicht im Dunkeln lassen, was ans Licht möchte, nicht geheim halten, was bekannt gemacht werden soll, Glaube und Leben dürfen nicht nebeneinander existieren.
Auf den Punkt gebracht: Jesus möchte, dass wir uns zu ihm bekennen. Indem ich das gerade so sage, wird mir selbst etwas mulmig. Ich bin nicht so ein Typ, der sich ein Schild um den Hals hängt „Jesus loves you. Mir persönlich ist so ein Bekenntnisglaube fremd, aufgesetzt irgendwie. Man mag mir das verzeihen, aber so ein Christentum, das sich in den Vordergrund drängt, sich anderen vielleicht sogar aufdrängt, ist mir suspekt. Suspekt, weil ich dann die Gefahr sehe, dass anderes Leben, anderer Glaube, andere Überzeugungen nicht genügend wertgeschätzt werden. Und gerade in unseren Tagen sollten wir erkennen, wie wichtig es ist, Pluralität als einzige Möglichkeit zu erkennen, in Frieden miteinander leben zu können.
Mit Texten wie den eben gehörten, wurde in der Vergangenheit Menschen der Glaube oft zwar eingemeißelt in die Köpfe, aber nicht eingesenkt in die Herzen. Zufällig hörte ich am vergangenen Dienstag eine Ansprache von Papst Franziskus, der vor einer „Flucht ins Religiöse“ warnte. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das einige heute versuchen, um der Komplexität des realen Lebens auszuweichen. Aber was wäre das für ein Glaube, der aus Angst heraus angenommen wird, auch aus Angst vor der Welt? Das kann doch nicht Jesu Intention sein, aus einer imaginären Angst heraus, den Glauben in der Welt zu verankern. Aus Angst vor Hölle sich einem Gott an den Hals werfen, nicht, weil dieser Gott groß ist und wunderbar, sondern mächtig und angsteinflößend. Aber genau das gibt der Text doch her: Dieses „entweder-oder“, entweder Gott oder Teufel, entweder Himmel oder Hölle. Jesus selbst sagt es doch: Wir Menschen können unser Leben vertun. Wer sich dem Glauben verweigert, wird stürzen und zwar in die Hölle stürzen, also in die aussichtsloseste Aussichtslosigkeit, die man nur denken kann. Wer sich bekennt, der wird im Himmel bekannt gemacht werden. Im Klartext heißt das: Friss oder stirb.
Oder ist alles doch ganz anders? Jesu Absicht ist gar nicht, seinen Freunden Angst einzujagen. Vielmehr spricht Jesus von einer eigenen Sorge, die ihn umtreibt. Die Sorge, seine Freunde würden ihren eigenen Erfahrungen nicht trauen, die sie mit ihm gemacht haben; die Sorge auch, sie könnten an ihm verzweifeln, wenn er seinen Weg eben so konsequent geht wie wir ihn ja bereits kennen, den Weg, der am Kreuz enden wird. Vielleicht ist es sogar die Sorge Jesu, alleine gelassen zu werden, weil er das Leben so gegen den Strich bürstet, gegen den Strich der Normalität und der gesellschaftlichen wie auch religiösen Strukturen.
Dem, der nicht glaubt, wird die Androhung von Höllenstrafen nichts ausmachen; für wen es Gott nicht gibt, wie sollte dem ein Teufel Angst einjagen. Dem aber, der glaubt, kann die Androhung der Hölle aber doch ebenso wenig etwas anhaben; denn aus der Lebenserfahrung Jesu heraus und aus seinen Predigten kann es schließlich nur einen liebevollen und zugewandten Gott geben, keinen letztendgültig strafenden Gott, einen Gott, der einen fallen lässt. Nein, Jesus ist kein Angsttreiber.
Hören wir noch mal die erste Aufforderung Jesu: „Fürchtet euch nicht vor den Menschen“, ruft er den Seinen zu. Nicht Gott lehrt die Menschen das fürchten, sondern die Menschen selbst sind es, die einander Angst einjagen. Wenn sie einander mit ihren Ansprüchen begegnen, wenn sie ihre Maßstäbe anlegen an ein gelingendes Leben; Menschen verteufeln einander, niemals Gott.
Ich glaube, über diesen Text könnte man noch stundenlang nachdenken und ich könnte noch stundenlang mit euch darüber reflektieren. Er wirft immer wieder neue Fragen auf. Glaube ist eben nicht nur eine Zumutung, sondern auch ein immer wieder neues Fragen. Glauben ist nie fertig. Im Letzten ist Glaube Arbeit, Arbeit und Pflege. Wie in einer Beziehung. Denn das ist Glaube vor allem: Ein Beziehungsgeflecht zwischen Gott und Mensch, oft sehr erfüllend, manchmal auch mühsam, aber nie vergeblich.
Christoph Simonsen
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11. Sonntag im Jahreskreis A – 2017 – 18. Juni 2017
- Evangelium: Matthäus 9,36-38.10,1-8
Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn später verraten hat. Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.
Kennt ihr Janosch? Janosch ist keine knifflige Frage zu kompliziert, um nicht darauf eine schlichte und verständliche Antwort zu finden. „Wie geht man neue, große Dinge an“, wurde er einmal gefragt. Und seine Antwort war ebenso verblüffend wie überraschend: „Dazu ist es erst einmal wichtig, sich richtig zu positionieren und die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Also etwa im Liegen.“
Jetzt frage ich euch: Gibt es ein größeres Ding, als sich dem Wunsch zu verschreiben, das Leben der Menschen lebenswert zu machen, Kranke zu heilen, Ausgestoßene in die Gemeinschaft zurück zu führen, Böses aus der Welt zu verbannen? Wie positionieren wir uns also richtig, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können? Der Rat Janonsch’s scheint mir da hilfreich zu sein. Sich erst einmal richtig positionieren. Genau das tun wir gerade hier. Wir positionieren uns hinein in die Gegenwart Gottes, und schauen die Welt an mit seinen Augen, mit seinen mitleidigen Augen. Und wenn wir auch nicht liegen, so wie es Janosch vorschlägt, so ruhen wir doch zumindest. Wir ruhen aus in der Gemeinschaft, im Gebet, in der Feier. Wir treten heraus aus den Belastungen des Alltags und lassen uns ansprechen mit Worten, die wir sonst nicht hören. Denn wer spricht uns sonst so an und lädt uns ein, dass wir einander vom Himmel erzählen sollen?
Das Leben lebenswert machen denen, die ihre Lebenskraft verloren haben. Und dann wird Jesus sehr konkret: Nicht in der Fremde sollen wir das Leben lebenswerter machen, nicht in der Welt der Heiden. „Geht nicht zu den Heiden“ sagt Jesus. Wir sollen uns hier umschauen, in unserer Welt. Unsere Lebenskontexte sollen wir bedenken, Leben anschauen, wo es hier gebrochen ist, ausgegrenzt, heillos. Diese Forderung Jesu hatte zunächst ganz konkrete gesellschaftliche Hintergründe, denn das Volk der Israeliten war zerstritten und die zwölf Jünger, die Jesus konkret angesprochen hat, verweisen natürlich auf die zwölf Stämme Israels, die wieder in Frieden zusammengeführt werden sollten. Menschen zusammenzuführen, die Gemeinschaft zu einen, daran war Jesus gelegen. In Anlehnung an Jesu Beispiele könnten wir auf uns übertragen vielleicht sagen: Das, was nicht perfekt ist, nicht aussondern, sondern integrieren; das, was fragwürdig ist, nicht in die Verbannung schicken, sondern einbinden; das, was verrückt ist, nicht ausmerzen, sondern verstehen lernen.
Jesu Auftrag nachzugehen, das ist eine Herausforderung, nicht selten eine Überforderung. Jesu Menschenbild erscheint vielen als eine Utopie, sein Auftrag unerfüllbar, weil weltfremd. Es mag ja durchaus mal interessant sein, eine andere Position einzunehmen, um zu sehen, welch große Aufgaben in der Welt liegen. Es mag ja durchaus neugierig stimmen, sich einmal vorzustellen, wie es wäre, wenn wir Gottes Wort wirklich leben würden. Es mag ja durchaus erbaulich sein, sich Auszeiten zu gönnen, um dem Traum einer gerechten Welt, eines friedlichen Miteinanders der Menschen Raum zu geben in der eigenen Seele.
Aber alles Ansinnen scheitert doch spätestens dann, wenn wir erkennen, dass um uns herum die Welt eine andere ist und wir dieser Welt nicht entfliehen können.
Da erinnere ich mich des zweiten Rats von Janosch und er lässt mich nicht los. „Im Liegen“ sollen wir die Welt betrachten. Von unten soll ich auf die Welt schauen, entspannt, ruhend und unbeobachtet vom Rest der Welt. Was passiert in solch einem Augenblick? Ich komme mir selbst näher. Und die Welt, diese unfertige, unfriedliche, mich oft bedrängende Welt verliert ein Stück ihres Einflusses über mich. Natürlich bin und bleibe ich ein Teil der Welt und doch rückt sie mir nicht so fordernd und bedrohlich auf den Leib. Es dreht sich nicht mehr alles um diese Welt und ich spüre eine andere Kraft, eine andere Mitte – in mir. „Mehr als du glaubst“ ist der Slogan der Khg. Ja, wenn ich liege, wenn ich mich selbst spüre, dann nehme ich wahr, dass mehr in mir ist, als ich selbst zu glauben vermochte. Dies gewährt ein Gefühl von innerer Freiheit und Gelassenheit. Nicht die Welt ist es, die über mein Leben bestimmt. Im Liegen kann eine Kraft gedeihen, mich einzubringen in diese Welt. Aus der Gabe, sich distanzieren zu können von all den Sachzwängen, die in der Welt beherrschend sind, kann die Aufgabe erwachsen zu geben. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“.
Christoph Simonsen
Dreifaltigkeitssonntag 11. Juni 2017
Lesung: Exodus 34,4b-6.8-9
Am Morgen stand Mose zeitig auf und ging auf den Sinai hinauf, wie es ihm der Herr aufgetragen hatte. Die beiden steinernen Tafeln nahm er mit. Der Herr aber stieg in der Wolke herab und stellte sich dort neben ihn hin. Er rief den Namen Jahwe aus. Der Herr ging an ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue. Sofort verneigte sich Mose bis zur Erde und warf sich zu Boden. Er sagte: Wenn ich deine Gnade gefunden habe, mein Herr, dann ziehe doch mein Herr mit uns. Es ist zwar ein störrisches Volk, doch vergib uns unsere Schuld und Sünde und lass uns dein Eigentum sein!
Der „Angebotsgott“
Was macht man so gemeinhin am 2. Pfingstfeiertag? Nachmittags war ich eingeladen an einem Symposium in der Citykirche in Mönchengladbach teilzunehmen, welches die Begegnung zwischen jungen Künstlern und der Kirche intensivieren wollte. Da lohnt sich doch vorher, einen Besuch bei der Familie einzulegen, zumal, wenn es nahezu auf dem Weg liegt. Schwägerin und Nichten waren allerdings kurz angebunden; die mussten bald los nach Roermond ins Outlet Center. Schnäppchenjagd am Feiertag. Später hörte ich dann im Radio, dass auf der A 52 hinter der Grenze ein schier unendlicher Stau war. Klar, die Idee hatten an dem Feiertag noch einige mehr. Das macht wohl vielen richtig Spaß, zu Schnäppchenpreisen einkaufen zu fahren. Shoppen und sparen, und dabei noch entspannen und mit lieben Vertrauten einen aufregenden Tag erleben. Das ist doch eine tolle Sache.
Gibt es Gott im Outlet auch günstiger, habe ich mich gefragt. Antworten darauf geben uns die heutigen Schrifttexte. Unser Gott scheint so besessen zu sein, unters Volk zu gelangen, dass sein Verhalten alles andere als göttlich daherkommt. Er verlässt das göttliche Establishment und kommt den Erdenbewohnern auf halber Strecke entgegen; wir haben in der Lesung davon gehört, wie er Moses und seinem widerspenstigen Volk entgegeneilt nahezu. Und dann verkauft er sich fast schon unter Preis, um unser aller Vertrauen zu gewinnen. Er verschenkt sich sozusagen zum Nulltarif. Damit wir nicht zugrunde gehen, gibt er das hin, was ihm am liebsten ist.
Kann jemand so verrückt sein? Während wir Menschen alles tun, um uns aufzupuschen indem wir uns qualifizieren und qualifizieren und qualifizieren, um so unseren Preis auf dem Markt zu steigern, macht Gott es genau anders herum. Er verschenkt sich so, wie er ist.
Dieser Gott ist so Menschenversessen, dass er sich in einer Weise entblößt, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann. Wenn wir Menschen heutzutage so handeln würden, wir würden in der Psychiatrie landen: Ich bin „ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue“, ruft er Moses hinterher. Das klingt fast so, als würde Gott zum Ausverkauf zur Verfügung stehen. Wer sich heutzutage barmherzig erweist oder langmütig, der steht in unserer Gesellschaft schnell hinten an. Und ausgerechnet den Menschen sagt er das, die störrisch ihre eigenen Wege gehen, die mehr auf sich achten als auf ihre Umgebung, die alles andere als selbstvergessen sondern nur selbstverliebt sind.
Unserer Welt ist Selbstverliebtheit und Starrsinn durchaus vertraut. Und wir leben in einer Zeit, in der im Namen Gottes Wahnsinnige Leben mit Füßen treten. Sie verbannen Gott wieder in die Sphären des Himmels und verpflichten ihn auf die Rolle eines unerbittlichen Rachegottes. Gott will aber nicht der andere, sondern der unsere sein. Das zu begreifen, dazu lohnt es vielleicht, auf Moses zu schauen. Einzig Moses ist wohl diese Einzigartigkeit Gottes bewusst geworden, wirft er sich doch zu Boden und betet den an, der so verrückt anders ist und das eingespielte menschliche Lebensmuster eines „Gewinnen ist alles“ auf den Kopf stellt. Anzubeten ist etwas anderes als anzuhimmeln. Anbeten ist etwas sehr irdisches, bedeutet es doch, diesem Urvertrauen Gottes dankbar gegenüberzutreten und zu erkennen, dass Gott ganz einfach zu finden ist: Nicht in anderen Sphären, nicht in anderen Welten. Und Ehrfurcht hat weniger mit Furcht als mit einem Ehrverhalten zu tun, welches von Respekt und Anerkennung geprägt ist. Gott ist es eine Ehre, bei den Menschen zu wohnen, mit ihnen am Leben teilzuhaben, am alltäglichen, unvollkommenen, keineswegs am exklusiven, in Kasten denkenden Leben.
Die Ausgangsfrage war ja, ob es Gott im Outlet auch günstiger gibt. Das war natürlich eine rhetorische Frage. Gott gibt sich überall und er gibt sich nicht günstig, sondern ganz. Aber er gibt sich in der Welt und er gibt sich allen.
Meine Schwägerin und meine Nichten kamen übrigens hoch zufrieden und froh gesinnt wieder vom Shoppen zurück, erstaunt, was es alles Tolles zu kaufen gab. So ein Staunen über diesen Gott und solch eine Dankbarkeit über seine Treue, da bin ich mir sicher, wäre noch nachhaltiger für eine freundliche Umwelt. Wer diesem Gott froh begegnet, für den ist Leben das größte Geschenk. Und das gibt es selbst im Outlet Center nicht.
Christoph Simonsen
Pfingstsonntag, 04. Juni
Lesung: Apostelgeschichte 2, 1-11
Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.
Brennen
Mal wieder eine Vorbesprechung auf eine Fachtagung hin und mal wieder die Frage aller Fragen: Wie wird Kirche attraktiv für Menschen, die sich von ihr abgewandt haben. Mal wieder das Ringen um diplomatisches Geschick, die Einladung so zu formulieren, dass sich die Betroffenen angesprochen fühlen, die also, die sich längst von Kirche verabschiedet haben. Die Sprache der Kirche ist schon lange nicht mehr ihre Sprache. Die Sprache der Kirche hat Tradition. Und nicht wenige traditionsgebundene Christinnen und Christen gehen auf die Barrikade, wenn auch nur der Anschein aufkommt, Fremde könnten das Vertraute gefährden. Die Grundstimmung ist offensichtlich: Warum sollte sich die Kirche, die doch die Wahrheit in sich trägt, der säkularen Welt anpassen? Das ist wahrlich ein gehöriges Spießrutenlaufen, alles zusammenhalten wollen und zugleich auch neue Wege versuchen zu gehen.
Diese Vorbesprechung war in diesem Fall in besonderer Weise interessant, weil Vertreterinnen und Vertreter derer, die sich in und von der Kirche ausgeschlossen fühlten mit am Konferenztisch saßen und von ihren Hoffnungen und Träumen erzählten, wie sie sich eine Kirche heute 2017 vorstellen. Keiner von uns hat auf die Uhr geschaut, wann es denn endlich konkret werden würde, wann wir Themen festlegen könnten, Referenten in den Blick nehmen könnten; die Zeit verging wie im Flug, denn wir haben uns leidenschaftlich verbissen in unseren Träumen und Phantasien.
Nicht so wirklich vertraut miteinander, kamen wir doch aus allen Himmelsrichtungen zusammen zu diesem Vorgespräch, erzählten wir einander von den Höhen und Tiefen unseres Lebens, ganz offen, frei, ungeschützt und die Einsicht brach sich plötzlich in einem Staunen Bahn: „ Mensch was haben wir Glück mit diesem Gott, der so vielfältig und unterschiedlich im Leben der verschiedensten Menschen vorkommt.“ Ja das ist wirklich war: Dieser Gott ist ein Glücksfall für die Menschheit. Und ja, das ist auch wahr: Wir können immer voneinander lernen, gleich, aus welcher Ecke der Welt wir kommen und gleich, wie unterschiedlich unsere Lebenswelten sind.
Von jeher ist das Feuer ein Bild für den Heiligen Geist gewesen. Ein Feuer erlischt dann, wenn es keine Nahrung mehr erhält, wenn kein Holz mehr nachgeschoben wird. Ein Feuer kann nicht aus sich heraus gedeihen; es braucht Material, damit es wärmen und im Dunkeln Licht sein kann. Ein Feuer braucht aber auch Offenheit, braucht Luft, damit es nicht erstickt wird. Wo alles abgeschlossen ist, da kann Feuer sich nicht entfalten.
In dem eben erwähnten Austausch war beides: Nahrung, Lebenserfahrung nämlich, die wir einander geschenkt haben und Offenheit, Raum, so dass sich jede und jeder entfalten konnte. So breitet sich Glaubensfeuer aus und so werden Menschen füreinander ansteckend.
Dann gab es aber doch einen Wermutstropfen. Da nämlich, wo wir unsere Traumwelten verlassen und uns der Wirklichkeit wieder zugewandt haben. Noch immer werden in unserer Kirche Unterschiede gemacht. Da gibt es immer noch den Unterschied zwischen Mann und Frau, den zwischen Priester und Laie und da noch einmal differenziert zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Laien. Selbstverständlich gibt es gegebene Unterschiede; es ist gut, dass nicht alle und alles über einen Kamm geschert wird. Was allerdings ein Unrecht darstellt, was unseren Glauben und unseren Gott entstellt: Dass mit den Unterschieden in unserer Kirche auch Wertungen verbunden sind. Es gibt ein Unrecht in der Kirche, das mit der Natur begründet wird aber im Tiefsten gegen die Natur Gottes ist.
Pfingsten, so heißt es, ist das Geburtsfest der Kirche. Gott legt seinen Geist in die Herzen der Menschen. Durch uns, durch jede und jeden von uns möchte er seine Gegenwart in dieser Welt bekunden. Füreinander sollen wir Lebensheiler, ja Lebensretter werden. Gleich wertvoll, gleich berechtigt. Ständedenken ist dem göttlichen Geist fremd. Hierarchien von Natur aus sowieso.
Pfingsten besagt nichts anderes, dass wir Menschen das große Sakrament Gottes sind. Ja, es gibt die sieben Sakramente, die uns Menschen an den Wendepunkten unseres Lebens wie auch im alltäglichen Leben Kraft und Nahrung sein möchten, aber das wesentliche Sakrament, das ist der Mensch selbst; er ist das Ebenbild Gottes. Jede und jeder von uns ist Widerschein seines Wesens, weil Gott sich doch in alle mit seinem Geist hineingelegt hat. Letzten Sonntag durften wir das noch erfahren, als wir Tanja das Sakrament der Firmung schenken durften. Wenn wir aber Sakrament, Abbild Gottes sind, dann sind wir es nur wirklich, wenn wir es füreinander sind. „Allen hat Gott alles gegeben“, so heißt es einmal in der Heilligen Schrift.
Es gibt verschiedene Gnadengaben, sagt Paulus. Ja, die gibt es. Aber dass sich die Verschiedenheit in einem Machtgefälle in der Kirche widerspiegelt, das ist zweifelsohne eine Tragik der Kirchengeschichte, biblisch ist es ganz gewiss nicht.
Pfingsten ist auch das Fest der Erneuerung. Nichts haben wir nötiger, wenn wir nicht erstarren wollen zu leblosen und lieblosen Gebeinen. Pina Bausch, die vor einiger Zeit verstorbene wunderbare Balletttänzerin und Choreographin hat einmal nach einem Indienaufenthalt die Frage laut gestellt: „Warum sind die Menschen in Indien so kraftvoll und schön, wirken so unverbraucht – und bei uns so erschöpft und so traurig?“ Diese Frage gebe ich gern weiter. Vielleicht schauen wir ja gleich mal zuhause in den Spiegel. Wenn unsere Augen nicht strahlen, dann kann auch unser Glaube nichts ausstrahlen. Ich denke oft, unsere Augen, aber auch unser Glaube wirkt so blass und stumpf, weil wir nichts mehr wagen, weil alles in eingefahrenen Bahnen verlaufen muss. Bloß keine Fragen zulassen, die den Trott des Lebens und des Glaubens aus dem Gleichgewicht werfen könnten.
Aus diesem Grund, nur ja nichts durcheinanderwirbeln, wurde unsere Vorbereitungsgruppe im Vorfeld gewarnt, keine aufwühlerische Überschrift über die geplante Tagung zu legen, weil wir keinem treuen Christen zumuten wollen, sich selbst, seinen Glauben in Frage zu stellen. Manchmal glaube ich, wir verteidigen unseren Glauben mehr als dass wir ihn in großer Freiheit und Vielfalt schenken. Was könnte sich alles an neuen Chancen auftun, wenn wir mehr Verunsicherung zulassen würden und weniger Bürokratenchristentum verteidigen würden.
Sinngemäß sagt Jesus einmal zu seinen Freunden: Wie froh er wäre, wenn er sie brennen sehen würde. Brennen wir?
Christoph Simonsen
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28. Mai 2017
Evangelium: Johannes 17,1-11a
Dies sagte Jesus. Und er erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten. Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast. Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht. Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir.
„Hast du heute Zeit für mich…“
Wir dürfen heute eintauchen in das große Gebet Jesu, mit dem er Abschied nimmt von dieser Welt. Er nimmt Abschied, indem er sich erinnert und noch einmal bedenkt, was ihm in seinem Leben wichtig gewesen ist, woraus er gelebt hat und was seinem Leben Sinn gegeben hat. Er sucht das, was Anfang und Ende seines Lebens miteinander verbindet. Er vergewissert sich, dass der rote Faden in seinem Leben seine unerschütterliche Verbundenheit mit seinem Vater gewesen ist. Weil er sich dieser Freundschaft gewiss war, fühlte er sich frei zu tun, was ihm wichtig war, nämlich den Menschen Leben zu schenken, genauer: ewiges Leben. Ein Leben also, dem eine unerschütterliche Zukunft geschenkt ist. Denn das ist doch ewiges Leben: Leben, das sich einer geschenkten Zukunft erfreuen darf.
Alles Zugehen Jesu auf die Menschen hatte einen Sinn: ihnen vertrauensvoll zu sagen, dass sie sich anvertrauen dürfen, Gott anvertrauen dürfen und in diesem Vertrauen leben dürfen ins Ungewisse hinein. Ohne zu wissen, wie das Morgen werden wird, vertrauen darauf, dass es ein Morgen geben wird: Das ist wohl das, was Jesus die Erfahrung ewigen Lebens nennt.
Vielleicht begebe ich mich jetzt auf dünnes Eis, theologisch betrachtet. Vielleicht grummeln gleich einige von euch, das ist doch nicht mehr die katholische Überzeugung, so wie wir sie früher im Religionsunterricht gelernt haben. Vielleicht fühlen sich einige sogar um die Zukunft betrogen, die ihnen der christliche Glaube doch verheißt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Jesus, wenn er von dem ewigen Leben spricht, nicht ein „Leben danach“ meint, ein Leben nach der Zeit, ein Leben nach dem Tod. Die Dimensionen der Welt: Zeit und Raum spielen in der Wirklichkeit Gottes keine Rolle. Zeitlichkeit und Ewigkeit sind nicht aufeinanderfolgende Wirklichkeiten: erst das eine, dann das andere. Ewigkeit ist die Wirklichkeit Gottes, die zeitlos in unsere Wirklichkeit von Zeit und Raum hineinreicht ohne von ihr begrenzt zu werden.
Jesus lebt es uns vor. Er hat eigentlich nichts anderes getan, als Zeit seines Lebens zu verschenken; er hat sie den Menschen geschenkt. Nicht der Welt, so wie wir eben gehört haben. Die Welt ist, banal gesprochen, ein Luft-Gas-Gemisch, ein Klumpen Stein, der durchs Universum rast, ein physikalisches Etwas, ohne Herz und Verstand. Verschwenderisch hat Jesus den Menschen seine Lebenszeit geschenkt. Er musste nichts für sich behalten, weil er wusste, dass nichts verloren geht von dem, was er verschenkt. Wer Zeit schenkt, lebt in der Ewigkeit. Oder anders: Wer Zeit schenkt, lebt Ewigkeit.
„Mein“ und „Dein“ lösen sich auf; und damit ist nicht vorrangig irgendein haptischer Besitz gemeint: „Mein Auto, dein Haus“, sondern noch viel essentieller: „Meine Zeit, dein Leben“. Wenn wir heute erkennen, alle Zeit der Welt zu haben füreinander; wenn wir erkennen, dass wir heute Zeit haben einander zu bereichern allein dadurch, dass wir begegnen: austauschen, lachen, weinen, tanzen, schlafen – zweckfrei, ergebnisoffen, womöglich sogar ziellos, dann greift die Ewigkeit in die Zeit und Zeit wird zur Ewigkeit.
Was das für uns wohl bedeutet heute, dass Gott das Ganze, alles, die Ewigkeit, hineingelegt hat in uns, in das Fragmentarische des zeitlich begrenzten Lebens? Jesus ist in seiner Abschiedsrede wenig konkret. Seine Worte sind grundsätzlicher Natur. In einem ist er allerdings unmissverständlich. Er-leb-bar ist Ewigkeit nur im Kontext des Ganzen, in der Verbundenheit aller. Welt ist fragmentarisch, brüchig, endlich, das erweist sich immer wieder in der Erfahrung der Vergänglichkeit, auch der Vergeblichkeit. Das Leben aber, das Gott in die Welt gehaucht hat, dem Menschen, allem Lebendigen, was atmen kann: Das Leben trägt Ewigkeit in sich. In dieser Weisheit Jesu zeigt sich die Verpflichtung, die er uns hinterlassen möchte in seinem Testament. Wo Leben nicht mehr verbunden ist, wo Zeit nicht mehr geschenkt wird, da ist der Tod nicht erst am Ende der irdischen Existenz, da ist der Tod mitten im Leben.
An uns ist es also, immer wieder zu ergründen, ob wir noch verbunden sind, ob wir einander das schenken, was nichts kostet und doch unendlich kostbar ist: Zeit. Ein ganz harmloser und einfacher Anfang wäre es, aufeinander zuzugehen und zu sagen: „Ich habe Zeit- für dich“. Aber so einfach ist das womöglich gar nicht, denn wer hat heutzutage schon Zeit?
Christoph Simonsen
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Evangelium zum 6. Sonntag der Osterzeit 2017- 21. Mai 2017: Johannes 14, 15-21
Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
Wahrheit: Was ist das?
„Liebe macht blind“, so mahnt uns ein bekanntes Sprichwort. Dem stellt Jesus heute eine andere Sichtweise der Liebe gegenüber. Er sagt: „Liebe lebt aus der Wahrheit“.
Jesus sagt im heutigen Evangelium: „Damit ihr in der Liebe bleiben könnt, sende ich euch den Geist der Wahrheit“. Klar, wer von uns würde nicht unterschreiben, dass Menschen, die sich zu lieben vorgeben, der Wahrheit verpflichtet seien. Wahrhaftigkeit klärt ein Zueinander, sie legt aber auch Unterschiede und Differenzen offen, mit denen es zu leben gilt. Bei allem Bemühen um der Wahrheit willen gilt es, den anderen und sich selbst ernst zu nehmen. Wer sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, der ist sich bewusst, Wahrheit nie zu haben, sondern immer um sie ringen zu müssen, sie zu suchen. Ein Leben in Wahrheit ist ein Prozess, kein statisches, starres Unterfangen. Wer in Wahrheit begegnen möchte, der macht sich auf den Weg und bleibt nicht stehen. Und noch etwas lehrt uns Jesus in diesem Evangelium: Wahrheit ist ein Geschenk, welches außerhalb unseres eigenen Vermögens liegt. Wahrheit ist kein Besitz, den ich horten kann. Die Wahrheit ist nie allein in mir, auch nie allein im anderen, und deshalb müssen wir gemeinsam auf die Suche nach der Wahrheit gehen, die der Welt geschenkt ist. Das ist eine notwendige Feststellung, dass die Wahrheit der Welt als Ganzes geschenkt ist, nicht mir allein oder meiner Geschichte oder meinem Volk oder meiner Religion. Gott hat den Geist der Wahrheit in diese Welt hineingehaucht und alle haben Anteil an dieser Wahrheit, wenn sie bestrebt sind, dem Geist Gottes zu folgen.
An dieser Stelle möchte ich einmal sehr konkret werden und hinschauen auf Ereignisse der letzten und auch der nächst folgenden Tage. Auf unserer Facebook Seite haben wir, wie schon sehr oft in der Vergangenheit hingewiesen auf besondere Gedenk- und Erinnerungstage. So auch am vergangenen Dienstag, als Guido einen Beitrag des ZDF gepostet hat, welcher an den internationalen Tag gegen Homophobie erinnern wollte. Natürlich gab es daraufhin wohlmeinende likes, aber, was eben sehr ungewöhnlich ist, auch äußerst kritische – und ich meine – auch diffamierende Rückmeldungen. Verschwendung von Steuergeldern sei es, wenn öffentlich rechtliche Rundfunkanstalten berichten würden über Lebenswirklichkeiten, die unsere Gesellschaft doch zersetzen würden. Der schwindende Kindernachwuchs würde doch darauf beruhen, dass unnatürlichen Lebensformen der Hof gemacht würde. Von der wenigen Sachlichkeit der Argumentation einmal abgesehen habe ich mich gefragt, wie ein Suchen nach der Wahrheit, die aus Gott kommen möchte, möglich werden soll, wenn der Naturbegriff als etwas Absolutes deklariert wird und der Mensch, der doch Ebenbild Gottes ist, als eine rein biologisch determinierte Substanz hingestellt wird, ohne Kultur und Geschichte, ohne Empfindsamkeit, ohne Entscheidungsfreiheit. Da bin ich dankbar für eine Gruppe von Stipendiatinnen und Stipendiaten der Cusaner, die sich vor 14 Tagen bei uns in der Khg getroffen haben, um nachzudenken und sich klüger zu machen durch eine Reihe vielfältiger wissenschaftlicher und persönlicher Vorträge, um der Frage näher zu kommen, wer denn der Mensch sei und wie vielfältig Menschsein aus der Ebenbildlichkeit Gottes herraus sein kann. Thema war die Genderfrage, die ja auch im kirchlichen Kontext sehr streitbar diskutiert wird. Hier wurde deutlich, wie wichtig, sinnvoll und nachhaltig ist, eben im Gespräch zu bleiben, auch und gerade dann, wenn es schwierig wird.
Ich glaube, die Kraft zu solch einer Gesprächsoffenheit findet sich in dieser tief verwurzelten christlichen Erfahrung: Wer sich der Wahrheit zu nähern bereit ist, durch Austausch und Gespräch, der erkennt den menschgewordenen Gott Jesus Christus. Daran glauben wir doch alle, und das schenkt die Kraft wider manche Rückschritte, nicht aufzugeben, gerade in der Gemeinschaft der: nach der Wahrheit zu suchen. In dieser Wahrheit begegnen wir einem menschlichen Gott. Ein „Basta und Schluss“ ist in der göttlichen Wahrheit nicht vorgesehen. Die göttliche Wahrheit ist immer eine liebevolle, weil der Geist, der sich in der Wahrheit offenbart, ein verbindender und verbindlicher Geist ist. Der göttliche Geist der Wahrheit ist ein von Achtung und Ehrfurcht geprägter Geist. Auszugrenzen, zu verletzen, zu demütigen, zu reglementieren ist ihm fremd.
„Wer liebt, der hält meine Gebote“, sagt Jesus. Aber welche Gebote meint er denn? Gibt es einen Ge- und Verbotskatalog Jesu? Nein, er hat uns nichts geschenkt außer sein Leben selbst. Und sein Leben ist geprägt von wahrhaftigen Begegnungen. Nähe und Distanz, die Jesus den Menschen entgegengebracht hat, waren echt und ehrlich. Zärtlichkeit und Auseinandersetzung hat er nicht gescheut. Er hat sich weder den Gesetztestreuen angebiedert noch den Kleinen Gefühle vorgegaukelt. Er ist dem Pilatus in gleicher Weise wahrhaftig gegenüber getreten wie der Maria Magdalena, immer sein Gegenüber achtend, nie bloßstellend.
„Liebe lebt aus der Wahrheit“. Zwang ist der Liebe ebenso zuwider wie jede Art der Heuchelei.
Leider wissen wir natürlich auch, wie oft die verfassten Kirchen einseitig und ausgrenzend Worte wie „Liebe, Achtung, Ehrfurcht“ in den Mund nehmen und eine engführende Wahrheit in theologischen Verlautbarungen einzementieren und dabei mehr von der Angst als von der Freiheit der Kinder Gottes geleitet sind. Dies ist dann der Nährboden für solch traurige wie diffamierende Aussagen, die ich eingangs beschrieben habe.
Dann braucht es Menschen, die die Kirchen daran erinnern, um den Geist der Wahrheit zu bitten anstatt vorzutäuschen, sie hätten ihn schon.
Am kommenden Dienstag bin ich nach Hamburg in die erzbischöfliche Akademie eingeladen. Dort wollen wir mit einigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern, aber auch mit Fachleuten zusammen diskutieren, wie gute Wege in den Kirchen geebnet werden können, in der Suche nach der Wahrheit verstärkt die Menschen mitzunehmen, die immer noch in den Kirchen ausgegrenzt und verleugnet werden.
Die Suche nach Wahrheit und das Bekenntnis, ihr wirklich näher kommen zu wollen, beginnen immer mit dem Bemühen, gemeinsam zu suchen. Diesen Aspekt christlicher Liebe müssen wir glaub ich noch sehr viel mehr verinnerlichen bei allen unseren notwendigen Entscheidungen, die für die Zukunft unserer Kirchen zu treffen sind. Liebende Wahrheit und wahrhaftige Liebe zeichnet sich darin aus, dass Menschen einander begegnen, wie sie wirklich sind und nicht, wie sie sich einander vorstellen und wie sie meinen, sein zu sollen. Dann macht Liebe nicht blind, sondern frei. Dann ist Liebe kein Romantikspektakel sondern wirkliches Leben.
Christoph Simonsen