Advent- und Weihnachtszeit Lesejahr A 2013/2014

Taufe des Herrn – 2014

Matthäus 3,13-17

Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott fordert) ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.

 

Zeig dich, denn Gott hat Gefallen an dir gefunden

Dessen dürfen wir uns sicher sein: Gott hat an uns Gefallen gefunden, an jede und jeden einzelnen von uns. Und wer sich eine ruhige Minute gönnt, der der oder die kann hören, wie Gott selbst es ihm und ihr zuspricht.

In den vergangenen Woche und auch noch in der kommenden, da ist mir dies wieder bewusst worden. Was einerseits eine Menge Arbeit bedeutet, zieht andererseits eine große Dankbarkeit und auch Fröhlichkeit nach sich. Ich rede von den Lebensläufen der Studierenden, die sich für ein Cusanus Stipendium bewerben. Zunächst hier in Aachen für die Studis im Grund- oder Promotionsstudium und nun seit einer Woche in Bonn für die Studierenden der 24 Kunsthochschulen in Deutschland. Jedes Mal bin ich sehr bewegt ob der Offenheit und der Einmaligkeit, die sich mir in diesen Lebensberichten zeigt. Kein Lebensweg gleicht dem anderen; jeder Weg offenbart etwas Unverwechselbares, etwas, was nur diesem Menschen zu eigen ist, mag es Belastendes oder Bezauberndes sein. Und in mir erwacht jedes Mal eine große Dankbarkeit, dass ich an diesen Erinnerungen des Lebens teilhaben darf. Es bedarf einer großen Portion Mut, sich ungeschützt mit der Geschichte seines Lebens so zu zeigen, wie es tatsächlich war und ist. Aber wer diesen Mut mit dem Vertrauen verknüpft, dass seinem bisherigen Lebenslauf mit Respekt und Wertschätzung begegnet wird, der wird sich gern Zeit nehmen, die Höhen und Tiefen seines Lebens, die Sonnen- wie die Schattenseiten mit anderen Menschen zu teilen. Die Zeit, in der ich über mein Leben nachsinne, die Zeit, die ich mir schenke, mir selbst klarer zu werden über die Frage, wer ich denn bin: Diese Zeit wird ohne Frage eine mühevolle und konzentrierte Zeit sein, aber sie wird auch eine erfüllte Zeit werden. Ich darf mir meiner selbst ungeschönt bewusst werden, und ich darf anderen dankbar und stolz sagen: Mein Leben ist Einmalig.

 

„Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Was anderes geschieht in der Taufe, als dass Gott sich uns Menschen mit seinem ganzen Leben zeigt. Er offenbart sich uns mit seinem Namen, er zeigt uns, wie er lebt, mit wem er lebt und für was er lebt: Er lebt in Beziehung, er lebt mit denen, die er liebt und denen er sich verpflichtet weiß und er lebt um derentwillen, die er liebt.

Der und die, die das glauben, dass Gott sich ganz zeigt, dass er sich ganz schenkt, die darauf vertrauen, dass sie angesprochen sind, dass sie gemeint sind, die alle können, ja: dürfen ihr Leben annehmen und es wahrnehmen als Geschenk und als Gabe. Sie alle wissen, dass ihr Leben gefällt. Und wer darum weiß, wer darauf vertraut, der weiß, dass sein bzw. ihr Leben Geschenk ist, und der schaut dankbar und staunend an, was das Leben auszeichnet und der wird mit seinem Leben selbstverständlich zur Gabe für andere.

Wenn auch die vielen Auswahlgespräche, die ich in den letzten Wochen führen durfte, zweckgebunden sind durch den Wunsch, ein Stipendium zu erhalten, so liegt für mich der tiefere Sinn darin, dass Menschen sich einüben darin, ihr Leben anzuschauen, sich ihrer Einmaligkeit errinnern und der gläubigen Erkenntnis Raum geben, dass zu vertrauen ein Wagnis ist, aber mit Gottes Hilfe ganz sicher ein Lohnendes.

 

Fest der Erscheinung des Herrn – 2014

Evangelium: Matthäus 2,1-12

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, /bist keineswegs die unbedeutendste / unter den führenden Städten von Juda; / denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, / der Hirt meines Volkes Israel. Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige. Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

 

Es ist wie im richtigen Leben: Da stoßen Welten aufeinander.

Da ist zum einen die Welt des Herodes. Seine Welt ist berechnend. Er wägt ab, um den für sich größten Vorteil herausschlagen zu können. Er liest zwar in den heiligen Büchern, aber nicht, um sich inspirieren und verzaubern zu lassen, auch nicht, um über den eigenen Horizont hinausschauen zu können, sondern ausschließlich dazu, mit den scharfsinnigen Augen der Macht, seinen Gegner fixieren zu können und auszuloten, wie er die ausschalten kann, die ihm in die Quere kommen könnten.

Und zum anderen ist da die Welt der Sterndeuter. Sie sind wagemutig und folgen einem Stern ins Ungewisse. Neugierig sind sie und ihr Herz ist voller Sehnsucht und Erwartung eines Größeren. Die Sterndeuter sind offen für das Heilige. Sie ahnen, nein: sie wissen, dass das wirkliche Leben nur der findet, der bereit ist, über sich selbst hinauszuwachsen. Ohne einem menschlichen Größenwahn zu verfallen, suchen sie nach einer Größe, die menschlicher werden lässt.

Da stoßen wirklich Welten aufeinander, wie sie verschiedener nicht sein können: die Welt des Herodes und die Welt der Sterndeuter. Die Welt dessen, dem es um nichts anderes geht als darum, seinen Machteinfluss zu vergrößern und die Welt derer, die staunen können über einen Stern, so weit weg, unerreichbar und dem sie doch mehr Vertrauen entgegenbringen als allen nüchternen Fakten dieser Welt.

Aber diese so grundverschiedenen Welten stoßen nicht nur im heutigen Evangelium aufeinander, dieser Aufprall ist kein rein historischer. Ein Cartoon der Süddeutschen Zeitung in dieser Woche fasste es schlicht und ebenso zynisch ins Bild: An einem Ende einer Zollbarriere stand allein ein sichtbar erkennbarer Politiker einer sogenannten christlichen Partei, die das C für christlich in ihrem Namen trägt, auf der anderen Seite standen die drei Sterndeuter, erkennbar an ihren Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe, die sie in den Händen trugen. Und unter dem Cartoon stand bissig: „Du mit dem Gold, du kannst rein“. Es ist wie im richtigen Leben: Zwei Welten stoßen aufeinander. Der Beispiele gäbe es noch viele, die diese Wahrheit belegen.

Und wir – jede und jeder von uns – da mitten drin in diesem Weltgezerre. Wer von uns würde sich nicht gern mit den Sterndeutern identifizieren und zugleich müssen wir uns doch eingestehen, dass mindestens genau so viel Herodes in uns steckt? Die nackte Wirklichkeit holt uns immer wieder ein.

Denn so liebend gern wir alle uns sicher mit den Sterndeutern identifizieren würden, so ein kleiner Herodes steckt doch auch in uns, wenn wir denn ehrlich sind vor uns selbst und voreinander.

Und noch eines müssen wir uns eingestehen: Die Existenz der Person des Herodes ist historisch belegt. Die Erzählung der Sterndeuter aus dem Morgenland dagegen nicht. Eine historische Geschichte der Angst, der eigenen Macht beraubt zu werden, steht eine geglaubte Geschichte der Hoffnung gegenüber, die dem Staunen und der Dankbarkeit Raum geben im Leben.

Unser aller Leben nährt sich aus diesen beiden Quellen. In welche Richtung die Waagschale sich mehr neigt, das kann jede und jeder nur für sich selbst klären. Gewiss ist, dass wir in einer Welt leben, in der das Prinzip des Stärkeren gilt. Weltenbummler brauchen da schon viel Selbstbewusstsein, um nicht verloren zu gehen. Aber genau dieses Selbstbewusstsein nährt sich aus dem Geschenk der Heiligen Nacht. Das haben die drei Sterndeuter am eigenen Leib buchstäblich erfahren dürfen. Denn Gott offenbarte sich in der Welt des Herodes. In diese Welt kam er; in die Welt, in der ein Mächtiger so mir nichts dir nichts eine ganze Generation von Kindern töten konnte, in der Hoffnung, so auch das Kind zu töten, das ihm gefährlich werden könnte.

In diese Welt kommt Gott heute: In die Welt der Banken und Börsen, in die Welt der taktierenden Politikerinnen und Politiker, die Armutsflüchtlingen vorwerfen, dass sie arm sind und allen die Tür vor der Nase zuschlagen weil einer von ihnen vielleicht unser hochgelobtes Sozialsystem ausnutzen könnte. In die Welt der Weggucker und Duckmäuser kam er, die nur ihre Ruhe haben wollen In diese Welt kam er, in unsere Welt kam er. In unsere Welt kommt er heute, weil ihm diese konkrete Welt am Herzen liegt, nicht wegen der Banken und Börsen, sondern der Menschen wegen kommt er. Und wie er damals nach Bethlehem, der unbedeutendsten unter den führenden Städten von Juda, kam, so kommt er heute vielleicht nach Duisburg-Rheinhausen und eben nicht nach München, nach Chemnitz vielleicht und sicher nicht nach Berlin. Und die Drei Weisen, sie folgen ihrer Ahnung und gehen nach Bethlehem. Wenn wir unserer Ahnung folgen würden, wohin würden wir gehen? Die drei Sterndeuter folgen ihrer Ahnung und beten das Kind in Bethlehem an. Wen oder was beten wir an? Die drei Sterndeuter führen uns vor Augen, dass Anbetung kein Akt der Erniedrigung ist, sondern vielmehr ein Geschehen, das frei macht. Und so sind sie nicht der Aufforderung des Herodes gefolgt und haben ihm Bericht erstattet. Sie sind ihrer inneren Stimme gefolgt und auf einen anderen Weg heim gegangen. Wem alles sie dort begegnet sind, wird nicht erwähnt. Gewiss ist, dass sie Fremden begegnet sind, so wie sie selbst in Juda Fremde waren. Und ich bin überzeugt, es waren freundliche, wertschätzende, heilsame Begegnungen.

Ja, da stoßen Welten aufeinander. Und sie müssen wohl auch aufeinanderstoßen. Eine heile Welt gibt es nicht. Weder in uns noch um uns herum. Aber eine Ahnung von dieser heilen Welt gibt es, sonst wären wir heute nicht hier. Wenn wir dieser Ahnung mehr vertrauen, wenn wir dem menschgewordenen Gott mehr vertrauen, dann werden Schranken und Grenzbarrieren überflüssiger werden, dann werden Menschen mehr zueinander finden und Welten werden menschlicher werden.

Christoph Simonsen

 

3. Adventsonntag im Lesejahr A – 2013

Evangelium: Matthäus 11,2-11

 

Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:  Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt. Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; /

er soll den Weg für dich bahnen. Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.

 

Die andere Freiheit Gottes

Ohne Frage begegnen wir heute zwei wunderbaren Menschen: Johannes und Jesus. Zwei Menschen, die beseelt waren von der großen Hoffnung, dass Gott der Welt gegenüber nicht gleichgültig ist, dass Gott an dieser Welt, am Leben der Menschen, an unserem Leben liegt.

Zwei Menschen, die keinen Augenblick, keine Sekunde in ihrem Leben die Anteilnahme Gottes an seiner Schöpfung in Frage gestellt haben.

Zwei Menschen, die bis in die letzte Faser ihres Lebens davon überzeugt waren, dass Gott ist und dass dieser Gott Garant eines erfüllten Lebens ist.

Zwei wunderbare Menschen: Johannes und Jesus. Und doch sind sie ganz verschieden gewesen. Johannes ist der Überzeugung: jetzt oder nie, alles oder nichts. Dabei ist seine Botschaft zunächst gar nicht so anders als die Botschaft Jesu: „Wer zwei Röcke hat, der gebe dem einen, der keinen hat“. Allerdings: wer dies nicht tut, dem macht Johannes  Hammelbeine,  er führt seinen Zuhörerinnen und Zuhörern schreckliche Bilder vor Augen, die sehr deutlich machen, dass Gott nicht mit sich spaßen lässt. Er verheißt ihnen einen Messias, einen Retter und Heiland, der die Axt an die Wurzel der Bäume legt und den Weizen von der Spreu trennen wird. Die Bilder des Johannes sind so klar und eindeutig wie der Auftrag, den er den Menschen vermittelt: Der Messias wird „dreschen auf der Tenne und im ewigen Feuer verbrennen, was nichtig ist“. Davon war Johannes zutiefst überzeugt und danach hat er selbst gelebt. Selbst in größter Ausweglosigkeit, da sein eigenes Leben schon keinen Pfifferling mehr wert wahr, stellt er sich vor den Thron des Machthabers und prangert das ausschweifende Leben an, das dieser führt. Wer Gott verkündet, für den darf es keine Halbwahrheiten geben: Alles oder Nichts, Leben oder Tod. Da ist doch sehr wohl nachvollziehbar, dass er sich in seiner größten Not vergewissern will: Bist du es, oder muss ich auf einen anderen warten? Denn dass der Messias keine halben Sachen machen wird, wenn er kommt, das ist für Johannes unstrittig. Dumm ist jetzt, dass die Antwort Jesu anders ausfallen wird als es Johannes wohl erwartet hätte. Jesus sagt „Ja, ich bin es, auf den du gewartet hast“ und zugleich korrigiert er unmissverständlich die Botschaft des Propheten Johannes. Da ist ein ganz empfindlicher Bruch in der Botschaft dieser beiden wunderbaren gottesfürchtigen Menschen; ein Bruch, den die Bibel so gut es geht zu kaschieren versucht, und der doch unübersehbar und unüberhörbar ist.

Aus dem Mund Jesu hören die Kundschafter des Johannes nämlich: Es hilft den Menschen nicht wirklich, wenn man ihnen nur Vorhaltungen im Namen der Moral und der Gesetze macht. Mit Druck und mit Vorschriften allein, so lässt Jesus verlauten, mit Beherrschung und Grenzziehungen gelingt es den Menschen nicht, sie auf den rechten Kurs zu bringen. Jesus weiß ganz genau: Die Menschen haben genügend guten Willen, und trotzdem handeln sie oft gegen ihre eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Beide, Johannes und Jesus, wissen um die Schwäche der Menschen, aber sie haben grundverschiedene Konzepte, wie sie dieser Hilflosigkeit und Banalität der Menschen begegnen. Es mag einfach sein, die Verwirklichung klarer Prinzipien einzufordern. Und es  mag auch einfach sein festzuhalten, was gut ist und was böse, was falsch und was richtig. Johannes hat ein schlichtes Weltbild vor sich. Was man tun darf und was man unterlassen muss, ist vorgegeben. Das Leben ist so klar und eindeutig, dass es nichts zu deuteln gibt. Jesus dagegen ist differenzierter. Er weiß, und er hat es auch in der Begegnung mit den Menschen erfahren: Kein wirkliches Problem der menschlichen Existenz lässt sich lösen und aufklären mit schlichter  Denkstruktur. Der Mensch ist komplizierter, das Leben und die Welt sind komplizierter. Jesus fragt anders  nach dem Menschen als Johannes. Während Johannes  den rechten Weg vorgibt und er davon überzeugt ist, dass es nur einen rechten Weg geben kann, versteht sich Jesus eher als Wegbegleiter; er gibt den Weg nicht vor, er geht ihn mit den Menschent. Das ist etwas anderes: einen Menschen heilen wollen, oder ihn auf den rechten Weg bringen  wollen. Einen Menschen heilen wollen, das geht nur, wenn ich ihn wirklich anschaue, wenn ich ihm auf Augenhöhe begegne. Etwas anderes ist es, wenn ich einen rechten Weg weise, dann weiß ich nämlich, wo es lang geht. Wegweiser sind allgemeingültig so wie Straßenschilder, ein Arzt aber, der zu heilen bemüht ist, der mag zwar aufgrund seines Studiums oder seiner Erfahrung vieles wissen und er kann auch viel Gutes vermitteln, aber ein wirklich guter Arzt, der den Menschen nicht nur gesund machen will, sondern ihn heilen möchte, der begegnet dem Patienten mit Geduld und innerer Gelassenheit, mit Weitsicht und mit Zurückhaltung und ein guter Arzt vor allem vertraut auf die Selbstheilungskräfte im Menschen. Heilung geschieht nie von außen, sondern immer von innen. Darum weiß Jesus und das unterscheidet ihn von seinem Lehrer Johannes.

Zwei wunderbare Menschen: Johannes und Jesus. Der Prophet, der Gott ganz ernst genommen hat und auf seine Weise die Menschen so liebte, dass er ihnen manchmal zu viel abverlangt hat und der Messias, der Gott nicht minder liebte und die Menschen auf seine Weise liebte, menschlich liebte und ebenso göttlich liebte.

In der Vorbereitungsgruppe zu diesem Gottesdienst haben wir uns gefragt, warum Johannes im Himmel dann doch trotz all seiner Verdienste nicht auch unbestritten den ersten Platz zugewiesen bekommt. Nun, vielleicht genau deswegen, weil er in seiner Lehre dann doch ein zu starres Bild von Gott vermittelt hat; ein Bild, zu sehr geprägt von menschlichen Maßstäben einer göttlichen Gerechtigkeit und die Gott zu wenig Freiheit ließ, barmherzig zu sein.

Christoph Simonsen

 

2. Sonntag im Advent im Lesejahr A – 2013

Evangelium: Matthäus, 3,1-12

In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Eine Stimme ruft in der Wüste:  Bereitet dem Herrn den Weg!  Ebnet ihm die Straßen! Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

 

Umkehr = Zuwendung

Die Worte haben es in sich. Überhaupt, wie schon am vergangenen Sonntag zum 1. Advent, sind die Botschaften des Advent in diesem Jahr, wo wir Worte aus dem Matthäusevangelium hören, weit entfernt vom Duft der Weihnachtsplätzchen und dem Kerzenlicht der unzähligen Roratemessen, die in diesen Wochen gefeiert werden. Vielleicht kommt der Sturm des vergangenen Donnerstag, wo man Angst haben musste, dass einem die ‚Weihnachtsdekorationen von den Buden des Weihnachtsmarktes um die Ohren fliegen könnten, den markanten Worten des Johannes  näher als  jeder besinnliche Anflug.

Auch wenn wir die Tage bis Weihnachten schon zählen können, auch wenn sich zu wiederholen scheint, was jedes Jahr unabänderlich zu sein scheint, dass nämlich die Nacht der Weihnacht vom 24. auf den 25. Dezember sozusagen gebucht ist, so bringt Johannes diese Gewissheit gehörig ins Wanken. Gott kommt nicht automatisch. Wir können Gott nicht siegesgewiss in Weihnachtspapier einpacken und ihn dann einander zum Geschenk machen. Man mag die Figur des Christuskindes widerstandslos bequem in die Krippe hin- und herlegen, bis der geeignete Ort gefunden ist, mit Gott kann man so nicht verfahren. Gott lässt sich nicht einfach irgendwo ablegen, so nach dem Motto: sei schön brav, feiere anständig mit uns, und am 6. Januar packen wir dich dann wieder in die Kiste bis zum nächsten Jahr. Gott möchte sich nicht abspeisen lassen mit holden Klängen, mit Posaunenchören in der Nacht seiner Geburt und mit einem Frieden auf Zeit bis zum 26. Dezember. Was ist das für ein Hohn, wenn Politiker und Diplomaten sich stolz auf die Brust klopfen nach einem vereinbarten Waffenstillstand über die Feiertage? Das Fest der Weihnacht gleicht manchmal eher einer Selbstbefriedigung als einer erfüllten Begegnung.

Eben darauf verweist auch Johannes: Gott möchte sich uns Menschen zu-wenden.  Gottesbeziehung – und übrigens auch: Menschenbeziehung – wird nur möglich durch eine tatsächliche Zu-Wendung. Umkehren, so wie Johannes dieses Wort benutzt, bedeutet doch nichts anderes, als sich von neuem einander zuzukehren. Und Gott fängt mit dieser neuen Zu-Wendung an. Er tut den ersten Schritt. Und natürlich dürfen wir uns darüber unendlich freuen und diese Zuwendung Gottes feiern. Aber zu feiern alleine, das wäre zu wenig. „Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt“, predigt Johannes. Und dabei wendet sich Johannes in erster Linie an die Sadduzäer und Pharisäer; an jene also, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sie den Glauben in akkurater und ritualisiert korrekter Weise feierten. Eben gegen solch ein ritualisiertes Glaubensverständnis grenzt Johannes sich ab. Umkehr, Zu-Wendung gelingt nicht in Ritualen, auch wenn uns das manche Liturgieverliebte weiß machen wollen. Umkehr ist eine Wandlung im Leben und: Umkehr birgt die Offenheit in sich, das eigene Leben in Frage zu stellen. Was heute so vertraut wie auch beliebt ist, nämlich immer die anderen zu kritisieren und deren Lebenswandel in Frage zu stellen, kehrt Johannes im wahrsten Sinn des Wortes um: Erneuerung fängt immer bei mir selbst an und nirgendwo anders.

Eigentlich schäme ich mich, heute vor Euch so zu sprechen; es könnte der Anschein aufkommen, ich hätte ein Recht dazu, und das habe ich natürlich nicht, wenn ich es nur zu Euch sagen würde. Es muss doch klar sein, dass die Worte des Johannes  auch mir selbst mahnend zugesprochen sind. Verkündigung darf nicht zu den Menschen geschehen, sondern immer nur mit ihnen. So wie eine Gottesbegegnung immer nur dialogisch geschehen kann, so ist auch die Verkündigung nur im Miteinander reden und aufeinander hören möglich. Deshalb ist es mir ein Anliegen, mich selbst natürlich in die Reihe der Zuhörenden einzugliedern.

Wenn es eine Quintessenz der johanneischen Botschaft, so wie ich sie verstanden habe, gibt, dann könnte die wohl lauten: Ein Zeichen gelebter Menschlichkeit ist tausendmal wichtiger als jede vermeintliche Rechtgläubigkeit. Und Weihnachten ist nicht in erster Linie ein schönes Familienfest und sicherlich auch mehr als ein bombastischer Gottesdienst am Heiligen Abend. Vor all dem ist Weihnachten die Umkehr Gottes zu uns Menschen, verbunden mit der Ermutigung, dass auch wir umkehren: zu ihm und zueinander.

Christoph Simonsen

 

1. Adventsonntag im Lesejahr A – 2013

Evangelium: Matthäus, 24,37-44

Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Advent – Besinnen worauf?

Da hören wir apokalyptische Bilder zu Beginn der Adventzeit. Eines wird mit diesen Worten unmissverständlich deutlich: Der 1. Advent ist nicht der Endspurt der Glühweinsession; der 1. Advent ist auch nicht der Geburtstag des Kaufparadieses Amazon; und der 1. Advent ist schon mal gar nicht das Startsignal eines Besinnungsmarathons, der einem jede Besinnung raubt.

Aber was ist der 1. Advent dann? Was hebt die Zeit des Advent von den übrigen Monaten des Jahres ab? Hat der Advent überhaupt noch eine herausragende Bedeutung für uns, abgesehen von Weihnachtsmarkt, Weihnachtsfeiern und Geschenke kaufen?

Jesus ruft seine Freundinnen und Freunde zur Wachsamkeit auf. Und er erinnert an Noah, der bekannter weise in seiner Arche je ein Paar jeder Gattung der Geschöpfe Gottes vor der Sintflut rettete. Die Menschen damals lebten unbekümmert ihr Leben, sie aßen und tranken und heirateten und wähnten sich sicher in ihrem Lebensstandard. Keiner von ihnen rechnete damit, dass das geregelte Leben aus den ihnen wohl vertrauten Bahnen geworfen werden könnte; keiner rechnete damit, dass sich etwas ändern könnte in ihrem Leben, das sie nicht selbst beeinflussen könnten.

Sich des eigenen Lebens sicher sein, dies führt zu Unachtsamkeit und Gedankenlosigkeit. Ausschließlich dem eigenen Vermögen, sei es wirtschaftliches oder auch geistiges Vermögen, die Rolle eines Selbstläufers zuzugestehen, um das Leben meistern zu können, dies führt zu Eigensinn und Überheblichkeit.

Die Zeit des Advent möchte eine Zeit der persönlichen Verunsicherung sein.  Habe ich den Mut und die innere Freiheit, mich selbst zu hinterfragen? Nehme ich mir Zeit, mich selbst anzuschauen, innerlich frei von dem, was ich selbst an Schutzhüllen um mich herum gelegt habe? Bin ich wach und aufmerksam für Dinge in meinem Leben, die ich nicht selbst machen und planen kann? Halte ich mich im Innern bereit für Aufgaben, auf die ich mich nicht generalstabsmäßig vorbereiten kann?

Das sind Fragen, die die Zeit des Advent zu einer herausragenden Zeit machen könnten. Eine Begegnung der vergangenen Tage hat mir selbst vor Augen geführt, wie ich mich selbst versperre vor den Konsequenzen dieser Fragen und anderen die freie Entscheidung erschwere. Ein Studi kam zu mir und erzählte davon, nach dem Studium nicht gleich weiter machen zu wollen in den gewohnten Bahnen und  er wollte meine Meinung hören dazu, für eine bestimmte Zeit ein soziales Projekt zu begleiten. Und anstatt zu ermutigen habe ich zunächst zögernd und hinterfragend reagiert. Natürlich stellen sich viele Fragen, und natürlich darf man ihnen nicht aus dem Weg gehen. Aber wäre es nicht vor allen Bedenken meine Aufgabe gewesen,zu ermutigen und zu wagen. Und erst im zweiten Gedankengang nach der realen Umsetzung zu fragen? Statt dessen zweifelte ich und mimte den Erfahrenen. Erst im Nachhinein erkannte ich, dass der wagemutige Schritt des Studenten mein eigenes Sicherheitsdenken angekratzt hat.

„Haltet euch bereit“, ruft Jesus den Seinen zu. Bewahrt euch eine innere Unruhe, um dann zu erkennen, dass euer Leben mehr in sich birgt als essen und trinken und heiraten. Dieses „mehr“ in euch, dieses „Größere“ in euch, das euch frei macht von der Begrenztheit eines engen Egoismus, das ist der Geist, der euch wirklich zu freien Menschen macht und euch befähigt, Entscheidungen zu treffen, die nicht zuvorderst den Besitzstand zu wahren helfen, sondern der Gegenwart Gottes und seiner Zukunft in dieser Welt die Wege bereiten. Wenn Jesus uns das als Lebensaufgabe an Herz legen möchte, dann sind die vier Wochen des Advent sicher noch zu kurz, um seinem Wunsch in rechter Weise Rechnung zu tragen. Gut, dass unser ganzes Leben ein Advent ist, ein Warten und Sehnen, dem Willen Gottes gerecht zu werden.

Christoph Simonsen

 

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