Januar -Ostern 2015
Ostern 2015
Wir feiern das Leben in der Einsicht, dass uns der Tod nicht erspart bleibt. Wir sind ausgelassen und zuversichtlich trotz der ungeschönten Wahrheit, dass allem Leben ein Tod folgen muss. Wir freuen uns, als begrenzte Geschöpfe einer heilen Zukunft entgegen gehen zu können. Wir sind hoffnungsfroh in einer Welt, in der es jemals eine Zeit gab, in der Menschen nicht einander bekriegt haben. Wir feiern heute, am 5. April 2015, Ostern, während in Lausanne in der Schweiz, vernünftig denkende Menschen es nicht schaffe, einer größeren Gefahr eines Atomkrieges den Garaus zu machen, während der Bundestag ein löchriges Gesetz gegen das Fracking diskutiert und die Ressourcen unserer Erde weiter aussaugt ohne wenn und aber. Wir feiern heute Ostern, während 11 Millionen Syrer ihrer Heimat beraubt sind, wir feiern Ostern, während in der Stadt Aachen jetzt schon wieder Stimmen zu hören sind von Verantwortlichen ebenso wie von Bürgern, dass es doch jetzt reichen würde mit der Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge. Wir feiern Ostern, zünden ein Licht an, erinnern uns unserer Kindschaft Gottes mit dem gesegneten Wasser, sammeln uns um eine Mitte, die sich auszeichnet durch einen einfachen Tisch, auf dem gleich wieder Brot und Wein liegen. Wir singen, wir schauen einander an und wünschen Frieden. Wir feiern gelassen, vielleicht sogar ausgelassen Ostern, während an dem Ort, wo das zu feiernde geschehen sein soll, an dem Ort nämlich, wo heute in Jerusalem die Grabeskirche steht, Menschen des gleichen Glaubens in zähem Kampf liegen um die Frage, wer an diesem Ort die ursprünglichsten Recht hat. Und das scheint die größte Provokation zu sein, wir feiern Ostern, stellvertretend auch für viele, denen verwehrt wird, dieses Fest des Glaubens zu begehen und ihres Lebens nicht sicher sein können, sollten sie es auch nur versuchen.
Wir feiern, weil wir glauben! Wir glauben, dass diese Welt mit diesen Menschen eine Zukunft hat. Wir glauben, dass unsere Welt erlöst ist, wirklich erlöst ist. Wir glauben, dass nichts geschehen kann, was uns von der Liebe Gottes trennen könnte. Wir glauben, dass dieser verrückte Gott zu seinem Wort steht, sich verantwortlich zu zeigen für das, was er selbst ins Leben gerufen hat.
Wir feiern und wir glauben. Und der Anlass unseres Feierns und der Grund unseres Glaubens ist so verrückt wie die Tatsache, dass wir eben dies tun – feiern – in einer Welt eben, in der alles dem Tod entgegengeht und in der viel zu wenig so ist, wie es sein könnte, vielleicht sogar sein sollte: Einer, ganz mit dieser Welt verwoben; einer, bis in die dunkelsten Nischen dieser Welt eingedrungen; einer, allen Widersprüchen dieser Welt begegnet; einer, den Tod in seiner erbärmlichsten Weise erfahren; einer sagt: „Habt keine Angst, ich habe den Tod überwunden“.
Und so erlaube ich mir, das diesjährige Fastenhungertuch vielleicht ganz anders anzuschauen, als der chinesische Künstler es sich gedacht hat und ich möchte seiner Deutung eine subjektive eigene hinzufügen: Keiner vermag das Kreuz schön zu reden, keiner vermag dem Marterwerkzeug einen heilmachenden Sinn abzuringen, keiner kann das Dunkel in dieser Welt beheben, keiner kann den Tod retuschieren. All das sehe lese ich aus dem Dunklen, das als Grundfarbe dieses Bild prägt. Aber einer kann über all das die Hoffnung legen, das Gold der Zuversicht malen, das leuchtende Licht eines blühenden Lebens legen. Diesen Einen feiern wir und mit ihm und aus seiner Kraft können wir auch dem Infamsten in dieser Welt die Stirn bieten. Denn im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben.
Christoph -Simonsen
Karfreitag 2015
Sein Leben war wunderbar, sein Tod auch:
In einem Garten begann das Unheil, in einen Garten nun tragen die Freunde den Leichnam Jesu. Es ist Ruhe, nicht eine Ruhe wie vor einem Sturm, vielmehr eine Ruhe, die einfach da ist, ohne dass sie jemand verstehen könnte.
Herr, lass ihn ruhen in Frieden. Der Kampf der Liebe gegen das Böse, der Kampf der Treue gegen die Beliebigkeit, der Kampf der Vergebung gegen den Hass ist ausgekämpft. Es ist Ruhe.
Um mich herum hier in unserer Mitte ist Ruhe Und in diese Ruhe hinein ergießt sich die Hoffnung, dass er, der so viel gelitten hat, nun endlich seinen Frieden finden durfte. Ich wünsche ihm diesen Frieden. Und wenn er im Frieden ist, dann darf ich es auch sein und wir gemeinsam. Wir dürfen Frieden zulassen in uns, weil er ruhen kann, weil sein Leiden zu Ende ist.
Die Schlächter der Welt haben sich zurückgezogen, wenn auch nur für eine Weile.
In diesem Augenblick spüre ich keine Wut mehr, keinen Groll. Ich erinnere mich der mit Blut verschmierten Lanze, des Würfelspiels der Soldaten, der geballten Fäuste der Menschen; aber all dies hat in diesem Augenblick jegliche Kraft und jeglichen Einfluss verloren. Dieser Mensch Jesus Christus ist im Frieden und durch ihn ist die Welt im Frieden. Dieser Tod ist ein Wunder. Sein Leben war wunderbar, sein Tod auch.
Da, wo er liegt, beginnt nun das Leben zu blühen. Er liegt im Garten des blühenden Lebens. Das Leiden ist zu Ende, aber nicht das Lieben. Die Menschen dürfen die Knospen eines neuen Lebens erahnen. Es geht etwas auf!
Nun dürfen wir gleich das Kreuz verehren. Wir verehren darin nicht das Leid, denn es gibt kein verehrungswürdiges Leid. Wir verehren in diesem Kreuz Jesu durch nichts zu erschütternde Liebe zu dieser Welt, zu den Menschen, zu uns. Wir verehren nicht sein Blut, sondern sein Herz. Und wir legen dieses, so wie Johannes es beschreibt, in einen Garten.
Nehmt nun bei der stillen persönlichen Verehrung eine Blüte aus diesem Garten mit als Zeichen dafür, dass wir das an unser Herz drücken dürfen, was aus seinem Tod erwächst: Neues, blühendes, farbiges Leben.
Christoph Simonsen
Gründonnerstag 2015
Eingeladen, denn einkaufen kann man sich nicht in die Liebe Gottes
Jesus sitzt mit seinen Freunden zusammen. Sie halten Mahl miteinander, essen und trinken, erzählen dabei. Sie schauen vielleicht auf die gemeinsame Zeit der Freundschaft zurück, bestärken einander mit der Erfahrung, gestützt und getragen zu haben, Stärkung erfahren zu haben durch ihren Bruder Jesus. Vielleicht schauen sie auch nach vorne, fragen, wie es weitergehen wird. Denn alle spüren wohl, dass dieses gemeinsame Mahl ein Besonderes ist. Die zurückliegenden Tage mit ihrem Freund Jesus waren zu außergewöhnlich, zu angespannt, als dass heute alles seinen normalen Weg weitergehen könnte. Irgendetwas lag in der Luft, auch wenn keiner es zu packen vermochte. Irgendetwas Ungewisses, Tragisches sicher auch.
Andererseits: so prickelnd die Situation ist, eines ist wie immer, denn Jesus ist mit seinen Gedanken und Erzählungen ganz bei seinen Freunden. Er ist ganz da, in diesem Moment, während die Jünger im Stillen nach vorn und zurück schauen. Jesus ist ganz präsent an diesem Abend. Ganz einfache Dinge will er ihnen wohl verdeutlichen: Ich bin und ich bleibe euch verbunden. Ich bin und ich bleibe euer Freund. Wenn ihr beieinander seid und gemeinsam Mahl haltet, dann seid gewiss, dass ich mitten unter euch bin.
Kann es sein, dass wir im Laufe der Geschichte, den Sinn dieser Freundschaftsbekundung Jesu seinen Freunden gegenüber schlicht verdreht, verkehrt haben? Ungefähr 300 Jahre nach dem Ostergeschehen, der christliche Glaube war durch Kaiser Konstantin zur Staatsreligion erklärt worden, da wurde dieses Geschenk der Freundschaft Jesu zu den Menschen in den Zeichen des Mahles verknüpft mit vertrauten heidnischen Riten. Die Menschen wandelten das Liebesmahl Jesu, dieses ungekünstelte einfache Mahl in ein feierliches Schauspiel um. Dass unser Gottesdienst ja auch Liturgie genannt wird, denn Liturgie ist das griechische Wort für „Schauspiel“. Und mit diesem heiligen Spiel sollte Gott dann gnädig gestimmt werden angesichts der schuldbeladenen Welt. Dieses einfache Mahl wurde ritualisiert und sein Charakter wurde uminterpretiert in ein Sühneopfer der Menschen. Plötzlich wurden Bedingungen geschaffen zur Voraussetzung der Teilnahme an diesem Mahl. Wer in offener Sünde stand, konnte ausgeschlossen werden.
Man hatte wohl vergessen, dass Jesus in seiner Mahlfeier nicht einmal Judas ausgeschlossen hatte (dass Judas von sich aus aufgestanden und gegangen ist, war einzig seine Entscheidung. So hat er sich der Mahlgemeinschaft entzogen, keinesfalls wurde er von Jesus ausgeladen). Aus dem Liebesmahl Jesu ist ein Mahl der Gerechten, oder sollte ich besser sagen: der Selbstgerechten geworden. Und von da an galten Rang und Ritus mehr als der Wunsch nach Freundschaft und Verbundenheit. Die Eucharistie war von da an nicht mehr ein Geschenk des Gottessohnes an seine Freunde; sie wurde Schritt für Schritt zu einer Belohnung für die, die sich als gerecht und gläubig deklariert haben. Dabei weiß Gott doch, wem er sich schenkt, er weiß doch, in wessen Hände er sich hineinlegt. Menschen nämlich, unvollkommenen Geschöpfen, selbst Petrus gibt er sich in die Hände, der ihn einige Stunden später verleugnet. Das ist doch gerade das Wunderbare, dass Gott sich uns Menschen schenkt, so wie wir sind und nicht wie wir gern wären.
Ein wirkliches Geschenk bedarf nur einer Bedingung, dass es von Herzen kommt und dass es mit offenem Herzen empfangen wird. Für die Freunde Jesu wurde dieses Mahl zu einem wunderbaren Hoffnungszeichen, das zu verstehen gar nicht notwendig war; es zu fühlen war viel dringlicher.
Und darum nehmen wir doch immer wieder teil an dieser Feier der Eucharistie, Hoffnung zu schöpfen in einer Welt, die oft dunkel und trostlos ist. Hoffen auf die Realpräsenz Gottes, auf seine tatsächliche Anwesenheit in dieser Welt, in uns, in unserer Gemeinschaft. Hoffen und feiern in dieser Verbundenheit ermöglicht doch erst ein Leben, das sich von der Dunkelheit nicht überrollen lässt. Diese Hoffnung wünsche ich uns. Freundschaft kann man nicht verstehen, sie ist einfach als Geschenk da. Vor allem kann man sich Freundschaft auch nicht durch Leistung verdienen, denn sie ist erst dann wirkliche Freundschaft, wenn sie unverdient gewährt wird. So gibt es auch nie ein Recht oder eine Berechtigung, teilhaben zu dürfen oder zu können an diesem Mahl. Es gibt einzig die Einladung Jesu: „Kommt und seht und seine Ermutigung: „Ich bin bei euch alle Tage“. Das genügt.
Christoph Simonsen
Palmsonntag 2015
Lesung: Phil 2,6-11
Die Lesung aus dem Philipperbrief lässt mich immer wieder neu die Frage stellen, ob ich das Wesen Gottes eigentlich jemals verstehen kann. Bis heute bin ich in diese Frage vertieft und ich erinnere mich, dass ich eben diese Zeilen aus dem Philipperbrief damals als Gedankenanregung auf mein Primizbild geschrieben habe in Erinnerung an meine Priesterweihe. Keine Zeit ist wohl mehr geeignet, nach dem Geheimnis Gottes zu fragen als eben diese Heilige Woche, in die wir nun gemeinsam hineingehen. Ich würde sogar mutig die Behauptung aufstellen, dass die Gottesfrage eine ist, die unweigerlich das ganze Leben bestimmt. Wer in sich die Frage nach Gott bewahrt, dem ist ein spannendes Leben sicher. Jetzt könnte der eine oder die andere einwenden, dass Gott doch keine Frage ist, sondern Antwort. Schließlich hat er sich doch im Menschen Jesus Christus offenbart, er hat in unserem Lebensbruder Jesus sein Gesicht gezeigt und sich der ungeschönten Wahrheit dieser Welt gestellt. Er hat sich doch in seinem tiefsten Wesen geoffenbart, so dass er für uns Menschen kein Fremder mehr ist. Gott hat sich dem Leben gestellt, er hat sich in unser Leben hinein verwoben. So hat Gott selbst sich doch unwiderruflich zur Antwort gemacht auf alle Fragen, die das Leben stellen könnte. Gott ist die Antwort auf alle Fragen des Lebens. Wie kann er mir Frage sein, wo er doch alles gegeben hat, was man nur geben kann, im Letzten sich selbst sogar. Aber genau das ist die Frage, die mich umtreibt, so lange ich das Wort „Gott“ überhaupt denken kann. Gott, der der Anbetung würdig ist, Gott, der über allem ist, Gott, für den Menschen gestorben sind, dieser Gott erniedrigt sich und wird gehorsam bis zum Tod. Wie kann der, der Leben schafft, dem Tod ausgeliefert sein? Das christliche Gottesbild muss jedem, der in Gott den Herrscher des Universums sieht, ein Gräuel sein. Christinnen und Christen heute in vielen Teilen unserer Erde sind ihres Lebens nicht sicher, weil sie der Welt einen Gott präsentieren, der eigentlich einer Gottheit nicht würdig ist. Christinnen und Christen werden über die Jahrhunderte bis heute verfolgt, weil sie einen Gott am Lattenkreuz verehren, der als Verbrecher sein verdientes Ende gefunden hat. Und heute grausamer denn je. Der Dialog der Religionen scheitert oft daran, dass zutiefst gläubige Menschen anderer Religionsgemeinschaften uns Christinnen und Christen vorwerfen, wir hätten Gott vermenschlicht, ihn seiner Erhabenheit beraubt. Wir seien unwürdig, uns Kinder Gottes zu nennen, weil wir Gott heruntergezogen hätten in die Niederungen unserer Welt. Vor allem der Dialog zwischen Christen und Muslimen erhitzt sich an dieser Frage.
Ich ziehe eben nicht die Schuhe aus, wenn ich ein christliches Gotteshaus betrete. Ich stelle mich aufrecht vor Gott und versinke nicht in tiefster demütiger Verbeugung, wenn ich das Gespräch mit Gott suche. Ich nehme Gott in die Hand, verzehre ihn im wahrsten Sinn des Wortes anstatt mich von ihm verzehren zu lassen. Als Christin und Christ muss ich jeder und jedem Andersgläubigen als Ungläubige und Ungläubiger erscheinen angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der ich Gott in diese Welt, in das eigene konkrete Leben einbeziehe. Wir sind uns – so denke ich zuweilen – zu selten bewusst, welch provokantes Gottesbild wir in die Welt hineintragen.
Deshalb ist es gut, dass mir dieser Gott eine Frage bleibt. Ich bin es allen schuldig, die Gott auf andere Weise suchen, zu erläutern, warum ich einem solch verrücktem Gott alle Ehre gebe, warum ich einem solchen Mensch gewordenen Gott mein Leben anvertraue. Ich bin es aber auch mir selbst schuldig, mich dieser Frage ehrlich und ungeschönt zu stellen, denn nur dann darf ich mich wirklich überzeugt und überzeugend Christin oder Christ nennen. Und ich bin es Gott schuldig, mich ihm zu stellen, schließlich hat er sich mir ganz geoffenbart; wie sollte er mir Freund sein können, wenn ich nicht ehrlich zu ihm bin.
In dieser Heiligen Woche werden wir diesem Gott in aller Konkretheit begegnen. Sein Leben, seine Liebe, seine Grenzenlosigkeit wird mir immer eine Frage sein. Aber nur mit dieser Frage in meinem Leben werde ich meinem Leben einen Sinn abringen können.
Christoph Simonsen
- Sonntag der Fastenzeit B – 2015
Lesung: Jeremia 31,31-34
Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn -, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war Spruch des Herrn. Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen – Spruch des Herrn. Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr.
Die Sache Jesu braucht Befreite…
Den Blick auf die heutigen Texte möchte ich gern mit Euch in Erinnerung an einen meiner theologischen Lehrer richten, der am vergangenen Montag im Alter von 85 Jahren gestorben ist. Prof. Johannes Gründel war Moraltheologe an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, gerade zu der Zeit, in der ich meine Freisemester dort verbracht hatte (1977/78). Ich habe in den letzten Tagen noch einmal seine Vorlesungsskripte heraus gekramt und bin hängen geblieben an einer Vorlesungsstunde, in der er uns Studierenden die im Mittelalter entstandene Tugend der Epikie nahe brachte Gründel beschreibt die Epikie als“eine Grundhaltung, die bereit ist, um der Sachforderung willen gegen ein noch bestehendes aber sinnlos gewordenes Gesetz zu handeln, um auf diese Weise den Willen Gottes recht zu erfüllen“.
Ich bin bei dem Wort „Sachforderung“ stutzig geworden. Was ist eine Sachforderung? Ich krieg keinen Bezug zu diesem Begriff. Kann eine Sache etwas fordern?. Ich grübel über dieses Wort „Sachforderung“ nach, assoziiere andere Worte und hoffe, dass ich den Sinn des Gedankens von Johannes Gründel nicht verunstalte. Ich würde anstatt „Sachforderung“ einfach „Sachnotwendigkeit“ sagen. Dann wäre die Epikie eine Tugend, die um einer Sache willen, die Not-wendig ist, die also Not wenden möchte, ein bestehendes, aber sinnlos gewordenes Gesetz vernachlässigt, um auf diese Weise den Willen Gottes recht zu erfüllen.
Kein Gesetz darf für Zeit und Ewigkeit in Stein gemeißelt sein. Alles Bestehende, alles Verfügte, ja selbst alles bis dato Unverfügbare muss sich messen lassen an der Frage, ob es dem Willen Gottes entspricht.
„Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz.“ Dieses Wort, das Gott den Propheten Jeremia sagen lässt, das bewegt mich, das macht mir Mut, das macht mich aber auch unruhig. In jeden Menschen, in euch wie in mich, ist Gottes Wort hinein versenkt, es ist auf unser Herz geschrieben. Und dieses Wort Gottes in uns soll uns anleiten, Entscheidungen zu treffen, Begegnungen zu gestalten, die eigene Zukunft in den Blick zu nehmen. So viel Vertrauen hegt Gott gegenüber uns Menschen, dass er sich gewiss ist, wir würden angemessen mit seinem Wort umgehen. Zugleich legt er aber so auch ein +übermäßiges Maß an Verantwortung auf uns, wir würden sein Wort nicht missbrauchen.
„Keiner wird mehr den anderen belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, klein und groß werden mich erkennen.“ Dieses prophetische Wort war wohl selten so notwendig wie heute, wo Menschen andere zu belehren versuchen und dabei die teuflischsten und brutalsten Mittel nicht scheuen. Sie alle, die Fundamentalisten und die bis zur Haarspitze bewaffneten sogenannten Gotteskrieger kapieren einfach nicht, dass Gott immer schon im Menschen gegenwärtig ist und nicht mit geistiger, geschweige denn mit körperlicher Gewalt erst vermittelt werden muss. Gott ist es zuwider gelehrt zu werden, und er will schon gar nicht belehrt werden, er will einfach nur gelebt werden.
Johannes Gründel spricht davon, dass der christliche Glaube ein mündiger Glaube ist. Und Aufgabe der Kirche ist es, den Menschen zur Mündigkeit zu befähigen, sie ihm zuzutrauen. Denn wer den Menschen entmündigt, der entmündigt Gott. „Gerade in einer Gesellschaft, in der der Mensch in vielschichtiger Weise fragwürdigen Manipulationen ausgeliefert ist und den Bedürfnissen einer Industriegesellschaft gefügig gemacht werden soll, bedarf es dieser Erziehung zur Mündigkeit,“ so dozierte Johannes Gründel schon damals.
„Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr.“ Gott weiß um die Gefahren menschlicher Selbstüberschätzung; er weiß um die Selbstherrlichkeit der Menschen. Aber würde er den Menschen ihre Fähigkeit zur freien Entscheidung entziehen, dann würde Gott sich selbst untreu werden und er könnte selbst nicht mehr glauben an das, was er geschaffen hat. Er wäre nicht mehr Gott, er hätte sich selbst aufgegeben.
Den Willen Gottes zu erfüllen, dazu sind wir aufgerufen. Diesem Wunsch, diesem Traum Gottes können wir nur gerecht werden, wenn wir ihn in uns entdecken und leben. Gesetzen, Geboten, Regeln vermag nicht zu gelingen, was einem liebenden Herzen gelingen kann.
Christoph Simonsen
4.Fastensonntag 2015
Evangelium: Johannes 3,14-21
Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat. Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.
Verstehen-Erkennen-Leben
Man soll ja bekannter weise das vom Evangelium leben, was man verstanden hat. So hat auf jeden Fall einmal Frère Roger zusammengefasst, wie er Glaube und Leben miteinander verknüpfen möchte in seinem Leben. „Lebe das vom Evangelium, was du verstanden hast“, sagte er. Und seine Gedanke geht dann weiter: „…und sei es auch noch so wenig“.
Diese Einladung ist mir heute eine große Hilfe und sie schenkt mir Gelassenheit und Erleichterung. Denn dieses Abschlussgespräch aus der sogenannten Nikodemusgeschichte, das wir heute hören, das klingt schon sehr abgehoben; theologisches Fachchinesisch, wohl bestimmt für ein paar vorgebildet Auserwählte. Dabei will ich ja gar nicht sagen, dass ich sie nicht verstehe (das wäre für mich als Theologe ja auch ein Armutszeugnis). Aber etwas mit dem Kopf verstehen, ist das eine; zu erkennen, was das aber mit dem Leben so wirklich zu tun hat, das andere.
Was habe ich verstanden?
Als Erstes, dass Gott diese Welt liebt; und zwar so sehr, dass er das Liebste, was ihm zu eigen ist, dieser Welt schenkt: Seinen Sohn.
Das Zweite: Dass Gott dieser Welt eine Zukunft schenken möchte, die licht ist und in der alles offen und zugänglich ist für alle.
Und das Dritte: Dass sich Menschen auf diese gute Absicht Gottes verschieden verhalten. Die einen stellen sich in dieses Licht und zeigen sich Gott und der Welt offenherzig und die anderen ziehen die Dunkelheit vor und verbergen sich lieber vor den anderen. Das hab ich noch mit meinen Gehirnzellen aufnehmen können, ohne dass sie durchgeschmort sind. Und das, zusammengefasst, ist ja eigentlich auch das Grundbekenntnis unseres christlichen Glaubens: Gott liebt diese Welt und wir Menschen können und müssen uns in Freiheit für oder gegen dieses Liebesangebot entscheiden. Das ist immer so im Leben, dass wir uns irgendwie verhalten müssen zu dem, was uns widerfährt. So müssen wir auch unsere Beziehung zu Gott klären und Stellung beziehen. Gott hat sich zu dieser Welt – und damit auch zu uns – sehr eindeutig positioniert. Er ersehnt ein heilvolles, ewiges Leben für alles, was lebt. „Ich will, dass sie das Leben haben, und es in Fülle haben“. Klarer kann man sich eigentlich nicht positionieren. Und Gott hat sich positioniert.
Und dann spricht Jesus noch von der Wahrheit, und dass man sie tun soll. Wer die Wahrheit tut, der kommt zum Licht. Und das Licht ist der Gottessohn. Wenn ich die Wahrheit tue, dann bin ich also in Gott. Jetzt müsste ich nur noch wissen, was die Wahrheit ist, und dann hab ich Gott sozusagen sicher in meinem Leben. Und an dieser Stelle kommt dann wohl endgültig der reine, nackte Verstand an seine Grenzen. Denn die absolute Wahrheit kann auch tödlich sein; sie kann Menschen die Luft zum Atmen geben. Wahrheit, die sich nicht verbindet mit Güte und Barmherzigkeit, mutiert schneller als man denken kann zur Grausamkeit. Nicht umsonst sagt ja ein Sprichwort, dass die Wahrheit oft grausam ist. Und eine grausame Wahrheit kann nicht Gottes Wahrheit sein, denn seine Wahrheit will immer ins Leben und ins Licht führen.
„Lebe das vom Evangelium, was du verstanden hast, und sei es auch noch so wenig“. Bezogen auf das heutige Evangelium, bedeutet dies wohl, dass ich eine barmherzige Wahrheit suchen und diese dann leben soll. Diese zu leben wäre nicht wenig, das wäre eigentlich schon alles.
Christoph Simonsen
3.Fastensonntag 2015
Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um. Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich. Da stellten ihn die Juden zur Rede: Welches Zeichen lässt du uns sehen als Beweis, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist.….. das müssen wir uns fragen…
Es ist gerade mal 5 Wochen her, da stand ich hier in der Citykirche, ein Sektglas in der Hand, und lauschte der Rede unseres neuen Generalvikars. Um mich herum die gesamte Bistumsleitung, ganz vorn unterhielt sich unser Bischof fröhlich in festlicher Soutane gekleidet mit anderen Gästen.“Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle“.Evangelische und katholische Kirchen sind zu Wohnstätten von Menschen auf der Flucht geworden und die Politik erinnert an die Tatsache, dass es in Deutschland keine rechtsfreien Räume geben dürfe.“Er macht eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel heraus“.Die Pfarrgemeinde St. Peter in Mönchengladbach hat ihr Gotteshaus dem Alpenverein vermacht; seitdem erfreuen sich Freeclimber der steilen hohen Wände, an denen sie üben können für den Ernstfall in den Bergen.“Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“.Der Gutmensch Jesus entwickelt sich zum Hardliner, so scheint es. War der Tempel zur Zeit Jesu doch ein Gebetsort gleichermaßen wie auch ein Versammlungsort; er war Marktplatz genauso wie Cafe. Was, bitte, hat diesen Jesus so geritten, so wütend zu werden?
Ich komme gerade aus Berlin und jedes Mal, wenn ich dort bin, spaziere ich einmal an der Synagoge an der Oranienburger Straße vorbei. Und natürlich gliedert sich um das eigentliche Gotteshaus eine Ansammlung verschiedener anderer Räumlichkeiten herum einschließlich eines Verkaufsraumes von Büchern oder eines koscheren Lebensmittelgeschäftes.
Was in Gottes Namen bringt Jesus so auf die Palme, dass er seine Überzeugung so über den Haufen wirft, die Menschen immer erst verstehen zu wollen, bevor er ihnen eine Hilfe zum Leben gibt? Und warum vergisst er offensichtlich seinen wunderbaren Respekt vor den Lebensrealitäten und Traditionen der Menschen? Und warum vor allem trennt gerade der, der sonst so sehr auf die notwendige Verknüpfung von Glauben und Leben verweist, das Heilige so abrupt von dem Profanen. Beten und Leben, sich Gott anvertrauen, und für die Belange des Lebens zu sorgen gehören doch zusammen. Ora und Labora, bete und arbeite. Die Juden der damaligen Zeit haben beides an einem Ort miteinander verknüpft. Was daran ist verwerflich?
Gerade dass kritisieren doch viele Menschen heute, dass die Kirche so wenig Anteil nimmt an den Bedürfnissen der Menschen. Eine neueste Umfrage im Bistum Münster, gerade in der vergangenen Woche veröffentlicht, bestätigt, dass 21% der Menschen einen Austritt aus der Kirche erwägen, weil sie sich nicht mehr angesprochen fühlen von ihrer Kirche, weil diese der Welt so abgewandt sei und Frömmigkeit zum Selbstzweck erhebe, anstatt dass sie ein glaubhaft frommes Bemühen verknüpft mit einem verantwortungsbewussten Leben im Blick auf die Bedürfnisse der Menschen.
Will Jesus wirklich den Glauben trennen vom schnöden Leben des Alltags, der eben nicht so porentief rein ist wie ein heiliges Gotteshaus?
„Er wusste, was im Menschen ist“; mit dieser Erkenntnis endet der heutige Evangeliumstext. Nein, nicht Jesus trennt Gott und Welt, auch nicht Glaube und Leben und schon gar nicht Frömmigkeit und Pflicht. Wir Menschen bauen diese Mauern auf zwischen Gott und der Welt: Wir arbeiten nicht, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um zu gewinnen und andere als Verlierer hinter uns zu lassen; wir beten nicht, um Gott als Freund zu erkennen und die Menschen als unsere Geschwister, sondern um uns – wie sagt Jesus selbst einmal – einen guten Platz im Himmel zu ergattern. Nicht die Geschäftigkeit prügelt Jesus aus dem Tempel heraus, sondern die Gier. Und wo Gier ist, da ist Gottvergessenheit.
„Er wusste, was im Menschen ist“ und sein Zorn gründete auf der Erfahrung, dass er im Menschen mehr ich und weniger du gesehen hat. Es bleibt also die Frage, ob hier in der Citykirche bei allem, was geschieht, das Du Gottes und das Du der Geschwister im Vordergrund steht oder ein oberflächliches Gieren nach Anerkennung, doch irgendwie modern zu sein. Es bleibt die Frage, ob bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Gotteshäusern das Ebenbild Gottes im Fremden gesehen wird oder nur ein Erheischen von Lob dafür, als Kirche doch irgendwie gut zu sein. Und es bleibt die Frage, ob die Kletterkirche ein Ort des Respektes vor der Schöpfung ist, die zu erkunden man sich vorbereitet oder doch nur ein billiger Ort des Freizeitvergnügens.
Und uns bleibt die Frage, was in uns ist und was Jesus in uns sieht, wenn wir hier Gottesdienst feiern und wenn wir uns auf den Weg machen von hier aus, unser Leben zu gestalten.
Christoph Simonsen
- Sonntag im Jahreskreis B – 2015 – Karnevalssonntag
Evangelium: Markus 1,40-45
Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es – werde rein! Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg und schärfte ihm ein: Nimm dich in Acht! Erzähl niemand etwas davon, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring das Reinigungsopfer dar, das Mose angeordnet hat. Das soll für sie ein Beweis (meiner Gesetzestreue) sein. Der Mann aber ging weg und erzählte bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die ganze Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch außerhalb der Städte an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.
Nä, wat is dat schön, verrückt zu sein
Ich bin kein Dichter, ich kann nicht reimen. Ich bin auch kein Büttenredner, ich kann keine Witze erzählen. Ich bin auch kein Berufskarnevalist, ich kann nicht auf Kommando lustig sein.
Aber ich bin auch kein Miesepeter, kein Moralapostel, kein Religionsneurotiker.
Aber ein bisschen verrückt bin ich schon. Und ich find das auch gar nicht schlimm, verrückt zu sein. Das, was in diesen Tagen viele auf den Straßen ausleben, das sollte eigentlich die Regel sein und nicht die Ausnahme, finde ich. Die Karnevalstage werden oft als Ausnahmezustand bezeichnet. Schade eigentlich, dass dem so ist. Schade, dass die Schlüssel der Rathäuser nur in diesen Tagen dem normalen Bürger anvertraut werden; schade, dass die Berufspolitiker nur zu Karneval in ihre Schranken gewiesen werden; schade, dass nur an Altweiberdonnerstag die Frauen das Regiment übernehmen; schade, dass nur am Rosenmontag oder Veilchendienstag die Menschen auf die -Straßen gehen und sich so zeigen, wie sich selbst in ihren unerfüllten Träume sehen; Schade, dass man nur in diesen Tagen offen sagt, was man wirklich denkt; schade, dass nur in diesen Tagen Tanz und Musik und Ausgelassenheit unbeschwert die Gemüter der Menschen prägen; schade, dass nur in diesen wenigen Tagen keiner dem anderen fremd ist und einer der anderen lächelnd herüberruft: „Drink doch ene mit“; schade, dass die Menschen nur in diesen Tagen die Verhältnisse auf den Kopf stellen und an allen anderen Tagen dem Druck unterliegen, funktionieren zu müssen.
Ich bin gern verrückt. Aber natürlich weiß ich, dass verrückt sein auch anstrengend sein kann. Verrückt sein heißt nämlich auch: um eine persönliche seelische Mitte wissen und gerade darum unter Umständen die Mitte des Mainstream zu meiden; diese Mitte, in der alle das gleiche denken und fühlen und wissen, diese Mitte der aufgenötigten Kompromissfähigkeit, in der eine eigene Meinung sofort ein Ausschlussverfahren nach sich zieht. Warum darf man eigentlich nur Karneval verschieden sein, ohne gleich ausgeschlossen zu werden?
Jesus war auch verrückt: er lässt sich auf eine Begegnung mit einem Aussätzigen ein. Und weil die anderen so primitiv normal sind, schärft er dem Aussätzigen auch ein, dass niemandem zu erzählen, dass ein anderer mit ihm eine Beziehung eingegangen ist, denn das würde ihm eh keiner glauben.
Nur der Aussätzige, der, der in den Augen wirklich verrückt war, der will jetzt normal sein. Er kann seine Klappe nicht halten und erzählt jedem brühwarm, was an ihm und mit ihm passiert ist. So nach dem Motto: Jetzt gehör ich auch wieder zu euch, nehmt mich auf in eure Runde der Normalen. Es bleibt im Text offen, ob ihm das gelungen ist. Ich vermute eher nicht. Denn für die sogenannte bürgerliche Gesellschaft ist der, der einmal anders war, immer anders.
Vielleicht sollte ich dem Geheilten wünschen, er würde auch wieder lieber in die Riege der Verrückten zurückkehren wollen. Denn für die Verrückten, da hat Gott scheinbar ein Faible. Und das nicht nur zu Karneval.
Christoph Simonsen
5. Sonntag im Jahreskreis B – 2015
Evangelium Markus 1, 29-39
Jakobus und Johannes verließen die Synagoge und gingen zusammen mit Jesus in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen mit Jesus über sie, und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie sorgte für sie. Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt, und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu reden; denn sie wussten, wer er war. In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.
GLAUBE IN BEWEGUNG HALTEN
Man soll bekanntlich ein Pferd nicht von hinten aufzäumen. Aber was für die Pflege von Pferden richtig ist, das muss noch lange nicht für Texte gelten, die man verstehen möchte. Den Text des heutigen Sonntags zäume ich lieber von hinten auf, weil er – von hinten, vom Ende her betrachtet – einen Sinn ergibt: er lehrt mich nämlich neu, meinen Glauben in Bewegung zu halten.
„Lasst uns anderswohin gehen“, bittet Jesus seine Freunde, „damit ich auch dort predige“. Glaube bleibt in Bewegung, wenn ich in Bewegung bleibe. Glaube kommt in Gang, wenn ich mich auf den Weg mache und mein Glaube bewegt etwas, wenn er das Leben vermenschlicht. An diesen Begriff muss man sich vielleicht erst gewöhnen: ‚Das Leben vermenschlichen‘, es klingt ein wenig aufgesetzt und gekünstelt; aber es ermöglicht für mich am ehesten ein sprachliches Gegenüber zur Entdämonisierung, von der Jesus spricht. Natürlich möchte ich unter einem Dämon nicht das personifizierte Böse sehen. Dieser Gedanke, dass ein lebenspendender Gott einen lebenzerstörenden Un-Gott als Pendant braucht, mag bei Menschen aufkommen, um sich Böses, Schweres, Irrsinniges besser erklären zu können. Und es ist ein Leichtes, dann das Ungute dem Dämon anzulasten, Aber das Dämonische, das Kranke, das Zerstörerische ist nicht verursacht in einer fiktiven Un-Welt; das Dämonische ist in dieser konkreten realen Welt. Wir mögen es verdrängen oder eben in andere Sphären heben wollen, es wird uns nicht erspart bleiben, sich dem zu stellen, was das Leben zur Frage werden lässt, immer wieder von Neuem und in immer anderen Realisierungen. Und wir werden erkennen müssen, dass wir mit all dem Leben müssen, weil es zum Leben dazu gehört.
Nun geht Jesus also in die anderen Dörfer, um dort zu predigen und auszutreiben, was das Leben verunmenschlicht. Und er tut das, was er der Schwiegermutter des Simon getan hat: er wendet sich zu, er spricht an und er berührt. Jesus verortet das Kranke, das Zerstörerische nicht in andere Welten, er kommt ihm nahe und er berührt. Er verteufelt nicht, wie irgendwelche religiösen Fanatiker oder von sich selbst überschätzenden Teufelsaustreibern. Jesus berührt und umarmt, was das Leben krank macht, weil er weiß, dass es zum Leben dazu gehört. Er weiß aber auch darum, dass Menschen heil werden, wenn ihnen Worte und Gesten der Freundschaft und der Zärtlichkeit zuteilwerden. Er weiß darum, dass Menschen in aller Gebrochenheit im Innern, im Herzen, in der Seele Ganzheit erfahren, wenn ihnen zugesprochen wird, ganz zu sein; denn ganz sein, heil zu sein, ist nicht gleich bedeutend mit perfekt und vollkommen zu sein. Vielmehr ist es die Erkenntnis, angenommen zu sein. Wer sich gehalten weiß, der findet die Gabe und die Kraft, JA zum Leben zu sagen und auch JA zum Sterben.
Und so geht Jesus von Dorf zu Dorf, den Menschen zu predigen, gehalten und geliebt zu sein. Und so darf jeder erfahren, heil zu sein in aller Gebrochenheit. Und weil viele von dieser Sehnsucht beflügelt sind, braucht es viele, die diese Zuversicht zusprechen. Deshalb braucht es uns und braucht es unseren Glauben, der sich in Bewegung setzt zu predigen und die Dämonen zu vertreiben, die uns suggerieren wollen, das Leben auf dieser Erde sei eine Zumutung.
Christoph Simonsen
Semsterschlussgottesdienst, 1.Februar
Licht-sucht
Germanisten tradieren von Generation zu Generation den Kalauer, ob Goethes letzte Worte auf dem Sterbebett nun waren: „Mehr Licht“ oder „mehr nicht“. Das ist sicher nicht pietätlos gemeint seitens der Geisteswissenschaftler, liegt darin doch eine durchaus interessante Frage: War Goethe am Ende seines Lebens immer noch überzeugt davon, in einer Welt zu leben, die sich der Aufklärung verpflichtet fühlte, in einer Gesellschaft also, in der die Menschen von einem verbindenden und verbindlichen Humanismus geprägt waren, oder waren die Menschen damals nach anstrengenden Bemühungen dessen müde, weil es eben einfacher ist, sich auf sich allein zu konzentrieren und andere und anderes in Ecken welcher Art auch immer zurück zu stellen? Die Zeit der Aufklärung hat viel vom Licht geredet und geschrieben, sie wollte die Welt offener, weiter, transparenter machen, auch wenn doch Armut und Elend nicht ausgerottet werden konnten und das Geldbürgertum dem Weltbürgertum im Weg stand.
„Was hilft alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben, oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen“, schrieb schon der Zeitgenosse Goethes Georg Christoph Lichtenberg. „Mehr Licht“ auf eine offene Zukunft lenken, oder die Dunkelheit geschlossener Systeme bevorzugen. Die damalige Frage scheint vergleichbar mit unserer Situation heute zu sein. „Mehr Licht“, oder „Mehr nicht“? Der Germanistenwitz hat einen durchaus nachdenklich stimmenden Hintergrund.
Am Vorabend des Festes Maria Lichtmess entscheide ich mich sehr ausdrücklich für „Mehr Licht“.
Mehr Licht auf unsere Bemühungen, Menschen zu verbinden, auch wenn alle Mühe nur Stückwerk bleibt. Was heute begonnen wurde ist oft morgen schon nicht mehr des Redens darüber wert. Unsere Zeit ist so schnelllebig, da lohnt es, sich zu erinnern und aus der Erinnerung neue Energie zu schöpfen.
- Die Begegnungen in der KHG mit Markus, Vertreterinnen der ESG und den Vertreterinnen der Einrichtungen unserer Hochschulen. Sie alle wollten einer Willkommenskultur den Weg bereiten und haben mit Filmschaffenden einen sehr sehenswerten Film zum Thema erarbeitet: Schon vergessen? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Die Begegnungen Montag Mittags im Raum der Stille, die unserer Hoffnung auf Frieden Ausdruck verleihen wollten: Schon vergessen? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Die gemeinsamen Essen mit internationalen Gerichten, die Johanna initiiert hat, und die Fremde zu Vertrauten werden ließ: Schon vergessen? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Die wunderschöne Begegnung Sonntag Vormittags im Chico mit unseren jugendlichen Freunden von der Karl-Marx-Allee, worin Beate ganz viel von sich hineingegeben hat und die so viel Freude, Freundschaft und Hilfsbereitschaft nach sich gezogen hat: Schon vergessen? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Die Glaubensgespräche und Hoffnungsworte, die Guido in Gesprächskreisen und im Internet ins Rollen gebracht hat und die so unscheinbar wirken: Schon vergessen? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
Alles Licht soll darauf scheinen, damit die darin leise und behutsam gewachsene Hoffnung weitergetragen und weiter gelebt werden kann.
Mehr Licht auch auf all das, was als Frage am Ende dieses Semesters zurück bleibt:
- Wie vermögen wir den vielen Suchenden Studierenden ein Zuhause bieten können und wie kreativ sind wir mit unseren Hilfsmöglichkeiten: Schon aufgegeben? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Wie schauen wir auf das vielfältige Scheitern um uns herum? Ein abgebrochenes Studium, eine misslungene Beziehung, Die verlorene Aufenthaltsgenehmigung: Schon aufgegeben? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Wie begegnen wir der Notwendigkeit, dauerhaft mobil sein zu müssen unter dem Druck, Verortung und Beziehungen immer wieder in Frage stellen zu müssen: Schon aufgegeben? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
- Wie bewegt sind wir von der Frage nach einer Zukunft für eine zeitgemäße Hochschulgemeinde, in der Studierende für ihre persönliche Zukunft Anregungen finden können: Schon aufgegeben? Nein: Alles Licht soll darauf scheinen.
Alles Licht soll darauf scheinen, damit die Fragen einzelner zur Frage für uns alle werden; wer seine Fragen mitteilt, der kann leichter erahnen, dass es auch Antworten gibt.
Ich gestehe, dass ich ‚licht-süchtig‘ bin, weil ich glaube, dass in allem lichten auch Gott ist; noch mehr: weil Gott das Licht selbst ist, und dieses Licht die Menschen erleuchten möchte, sie strahlen lassen möchte, sie zur Strahlkraft füreinander werden lassen möchte.
Das erste, was Gott in seine Schöpfung hineingetragen hat, war das Licht. Vor allem Lebendigen war das Licht da, damit alles Lebendige einander anschauen kann und sich aneinander erfreuen kann. Der greise Simeon fasst es für alle Zeiten zusammen: Gott ist ein Licht, das die Welt erleuchtet. „Mehr Licht“ heißt unweigerlich: „Mehr Gott“. Und „mehr Gott“ schenkt: Mehr Freiheit, mehr Frieden, mehr Geschwisterlichkeit. Unser neues Banner, das vor dem Chico hängt, ist in seiner Positionierung ein Bekenntnis für ein Miteinander im Licht Gottes, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ich würde mich freuen, wenn es unser aller Bekenntnis sein könnte.
Christoph Simonsen
Sonntag, 25.Januar 2015
Evangelium: Markus 1,14-20
Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sofort rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.
Post aus Bolivien
In letzter Zeit freue ich mich immer, wenn ich Post aus Bolivien bekomme. Ein Aachener Student, einige von Euch kennen ihn ganz sicher, berichtet immer sehr ausführlich von seinem Aufenthalt dort in einem Kinderheim. Nach dem Bachelor hatte er sich entschieden, für eine Zeit allen studentischen Zwängen und Verpflichtungen zu entfliehen. Die Routine des Lebens zu durchbrechen, die Grundlagen des eigenen Lebens zu hinterfragen und einfach mal zu schauen, ob es in der Welt nicht noch anderes Wertvolles gibt als all das, was uns hier vertraut ist. Und ich nehm immer großen Anteil an dem, was er schreibt, was er erlebt, was ihn umtreibt und welche Fragen und Perspektiven sich ihm ergeben in all dem Ungewohnten und Fremden. Ich habe eine große Hochachtung vor Menschen, die Schritte in ihrem Leben wagen, die nicht unbedingt vorrangig der Absicherung einer eigenen Zukunft dienen, die von einer irrationalen Neugier gepackt werden, ob es nicht noch mehr geben kann im Leben als das, was sich bis dato ereignet hat. Manchmal empfinde ich eine gewisse Traurigkeit darüber, dass ich das viel zu wenig gewagt habe in meinem Leben, dass ich viel zu wenig ausgebrochen bin aus all dem, was uns hier selbstverständlich als normal und notwendig offeriert wird.
Klar, wir alle unterbrechen schon mal gern für eine überschaubare Zeit unseren Lebensrhythmus, machen mal eine Nacht durch, oder hauen für eine Woche ab. Und wer sollte uns das nicht gönnen. Aber genügt das, um unseren Lebensperspektiven und unsere Lebenssehnsüchten wirklich auf die Spur kommen zu können? Wie wach, wie bemüht sind wir, uns nicht von unseren eingefahrenen Lebensgewohnheiten abtöten zu lassen?
Ich erinnere mich einer kleinen Geschichte: Da entdeckte ein Schaf auf der Weide ein Loch im Zaun und zwängte sich dort durch. Es freute sich, über die unerwartet gewonnene Freiheit und rannte einfach los. Bis es sich verlaufen hatte und tief erschrak, als es merkte, von einem Wolf verfolgt zu werden. Es rannte so schnell es konnte, aber der Wolf hing ihm auf den Fersen. Im letzten Augenblick kam der Hirt, nahm das Schaf auf seine Arme und trug es zur Herde zurück. Danach drängten ihn seine Freunde, das Loch im Zaun ganz rasch wieder zu stopfen. Doch er weigerte sich und das Loch ist bis heute im Zaun.
Ich denke, der Hirt hat eine weise Entscheidung getroffen. Wenn damals die Jünger nicht auch ein Loch im Zaun ihres Lebens wahrgenommen hätten, und wenn Sie nicht auch von einer Sehnsucht getrieben gewesen wären, vielleicht verknüpft mit einer gewissen Unzufriedenheit über das bislang Erreichte, dann säßen sie noch heute am See und würden fischen. Nur gut, dass da einer gekommen ist, ihnen dieses Loch im Lebenszaun zu zeigen. Im übertragenen Sinn haben die Fischer damals doch eine Lücke gesucht, um Neues in ihrem Leben zu entdecken. Leben zeichnet sich eben nicht in erster Linie durch ein Bleiben und Verharren aus, sondern durch ein Kommen und Gehen. Wer sich Unverhofftem und Unvertrautem widersetzt, der sperrt sich im letzten selbst ein in ein selbstgemachtes Gefängnis. Wer sich vor allem bewahren möchte, was das Leben beschwerlich und unsicher machen könnte, der wird einer Lebensfülle nie begegnen. Jesus sagt eben nicht: „Schaffe, schaffe, Häusle baue…“; er sagt: „Folgt mir nach“.
Christoph Simonsen
Sonntag, 18. Januar 2015
- Lesung: 1 Samuel, 3b-10.19
Samuel schlief im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand. Da rief der Herr den Samuel und Samuel antwortete: Hier bin ich. Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen. Der Herr rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen! Samuel kannte den Herrn noch nicht und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden. Da rief der Herr den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben gerufen hatte. Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich (wieder) ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. Da kam der Herr, trat (zu ihm) heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört. Samuel wuchs heran und der Herr war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten unerfüllt.
Mein Haus soll ein Haus der Begegnung sein
Das waren wohl andere Zeiten, als man noch unbekümmert im Tempel schlafen durfte. Heute – im übertragenen Sinn verstanden – gehen die Menschen meistens zielorientiert in die Kirche zu einem Dienst, einem Gottesdienst, tauchen ein in eine Feier, aufmerksam, wachsam, erwartungsvoll. Dem Gotteshaus ist Ehrfurcht entgegen zu bringen. Als erstes lernt ein Kind, das in die Kirche geht, leise zu sein, andächtig, vielleicht sogar untergeben. Im Haus Gottes lebt man nicht, so wie man zuhause lebt oder sonst wo; im Haus Gottes ist irgendwie alles anders. Das war nicht immer so. Die Lesung des heutigen Tages zeugt davon. In der Synagoge wurde diskutiert, gestritten, gerungen; da wurde auch gemeinsam gegessen und manchmal schlief man eben auch dort. Es wurde gemeinsam nach der Überzeugung Gottes gesucht und so ein Suchen nach Gott war wohl zuweilen so anstrengend, dass man eben auch müde in einen beruhigenden Schlaf gefallen ist.
Die Menschen heute planen Gott in ihren Tagesverlauf ein. Sie beten vielleicht morgens und bitten um einen erfüllten Tag und abends, um dankend vor Gott den Tag zu beenden. Sie beten vor den Mahlzeiten, um sich zu erinnern, dass alles Leben Geschenk ist und die Gaben, die leben lassen, eben auch. Wir Menschen heute, wir gehen in den Gottesdienst, wir suchen betend die Begegnung mit ihm. Wir ergreifen die Initiative, wir holen Gott sozusagen in unser Leben hinein, nach Bedarf, nach zeitlicher Möglichkeit oder wenn es die Tradition vorschlägt. Ungefragt, vielleicht sogar unbewusst vermitteln wir Gott, wann er uns zur Verfügung stehen soll. Gottesbegegnung ist keine Überraschung mehr für uns, weil wir nämlich die Initiatoren einer Gottesbegegnung sind. Wir geben vor, wann wir Zeit für Gott haben und wir geben vor, wann er Zeit für uns haben soll. Und wir geben vor, wo Gott wohnen soll: in heiligen, abgezirkelten Räumen und Orten.
Auch das war damals anders, wovon die Lesung wieder – für uns heute nachdenklich stimmend – erzählt. Unerwartet, ja unerkannt sucht Gott das Gespräch mit den Menschen. Er mit uns und nicht einseitig wir mit ihm. Zu der Zeit, wo der Mensch von allem Abstand gewinnen möchte, wo er nur bei sich sein will, wo alles um ihn herum unwichtig wird, just zu dieser Zeit beginnt Gott ein Gespräch mit ihm.
In diesen Jahren und Jahrhunderten hat sich scheinbar vieles geändert. Vor allem aber haben wir Menschen uns geändert. Immer mehr haben wir uns als Krönung der Schöpfung erkannt und immer mehr haben wir Menschen die Kontrolle über alles, was das Leben ausmacht, übernommen. Und da ist es doch naheliegend, dass wir auch die Kontrolle über Gott gewinnen möchten. Im Verlauf der Geschichte haben wir Menschen gelernt, uns zu behaupten, für unsere Rechte zu kämpfen, uns Untertan zu machen, was wir zum Leben benötigen und bei all dem haben wir wohl immer mehr vergessen und verlernt, dass wir nur ein Teil der Schöpfung sind, ein Teil des Ganzen, in das wir eingebunden sind und immer bleiben werden. Und weil wir Menschen mehr sprechen, mehr bestimmen, mehr vorgeben, hat sich die Fähigkeit des Hörens wohl deutlich zurück entwickelt.
Samuel möchte uns an ganz wesentliche Wahrheiten erinnern: Gott wohnt nicht irgendwo, nicht an vorgegebenen heiligen Orten, Gott wohnt überall. Gott ist nicht in Kirchen zuhause, so wie wir sie heute bauen, architektonisch groß und erhaben, und wie wir sie heute nutzen, ritualisiert abgehoben und der Welt entfremdet; Gott ist zuhause, wo Menschen achtsam sind, zu hören bereit, auch dann, wenn alle Sinne auf Entspannung angelegt sind. Gott ist zuhause, wo Menschen sich verunsichern lassen und zu fragen offen bleiben, auch dann, wenn alle schlafen. Gott ist dort zuhause, wo Menschen miteinander sprechen, Beistand suchend und Zuspruch schenkend. Er ist dort zuhause, wo Menschen geduldig begegnen und feinfühlig erkennen, dass in der Frage, in der Ungeduld der anderen eine überraschende Sehnsucht nach Gott aufflammt.
Neue Lebensperspektiven, öffnen sich leichter, erträumte aber bis dato nicht gewagte Lebenswendungen wagen sich eher, wenn wir Menschen wieder zu hören lernen, wenn wir aufhören, das Planbare, das Überschaubare, das Berechenbare über zu bewerten und uns offen halten, dem Unverhofften, dem Ungehörten, dem Ungeahnten unsere Seelentüren offen halten. Vielleicht sollten wir in unseren Kirchen nicht so viele Hochämter abhalten, die bis zum Exzess einer festen Regie unterworfen sind in der Überzeugung, dann wäre die Gottesbegegnung garantiert. Garantierte Gottesbegegnung gibt es wohl nicht, wohl aber unverhoffte. Unverhoffte Begegnungen, zumal Gottesbegegnungen, können das Leben ziemlich aufmischen. Es braucht womöglich nur mehr Menschen, die sich durcheinander bringen lassen möchten, damit Gott in ihnen und mit ihnen in unserer Welt zu Wort kommt. Samuel war so ein Mensch, sogar im Schlaf hat er sich diese innere Offenheit bewahrt.
Christoph Simonsen
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